Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
23:51 Minuten
Wasserball in Deutschland - das ist vor allem Spandau 04. Die Geschicke beim Serienmeister werden gelenkt von einer Familie: den Stamms. Vater Hagen ist Vereinspräsident, Mutter Renate Schwimmtrainerin und Sohn Marko Spieler und Trainer.
Ein Dienstagabend in Berlin-Schöneberg. In der Sporthalle am Sachsendamm bereitet sich der Deutsche Meister Wasserfreunde Spandau 04 auf die Saison vor. Straßburg, der französische Champion, ist zu einem Vorbereitungsspiel angereist.
Spandau dominiert das Spiel. Zuschauer sind nicht da an diesem Abend in der Halle mit ihrem imposanten 10-Meter-Turm, es ist ein reiner Test.
Am Beckenrand dirigiert Trainer Petar Kovacevic das Team, draußen, hinter der Glasscheibe, sitzt Hagen Stamm, der Vereinspräsident der Spandauer.
Die Wasserfreunde Spandau sind nicht irgendein erfolgreiches Team im deutschen Wasserball. Sie sind DAS Team, sagt Hagen Stamm, der Präsident, und die Statistik gibt ihm eindeutig recht: 37 der 40 letzten Meisterschaften im Wasserball gingen an Spandau:
"Wasserfreunde Spandau sind, glaube ich, mehr als Bayern München im Fußball, wenn man die Titel zusammenzählt und wenn man sich anguckt, wie viele Meisterschaften wir in Serie gewonnen haben. Ich habe zum Beispiel 14 Mal um die deutsche Meisterschaft gespielt und habe 14 Mal gewonnen, bevor ich dann 92 aufgehört habe. Beim ersten Mal war ich noch 17, da ist Würzburg Meister geworden, und dann 14 Mal in Serie Meister."
Hagen Stamm: Deutschlands Mr. Wasserball
Eine 100-Prozent-Quote in Finals: Wer kann das schon von sich behaupten? Allenfalls jemand, der als Mr. Wasserball in Deutschland gilt. Und das ist Hagen Stamm zweifellos. Er ist nicht nur Präsident der Spandauer, er ist auch aktueller Bundestrainer. Als Spieler steht er für die erfolgreichste Zeit des deutschen Wasserballs mit dem Nationalteam. Aber vor allem ist er eines: Spandauer.
Vereinstreue, das ist für Hagen Stamm eine ganz besondere Kategorie. Sie liegt gewissermaßen in der Familie:
"Ich habe einmal eine Saison für Neukölln Jugend gespielt, weil die die Besseren waren. Ich bin einmal kurz fremdgegangen, aber immer Mitglied bei den Wasserfreunden geblieben. Mein Großvater hat einmal als Schwimmmeister ausgeholfen, und wie gesagt, die Eltern sind da groß geworden. Und deswegen gab es ein bisschen das Uwe-Seeler-Syndrom, glaube ich. Einmal Spandau, immer Spandau – und nicht gewechselt.
Vielen Sachen im Ausland nicht erlegen, vielen Angeboten, sondern ich hatte das riesengroße Glück, mit 15 mein erstes Bundesligaspiel zu machen. Da war man so, dass man dann schon den fremden Einflüssen hätte unterliegen können, weil Freunde eben nicht zum Training gegangen sind, sondern noch andere Sachen in dem Alter gemacht haben."
Als Deutschland den europäischen Wasserball beherrschte
Eine wegweisende Entscheidung, nicht nur für den Nachwuchssportler Hagen Stamm, sondern für den gesamten deutschen Wasserball, wie sich später herausstellen sollte. Denn Stamm eilte von Erfolg zu Erfolg, in einer Zeit, als sich der Wasserball in Berlin zur Nummer eins in Deutschland aufschwang, damals mit dem kroatischen Trainer Alfred Balen. Vier Europapokale der Landesmeister gingen nach Berlin. Der Höhepunkt, so Stamm, war:
"Die Europameisterschaft mit der Nationalmannschaft in Bonn. Für mich eigentlich das einschneidende Erlebnis, weil man vor eigenem Publikum, vor 3.000 Leuten im Sudden Death spielte. Es stand Unentschieden nach normaler Spielzeit, und wer das erste Tor schießt, ist der Europameister. Und nachdem die Jugoslawen – damals noch eine Nation – an die Latte schießen, nimmt Rainer Osselmann den Ball und schießt den an dem damals vielleicht weltbesten, jugoslawischen Torwart vorbei. Und da sind die Dämme gebrochen."
Für ihn, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden ist, war es indes auch so etwas wie eine kleine Entschädigung für das, was der Mannschaft neun Jahre zuvor widerfahren war: Der Olympiaboykott von 1980 wegen des Einmarsches der Sowjetarmee in Afghanistan traf das gesamtdeutsche Team – und mit ihm die Wasserballer. Noch heute ist ihm der Ärger darüber anzumerken:
"Völliger Quatsch, weil Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben. Und wir als Sportler, die dafür lange trainiert haben, die vier Jahre auf so einen Höhepunkt hingearbeitet haben. Die ersten Olympischen Spiele für einen jungen Mann. Ich habe es überhaupt nicht verstanden, warum die Politik mir da nicht erlaubt hinzufahren, warum da andere hinfahren dürfen. Gerade andere, die genauso betroffen sind wie die Franzosen oder Engländer, die dann durften. Aber wir als treue USA-Vasallen sind da nicht hingefahren. Und die DDR hat die gleichen Probleme dann vier Jahre später in Los Angeles gehabt. Aus meiner Sicht eine unverständliche Entscheidung damals. Ich habe so eine wunderbare Urkunde an einer Wand bei mir im Büro, die sagt: 'Höhere Kräfte verhinderten seinen Olympia-Start'."
Sarkasmus, der nicht wirklich hilft, weil Hagen Stamm um die Einmaligkeit der Chance von damals weiß. Besser standen die Aussichten auf einen Olympiasieg nie:
"Ich habe dann noch drei Olympische Spiele gemacht. Trotzdem, die Vierten in Moskau waren schade, weil wir 1980 absoluter Goldmedaillenfavorit waren. Wir haben kurz vorher noch den späteren Goldmedaillengewinner zweimal geschlagen. Russland ist dann in Russland Olympiasieger geworden, und ich habe mir auch die ganzen die ganzen Olympischen Spiele nicht angeguckt. Aus Frust."
Dennoch, es wurde eine lange Karriere und eine sehr erfolgreiche. Aber Erinnerungen sind das eine. Das andere ist der Alltag mit dem Bundesligateam, das auch eine europäische Spitzenmannschaft ist.
Doppelrolle als Vereinspräsident und Bundestrainer
An diesem Abend hat sich Besuch angemeldet, ein alter Weggefährte mit einem speziellen Anliegen. Er stellt sich vor:
"Andreas Ehrl, ehemaliger Nationalspieler mit Hagen Stamm zusammen, dreifacher Europapokalsieger mit Spandau 04. Europameister 1989 mit Hagen. Wir haben vor 10, 12 Jahren angefangen, in Potsdam eine eigene Mannschaft aufzubauen und versuchen, an Spandau oder Hannover heranzukommen, zumindest auf Augenhöhe.
Wir suchen noch einen Torwart, und der zweite Torwart von Spandau ist eigentlich ein sehr guter Torwart, versauert hier in Spandau, weil er nicht zum Einsatz kommt. Wenn er Nationalspieler werden will oder eben der zukünftige Torwart der deutschen Nationalmannschaft, dann sollte man schon irgendwie Spielerfahrung haben."
Entscheiden will Hagen Stamm diese gar nicht so unheikle Frage allerdings nicht spontan, denn ein plötzlicher Wechsel eines guten Ersatztorhüters würde zwangsläufig ein Risiko für Spandau bedeuten:
"Ich bin nicht derjenige, der in solche Sachen eingreift. Ich bin als Bundestrainer in der Verantwortung, aber hier in Spandau bin ich Präsident, der begleitet und der hilft. Und wenn ich mal nach einem Tipp gefragt werde, dann gebe ich ihn, aber alle sportlichen Entscheidungen fällt mein Trainer."
Ein Trainer, der Entscheidungen trifft: Das ist das eine. Andere wichtige Dinge werden woanders entschieden.
Die Mutter trainiert die Schwimmabteilung
Es ist fast die gesamte Stamm-Familie, die in diesem Verein Regie führt. Hagen Stamms Ehefrau Renate ist Trainerin in der Schwimmabteilung, Sohn Marko ist über die Jahre selber zu einem Wasserballer von Weltklasse herangereift. Mit Talent ist er reichlich gesegnet, sagt nicht bloß der Vater: Er zählte sogar zum engeren Kreis, als es um die Wahl des Weltwasserballers des Jahres 2019 ging. Doch zwangsläufig war die Entscheidung für den Sport des Vaters nicht, sagt Marko Stamm:
"Ich habe lustigerweise alle anderen Sportarten ausprobiert, nicht nur, was mit Wasser zu tun hat. Ich war im Hockeyverein, ich war im Fußballverein, ich habe Tennis gespielt, ich habe Judo gemacht. Ich habe sogar Baseball gespielt. Wirklich alle Sportarten, wo ich Spaß dran hatte. Aber es hat immer irgendwie was gefehlt. Beim Schwimmen war ich auch, bis zu meinem 15. Lebensjahr. Das hat mir zwar Spaß gemacht. Aber mir hat beim Schwimmen halt die Mannschaftssportart gefehlt."
Es gibt jemanden im Hause Stamm, den dies ein wenig schmerzt. Und das ist Renate Stamm, Markos Mutter, die Cheftrainerin der Wasserfreunde-Schwimmabteilung, die tagein, tagaus im Berliner Forumbad nahe des Olympiastadions ihre Schwimmer trainiert:
"Mein Sohn ist ein sehr, sehr guter Schwimmer gewesen, und er hat dann leider gesagt – für mich "leider", für meinen Mann super –, er möchte lieber Wasserball spielen. Zumindest bis zur sechsten Klasse, bis er elf war, zwölf war, ist er schwerpunktmäßig geschwommen. Und hat sich danach erst völlig aufs Wasserballspielen konzentriert, was ihm sehr gutgetan hat. Und die meisten guten Spieler in der ersten Mannschaft, oder sagen wir einige, die sind schon nicht so schlechte Schwimmer."
Bei jedem Familientreffen im Mittelpunkt: Wasserball
Das Schwimmen: Es ist die Grundlage für Erfolge im Wasserball. Ein mäßiger Schwimmer wird nie ein wirklich guter Wasserballer werden, mag er mit dem Ball noch so gut umgehen können. Um diese Basis macht sich Renate Stamm Sorgen:
"Die Mannschaft um meinen Mann, 1989 als Europameister, die sind im Schnitt fast genauso schnell geschwommen, wenn nicht noch schneller als die heutige Mannschaft, die deutsche Nationalmannschaft. Und das ist dann schon ein Zeichen. Das große Plus von 1989 war halt, dass die alle relativ schnell waren, die anderen Nationen im Schnitt bei Weitem nicht so gut waren wie die Deutschen und wir uns leider nicht weiterentwickelt haben, sondern immer noch da sind, und die Italiener und andere Nationen doch wesentlich schneller schwimmen."
Renate Stamms analytischer Blick ist typisch für den Umgang mit dem Leistungssport in ihrer Familie. Denn Wasserball ist bei den Stamms vor allem eine Familienangelegenheit. Es sind nicht nur die Eltern Stamm und der Sohn, die dem Wasserball verbunden sind. Auch Stamms Schwiegersohn war ein überaus erfolgreicher Wasserballer, der mit Hannover Erfolge feiern konnte. Marko Stamm selber ist mit der Wasserball-Nationalspielerin Belen Vosseberg liiert – und er ist zudem Trainer der Spandauer Frauenmannschaft. Renate Stamm sagt:
"Wenn die Familie beieinander sitzt, bei den Großeltern, da wird es sehr schnell langweilig, weil, irgendwo ist dann auch Wasserball mal zu Ende. Meine Tochter ist da ja sehr mit involviert, ihr Mann war ein aktiver Wasserballer, der Marc Politze, und auch da kommt ganz schnell diese Diskussion, dass es sich bei jeder Familienfeier auch immer wieder um Wasserball dreht. Was eben manchmal dann doch ganz schön anstrengend ist, wenn man von Frauenseite dann sagen muss: 'So, jetzt ist mal Schluss, jetzt mal andere Sachen.'"
Ein Rädchen greift ins andere
Marco Stamm erlebt es ganz ähnlich, wobei er wenig dagegen hat, dass es sich vor allem um den Wasserball und weniger ums Schwimmen dreht:
"Das Thema kommt eigentlich immer auf, weil es 24/7 um uns herum ist. Mein Schwager hat ja auch selber Wasserball gespielt und war mein Captain, deswegen, wenn wir dann so in der Familie zusammensitzen, kommt immer irgendwann das Thema auf: Wie hast du das Spiel gesehen, hast du das gehört? Wir probieren auch gern mal, andere Themen einzuschieben. Aber es gibt kaum eine Stunde, wo da nicht wieder über Wasserball gesprochen wird."
Schnell wird klar: Bei den Stamms greift ein Rädchen ins andere. Und ohne Renate Stamm läuft bei den Wasserfreunden wenig zusammen.
"Dadurch, dass meine Mutter als Schwimmtrainerin immer noch direkt im Forumbad ist und im Clubhaus, ist sie deutlich näher dran", sagt Marko Stamm. "Wenn es irgendwie Probleme gibt, ist sie greifbarer für die einzelnen Mitarbeiter in unserer Abteilung. Und dadurch hat sie eigentlich in allen Belangen mit das letzte Wort."
Und was sagt der Vater dazu?
"Der streitet es wahrscheinlich offiziell ab, aber insgeheim weiß er es auch."
Nicht nur insgeheim. Über den Anteil seiner Frau ist sich Hagen Stamm sehr wohl im Klaren. Abstreiten zwecklos:
"Ja, die wichtigste Person bei der Kaffeetafel haben wir vergessen, meine Frau, die im Verein sehr wichtige Person und auch in meinem Leben logischerweise war. Sie ist Vereinsmanagerin bei uns, ist Schwimmtrainerin, Cheftrainerin im Verein seit 1979 – und ist, sagen wir mal, die heimliche Monarchin, hätte ich fast gesagt, bei uns in der Familie, die im Übrigen ja auch dafür verantwortlich ist, dass ich so lange überhaupt diesen Quatsch machen kann. Und erfolgreich hier diese ganze Arbeit meistere. Und da deckt sie im Hintergrund sehr viel ab und hilft auch sehr viel."
Anders, sagt Renate Stamm, ginge es wohl auch kaum bei den Wasserfreunden:
"Weil mein Mann neben seinem Berufsleben kaum in der Lage ist, die ganze Arbeit zu leisten, die in einem so großen, erfolgreichen Verein wie den Wasserfreunden Spandau 04 zu leisten ist, sodass ich hier eigentlich schon den Laden bei den Wasserfreunden Spandau 04 schmeiße."
Den Laden schmeißen: Als heimliche Monarchin der Wasserfreunde hat Renate Stamm dennoch eine Menge ganz alltäglicher Dinge zu erledigen. Immer wieder ist sie dabei nicht nur Vereinsmanagerin, sondern für die Spieler und ihre Familien Ansprechpartnerin. Dabei schlüpft sie mitunter auch in die Rolle einer Innenarchitektin:
"Ich richte immer Wohnungen ein und gebe wieder Wohnungen ab. Wir rennen zur Ausländerbehörde und versuchen Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Wir versuchen, dann nebenbei noch andere Jobs zu beschaffen, sodass man sich die eine oder andere Mark noch dazu verdienen kann.
Wir versuchen, den Leuten Kindergartenplätze zu besorgen, die Schulanmeldung, wenn sie ihre Kinder mitbringen. Für die Frauen Jobs zu besorgen, für die Frauen Termine zu besorgen. Also, da kommt schon eine ganze Menge zusammen. Eine Wohnung einzurichten, inzwischen kann man sagen, mache ich das jetzt mit links, weil, es ist schon oft passiert, dass ich sage: Okay, auch als Innenarchitekten habe ich langsam einige Dinge sozusagen in mir geweckt."
Der Sohn trainiert die Frauenmannschaft
Wenn es um Sonderwünsche bei der Einrichtung geht, hat ihre Kompromissbereitschaft allerdings durchaus Grenzen:
"Soweit sind wir es doch nicht. Also, die müssen schon nehmen, was kommt. Sie dürfen dann manchmal meckern, das höre ich mir auch an, aber sie erkennen dann auch an meinem Gesicht, dass dann Bis-dahin-und-nicht-weiter ist. Aber Männer sind da nicht sehr anspruchsvoll. Sind ja Gott sei dank bisher nur Männer, die kommen. Nein, stimmt ja gar nicht, wir haben ja jetzt auch eine Frauen-Wasserballmannschaft, ich vergaß. Die eigentlich ja gar keine Zeit kosten sollte."
Ach, ja, die Frauenmannschaft – die von ihrem Sohn trainiert wird. Der ganz nebenbei auch noch seine Partnerin Belen Vosseberg trainiert. Und so den Spandauer Familienbetrieb erweitert. Zeit sollte es nicht kosten, dieses Frauenteam, und natürlich auch so wenig Geld wie möglich. Daher blieb der Job in der Familie. Daher übernahm Marko Stamm:
"Wir hatten keinen Trainer, wir haben noch kein Geld für einen Trainer. Und ich habe dann aus der Liebe gesagt: Dann mache ich das erst mal. Habe mir ein bisschen Gedanken gemacht, mein Training mehr durchleuchtet, was meine Trainer sich bei welchen Übungen gedacht haben. Habe viel auf meine Erfahrung zurückgegriffen, was ich quasi als junger Wasserballer gelernt habe, und bin das dann mit den Schwimmerinnen durchgegangen. Und habe dann selber an meinem eigenen Training viel mehr Spaß gefunden."
Und wie erlebt Belen Vosseberg es, von ihrem Partner trainiert zu werden? Sie kommt ursprünglich aus Krefeld und spielte, bevor sie zu den Spandauern kam, für Hannover. Wie so viele gute Wasserball-Spielerinnen war sie zuvor auch eine hervorragende Schwimmerin:
"Zu Beginn war es schon ein bisschen komisches Gefühl und einfach ungewohnt, aber mit der Zeit gewöhnt man sich dran. Im Wasser ist er halt mein Trainer. Man nimmt natürlich auch viel mit nach Hause dadurch, aber es macht trotzdem Spaß, und er ist auch ein guter Trainer."
Ein letztes Mal Olympische Spiele
Marko Stamm hat es ganz ähnlich erlebt, aber er konnte immerhin indirekt auf Erfahrungen innerhalb der Familie zurückgreifen:
"Ich habe es selber kennengelernt als Spieler, als mein Papa Trainer war, dass man da doch echt gern ein bisschen – ich sage mal – härter rangenommen wird als der Mitspieler. Und das habe ich natürlich probiert, nicht weiterzugeben, als ich selber Trainer war. Ich habe am Anfang auch eine Weile gebraucht, um das einspielen zu können, dass ich meine Freundin nicht anders behandele als die anderen Spielerinnen."
Anschauungsunterricht in Sachen Familientraining hat Marco Stamm ja schon sammeln können. Er wird als Nationalspieler von seinem Vater trainiert. Denn Hagen Stamm hat sich überreden lassen, das Nationalteam noch einmal zu übernehmen, nachdem er im Jahr 2000 nach den verpassten Spielen in Sydney schon einmal das Team übernommen hatte. Aus dem Intermezzo wurden 12 Jahre. Damals wie heute war die Lage schwierig. Heute geht es um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio, sagt Hagen Stamm:
"Wenn der Sohn einen Vater fragt – jeder, der Vater ist, wird das nachvollziehen können –, Papa, bitte, du bist der Einzige, mit dem wir Tokio vielleicht noch mal schaffen können. Und ich möchte, nachdem ich in Peking mit dir einmarschiert bin, noch mal ins Olympiastadion mit dir einmarschieren. Ich glaube, da schmilzt jeder Papa. Und wenn man außerdem noch weiß, dass die anderen Jungs, die da im Wasser sind, es auch wert sind, so ein Engagement noch mal einzugehen, dann kann man verstehen, warum ich mich dann noch mal habe breitschlagen lassen trotz der vielen Aufgaben, die ich nebenbei noch habe."
Dem deutschen Wasserball fehlt das Geld
Eine erfolgreiche Olympia-Qualifikation: Für die Wasserfreunde würde dies jene Medienpräsenz bedeuten, um die sie sonst hart kämpfen müssen. Denn Wasserball in Deutschland teilt das Schicksal jener Sportarten, die unter dem Begriff Randsport zusammengefasst werden. Die Disziplinen, die kaum im Fernsehen zu sehen sind, allenfalls alle vier Jahre, bei Olympia eben. Entsprechend ist es auch um die finanzielle Ausstattung der Wasserballer bestellt. Manchmal, sagt Belen Vosseberg, hapert es an ganz simplen Dinge, die für andere Sportler kaum vorstellbar sind. Und dabei geht es gar nicht einmal um das, was auf dem Konto ankommt:
"Da sind gerade bei den Männern die Wasserballer durch die Bundeswehr oder auch die Polizei ganz gut bedient mit der Nationalmannschaft. Oder auch durch die Sporthilfe, die ist ja auch eine tolle Unterstützung. Was ich meinte, ist eher das Geld fürs Team, fürs Trainingslager, für Trainingsmöglichkeiten. Das fehlt halt so ein bisschen. Ich denke, da ist einfach der Gedanke in anderen Ländern ein bisschen anders. Die Schwimmbäder sind teilweise kostenfrei für die Nationalmannschaft, das ist schon ein großer Unterschied."
Ganz anders sieht es teils im europäischen Ausland aus, wo der Sport ungleich populärer ist als in Deutschland, wo sich Spandau aus öffentlichen Mitteln und vor allem über die bescheidenen Zahlungen lokaler Sponsoren finanziert. An Geld vom Fernsehen ist nicht zu denken, da nichts übertragen wird. Schaut man da als Wasserballer von Weltklasse-Format nicht ein wenig neidisch nach Italien oder Ungarn, die gelobten Länder des Wasserballs?
"Nach Ungarn auf jeden Fall", sagt Marko Stamm. "Das ist Wahnsinn, wenn wir da Europameisterschaften haben, wenn man durch die Straßen läuft und da manchmal einfach als deutscher Wasserballer erkannt wird von Jugendlichen. Und die Wasserballer da ein Ansehen haben wir bei uns Fußballer. Das ist natürlich toll, und natürlich wünscht man sich so was fürs eigene Land auch. Nicht, weil man vielleicht sagt, man möchte so viel Geld verdienen wie die ungarischen Wasserballer, sondern um einfach ein bisschen was zurückzubekommen. Dafür, dass man sich am Tag fünf, sechs Stunden Wasser aufhält."
In Ungarn werden Wasserballer auf der Straße erkannt
Auch Hagen Stamm hat jüngst wieder eine ganz einprägsame Erfahrung in Ungarn gemacht:
"Ich bin neulich in Ungarn mal Taxi gefahren, da sagt ein ungarischer Taxifahrer zu mir, es sei für ihn eine riesengroße Ehre, dass er Hagen Stamm fährt. Und da sieht man, dass der Stellenwert unserer Sportart in anderen Nationen teilweise noch viel, viel größer ist. Die ungarischen Wasserballer haben den Stellenwert der Fußballer in Ungarn und in Serbien, Kroatien ist es genauso. Also, dementsprechend kennt auch jeder Spandau, wenn da jemand Wasserball sagt, Wasserball/Deutschland, sagen die anderen Nationen Spandau."
Aber woran liegt es, dass Wasserball in Deutschland nur schwer zu vermitteln ist? Hagen Stamm glaubt, dass dies daran liege, dass der Sport sich dem Laien nicht auf den ersten Blick erschließt – das habe ihm auch eine deutsche Fernsehlegende gesagt:
"Es passiert sehr viel unter Wasser, und man hat ein Problem, dass die Zuschauer sehr wenig sehen. Der Harry Valérien als Sportreporter hat irgendwann mal gesagt: Wenn die lernen, übers Wasser zu laufen, dann ist es die Sportart, die wir übertragen und die entsprechend dann auch populär fernsehmäßig rübergebracht werden kann. Aber wer Wasserball guckt und wer es versteht, der merkt doch die Attraktivität der Sportart und ist, glaube ich, dementsprechend auch begeistert."
Wie aber soll man es ändern? Vor allem geht es auch um geschicktes Marketing. Da ist Spandau in der Vergangenheit durchaus findig gewesen. Renate Stamm erinnert sich an das Abschiedsspiel ihres Mannes. Da kam prominenter Besuch vorbei: Der Handballweltmeister Erhard Wunderlich, den Hagen Stamm auf einer rauschenden Abschlussparty in Los Angeles 1984 bei den Olympischen Spielen kennengelernt hatte. Wunderlich hatte sich auf eine Wette eingelassen, die durch die Medien ging – und die er bedauern sollte:
"Und da war der Herr Wunderlich beim Abschiedsspiel meines Mannes und, ja, das erregte eben mehr Aufsehen als manches Champions-League-Spiel. Dass nun im Tor Herr Röhle stand, und Herr Wunderlich hat versucht, mehr oder weniger so und so viele Treffer im Tor zu erziehen, und ich glaube, er hat es geschafft, ein Tor zu schießen. Obwohl er ja doch sehr wurfgewaltig war. Hatte er also null Chance gegen Herrn Röhle im Tor. Was ihn sehr geärgert hatte. Er war nämlich der Meinung, er schießt mindestens fünf Tore ein, ohne Probleme."
"Frust, wenn ich an London denke"
Allerdings hat Hagen Stamm auch gegenteilige Erfahrungen mit aufwendigen Marketing-Maßnahmen gemacht. So auf dem Weg zu den Olympischen 2012, die neben dem Olympiaboykott von 1980 eine große Enttäuschung für ihn waren. Und daraus hat er Konsequenzen gezogen:
"Die Olympia-Quali für London habe ich nicht geschafft. Bin bis dahin meinem Wahlspruch treu geblieben: London nur einmal bei Olympia, ansonsten nie. Ich werde auch nicht mehr hinfahren. Einfach, weil ich Frust habe, wenn ich an London denke. Ich wäre da gerne nach Olympia gefahren.
Wir hatten es schon geplant, mit unserem Sponsor, damals Nordsee, hatten wir geplant, mit einem Schiff den Ärmelkanal mit der Mannschaft zu durchschwimmen, auf dem Weg nach Olympia. War eine tolle Geschichte. War alles vorbereitet. Aber vielleicht hätte man es nicht vorbereiten sollen."
Insofern hat die Mission Olympia für ihn eine ganz besondere Note: Tokio ist gewissermaßen eine zweite Chance – nachdem er ungeplant eingesprungen ist. Und sollte es gelingen, würden es die letzten Olympischen Spiele für ihn sein. Von einer letzten Herausforderung aber will Hagen Stamm dann doch nichts wissen:
"Es ist schon so, dass ich noch viele Herausforderungen in meinem Leben habe. Aber das ist wahrscheinlich die Letzte als Bundestrainer. Da ist hundertprozentig die Letzte als Bundestrainer. Einen schönen Abschluss noch einmal zu machen, weil, wenn man drei Spiele gemacht hat, drei Olympische Spiele und jetzt noch die dritten als Trainer – würde einfach irgendwie passen."
Ans Aufhören denkt Hagen Stamm nicht
Aufhören bei Spandau – das scheint für Hagen Stamm, der hauptberuflich einen Fahrrad-Großhandel betreibt, dagegen ein absurder Gedanke zu sein:
"Ich denke, für den Spandauer Wasserball werde ich schon erhalten bleiben. Ich denke noch gar nicht ans Aufhören. Es macht mir alles sehr viel Spaß, und entsprechend sollte man da nicht drüber nachdenken. Nationalmannschaft ist sehr stressig, weil ich ja noch einen Beruf habe, nebenbei eine Firma habe und eine Verantwortung habe für 200 Mitarbeiter."
Er kann es gelassen sehen. Die nächste Generation aus der Stamm-Familie steht ja schon bereit.