Wasser statt Wein

Von Susanne Lettenbauer |
Mineralwasser ist nicht gleich Mineralwasser - mittlerweile gibt es sogar Biowasser oder Mondwasser. Doch wo sind die feinen Unterschiede - mal abgesehen vom Preis? Die Genussakademie Gräfelfing bildet seit Kurzem Wassersommeliers, also Wasserexperten, aus.
"Das riecht man schon. Sie können das gern trinken, das hat einen ganz eigenartigen Geschmack."

Auf einer Anrichte stehen verschiedene Trinkgläser, im mannshohen Kühlschrank lagern die unterschiedlichsten Flaschen Wasser bei genau elf Grad. Daneben in Kästen die gleichen Flaschen - ungekühlt. Wasser medium, Wasser still, Mineralwasser, Tafelwasser, Quell- und Heilwasser:

"Ja, da ist ziemlich viel Schwefelwasserstoff drin. Es gibt ja viele Heilwasser, die viel Schwefelwasserstoff haben und vom Geschmack ist es ganz eigenartig, das hat mit Schwefelwasser nichts zu tun, sondern da ist so dieses Metallische, das heißt, da sind so 37 oder 38 Milligramm Eisen pro Liter enthalten. Und man kann so ein Wasser ja auch positionieren, als Gesundheitswasser um damit den Eisenbedarf zu wecken."

Drei Frauen und drei Männer sitzen abwartend an weißen Tischen. Darauf einige Probierbecher mit einer milchigen Flüssigkeit. Unbeschriftet, unmarkiert. Vor ihnen steht Lehrer Peter Schropp.

Der sportliche hochgewachsene schmale Mann zeigt auf die Becher und erzählt: von Kationen und Anionen, vom Unterschied zwischen Chlorid und Chlorit, Sulfat und Sulfid:

"Sicherlich so ein Drittel des Kurses besteht aus Sensorik, bei dem man zum Beispiel am ersten Tag kein Mineralwasser trinkt, sondern erst mal Mineralstofflösungen bekommt um zu sehen, wie schmeckt eigentlich ein Kalziumsalz, Natriumsalz oder Magnesiumsalz."

Einige Teilnehmer holen verschämt einen Zettel aus der Tasche - das Periodensystem der Elemente. Wiederholung Grundwissen Chemie. Schropp nimmt die erste Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Eine braune, in Form einer Bierflasche. Er öffnet den Kronkorken:

"Also das hier ist ein ganz hochmineralisiertes Mineralwasser und nicht nur hochmineralisiert, sondern auch stark karbonisiert, wie man hört."

Jeder Teilnehmer bekommt das erste Glas Wasser in die Hand, riecht und schmeckt:

"Wenn man das verkostet, merkt man schon, dass das eine ganz dominante Note hat."

Einige der jungen Männer schüttelt es. Das Wasser schmeckt extrem salzig. Der Anteil an Natriumionen ist sehr hoch, erklärt der studierte Chemiker Schropp geduldig. Wasser mit weniger Natrium schmeckt hingegen neutral, viel Magnesium schmeckt dagegen bitter, ist aber für den Körper wichtig.

Die zweite Flasche Wasser kommt auf den Tisch.

"Also das hier ist ziemlich hardcore. Ja, fast wie Meerwasser. Wenn Sie an die Adria fahren und versehentlich Meerwasser schlucken, dann schmeckt das wie Bad Mergentheimer Karlsquelle."

Tapfer kosten sich die Kursteilnehmer durch die ersten zehn Wasserflaschen. Gurgeln, schlürfen aus den bauchigen oder geraden Gläsern, je nach Kohlensäuregehalt. Sogar Anstoßen dürfe man mit Wasser, erläutert Vorkoster Schropp. Nur das Ausspucken wie bei Wein ist hier nicht nötig, scherzt er.

Der Münchner Barbesitzer Tibor Kantor schreibt verwundert mit, hebt ein Glas hoch, lässt das Wasser an der Glaswand kreisen. Normalerweise kontrolliert er so Wein und Whisky in seiner Bar in München-Schwabing:

"Einen Analysenauszug auf einer Flasche - ich weiß nicht, ob ich den jemals gelesen habe, heute ist das das Erste, worauf ich schaue. Ich versuche auch, ziemlich viele Sachen zu verkosten. Wenn ich eine Flasche sehe, die ich nicht kenne, kaufe ich die erst mal."

Der untersetzte kräftige Barbesitzer nimmt sich die nächste Flasche, schaut fasziniert auf das Etikett. Am Anfang sei er mehr als skeptisch gewesen, gibt er zu:

"Ja, Sommelier und jetzt irgendwie 60 Positionen auf die Wasserkarte stellen, das ist doch alles übertrieben, so ein Schnickschnack, der da betrieben wird. Während des Kurses habe ich mitbekommen, dass es darum gar nicht geht, sondern mehr um die Wassersituation weltweit, Nachhaltigkeit, generell auch die gesetzlichen Unterschiede des Wassers."

Abgefüllt in einer Vollmondnacht

20 weitere Wässerchen werden an diesem Tag noch aufgetischt, stille und sprudelnde. Auf den Flaschenetiketten steht als Abfüllort oft Deutschland, Spanien, Frankreich, einmal auch Südafrika, aber das ist die Ausnahme. So wie dieses 500-ml-Fläschchen, dass Lehrer Schropp zum Schluss aus einer Ecke holt - Goldwasser. Wasser mit Goldplättchen versetzt, für den studierten Chemiker ein unnötiger Marketing-Gag, eine Modeerscheinung. So wie tasmanisches Regenwasser, genau 9750 Tropfen pro Flasche, laut Hersteller das reinste Wasser der Welt, weil es den Boden nie berührt hat. Schropp schüttelt mit dem Kopf. Auch Biowasser oder Mondwasser sind eher eine Glaubensfrage für ihn.

"Wenn ich ein Wasser nur bei Vollmondnächten abfülle, das ist für viele Leute etwas Dubioses, aber auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die nach dem Mondkalender zum Friseur gehen oder im Garten ihren Samen ausbreiten. Ich persönlich glaub da weniger dran, ich halt nicht - wahrscheinlich auch weil ich Chemiker bin - mehr an die naturwissenschaftlichen Fakten."

Nach rund 70 verschiedenen Wasserproben, vielen Tabellen, chemischen Formeln und der Feststellung, dass Glasflaschen auf jeden Fall besser sind als Plastikflaschen, ist es endlich soweit. Die Teilnehmer bekommen ihr Zertifikat - und gehören damit zum erlauchten Kreis von nur 50 Wassersommeliers deutschlandweit.