Wasser für die Wüste
Aflaj heißt im Nahen und Mittleren Osten ein jahrtausendealtes, traditionelles System von Kanälen, die kilometerlang trockenes Land durchzogen und Wasser brachten. Heute liegen sie vielerorts brach, sind versandet und wenig gepflegt. Anders im Sultanat Oman, wo das Kanalsystem instand gehalten und weiterentwickelt wurde. Mit seiner Sanierung und Wartung beschäftigt sich dort eine eigens dafür ausgebildete Behörde. Bis heute versorgen die Kanäle weite Teile der Bevölkerung mit Frischwasser, das nach festgelegten Regeln an Dorfgemeinschaften und Familien verteilt wird.
Verwaist liegt die Begegnungsstätte der Oase Birkat al Mauz, unter der sengend heißen Mittagssonne. Kein Laut ist zu hören - außer dem steten Rauschen des Wassers, das über ein Netz von vielen, kleinen Kanälen zwischen den Häusern, Hütten und den Ackerflächen strömt.
Die Bewohner der kleinen Ortschaft haben sich in die Kühle ihrer Häuser zurückgezogen, schmalbrüstigen Lehmbauten, deren Vorderfront unter schattigen, staubig-grünen Palmwedeln verschwindet. Nur die Respektsperson des Dorfes, der Grundschullehrer Ali Said, ist gekommen, um sich einen Krug mit Trinkwasser zu füllen.
Dank seiner Dishdasha, dem weitgeschnittenen, bodenlangen Gewand der Männer, scheint er die Hitze kaum zu spüren:
"Im Arabischen nennen wir das hier einen Falak. Der Quell entspringt in den Bergen und verläuft in der Regel einige Kilometer lang unterirdisch. Die Leute kommen an diesen Ort, um sich für den Besuch der Moschee zu reinigen, manchmal auch nur, um sich miteinander zu unterhalten. Die Kinder nutzen den Falak, um darin zu schwimmen. Und morgens, so um sieben Uhr herum, können Sie die Frauen sehen, die hier das Trinkwasser holen und weiter unten ihre Wäsche waschen."
Falak lautet die Bezeichnung für einen dieser kunstvoll konstruierten Kanäle. Schätzungen gemäß führten die Perser das Bewässerungssystem bereits im sechsten Jahrhundert v. Chr. in Oman ein. Die soziale Komponente eines Falaks wird schon durch die Übersetzung des Begriffs deutlich, in dem Teilen oder auch Verteilen steckt. Seit jeher haben die vor Ort lebenden Familien traditionelle Ansprüche darauf, dass für eine festgelegte Zeit Wasser zu ihrem Haus und in ihre Gärten und Felder geleitet wird.
Die Dauer der täglichen Bewässerung richtet sich nach der Größe der jeweiligen Fläche. Stauwehre werden nach einem Rotationssystem geöffnet und wieder geschlossen. So wird sichergestellt, dass das Wasser immer wieder anderen Feldern zukommt. Dass es bei der Zuteilung mit rechten Dingen zugeht, überwacht der sogenannte Waquil. Als Vorsteher des Gemeinschafts-Falaks ist er eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Gemeinde.
Bis heute beziehen die Menschen in Oman mehr als ein Drittel ihres Wassers aus den Aflaj, wie die Bewässerungskanäle im Plural heißen. Das hat nicht allein traditionelle Gründe – das aus den Aflaj sprudelnde Nass, so der Leiter der Wasserbehörde Omans, Sulaiman al Amri, sei als rein und besonders wohlschmeckend bekannt:
"Wir führen regelmäßig Wasseranalysen durch. Jedes Mal werden mehr als fünfhundert Aflaj untersucht. Bisher immer mit demselben Ergebnis: Das Wasser ist frisch und von wirklich guter Qualität. Nicht umsonst genehmigen wir dicht an der Quelle keinerlei Bauvorhaben. Jedes weitere Projekt, das auch nur in der Nähe eines Falaks angesiedelt werden soll, wird auf Herz und Nieren geprüft."
Al-Mudaybi ist für die Ingenieure auch ein angenehmer Arbeitsort. Eine fest gefügte Mauer aus Lehmziegeln schmiegt sich um den Ort, der aus vielen, eng aneinandergebauten Häusern und den Überresten eines alten Handwerksviertels besteht. In der Nähe der geteerten Straße, die nach Al-Mudaybi führt, nimmt der Falak das Auge gefangen. Kilometerweit und schnurgerade reihen sich die Schächte des Kanalsystems aneinander – ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Leistung die Konstrukteure des Wasserlaufs vollbracht haben.
Schwierigkeiten hinsichtlich der Verteilung des Wassers sind nicht zu befürchten. In jedem Dorf, in jeder Gemeinde, die einen Falak betreibt, müssen alle Anspruchsberechtigten ihre Felder bewässern und ihren Trinkwasserbedarf decken können. Der Besitzanteil wird vererbt. Falls eine Familie neu hinzuzieht, erwirbt sie für einen nominellen Betrag ein entsprechendes Wasserkontingent. Doch nicht allein wer, wann, wie viel Wasser erhält, ist von vornherein geklärt. Auch der Kreislauf der Zuteilung ist bis ins Kleinste geregelt.
Sulaiman al Amri: "Die Verteilung des Wassers folgt klaren Richtlinien. Die Hierarchie ist eindeutig: Das zu Beginn des Kanals austretende Wasser ist zum Trinken bestimmt. Dann fließt es an der Moschee vorbei und die Gläubigen vollziehen ihre rituellen Waschungen damit. Danach kommt es der allgemeinen Körperpflege zugute. Und ganz zum Schluss wird es auf die Felder geleitet."
Wann und wo immer es irgend möglich ist, werden die Kanäle so konstruiert, dass sie an der lokalen Moschee vorbeiführen.
In jedem Dorf, in jeder Ortschaft Omans, die einen Falak besitzt, vollziehen die Gläubigen vor dem Besuch ihrer Moschee die rituellen Waschungen. Männer und Frauen in voneinander getrennten Waschstellen, an denen sie ihre Hände bis zu den Handgelenken säubern, das Gesicht reinigen und sich mit angefeuchteten Händen durchs Haar fahren.
Omaner sind Muslime und im Islam gilt Wasser als gesegnet. In Bauwerken, Gärten und in der religiösen Poesie wird die Wertschätzung des Elements ausgedrückt. Wasser symbolisiert die göttliche Allmacht und die Barmherzigkeit Allahs.
Oman ist ein sehr trockenes Land mit nur geringen Niederschlägen. So bilden die Aflaj, die sich aus Grundwasser speisen, das Rückgrat der Landwirtschaft des Sultanats. Der Ingenieur Ali Bin Khaliq:
"Wir haben drei verschiedene Arten von Aflaj. Zum einen beziehen die Kanäle ihr Wasser aus dem Regen in den Tälern. Wenn es aber, wie so oft, gar nicht oder nur spärlich regnet, werden diese Aflaj natürlich bald versiegen. Dann haben wir Aflaj, die sich unterirdischer Wasservorkommen bedienen. Das sind die meisten. Der dritte Typ wiederum macht sich das Grundwasser zunutze, das in Form von Quellen an die Oberfläche tritt. Das kann übrigens auch eine Thermalquelle sein. In diesem Falle sprudelt sogar heißes Wasser aus dem Falak! Manchmal speisen solche Quellen ein ganzes Netz, das sich über viele Kilometer hinweg ausdehnen kann."
Das Handwerk wird fast immer in Teamarbeit betrieben. Vier bis sechs Männer arbeiten beim Meißeln und beim Transport des Aushubs aus den Stollen Hand in Hand. Droht einer der Kanäle auszutrocknen, wird er allein mittels Hammer und Meißel in die Richtung vorangetrieben, in der die Männer weitere Wasservorkommen vermuten.
Das Ganze, betont Ahmed Bin Mohd al Ghafri vom Ministerium für Wasserressourcen, werde traditionell von Omans Wasserexperten, den Awamir, ausgeführt:
"Sie haben sich einen Namen damit gemacht, für den Erhalt der Aflaj zu sorgen. Die Al Awamir sind Angehörige eines Stammes, der in dieser Hinsicht über ganz spezielle Kenntnisse verfügt."
Die meisten Omaner haben sich an das Vorhandensein von Duschen und Bädern gewöhnt. Zudem hat die Regierung in den größeren Orten und den Städten Grünanlagen pflanzen lassen, die entsprechend bewässert werden müssen. Ein großer Abnehmer, wenn nicht gar Verschwender von Wasser, ist die Hauptstadt des Sultanats Muskat. In ihrem Umkreis leben etwa eine Million Menschen. Außerdem eine steigende Zahl von Touristen, die für die Dauer ihres Aufenthaltes auf nichts verzichten wollen.
Zwar stammt das Trinkwasser der Hauptstadtbewohner überwiegend aus Meerwasserentsalzungsanlagen. Doch um den Bedarf der durstigen Hauptstadt zu decken, sind die Entsalzungsanlagen auf Dauer zu teuer. Außerdem werden sie energieintensiv mit Öl und Erdgas betrieben und belasten die Umwelt. Bis 2017 soll die große Abwasseranlage fertig sein, die riesige Mengen der kostbaren Ressource durch einen neuartigen Filter presst, um schließlich gereinigtes Wasser zurückzugewinnen. Kostenpunkt: umgerechnet mehr als siebenhundertfünfzig Millionen Euro.
Ein Mann wie Saif Bin Sulaiman al Amri weiß die vielfältigen Bemühungen der Regierung zu schätzen. Der Leiter der Aflaj-Behörde wohnt und arbeitet in Muskat. Er liebt die Annehmlichkeiten seines Lebens. Die Angestellten, die auf einen Wink hin Tee, Säfte, frisches Obst und Datteln bringen, die Aircondition und die Dusche nebenan.
Es ist die Melange aus Alt und Neu, die al Amri gut gefällt. Oman, sagt er, sei so etwas wie ein Modellstaat für die arabische Welt:
"Landesweit gibt es über viertausend Kanäle, von denen um die dreitausend kontinuierlich in Betrieb sind. Fünf dieser Aflaj sind inzwischen auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO verzeichnet."
Die Auszeichnung der UNESCO wurde damit begründet, dass die Kanäle eine außergewöhnlich gut erhaltene Form der Landnutzung darstellen und den sozialen Bedürfnissen der Menschen in besonderem Maße Rechnung tragen. Doch auch in einem sozialen, gerechten System wie diesem, das alle gleich behandelt, gibt es Nutznießer. Da, wo das in die Kanäle eingehende Grundwasser besonders üppig fließt, kann es im Zuge von Versteigerungen erworben, und, falls gewünscht, mit Gewinn weiterverkauft werden.
Wenn freitags in aller Frühe Horden von Schafen, Rindern, Eseln und Kamelen in Nizwa einfallen, sind ihre mit Krummdolchen und Gewehren behangenen Besitzer meist nicht weit. Die Stammesleute sind mit ihren Pick-ups und LKW in der Oasenstadt im Inneren Omans eingetroffen. Rasch und geschickt binden sie ihre Rinder an den vorgesehenen Pfosten, legen ihren Kamelen Fußfesseln an und halten einen Getränkeverkäufer am Ärmel seines Gewandes fest, um ihre erste Tasse Tee in Empfang zu nehmen.
Der Tiermarkt von Nizwa ist ein beliebter Treffpunkt. Als Standort ist das Städtchen auch deshalb sehr begehrt, weil es über den größten Süßwasserspeicher Omans verfügt. Hier wird nicht nur um den Preis eines Zuchtschafes oder eines besonders potenten Kamelhengstes gefeilscht, es werden auch Wasseranteile gehandelt. Tierhalter wissen ihre durstigen Schafe oder Rinder in und um Nizwa gut versorgt. Diejenigen unter ihnen, die im Besitz eines größeren Wasserkontingents sind, erfreuen sich hohen Ansehens. Sie waren klug genug, es irgendwann einmal erworben zu haben und mit langem Atem darauf zu warten, dass der Preis ordentlich in die Höhe schnellt. Um es dann gewinnbringend zu veräußern.
Oder sie sind so klug, ihre eigene Herde damit zu tränken. Und die Tiere gleich vor Ort zu verkaufen.
Prestige, Traditionsbewusstsein, Stolz, Pragmatismus: Durch beharrlichen Einsatz und durch die gezielte Kultivierung der Aflaj haben die Omaner das jahrtausendealte Kanalnetz bis ins Hier und Jetzt erhalten. Eine Leistung, die aber letztlich nur deshalb zu erzielen sei, betont Saif Bin Sulaiman al Amri, weil Sultan Qabus Jahr für Jahr ein großzügiges Budget für den Erhalt der Kanäle bereitstelle.
Aber einen Wermutstropfen gibt es doch.
Sulaiman al Amri: "Die Awamir sind nicht umsonst für ihre Fertigkeiten berühmt. Aber leider wächst aus ihren Reihen kaum noch jemand nach. Denn die jungen Awamir möchten diese schwere Arbeit einfach nicht mehr verrichten.
Die jungen Leute sind auf einen lukrativen Verdienst aus. Wer im privaten Sektor oder bei der Regierung unterkommt, hat es da natürlich besser. Das Gehalt stimmt. Und die Arbeit hält sich meist in Grenzen. Die Aufrechterhaltung der Aflaj jedoch zehrt an den Kräften. Im Sommer steigt das Thermometer hier bei uns auf über fünfzig Grad. Dann undichte Stellen im Inneren der Aflaj zu reparieren, neue Kanäle zu graben und auszuschachten - das ist viel verlangt! Die jungen Leute sind davon nicht sonderlich begeistert.
Wir versuchen nun, über das Internet und durch Projekte in den Schulen, das Interesse der Jugendlichen zu wecken. Eine unserer wichtigsten Aufgaben besteht darin, ihnen diesen Teil ihres Erbes nahezubringen. Und so das Ganze weiterzugeben an die nächste Generation."
Die Bewohner der kleinen Ortschaft haben sich in die Kühle ihrer Häuser zurückgezogen, schmalbrüstigen Lehmbauten, deren Vorderfront unter schattigen, staubig-grünen Palmwedeln verschwindet. Nur die Respektsperson des Dorfes, der Grundschullehrer Ali Said, ist gekommen, um sich einen Krug mit Trinkwasser zu füllen.
Dank seiner Dishdasha, dem weitgeschnittenen, bodenlangen Gewand der Männer, scheint er die Hitze kaum zu spüren:
"Im Arabischen nennen wir das hier einen Falak. Der Quell entspringt in den Bergen und verläuft in der Regel einige Kilometer lang unterirdisch. Die Leute kommen an diesen Ort, um sich für den Besuch der Moschee zu reinigen, manchmal auch nur, um sich miteinander zu unterhalten. Die Kinder nutzen den Falak, um darin zu schwimmen. Und morgens, so um sieben Uhr herum, können Sie die Frauen sehen, die hier das Trinkwasser holen und weiter unten ihre Wäsche waschen."
Falak lautet die Bezeichnung für einen dieser kunstvoll konstruierten Kanäle. Schätzungen gemäß führten die Perser das Bewässerungssystem bereits im sechsten Jahrhundert v. Chr. in Oman ein. Die soziale Komponente eines Falaks wird schon durch die Übersetzung des Begriffs deutlich, in dem Teilen oder auch Verteilen steckt. Seit jeher haben die vor Ort lebenden Familien traditionelle Ansprüche darauf, dass für eine festgelegte Zeit Wasser zu ihrem Haus und in ihre Gärten und Felder geleitet wird.
Die Dauer der täglichen Bewässerung richtet sich nach der Größe der jeweiligen Fläche. Stauwehre werden nach einem Rotationssystem geöffnet und wieder geschlossen. So wird sichergestellt, dass das Wasser immer wieder anderen Feldern zukommt. Dass es bei der Zuteilung mit rechten Dingen zugeht, überwacht der sogenannte Waquil. Als Vorsteher des Gemeinschafts-Falaks ist er eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Gemeinde.
Bis heute beziehen die Menschen in Oman mehr als ein Drittel ihres Wassers aus den Aflaj, wie die Bewässerungskanäle im Plural heißen. Das hat nicht allein traditionelle Gründe – das aus den Aflaj sprudelnde Nass, so der Leiter der Wasserbehörde Omans, Sulaiman al Amri, sei als rein und besonders wohlschmeckend bekannt:
"Wir führen regelmäßig Wasseranalysen durch. Jedes Mal werden mehr als fünfhundert Aflaj untersucht. Bisher immer mit demselben Ergebnis: Das Wasser ist frisch und von wirklich guter Qualität. Nicht umsonst genehmigen wir dicht an der Quelle keinerlei Bauvorhaben. Jedes weitere Projekt, das auch nur in der Nähe eines Falaks angesiedelt werden soll, wird auf Herz und Nieren geprüft."
Al-Mudaybi ist für die Ingenieure auch ein angenehmer Arbeitsort. Eine fest gefügte Mauer aus Lehmziegeln schmiegt sich um den Ort, der aus vielen, eng aneinandergebauten Häusern und den Überresten eines alten Handwerksviertels besteht. In der Nähe der geteerten Straße, die nach Al-Mudaybi führt, nimmt der Falak das Auge gefangen. Kilometerweit und schnurgerade reihen sich die Schächte des Kanalsystems aneinander – ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Leistung die Konstrukteure des Wasserlaufs vollbracht haben.
Schwierigkeiten hinsichtlich der Verteilung des Wassers sind nicht zu befürchten. In jedem Dorf, in jeder Gemeinde, die einen Falak betreibt, müssen alle Anspruchsberechtigten ihre Felder bewässern und ihren Trinkwasserbedarf decken können. Der Besitzanteil wird vererbt. Falls eine Familie neu hinzuzieht, erwirbt sie für einen nominellen Betrag ein entsprechendes Wasserkontingent. Doch nicht allein wer, wann, wie viel Wasser erhält, ist von vornherein geklärt. Auch der Kreislauf der Zuteilung ist bis ins Kleinste geregelt.
Sulaiman al Amri: "Die Verteilung des Wassers folgt klaren Richtlinien. Die Hierarchie ist eindeutig: Das zu Beginn des Kanals austretende Wasser ist zum Trinken bestimmt. Dann fließt es an der Moschee vorbei und die Gläubigen vollziehen ihre rituellen Waschungen damit. Danach kommt es der allgemeinen Körperpflege zugute. Und ganz zum Schluss wird es auf die Felder geleitet."
Wann und wo immer es irgend möglich ist, werden die Kanäle so konstruiert, dass sie an der lokalen Moschee vorbeiführen.
In jedem Dorf, in jeder Ortschaft Omans, die einen Falak besitzt, vollziehen die Gläubigen vor dem Besuch ihrer Moschee die rituellen Waschungen. Männer und Frauen in voneinander getrennten Waschstellen, an denen sie ihre Hände bis zu den Handgelenken säubern, das Gesicht reinigen und sich mit angefeuchteten Händen durchs Haar fahren.
Omaner sind Muslime und im Islam gilt Wasser als gesegnet. In Bauwerken, Gärten und in der religiösen Poesie wird die Wertschätzung des Elements ausgedrückt. Wasser symbolisiert die göttliche Allmacht und die Barmherzigkeit Allahs.
Oman ist ein sehr trockenes Land mit nur geringen Niederschlägen. So bilden die Aflaj, die sich aus Grundwasser speisen, das Rückgrat der Landwirtschaft des Sultanats. Der Ingenieur Ali Bin Khaliq:
"Wir haben drei verschiedene Arten von Aflaj. Zum einen beziehen die Kanäle ihr Wasser aus dem Regen in den Tälern. Wenn es aber, wie so oft, gar nicht oder nur spärlich regnet, werden diese Aflaj natürlich bald versiegen. Dann haben wir Aflaj, die sich unterirdischer Wasservorkommen bedienen. Das sind die meisten. Der dritte Typ wiederum macht sich das Grundwasser zunutze, das in Form von Quellen an die Oberfläche tritt. Das kann übrigens auch eine Thermalquelle sein. In diesem Falle sprudelt sogar heißes Wasser aus dem Falak! Manchmal speisen solche Quellen ein ganzes Netz, das sich über viele Kilometer hinweg ausdehnen kann."
Das Handwerk wird fast immer in Teamarbeit betrieben. Vier bis sechs Männer arbeiten beim Meißeln und beim Transport des Aushubs aus den Stollen Hand in Hand. Droht einer der Kanäle auszutrocknen, wird er allein mittels Hammer und Meißel in die Richtung vorangetrieben, in der die Männer weitere Wasservorkommen vermuten.
Das Ganze, betont Ahmed Bin Mohd al Ghafri vom Ministerium für Wasserressourcen, werde traditionell von Omans Wasserexperten, den Awamir, ausgeführt:
"Sie haben sich einen Namen damit gemacht, für den Erhalt der Aflaj zu sorgen. Die Al Awamir sind Angehörige eines Stammes, der in dieser Hinsicht über ganz spezielle Kenntnisse verfügt."
Die meisten Omaner haben sich an das Vorhandensein von Duschen und Bädern gewöhnt. Zudem hat die Regierung in den größeren Orten und den Städten Grünanlagen pflanzen lassen, die entsprechend bewässert werden müssen. Ein großer Abnehmer, wenn nicht gar Verschwender von Wasser, ist die Hauptstadt des Sultanats Muskat. In ihrem Umkreis leben etwa eine Million Menschen. Außerdem eine steigende Zahl von Touristen, die für die Dauer ihres Aufenthaltes auf nichts verzichten wollen.
Zwar stammt das Trinkwasser der Hauptstadtbewohner überwiegend aus Meerwasserentsalzungsanlagen. Doch um den Bedarf der durstigen Hauptstadt zu decken, sind die Entsalzungsanlagen auf Dauer zu teuer. Außerdem werden sie energieintensiv mit Öl und Erdgas betrieben und belasten die Umwelt. Bis 2017 soll die große Abwasseranlage fertig sein, die riesige Mengen der kostbaren Ressource durch einen neuartigen Filter presst, um schließlich gereinigtes Wasser zurückzugewinnen. Kostenpunkt: umgerechnet mehr als siebenhundertfünfzig Millionen Euro.
Ein Mann wie Saif Bin Sulaiman al Amri weiß die vielfältigen Bemühungen der Regierung zu schätzen. Der Leiter der Aflaj-Behörde wohnt und arbeitet in Muskat. Er liebt die Annehmlichkeiten seines Lebens. Die Angestellten, die auf einen Wink hin Tee, Säfte, frisches Obst und Datteln bringen, die Aircondition und die Dusche nebenan.
Es ist die Melange aus Alt und Neu, die al Amri gut gefällt. Oman, sagt er, sei so etwas wie ein Modellstaat für die arabische Welt:
"Landesweit gibt es über viertausend Kanäle, von denen um die dreitausend kontinuierlich in Betrieb sind. Fünf dieser Aflaj sind inzwischen auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO verzeichnet."
Die Auszeichnung der UNESCO wurde damit begründet, dass die Kanäle eine außergewöhnlich gut erhaltene Form der Landnutzung darstellen und den sozialen Bedürfnissen der Menschen in besonderem Maße Rechnung tragen. Doch auch in einem sozialen, gerechten System wie diesem, das alle gleich behandelt, gibt es Nutznießer. Da, wo das in die Kanäle eingehende Grundwasser besonders üppig fließt, kann es im Zuge von Versteigerungen erworben, und, falls gewünscht, mit Gewinn weiterverkauft werden.
Wenn freitags in aller Frühe Horden von Schafen, Rindern, Eseln und Kamelen in Nizwa einfallen, sind ihre mit Krummdolchen und Gewehren behangenen Besitzer meist nicht weit. Die Stammesleute sind mit ihren Pick-ups und LKW in der Oasenstadt im Inneren Omans eingetroffen. Rasch und geschickt binden sie ihre Rinder an den vorgesehenen Pfosten, legen ihren Kamelen Fußfesseln an und halten einen Getränkeverkäufer am Ärmel seines Gewandes fest, um ihre erste Tasse Tee in Empfang zu nehmen.
Der Tiermarkt von Nizwa ist ein beliebter Treffpunkt. Als Standort ist das Städtchen auch deshalb sehr begehrt, weil es über den größten Süßwasserspeicher Omans verfügt. Hier wird nicht nur um den Preis eines Zuchtschafes oder eines besonders potenten Kamelhengstes gefeilscht, es werden auch Wasseranteile gehandelt. Tierhalter wissen ihre durstigen Schafe oder Rinder in und um Nizwa gut versorgt. Diejenigen unter ihnen, die im Besitz eines größeren Wasserkontingents sind, erfreuen sich hohen Ansehens. Sie waren klug genug, es irgendwann einmal erworben zu haben und mit langem Atem darauf zu warten, dass der Preis ordentlich in die Höhe schnellt. Um es dann gewinnbringend zu veräußern.
Oder sie sind so klug, ihre eigene Herde damit zu tränken. Und die Tiere gleich vor Ort zu verkaufen.
Prestige, Traditionsbewusstsein, Stolz, Pragmatismus: Durch beharrlichen Einsatz und durch die gezielte Kultivierung der Aflaj haben die Omaner das jahrtausendealte Kanalnetz bis ins Hier und Jetzt erhalten. Eine Leistung, die aber letztlich nur deshalb zu erzielen sei, betont Saif Bin Sulaiman al Amri, weil Sultan Qabus Jahr für Jahr ein großzügiges Budget für den Erhalt der Kanäle bereitstelle.
Aber einen Wermutstropfen gibt es doch.
Sulaiman al Amri: "Die Awamir sind nicht umsonst für ihre Fertigkeiten berühmt. Aber leider wächst aus ihren Reihen kaum noch jemand nach. Denn die jungen Awamir möchten diese schwere Arbeit einfach nicht mehr verrichten.
Die jungen Leute sind auf einen lukrativen Verdienst aus. Wer im privaten Sektor oder bei der Regierung unterkommt, hat es da natürlich besser. Das Gehalt stimmt. Und die Arbeit hält sich meist in Grenzen. Die Aufrechterhaltung der Aflaj jedoch zehrt an den Kräften. Im Sommer steigt das Thermometer hier bei uns auf über fünfzig Grad. Dann undichte Stellen im Inneren der Aflaj zu reparieren, neue Kanäle zu graben und auszuschachten - das ist viel verlangt! Die jungen Leute sind davon nicht sonderlich begeistert.
Wir versuchen nun, über das Internet und durch Projekte in den Schulen, das Interesse der Jugendlichen zu wecken. Eine unserer wichtigsten Aufgaben besteht darin, ihnen diesen Teil ihres Erbes nahezubringen. Und so das Ganze weiterzugeben an die nächste Generation."