WASG setzt auf starke Oppositionsrolle

Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit setzt bei den Bundestagswahlen auf eine starke Oppositionsrolle. In der Zusammenarbeit mit der Linkspartei.PDS bestünde noch Diskussionsbedarf, sagte WASG-Vorstand Klaus Ernst. Während sie Hartz IV für reformfähig halte, lehne die WASG das Gesetz kategorisch ab.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, es gibt zwar einen neuen Parteinamen – Die Linkspartei - und ein neues Bündnis – zwischen der früheren PDS und Ihrer WASG - aber etwas wirklich Neues scheint Ihnen kaum jemand zuzutrauen. Die Menschen, die Sie wählen wollen, sehnen sich nach alten und angeblich besseren Zeiten zurück. Und beim Studium der Kommentare haben wir über das Linksbündnis am häufigsten zwei Wörter gefunden, nämlich Besitzstandswahrer und Realitätsverweigerer.

Klaus Ernst: Ja, wir werden als Besitzstandswahrer bezeichnet, aber die anderen sind Besitzstandsmehrer. Schauen Sie sich mal an, was die Vorstände der deutschen Industrie gerade treiben, übrigens mit der Zustimmung der FDP, die dann zu uns sagt, wir wären die Besitzstandswahrer. Also diese Begrifflichkeit in der deutschen Sprache verdreht teilweise die Realitäten. Wir wollen natürlich auch Reformen der Sozialsysteme, nur das Wort Reform sagt ja, dass es hinterher besser ist als vorher. Bei den Reformen, die wir in der letzten Zeit erlebt haben, haben immer die Kleinen bezahlt und die Großen sind als Sieger aus dieser Debatte hervor gegangen. Ich erinnere an die letzten jetzt aktuell vonstatten gegangenen Änderungen bei der Sozialversicherung, wo die Beiträge im Ergebnis für die normalen Bürger steigen, für die Unternehmen sinken. Das ist eine Politik, die aus unserer Sicht falsch ist. Wenn wir nun das Ding wieder einigermaßen ins Lot bringen wollen, ist es nicht rückwärts gewandt, sondern vorwärts gewandt. Die Zukunft liegt im sozialen Ausgleich und nicht im Mittelalter. Und das, was wir gegenwärtig erleben, ist der Weg in den Frühkapitalismus. Es gehen andere zurück und nicht wir.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn man Ihr Wahlprogramm studiert, Herr Ernst, dann kann man es knapp zusammenfassen unter der Formel: Kürzer arbeiten, dafür mehr verdienen; mehr Geld für die Armen, und das nehmen wir dann einfach den Reichen.

Ernst: (Lacht) Also, das ist jetzt eine sehr starke Verkürzung!

Deutschlandradio Kultur: Können Sie im Wahlkampf verwenden.

Ernst: Ich werd’s versuchen, vielleicht gelingt es uns ja, damit noch den einen oder anderen zu überzeugen, ich glaub’s aber nicht. Da muss man schon konkreter werden, ich gebe Ihnen ein Beispiel: In den letzten vier Jahren sind von denen, die ihr Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen, einhundert Milliarden Euro weniger eingenommen worden von Seiten des Staates. Einhundert Milliarden Euro. Hätten wir dieses Geld eingenommen als Staat, hätten wir jetzt kein Problem mit dem Defizit von Maastricht und im Übrigen auch nicht das Problem, dass permanent argumentiert werden könnte, dieser Sozialstaat hat kein Geld mehr. Dieser Sozialstaat ist arm gemacht worden, weil tatsächlich die Gruppe, die vom Schicksal besonders begünstigt ist oder die großen Unternehmen nur noch unzureichend für die Finanzierung des Sozialstaates herangezogen werden, und das wollen wir in der Tat ändern.

Deutschlandradio Kultur: Es sind ja nicht die großen Unternehmen, die dieses Land reich oder stark machen, es ist der Mittelstand, der über 80 Prozent der Arbeitskräfte stellt. In Ihrem Wahlprogramm klingt so eine Haltung durch, die Wirtschaft an sich ist der Gegner und ist böse und jeder, der erfolgreich ist, und jeder, der anständig Geld verdient, ist auch böse und muss geschröpft werden. Um Ihnen mal eine andere Zahl entgegen zu halten: die oberen 25 Prozent zahlen 75 Prozent der Einkommensteuer und die unteren 25 so gut wie keine. Da muss doch vielleicht ein anderer Fehler vorliegen als der, dass man sagt, wir müssen von den Reichen noch ein bisschen mehr Geld nehmen.

Ernst: Der Fehler liegt in den vergangen sieben Jahren, während der jetzigen Regierung, aber auch schon vorher. Der Fehler lag darin, dass man permanent gedacht hat diese Ökonomie in Schwung zu bringen, wenn man es den Armen nimmt – die normalen Bürger müssen noch ein bisschen ärmer werden – und es den anderen gibt. Und diese Politik hat ja nun nachweislich in den zwanzig Jahren nicht funktioniert. Wir haben eine gestiegene Arbeitslosigkeit, die Armut steigt, der Reichtum auch – das ist nicht von mir, das ist aus dem Armutsbericht der Bundesregierung, dankenswerter Weise ehrlich – und da kann ich Ihnen nur sagen, dies ist das Ergebnis einer Politik, die genau in diese Richtung geht, Steuerentlastungen permanent bei den Großen, bei den großen Unternehmen und bei den großen Verdienern zu machen. Wenn der Spitzensteuersatz gesenkt wird, dann trifft es eben den Spitzensteuer-Verdiener, der weniger zahlt. Wenn die Körperschaftssteuer nun weiter gesenkt werden soll, obwohl sie im Jahre 2001 das Niveau der Hundesteuer schon unterschritten hatte, ist das ein Weg in die falsche Richtung, und da sagen wir tatsächlich, es muss in die gegensätzliche Richtung gehen.

Deutschlandradio Kultur: Das Problem, Herr Ernst, besteht aber doch darin, dass man, wenn man so eine Robin-Hood-Mentalität an den Tag legt, damit gleichzeitig das Misstrauen gegenüber Erfolgreichen und Wohlhabenden schürt - und das kann es ja auch nicht sein.

Ernst: Ich bezeichne mich auch nicht gerade als Verlierer in dieser Gesellschaft, also insofern ist dieser Vorwurf allein schon deshalb abstrus. Es geht auch nicht darum, dass man eine Neid-Gesellschaft erzeugt, was uns ja leicht unterstellt wird.

Deutschlandradio Kultur: Das passiert natürlich ganz leicht, wenn man so argumentiert wie Sie.

Ernst: Es geht darum, dass welche nicht mehr teilen wollen, und die hat man schon mal zum Teilen gebracht. Der Sozialstaat als Postulat in unserem Grundgesetz ist ja mehr als eine Armenküche, der Sozialstaat bedeutet ja, dass ein Stück weit ein sozialer Ausgleich zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen - die unterschiedlich erfolgreich sind und sein müssen, aufgrund auch unseres Wirtschaftssystems - über den Staat organisiert wird. Wenn sich der Staat hier zurücknimmt …

Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, Deutschland gibt 34 Prozent seines Brutto-Inlandsproduktes für sozial motivierte Umverteilung aus, 34 Prozent. Das tut kein anderer moderner Industriestaat. Das heißt, der Fehler muss doch vielleicht woanders liegen. Ihre Vorschläge laufen allen Vorschlägen aller Wirtschaftsforschungsinstitute zu wider. Erstens wollen Sie nicht die Lohnnebenkosten senken, Sie machen Arbeit teurer mit Ihren Vorschlägen, zweitens wollen Sie noch mehr Bürokratie einführen. Also beides Punkte, unter denen die deutschen Untenehmen leiden in diesem Land.

Ernst: Ja, die deutschen Unternehmen leiden in diesem Land vor allen Dingen darunter, dass sie nichts mehr verkaufen können, und Sie können deshalb nichts mehr verkaufen, weil die Bürger zu wenig Einkommen haben.

Deutschlandradio Kultur: Die leiden darunter, dass die Arbeit so teuer ist.

Ernst: Nein, wenn bei uns argumentiert wird, wir haben einen Käuferstreik, dann liegt es ja nicht daran, dass die Leute mit den vollen Geldbörsen vor den Schaufenstern stehen und sich die Nase platt drücken. Wenn man die Sozialeinkommen …

Deutschlandradio Kultur: Ich habe jetzt leider die Zahlen nicht parat, das private Sparvermögen ist in Deutschland so hoch wie noch nie. Das liegt daran, dass die Leute Angst haben vor der Zukunft und nicht daran, dass sie zu wenig Geld haben. Sie sparen.

Ernst: Richtig, aber da würde ich Sie bitten, sich die Sparquote genau anzusehen, dann werden Sie feststellen, dass insbesondere die guten Einkommen, nämlich über 25.000 Euro im Monat, die höchste Sparquote haben, und unten, bei denen, die bis zu 1000,-- im Monat haben, ein Defizit ist. Da wird überhaupt nicht gespart, da ist Verschuldung. Und das bedeutet, eine steigende Sparquote haben Sie dann, wenn Sie insbesondere die Einkommen der Reichen steuerlich besonders begünstigen. Wenn Sie es umgekehrt machen, wenn Sie die Einkommen der unteren Einkommensgruppe zusätzlich erhöhen, wird die Sparquote eher in die andere Richtung gehen, weil die ja Geld ausgeben. Also, die Sparquote, die momentan steigt, ist kein Indiz für Ihr Argument, sondern ein Indiz für mein Argument wäre zu sagen: Wir brauchen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, nicht sinkende Löhne, denn die haben wir die ganze Zeit die letzten Jahre. Wir haben seit zehn Jahren stagnierende Einkommen und trotzdem haben wir Arbeitslosigkeit. Warum? Weil im Gegensatz zu anderen Ländern, zu Frankreich, zu Italien, zu Großbritannien, die Einkommen nur unzureichend gestiegen sind und deshalb die Leute weniger kaufen können. Das ist der Fakt und da können Sie ja die Statistiken vergleichen.

Deutschlandradio Kultur: Dummerweise ist in Frankreich die Arbeitslosigkeit fast genau so hoch, aber das nur am Rande.

Ernst: Ja, aber dummerweise ist dort die Situation, dass sich die Einkommen anders entwickelt haben als bei uns und dass die Einkommensverteilung auch anders ist als bei uns. Im Wesentlichen haben wir das Problem, dass bei uns die Masseneinkommen stagnieren, sogar zum Sinken neigen, während gleichzeitig die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen exorbitante Ausmaße annehmen, siehe den Armutsbericht der Bundesregierung.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben aber auch das Problem, Herr Ernst, dass die Arbeitsplätze zu teuer sind und dass die Wirtschaft schwer unter der Bürokratie zu leiden hat - und die wollen Sie weiter ausbauen: Mindestlöhne, Ausbildungsplatzabgabe, gesetzlich begrenzte Arbeitszeiten, Zwangsbürgerversicherung für alle, alle Kapital- und Vermögenseinkommen einbeziehen und so weiter und so fort.

Ernst: Es geht nicht um Ausbau der Bürokratie, es geht um Regeln, und wo bitte steht in unserem Programm Ausbau der Bürokratie?

Deutschlandradio Kultur: Das sagen Sie so natürlich nicht, aber das ist enthalten in Ausbildungsplatzabgabe und Bürgerversicherung, da weiß man jetzt schon, dass das die Bürokratie erhöhen wird.

Ernst: Nein, das weiß man überhaupt nicht. Die Ausbildungsplatzabgabe führt erst mal dazu, dass Menschen, und zwar junge, einen Job kriegen, die gegenwärtig auf der Straße stehen.

Deutschlandradio Kultur: Was noch zu beweisen wäre, das hat bei der Behindertenquote auch schon nicht funktioniert.

Ernst: Fakt ist, dass die freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie nicht funktioniert haben, weil wir nach wie vor eine große Zahl von jungen Menschen haben, die keine Ausbildung bekommen. Und es ist nicht eine Steigerung der Bürokratie, sondern gerade eine Gebot des Sozialstaates dafür zu sorgen, dass, wenn der Markt in der Frage nicht funktioniert, er so beeinflusst wird, dass er funktioniert.

Deutschlandradio Kultur: Halten wir mal neutral fest, Sie sind auf jeden Fall dafür, vieles gesetzlich zu regeln in Deutschland. Also nicht, wie andere fordern, es den freien Kräften des Marktes zu überlassen, sondern Sie möchten noch viele Regelungssysteme dazu einführen. Haben Sie denn schon mal bedacht, dass all Ihre Forderungen - wenn sie umgesetzt werden sollten - nur dann funktionieren würden, wenn Sie Deutschland tatsächlich wieder abschotten könnten gegen die Europäische Union und gegen den Rest der Welt?

Ernst: Keinesfalls. Wir wollen tatsächlich Regeln, weil wir merken, dass die Deregulierung der letzten Jahre dazu geführt hat, dass die Probleme nicht beseitigt wurden. Wir deregulieren ja nun seit eigentlich zwanzig Jahren. Und jede Regierung dereguliert ein wenig mehr, und das Ergebnis ist nun nicht, dass es besser geht in dem Land, sondern das Ergebnis ist, dass die Arbeitslosigkeit laufend steigt. Ich mache Ihnen das an einem Beispiel deutlich: Wenn Sie in der Bundesrepublik ein Unternehmen schließen und die Leute entlassen wollen, geht es trotz unserem angeblichen Kündigungsschutz vollkommen problemlos. Wenn Sie das in Frankreich probieren, dann ist es sinnvoller, das Unternehmen zu verschenken und dem Käufer noch Geld mitzugeben. Warum? Weil dort die Regelungen offensichtlich so sind, dass die Arbeitnehmer besser vor Entlassungen geschützt sind als bei uns in der Bundesrepublik. Wir sind nicht die sozialen Vorreiter Europas!

Deutschlandradio Kultur: Es ist mir vollkommen unklar, warum Sie immer Frankreich als Vorbild hinstellen. Die haben auch über zehn Prozent Arbeitslosigkeit, die werden zum fünften Mal hintereinander die Maastricht-Kriterien reißen, da können Sie doch nicht sagen, wir sollten es so machen wie in Frankreich.

Ernst: Doch! Denn in Frankreich sind die Arbeitnehmer vor Kündigungen besser geschützt sind als in der Bundesrepublik.

Deutschlandradio Kultur: Frankreich hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 20 Prozent, das ist doch nicht vorbildhaft!

Ernst: Es ist vorbildhaft, wenn man bessere Regelungen hat zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Wenn man bei uns über den Kündigungsschutz diskutiert, dann hat man ja den Eindruck, dass man hier nicht entlassen kann. Fakt ist aber, dass wir in den letzten Jahren den Kündigungsschutz schon erleichtert haben mit dem Ergebnis, dass wir eine höhere Arbeitslosigkeit haben, aber keine niedrigere.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, die Vorschläge der WASG laufen ja im Grunde auf eine materielle Verteilungsgerechtigkeit hinaus, immer unter der Annahme, dass es weiter Wachstum geben wird, was ja einige Experten bezweifeln. Wäre es nicht viel sinnvoller für eine linke Partei darüber zu debattieren, wie wir Gerechtigkeit auch ohne Wachstum und jenseits von Geldverteilung organisieren können?

Ernst: Ja. Da muss man sicher darüber diskutieren, aber diese Diskussion nutzt den Bürgern, die gegenwärtig ihren Job verlieren, überhaupt nicht. Deshalb sage ich sehr pragmatisch, wir müssen tatsächlich über Verteilungsgerechtigkeit nachdenken und wir müssen darüber nachdenken, wie man denn das Wachstum erzeugt. Und Wachstum entsteht nur, wenn auch die Verteilung einigermaßen stimmt. Wenn die Bürger in der Bundesrepublik …

Deutschlandradio Kultur: Das verstehe ich jetzt nicht. Warum nützt denn das den Bürgern überhaupt nicht? Wir haben fünf Millionen Arbeitslose, und auch wenn Sie morgen an die Regierung kommen sollten, werden Sie die nicht innerhalb eines Jahrs abbauen. Da ist es doch sinnvoll, dass man auch über andere Formen von Gerechtigkeit spricht. Nehmen wir ein Beispiel: ein ...

Ernst: … Dies nützt doch dem Bürger nichts, wenn man darüber redet. Wir müssen doch ganz konkret die Maßnahmen treffen, die den Bürgern in den nächsten drei, vier Jahren eine verbesserte Situation bringen.

Deutschlandradio Kultur: Ja, aber man kann doch auch Maßnahmen treffen, dass es Bürgern besser geht, auch wenn sie nicht viel mehr Geld haben. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Hartz IV-Empfänger und ein Student haben dasselbe Einkommen, trotzdem haben sie nicht dieselbe soziale Position. Es geht doch um gesellschaftliche Teilhabe, auch wenn man wenig Geld verdient.

Ernst: Richtig. Deshalb sind wir auch für Verkürzung der Arbeitszeiten. Wir wollen, dass wir darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist …

Deutschlandradio Kultur: … Studenten brauchen keine Verkürzung der Arbeitszeiten.

Ernst: Aber die, die Arbeit haben, brauchen sie, weil genau dort die Jobs fehlen. Und wenn wir sehen, dass auf der einen Seite die Leute 50, 60 Stunden arbeiten sollen und gleichzeitig Leute vor dem Betrieb stehen, gern rein kommen würden und gern wenigstens 35 Stunden arbeiten wollen, da müssen wir doch darüber nachdenken, ob wir an der Stelle die richtigen Gesetze haben.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie so reden höre habe ich den Eindruck, Sie hängen auf jeden Fall der Idee der Vollbeschäftigung an und können sich gar nicht vorstellen, dass man ein sinnvolles Leben führen kann ohne Arbeit.

Ernst: Doch, das kann ich mir schon vorstellen. Zurzeit würde ich es mir manchmal wünschen, das kann ich Ihnen sagen. Aber ich weiß, dass es zum jetzigen Zeitpunkt darauf ankommt, die unmittelbaren Probleme anzugehen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn jemand im Eismeer schiffbrüchig wird, dann ist ihm vielleicht die Eisscholle, die er erwischt, lieber als die tropische Insel, auf die er gerne kommen würde. Deshalb geht es uns darum zu organisieren, wie momentan die Menschen auf die Eisscholle kommen. Und wenn wir das erreicht haben, dann werden wir uns sicher auch den Zukunftsprojekten, die darüber hinaus weisen, widmen.

Deutschlandradio Kultur: Sollte es, Herr Ernst, nun doch alles nicht klappen mit der Linkspartei und dem Bundestag, dann können Sie sich ja - haben wir gelesen - immer noch auf Ihren Alm-Bauernhof zurückziehen, nicht auf eine tropische Insel. Wir finden es ja ziemlich schick, dass Sie als gelernter Elektro-Mechaniker ausgerechnet einen Bauernhof ohne Strom besitzen.

Ernst: (Lacht) Erstens besitze ich den nicht, sondern der ist gepachtet, und zwar seit 1988. Insofern ist er durchaus erschwinglich, das konnte ich mir tatsächlich leisten, weil dort die Preise noch einigermaßen erträglich sind. Zumal er eben ohne Strom und ohne Zufahrt ist, was mich sehr freut, und im Übrigen auch den einen oder anderen davon abhält hochzukommen.

Deutschlandradio Kultur: Ohne Strom. Wir wussten es doch, Herr Ernst, mit Ihnen geht es zurück in die Steinzeit.

Ernst: (Lacht) Dafür haben wir Gas, übrigens zum Kochen besser als Strom, wenn ich das nebenbei erwähnen darf.

Das Gespräch wurde geführt von Susanne Führer und Marie Sagenschneider.

Klaus Ernst wird am 1. November 1954 in München geboren. Lehre zum Elektromechaniker. 1972 Eintritt in die IG Metall, 1974 in die SPD. Betriebsrat, Vorsitzender der DGB-Jugend (1972-1975) und des Ortsjugendausschusses der IG Metall (1974-1979). 1979-1984 Studium der Volkswirtschaftslehre und Sozialökonomie an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (Diplom). 1984 holt ihn Klaus Zwickel, später Bundesvorsitzender der IG Metall, während des großen Metallerstreiks als hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionär nach Stuttgart. 1995 übernimmt Ernst als 1. Bevollmächtigter die Leitung der IG-Metall-Verwaltungsstelle Schweinfurt, dort ist er für 20.000 Metall-Gewerkschafter verantwortlich. 2004 schließt Ernst sich der Protestbewegung gegen die so genannte Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder an. Im Juni 2004 Auschluss aus der SPD. Anfang Juli 2004 gründet sich der Verein Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), im Januar 2005 konstitutiert sie sich als Partei. Ernst wird zu einem von vier gleichberechtigten Vorstandsmitgliedern gewählt. Eine Urabstimmung im Juli billigt mit großer Mehrheit die Kooperation mit der PDS. Die PDS stimmt am 17. Juli auf einem Bundesparteitag für die Namensänderung in "Die Linkspartei" mit möglichem Zusatz "PDS" in den östlichen Bundesländern. Am 23. Juli wird Klaus Ernst auf dem Parteitag des bayrischen Landesverbandes der Linkspartei auf Platz Eins gewählt.