Kampf um Wasser in Andalusien
Die Idylle trügt: In dem Dorf Lanjarón in der spanischen Alpujarra-Gebirgsregion sind internationale Konzerne wie Danone, die hier Wasser abpumpen, nicht bei allen willkommen. © imago images/gvictoria
Gallierdorf gegen Großkonzern
22:43 Minuten
In Andalusien zapfen die Konzerne Roxane und Danone für den spanischen Markt und den Export in die EU Grundwasser ab. Dessen unverhältnismäßige Entnahme verstößt hier laut Europäischem Gerichtshof gegen EU-Recht. Grund: Wassermangel. Folge: Protest.
Das war knapp. Um ein Haar hätte der Lkw-Fahrer Rosa Fernandez übersehen. Im letzten Augenblick ist die Umweltaktivistin zur Seite gesprungen. Tatort: der Südosten Spaniens, die Provinz Granada, das andalusische Dúrcal, die 7000-Einwohner-Gemeinde am Fuße der Sierra Nevada.
"Die lügen wie gedruckt"
Für die Vertreter des französischen Mineralwasserkonzerns Roxane, die das „Agua Deus“, das „Göttliche Wasser“ vertreiben, ist Rosa Persona non grata. Sprich: am Werkstor unerwünscht.
„Roxane bedroht unser Gleichgewicht. Ihre Abfüllstationen graben uns im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Wir sind sehr auf die Niederschläge angewiesen, die aus dem Hochgebirge der Sierra Nevada kommen. Wenn es diesen Sommer wieder so trocken sein wird wie in den vergangenen Jahren, können wir unsere Felder und Gärten wieder nicht richtig bewässern“, sagt sie.
„Wir bräuchten als Ersatz Grundwasser, doch das kommt fast nur Roxane zugute. Die lügen wie gedruckt. Sie sagen: Stellt euch nicht so an. Die Quellen, die wir anzapfen, liegen so abgelegen, da gibt es keine menschliche Aktivität. Ich bitte dich! Schau dich um. Was siehst du? Lauter Olivenhaine. Alles Lügen.“
Gut einen Kilometer ist es vom Werksgelände des Getränkemultis bis zu Rosas Feld. Kartoffeln, Karotten, Oliven: Besonders viel wirft die Parzelle in letzter Zeit nicht mehr ab. Zu trocken, zu wenig Wasser.
Doch ihre kleine Landwirtschaft aufgeben – die Frau mit dem Faible für selbstgedrehte Zigaretten schüttelt im Schatten eines Olivenbaums den Kopf. Kommt nicht infrage. Lieber streitet sie sich weiter mit den „Franzosen“.
Getränkekonzern lehnt Interviews ab
Knapp drei Jahre ist es her, da ersteigerte Roxane die zwischenzeitlich stillgelegte Mineralwasserfabrik. Samt Lizenz, pro Sekunde bis zu 31 Liter Wasser abfüllen zu dürfen. Zu welchen Konditionen bleibt im Dunklen. Interviewanfragen werden höflich aber bestimmt abgelehnt. Dafür redet Rosa.
„Unsere unterirdischen Wasserreserven der Sierra Nevada liegen in den Händen von multinationalen Konzernen. Du musst dir das mal vorstellen: Allein in Dúrcal gibt es elf Abfüllstationen. Elf! Jahr für Jahr erlaubt ihnen der Staat mehr Wasser zu fördern“, kritisiert sie.
„Sie müssen weder Rechenschaft ablegen noch prüfen, wie umweltverträglich ihre Aktivitäten sind. Nichts dergleichen. Dabei ist die Artenvielfalt jetzt schon gesunken. Doch das interessiert die Multinationalen nicht. Sie starren nur aufs Geld.“
Andalusien und die Macht des Geldes: Das ist eine Geschichte für sich. Noch immer gilt das autonome Gebiet im Süden der Iberischen Halbinsel als Armenhaus Spaniens, wandern viele aus: nach Barcelona, Madrid, Deutschland oder Frankreich. Darunter auch ein paar Freunde von Luis, Rosas Mitstreiter von der Bürgerinitiative.
Regierung Andalusiens lockert Umweltauflagen
Für den 43-jährigen Zottelkopf sitzt der „Gegner“ nicht nur verschanzt hinter meterhohen Zäunen in der Abfüllstation, sondern auch in Sevilla, der andalusischen Landeshauptstadt. Seit der letzten Landtagswahl haben die Konservativen das Sagen. Und wenn Ministerpräsident Juanma Moreno eines ist, dann sicher kein lupenreiner Ökologe.
„Für den ist das einzige Kriterium das Geld. Seine sozialdemokratischen Vorgänger waren keinen Deut besser. Sie sind alle gleich. Durch die Pandemie ist die Lage in Dúrcal noch schwieriger geworden“, sagt Luis.
„Morenos Regierung hat Umweltauflagen gelockert und das Mitspracherecht der Gemeinden eingeschränkt. Zeitweise wegen Corona, aber das nehme ich ihnen nicht ab. Das ist der Hauptunterschied, nicht welche der zwei großen Parteien in Andalusien das Sagen hat.“
So regt sich der Ingenieur auf, nur um hinzufügen, vom Bürgermeister – einem Sozialdemokraten – dürfe man auch nicht zu viel erwarten. Der brüste sich damit, einen „Global Player“ wie Roxane ins verschlafene Dúrcal geholt zu haben.
„Als Roxane 2020 an den Start ging, verbreiteten sie in den sozialen Medien eine Nachricht mit den Worten: ‚Bald werden wir die Sierra Nevada erobern.‘ Wir haben sie darauf angesprochen und gefragt: ‚Wie meint ihr das denn?‘ Ihre Antwort war: ‚Na, das sagt man halt so.‘ Wir empfinden das als Kriegserklärung“, sagt er.
„Sie wollen uns wirklich erobern. Das war kein Zufall. Sie hätten ja auch sagen können: ‚Bald werden wir die Gegend bekannter oder nachhaltiger machen‘. Aber nein, stattdessen posten sie auf Facebook: ‚Bald werden wir die Sierra Nevada erobern.‘ Das ist doch eindeutig.“
Bilderbuch-Bayer mit Rauschebart
Die Sierra Nevada „erobern“ – da wird ihm hier auch ganz anders. Vor über 20 Jahren ist Herbert Troll – ein Bilderbuch-Bayer mit Rauschebart – vom Ammersee nach Südspanien ausgewandert. Und auch er hat so seine Erfahrungen gemacht mit den hiesigen Mineralwasserproduzenten.
Alle paar Wochen fährt er von seinem Wohnort Lanjarón in der Alpujarra, der verklüfteten Hobbit-Landschaft, runter nach Dúrcal, zum Großeinkauf im Supermarkt. Meist trifft er sich danach auf einen Kaffee mit Rosa und Luis. So wie heute.
Das Mineralwasser heißt auch Lanjarón
Dann reden sie. Darüber, was sich die Mineralwasser-Multis wieder Neues haben einfallen lassen. Und warum es sich trotz des Regens im März fast schon wieder anfühlt, als wäre Sommer.
„Der Klimawandel lässt grüßen: Links sehen wir hier den sogenannten Caballo. Der hat 3000 Höhenmeter. Da sollten oben drei bis fünf Meter Schnee liegen. Jetzt sind es vielleicht 30 bis 50 Zentimeter. Bestenfalls. Und das ist schon kein Schnee da oben: Das ist nur noch Dreck, wenn man oben ist.“
Die Wege zu Herberts Landgut sind schmal. Die Serpentinen: nichts für sensible Mägen. Seine Nachbarn: weit entfernt. Herbert liebt das. Die Abgeschiedenheit, in der sie ihn und seine Hündin Lucy in Ruhe lassen.
Wenn da nicht Danone wäre. Dem französischen Lebensmittelmulti gehört eine der bekanntesten spanischen Mineralwassermarken. Sie heißt Lanjarón, wie das Dorf.
Zugang zu Wasserquellen wird kontrolliert
Eine ihrer Hauptquellen liegt keine zwei Kilometer von seinem Landgut entfernt und treibt den Mann, der in den 80er-Jahren im bayrischen Wackersdorf Bekanntschaft mit dem ein oder anderen Wasserwerfer gemacht hat, bei einer Stippvisite fast zur Weißglut.
„Auf der rechten Seite, außerhalb von den Wasserabnahmestellen, sieht man hier diese fünf Panels: an großen Masten mit Kameras und Sirenenalarm. Das ist nicht von der Guardia Civil oder von der Gemeinde. Das ist privat, von Agua Danone“, erzählt er.
„Die kontrollieren den Zugang zu ihren Wasserquellen. Wer da wann reingeht. Obwohl hier unterhalb von uns, also direkt unterhalb der Wasserentnahmestellen, ist eine sogenannte ‚Zona recreativa‘. Also ein Freizeitgelände für Leute, die hochkommen, um die Landschaft zu genießen. Und das wird hier alles von einer Privatfirma überwacht.“
Die Danone-Leute mögen einen zwar auf ihren Bildschirmen sehen, geben sich aber schweigsam. Wollen weder darüber reden, wie sie es geschafft haben, fast alle Wasserrechte aufzukaufen, noch darüber, warum Herbert als Anwohner nur die Hälfte der ihm zustehenden Wassermenge entnehmen kann. Oder was es mit dieser Wasserstiftung auf sich hat.
Zu all dem kein Kommentar. Stattdessen eine Mauer des Schweigens – auch im Dorf.
Ein Dorf im Zwiespalt
„Das Dorf weiß genau, was abläuft. Aber sie sind halt im Zwiespalt, in der Gefangenschaft: heute Brot, morgen Hunger. Jeder hat einen Primo, einen Cousin, einen Onkel. Oder er selbst ist irgendwie beschäftigt über das Kurbad“, sagt er.
„Also hängen da plus minus circa 200 Familien dran, plus alle ausgesourcten Arbeitnehmer wie Lastwagenfahrer: Die sind ja nicht hier angestellt bei Danone, sondern sind nur sogenannte Selbstständige, die ihre Aufträge kriegen und dann zwischen 80 und 150 Lastwagen, aber große Lastwagen, hier täglich aus unserem Ort rausfahren.“
Audienz bei Lanjaróns Bürgermeister: Da heißt es erst mal im Treppenhaus warten. Neben Ramon, einem kauzigen Rentner, der eine Bescheinigung braucht und konstatiert, das sei hier wie beim Médico, beim Arzt.
Dran kommt man immer erst nach einer halben Ewigkeit. In diesem Fall exakt 49 Minuten nach dem vereinbarten Termin.
"Danone hat unser Dorf bekannt gemacht"
Die Laune von Eric Escobedo ist durchwachsen. Missmutig beäugt der junge Konservative den Besuch. Fragen zu Danone und den Wasserrechten: Er hat es kommen sehen. Also bitte: Natürlich habe die Wasserstiftung, an der die Gemeinde zu einem Drittel beteiligt ist, eine Satzung, nur öffentlich zugänglich sei sie nicht.
Und: Nein, der geplante Zubringer sei keineswegs etwas überdimensioniert geraten für seine 3500-Seelen-Gemeinde und werde mitnichten nur für die Danone-Laster gebaut. Noch Fragen? Für Escobedo ist die Sache klar und Danone: ein Segen.
„Das Wasser ist unser wirtschaftlicher Hauptmotor. In vielerlei Hinsicht. Danone verkauft unser Wasser auf dem internationalen Markt und bietet rund hundert Menschen in unserer Gemeinde Arbeit. Es hat unser Dorf bekannt gemacht. Als Marke“, sagt er.
„Deshalb habe ich auf Twitter geschrieben: ‚Wir sind die Stadt des Wassers.‘ Und Sie dürfen nicht vergessen: Wir sind Kurbad. Es gibt bei uns fünf Sanatorien. Mit exzellentem Ruf, das zählt.“
"Das Unternehmen unterstützt unser Dorf"
Neuer Versuch, diesmal im Wassermuseum des Dorfes. Und auch hier wird abgewiegelt. Statt über einen möglichen Wasserraub redet Museumsleiterin Mariola Larra viel lieber darüber, wie froh sie ist, wieder Gäste im Haus begrüßen zu dürfen, nach den ganzen Lockdowns.
Kurgäste und Reisegruppen, die von der Alhambra, dem Weltkulturerbe im benachbarten Granada, einen Abstecher machen zum „Tor der Alpujarra“, wie sich Lanjarón gern nennt. Solche Gäste, Mariola strahlt, die mag sie. Einen „komischen Kauz“ wie Herbert weniger.
„Er und die anderen sagen immer, die Mineralwasser-Unternehmen würden Wasser stehlen“, sagt sie. „Fakt ist: Danone ist bei uns schon lange vertreten und hat Konzessionen. Das ist alles legal. Das Unternehmen unterstützt unser Museum, unser Dorf. Bei der Infrastruktur, Sport- und Kultur-Veranstaltungen. Ich weiß gar nicht, was die haben.“
Wassermangel auch wegen der Landwirtschaft
Das Leben, es könnte so schön sein. Gemächlich schlängelt sich der Rio Guadalete durch die Marschlandschaft am Rande von Jerez de la Frontera, der rund 300 Kilometer westlich von Lanjarón gelegenen Stadt des Sherrys.
Das Schilf rauscht im Wind. Am Horizont ziehen Kraniche in der Abendsonne vorbei. Das reinste Idyll. Doch das täuscht. Wassermangel auch hier – mit anderen Ursachen
Antonio Figueroa kennt das schon, dass Besucher vom Guadalete immer ganz verzaubert sind. Der Wasserexperte ist zum Flussufer gegangen. Er zeigt auf die gegenüber liegende Seite. Ob einem was auffalle? Wie schnurgerade das Ufer sei. Wie niedrig der Pegelstand. Das hat seine Gründe.
„80 Prozent des Wasserverbrauchs in Andalusien entfallen auf die Bewässerung für die Landwirtschaft. Den Rest teilen sich Privathaushalte, Industrie und die staatliche Infrastruktur. Die Landwirtschaft hat ohne Zweifel den größten Wasserbedarf“, sagt er.
Bitte keinen Ärger vor der Landtagswahl im Herbst
Baumwolle, Mais, Obst – auf insgesamt 15.000 Hektar. Die Landwirtschaft spielt in der 210.000-Einwohner-Stadt eine große Rolle und macht Antonio das Leben schwer. Wasser ist für den Sprecher des Netzwerks für eine neue Wasserkultur nicht nur ein Konsumgut, sondern ein schützenswertes Lebenselixier. Theoretisch.
„Die Agrarwirtschaft übt enormen Druck aus. Sie gibt in Andalusien den Ton an – sowohl in der Umweltpolitik als auch bei der Frage, wer wie viel Wasser bekommt. Das lässt sich hier in der Flusssenke gut beobachten. Der Guadelete führt viel zu wenig Wasser, seit Jahren schon“, erzählt er.
"Eigentlich müssten alle Beteiligten darauf reagieren, vor allem die Landwirtschaft – und ihren Wasserverbrauch drosseln. Doch alle halten die Luft an. Und warum? Weil im Oktober höchstwahrscheinlich Landtagswahlen in Andalusien sind und es sich keine der großen Parteien mit der Agrarwirtschaft verscherzen will."
Klimawandel trifft auch Andalusien
Antonio schlendert den Uferweg entlang zurück zum Parkplatz. Nach einigen Metern bleibt er stehen. Die Ruine am Wegesrand will er unbedingt noch zeigen. Sie entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Wassermühle aus römischen Zeiten. Erst vor Kurzem haben Archäologen sie entdeckt. Die Römer waren zwar auch keine ökologischen Musterknaben, doch nachhaltiger als die Menschen heutzutage waren sie allemal.
Von wegen Klimakrise. Das muss man dem Wasserexperten nicht zwei Mal sagen. Er kennt die Fakten: Dass im letzten Herbst an der andalusischen Costa del Sol rund 6000 Hektar Wald verbrannt sind, eine Fläche so groß wie 8000 Fußballfelder. Dass es diesen Winter auf dem spanischen Festland nur durchschnittlich 89 Liter pro Quadratmeter geregnet hat – 55 Prozent weniger als normal. Und die Aussichten für Andalusien sind alles andere als berauschend.
„Das Szenario für die kommenden zehn Jahre? Es ist abzusehen, dass der Bedarf der Landwirtschaft nach Wasser größer sein wird als das Angebot. Das ist ja jetzt schon der Fall“, sagt er.
„Wir haben ausgerechnet, dass aufgrund des Klimawandels Mitte des Jahrhunderts in Andalusien 20 Prozent weniger Wasser zur Verfügung stehen wird, mindestens. Die Lösung kann nur lauten: weniger Wasser für die Landwirtschaft. Es gibt keine Alternative.“