Wasserstoff

Energieträger der Zukunft?

30:32 Minuten
Zwei Auflieger mit Wasserstofftanks stehen im Energiepark Mainz an der Wasserstofftankstelle.
Wasserstoff aus Windenergie: Die Stadtwerke Mainz erzeugen nachhaltige Energie. © Picture Alliance / dpa / Andreas Arnold
Von Frank Drescher |
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Lange Zeit gehypt als Mittel zur Lösung aller Energieprobleme, ist es um Wasserstoff stiller geworden. Abschreiben sollte man den einstigen Hoffnungsträger jedoch noch nicht: Denn es wird weiter geforscht, getestet und zur Anwendung gebracht.
Wasserstoff ist bunt geworden. Je nach Ursprung bekommt das farblose Gas verschiedene Namen. Grau für die Produktion mit Kohle und Erdgas, gelb mit Kernenergie, grün mit Ökostrom. Als Rohstoff ist Wasserstoff praktisch unbegrenzt vorhanden, doch das häufigste Element des Universums hat einen Schönheitsfehler: Es kommt auf der Erde praktisch nur gebunden vor. Und die Herstellung braucht immer Energie. Die Farben verraten so auch, wie viel Treibhausgase bei der Produktion entstehen. Und das ist entscheidend, denn durch Wasserstoff soll die Wirtschaft klimaneutral werden.
Um herauszufinden, wie der Energiespeicher unseren Alltag verändern könnte, unternehme ich eine Tour quer durch Deutschland. Und zwar mit diesem Auto hier. Das klingt so ungewohnt, weil es eigentlich geräuschlos fährt. Sein künstlicher Klang dient der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer. Und dieses Auto tankt Wasserstoff. Den wandelt eine Brennstoffzelle in Strom um, der den Elektromotor des Wagens antreibt. In die Umwelt gelangen bloß Wasserdampf und Wasser.

Der Fahrmodus wird per Display gewählt

Bernhard Voss aus der Pressestelle des Herstellers Hyundai weist mich ein:
"Wir sind jetzt im Hyundai Nexo. Klar, zuerst schnallt man sich an, dann hat man einen Power-Knopf, einen Startknopf. Mit dem wird das Fahrzeug gestartet. Man wird begrüßt durch ein schönes Geräusch. Im Display vor dem Fahrer erscheint ein grünes Auto mit einem Vorwärts-Rückwärts-Pfeil. Das bedeutet: Das Fahrzeug ist fahrbereit. Dann hat man eine Tastatur, über die man die Fahrmodi wählen kann: D für Drive, R für rückwärts, P für parken, N für neutral."
Im Prinzip wie jeder Verbrenner mit Automatik. Aber hier hat das Getriebe nur einen Vorwärtsgang. Und wie bei anderen Elektroautos gibt es eine Energierückgewinnung, die sogenannte Rekuperation. Die fühlt sich an wie die Motorbremse beim Verbrenner und lädt eine Batterie, wenn ich den Fuß vom Gaspedal nehme.

Ich bin auf dem Weg nach Mainz, um mir einen Elektrolyseur anzusehen. Zuletzt habe ich vor über 30 Jahren einen gesehen, im Chemieunterricht. Mein Lehrer zeigte damit, wie sich Wasser mit elektrischem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff spalten lässt. Das Verfahren war damals schon gut 200 Jahre bekannt. Inzwischen stellt Siemens solche Geräte her, in Dimensionen, die in kein Klassenzimmer passen. Einer der Siemens-Kunden sind die Stadtwerke Mainz.
Auf der Autobahn beschleunigt mein Testwagen wie ein Flugzeug auf der Startbahn. Das kenne ich auch von anderen Elektroautos. Trete ich jetzt fest aufs Gaspedal, sehe ich im Rückspiegel eine kleine Wasserdampfwolke.
Rund zwei Tonnen wiegt der Wagen. Es ist ein SUV, ungefähr so groß wie der BMW X3.

Nur jede 144. Tankstelle hat Wasserstoff

Berlin verlasse ich mit fast vollem Tank. 450 Kilometer Rest-Reichweite zeigt der Bordcomputer an. Auf meinem Weg nach Mainz habe ich genau zwei Gelegenheiten zum Nachtanken: in Leipzig und in Erfurt. Denn derzeit bietet nur jede 144. deutsche Tankstelle auch Wasserstoff an.
Bei meiner Fahrt entstehen keine umweltschädlichen Emissionen, wie das Display des Autos, seine Bedienungsanleitung und die Hyundai-Pressestelle immer wieder betonen.
Bei der Wasserstoff-Herstellung sieht es dagegen oft noch anders aus.
Das erfahre ich bei einem Zwischenstopp im Chemieindustriepark Leuna in Sachsen-Anhalt. Auf einer fünf Fußballfelder großen Fläche erstreckt sich ein haushohes Geflecht aus Rohrleitungen, Apparaturen, Tanks und Maschinenhäusern. Es gehört der Linde AG, dem Weltmarktführer für technische Gase. Der Konzern betreibt hier zwei Anlagen zur Wasserstoffherstellung, sogenannte "Steam Reformer".
"Den Steam Reformer 1 gibt es seit 1994, und der Steam Reformer 2 ist 2002 in Betrieb genommen worden", sagt Betriebsleiter Jan-Holger Lämmerhirt. Er erklärt mir, wie Wasserstoff aus Erdgas und aus dem Dampf vollständig entmineralisierten Wassers entsteht. Er führt mich zu einer Anlage, etwa so hoch wie ein fünfstöckiger Wohnblock. Es ist ein Ofen, in dem das Erdgas doppelte Verwendung findet:
"Wir nutzen das Erdgas zum einen als Einsatzstoff für den eigentlichen Reformerprozess, wird aber auch andererseits zur Beheizung des Ofens benutzt."

Vorrangig Kunden aus der Großchemie

Mit einer Art Schweißermaske geschützt blicke ich durch eine Luke ins Innere:
Im orangeroten Widerschein der Gasflammen stehen mehrere senkrecht verlaufende Rohre. Darin Wasserdampf und Erdgas, das Methan enthält. Die Flammen erhitzen das Gemisch auf etwa 800 Grad Celsius. Bei der Reaktion entsteht Wasserstoff.
Ein Teil geht per Rohrleitung zu Chemiebetrieben in Leuna und Umgebung. Andere Kunden wollen den Wasserstoff per Lkw im Hochdrucktank, wieder andere lieber flüssig.
"Es sind natürlich vorrangig Kunden aus der Großchemie, Glasindustrie für ihre Verbrennung. Sie haben ja durch Wasserstoff eine relativ hohe Temperatur, auch eine reine Flamme, was in der Glasindustrie gern genommen wird. Als Schutzgas in der Stahlindustrie, quasi als Beimengung zum Stickstoff, um den Sauerstoff von Schmelzen, Walzgut und ähnlichem fernzuhalten, und die Raffinerie für ihre Entschwefelungsprozesse brauchen die natürlich auch große Mengen Wasserstoff."

Das Verfahren in Leuna hat aus Sicht des Klimaschutzes einen Haken. Bei der Herstellung entsteht jede Menge Co2, das in die Umwelt gelangt. Deswegen heißt dieser Wasserstoff grauer Wasserstoff.
Linde-Betriebsleiter Jan-Holger Lämmerhirt vor einem Tank für entmineralisiertes Wasser, dem sogenannten Deionat, einem der Ausgangsstoffe für die Wasserstoff bei der Dampfreformierung.
Jan-Holger Lämmerhirt ist Betriebsleiter des Linde-Werks in Leuna.© Deutschlandradio / Frank Drescher
Eine andere Farbe, die Wasserstoff in Debatten angenommen hat, ist blau. Bei seiner Herstellung wird das Kohlendioxid gebunden.

Wohin mit dem gasförmigen Abfall?

Theoretisch könnten Jan Lämmerhirt und seine Kollegen bei Linde aus ihrem grauen Wasserstoff blauen machen. Dazu müssten sie verhindern, dass das Co2 in die Umwelt gelangt. Doch wohin damit? Es gibt die Idee, den gasförmigen Abfall unterirdisch zu deponieren. Die birgt aber gleich mehrere Probleme, sagt Christopher Hebling. Er leitet den Bereich Wasserstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.
"Dazu muss es ja an diese Orte wieder zurückgebracht werden. Das ist ein Punkt. Wer würde per Pipeline oder Schiff CO2-Transportwege investieren, um das CO2 an solche Lagerstätten erstmal zu transportieren? Und das zweite ist eben: Was sind so die Kapazitäten? Man muss wissen, dass global bislang 40 Megatonnen CO2 verpresst wurden. Die Emission allein von Deutschland, 40 Megatonnen sind etwa drei Wochen Emissionen, ganz grob gerechnet. Das heißt also, allein, was Deutschland in drei Wochen emittiert, ist das, was bislang über die letzten Jahre, Jahrzehnte global verpresst wurden. Da hat man so ein bisschen den Eindruck, so ganz stimmen die Größenordnungen nicht, über die wir sprechen."
Blauer Wasserstoff wird beim Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft also nur bedingt weiterhelfen. Wirkliche Vorteile für die Umwelt hat Wasserstoff nur, wenn bei seiner Herstellung kein CO2 anfällt. In Mainz will ich mir so eine Anlage anschauen.
Es spricht einiges dafür, dass der Wasserstoff im Tank meines Testwagens aus Leuna kommt: Die Linde AG ist eine der Eigentümerinnen des Wasserstoffanbieters "H2 Mobility", Deutschlands einzigem Betreiber von Wasserstoff-Tankstellen.

Mit nur einem Gang schafft der Wagen 180

Boxenstopp auf der A9. Der Bordcomputer zeigt einen fast doppelt so hohen Verbrauch wie in der Stadt: 1,8 Kilogramm pro 100 Kilometer. Ich staune. Denn mein Benziner ist auf der Autobahn sparsamer als im Stadtverkehr. Später erfahre ich: Das liegt am Getriebe. Das hat nämlich nur eine Fahrstufe. Ein mehrstufiges wäre in der Entwicklung teurer gewesen. Aber auch mit nur einem Gang schafft der Wagen Tempo 180. Wobei ich bis jetzt meist so zwischen 130 und 160 gefahren bin.
Trotzdem verringert sich meine Reichweite schneller als die Entfernung zur Tankstelle. Und ich bin noch nicht einmal an Leipzig vorbei.
Oh, die App von H2 Mobility meldet: Die Tankstelle in Erfurt ist außer Betrieb. Echt blöd: Denn wenn ich schon in Leipzig volltanke, müsste ich auf dem Weg nach Mainz noch einen zusätzlichen Tankstopp einlegen, in Offenbach oder Frankfurt am Main.
Wieder die Tankstellen-App: Die Station in Erfurt funktioniert wieder.
Tankstelle für Wasserstoff H2 in Berlin.  
Wasserstofftankstelle in Berlin: eine von 144 in Deutschland insgesamt.© imago / imagebroker / Siegra Asmoel
Bei Tempo 100 bis 120 bekomme ich das Reichweitenproblem in den Griff, auf der rechten Spur.
Die Tankstelle in Erfurt liegt ein paar Kilometer abseits der Autobahn. Um neuen Treibstoff zapfen zu dürfen, muss ich mir in der App dieses Video ansehen: "So einfach betanken Sie Ihr Auto mit Wasserstoff …"
Ich werde skeptisch: Wenn es so einfach ist, wieso ist das Erklärvideo dann fast vier Minuten lang?
"Parken Sie Ihr Auto auf der richtigen Seite der Zapfanlage und beachten Sie die Sicherheitshinweise. Bitte führen Sie Ihre Tankkarte in das Lesegerät ein und entnehmen Sie diese anschließend wieder. Wählen Sie auf dem Bildschirm 700 bar und gegebenenfalls den Zapfpunkt aus. Entscheiden Sie, ob Sie einen Beleg drucken möchten."
Es ist dann aber doch recht simpel: Gasschlauch mit dem Auto koppeln, mit Hochdruck strömt Wasserstoff in den Tank. Es dauert genauso lang wie beim Benziner. Rund fünfeinhalb Kilo gehen rein, ich werde knapp 50 Euro los. Ungefähr so viel, wie ich mit einem Benziner bezahlt hätte.

Grüner Wasserstoff aus Mainz

Ankunft in Mainz-Hechtsheim, ein Gewerbegebiet am Stadtrand. Hier befindet sich der Energiepark Mainz. Windräder drehen sich vor der Umzäunung, ihr Strom fließt in eine weiße Industriehalle. Darin stehen drei Elektrolyseure, die je 1,3 Megawatt leisten können.
Bei der Elektrolyse spaltet Strom entmineralisiertes Wasser in seine Bestandteile – es entstehen Sauerstoff und Wasserstoff. Weil die Mainzer Stadtwerke dabei erneuerbaren Strom einsetzen, ist der Wasserstoff: grün! Seit 2015 existiert die Anlage.
Ich treffe Jonas Aichinger, Geschäftsbereichsleiter Innovation der Stadtwerke. Aus dem Verkauf des Wasserstoffs, erklärt er, deckten die Stadtwerke immerhin die Betriebskosten der Elektrolyseanlage. Heißt: Gewinnbringend ist das Geschäft noch nicht.
"Ich glaube, wir werden noch auf ein paar Jahre hin ohne Projektförderung nicht auskommen, sagt Aichinger. "Also in der Tat Investitionszuschüsse für den Bau solcher Anlagen. Ich glaube sogar, dass man solchen Anlagen noch eine Weile auch während des Betriebs unter die Arme greifen muss."
"Selbstverständlich ist die Transformation zur Wasserstoff-Wirtschaft eine große Herausforderung", betont Mario Ragwitz. Er forscht bei der Fraunhofer-Gesellschaft zu erneuerbaren Energiesystemen.
"Gleichzeitig ist es aber natürlich so, dass wir relativ hohe CO2-Preise benötigen würden, um die Wasserstoffkette wirtschaftlich gestalten können. Für die Vielzahl der Prozesse liegen wir da in der Größenordnung von 150 Euro die Tonne und aufwärts."

150 Euro pro Tonne CO2 - eine utopische Summe?

Ein CO2-Preis ist das Herzstück des deutschen Klimaschutzprogramms. Mit ihm sollen klimaschädliche Energien teuer werden, um klimafreundliche attraktiv zu machen. Die Summe von 150 Euro, die Ragwitz nennt, klingt utopisch: Sie ist das Sechsfache des seit Jahresanfang gültigen Preises und immer noch mehr als das Doppelte des Beitrags, der ab 2026 gelten soll. Dennoch setzen die Mainzer Stadtwerke schon heute auf Wasserstoff. Einsatzmöglichkeiten gibt es viele: etwa als Beimischung für Erdgasheizungen oder im Kochgas.
Auch bei meiner nächsten Anlaufstelle könnte Wasserstoff zum Einsatz kommen – es ist die Mainzer Verkehrsgesellschaft MVG.
Vor einer Wartungshalle steht ein Brennstoffzellenbus, ein Prototyp. Ihn hat die MVG 2020 ein halbes Jahr lang getestet. Er wurde aber schon 2007 gebaut, sagt der Leiter des technischen Managements, Björn Kalter. Neuere seien nicht erhältlich gewesen:
"Anbieterseitig ist es auch so, dass wir feststellen, dass bei den Brennstoffzellenbussen noch ein bisschen Nachholbedarf ist gegenüber den Batteriebussen, sich aber vor allem auch in den letzten Jahren doch einiges bewegt hat, es große EU-Projekte gibt, die den Einsatz von Brennstoffzellenbussen fördern und damit auch wirklich groß dazu beitragen, dass mehr Brennstoffzellenbusse auf die Straße kommen, sodass man sieht, dass auch einige wichtige Hersteller jetzt nach und nach auf die Technologie setzen."

Gemischter Fuhrpark aus E-Mobilität und Wasserstoff?

Batteriebusse haben einen entscheidenden Nachteil: Sie kommen mit einer Ladung nur etwa 150 Kilometer weit. Auf manchen MVG-Linien aber ist das Tagespensum deutlich höher.
"Das passt für unser Unternehmen einfach wunderbar, beide Technologien nebeneinander zu betrachten und in die Zukunft uns aufzustellen, dass wir einen Fuhrpark von 50 Prozent Batteriebussen und 50 Prozent Brennstoffzellenbussen haben."
50 Prozent Brennstoffzellenbusse: Deren Wasserstoffbedarf wäre für Jonas Aichinger draußen im Energiepark eine neue Hürde.
"Mit dem Wasserstoff, den wir hier im Energiepark Mainz erzeugen, könnten wir etwa ein Drittel der in Mainz momentan auf den Straßen fahrenden Stadtbusse versorgen."
Heißt: Um die Hälfte der Mainzer Stadtbusse mit Wasserstoff zu versorgen, müsste der Energiepark anbauen. Mehr Windräder und mehr Elektrolyseure.

80 Gigawatt mehr: eine Riesenherausforderung

Was solche Herausforderungen im großen Maßstab bedeuten, dem ist das Fraunhofer-Forschungsteam um Christopher Hebling und Mario Ragwitz nachgegangen. Ergebnis: Für die Pariser Klimaziele müsste Deutschland bis 2050 rund 80 Gigawatt zusätzliche Elektrolyseleistung schaffen. Aktuell ist nicht einmal ein Tausendstel dieser Energiemenge in Betrieb. Und selbst wenn der Ausbau gelingt: Klimaneutral ist die Produktion nur mit erneuerbaren Energien. Für die erforderlichen 80 Gigawatt für die Elektrolyse wäre mehr als ein Drittel der gegenwärtigen Gesamtleistung aller deutschen Elektrizitätswerke nötig.
Noch sportlicher wird es durch den EU-Beschluss von vergangenem Dezember. Der sieht vor, bis 2030 mehr CO2 einzusparen als ursprünglich geplant.
"Wenn man das rechnet – und wir haben in unseren Szenarien das sozusagen mal modelliert –, bedeutet das, dass man etwa eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien bezogen auf heute dazu braucht", sagt Christopher Hebling.
Also dreimal so viele Sonnenkollektoren und Windräder? Wo sollen die alle stehen und Wasserstoff produzieren? In Deutschland wohl nur zur Hälfte:
"Die andere Hälfte würde importiert werden, idealerweise aus Europa. Oder auch aus angrenzenden Regionen wie Ukraine, die MENA-Region von Marokko bis Saudi-Arabien, oder eben auch in flüssiger Form von weiteren Regionen."

Neben der Elektrolyse werden weitere Verfahren erprobt

Gute Gründe, nach Alternativen in der Produktion zu suchen. Denn Wasserstoff per Elektrolyse mit Strom herzustellen, ist nur ein Verfahren, das begehrte Gas zu gewinnen.
Was das für Alternativen sein könnten, will ich mir von Wissenschaftlern der TU Bergakademie Freiberg zeigen lassen. Sie erforschen gleich zwei Verfahren.
Im Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen erläutert mir Ronny Schimpke einen Laborapparat. Der Zylinder besteht abwechselnd aus metallisch glänzenden und mattweißen Elementen.
"Das ist ein Hochtemperaturmaterial. Das sind sogenannte Heizelemente. Die kann man fertig kaufen, und in diesen elektrisch beheizten Heizelementen befinden sich unsere Reaktionsrohre aus Siliziumkarbid. Und in diesem Siliziumkarbid findet quasi der Reaktionsprozess statt."
Um den in Gang zu setzen, braucht es festen Kohlenstoff, Methangas und beträchtliche Hitze. Bei 1.300 Grad Celsius zerfällt Methan in seine Bestandteile: in Kohlenstoff und Wasserstoff.
"Das Methan wird unten in den Reaktor eingebracht. Das Methan strömt dann nach oben, erhitzt sich, und in etwa der Hälfte der Schüttung – dort haben wir die höchsten Temperaturen – wird dann das Methan gespalten in Kohlenstoff und Wasserstoff. Also, der Kohlenstoff aus dem Methan lagert sich an den Kohlenstoffpartikeln ab. Und der Wasserstoff verlässt am Kopf den Reaktionsraum."

Pyrolyse - ein noch nicht markreifes Verfahren

"Der ganz große Vorteil ist, dass wir hier keine CO2-Emissionen haben." Für Ronny Schimpke nicht der einzige Vorteil:
"Der Strominput bei der Methanpyrolyse ist ungefähr ein Sechstel von dem der Elektrolyse."
Das könnte die Produktion billiger und für die Industrie interessant machen. Beim Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen soll demnächst eine Pilotanlage in Betrieb gehen.
Fraunhofer-Forscher Christopher Hebling ist skeptisch: "Da kommt eben das nächste Heilsversprechen, nämlich über die Pyrolyse."
Doch die Marktreife des Verfahrens lässt noch auf sich warten:
"Ich möchte nur etwas Licht auf den Aspekt werfen, dass wir ja jetzt sehr schnell sehr hohe Wasserstoffbedarfe haben, zum Beispiel in der Stahlerzeugung. Allein in Deutschland brauchen wir über zwei Millionen Tonnen Wasserstoff, um den Stahl von der bisherigen Kohlenroute quasi wegzubekommen, auf grünen Stahl umzustellen, und das muss schnell passieren. Das heißt, man kann in vielen Sektoren gar nicht darauf warten, dass Methanpyrolyse irgendwann großmaßstäblich zur Verfügung stehen wird. Das wird in den Dreißigerjahren irgendwann passieren, dass wir da wahrscheinlich Anlagen sehen. Aber die werden sozusagen von der Größenordnung noch überhaupt keine Rolle spielen."

Wasserstoff aus biogenen Abfällen

Der Ökostrom-Anbieter Greenpeace Energy weist auf ein weiteres Problem des Verfahrens hin: Ganz emissionsfrei ist es nicht. Bei Förderung, Aufbereitung und Transport des Methans entstehen eben doch Treibhausgase. Aber die Forscher in Freiberg beschäftigen sich mit einem weiteren Ansatz:
Bernd Meyer stellt Schraubverschlussgläser in einer Reihe auf seinen Konferenztisch. Darin verschiedene Ausgangsstoffe für das Verfahren, das klimaneutralen Wasserstoff liefern soll. Es handelt sich um "biogene" Abfälle, wie sie der Verfahrenstechniker nennt. Also Holz von Sperrmüllmöbeln oder gebrauchten Eisenbahnschwellen. Strohpellets. Klärschlamm. Gärreste. In diesem Müll ist Wasserstoff enthalten, der durch Kohlenstoff gebunden ist.
"Wir erschließen eine grüne Kohlenstoffquelle, die bisher zur Wärmeerzeugung und auch etwas zur Stromerzeugung genutzt wird, also die als chemische Nutzungsquelle für Wasserstoff überhaupt noch nicht weiter in Betracht gezogen wird."
Bernd Meyer schätzt, dass in Deutschland jährlich etwa 13 Millionen Tonnen solcher biogener Abfälle entstehen – viele Quellen seien dabei noch gar nicht berücksichtigt. Wertvoller Müll, der derzeit meist verbrannt wird, obwohl sich daraus bis zu einer Million Tonnen Wasserstoff gewinnen ließe. Zumindest theoretisch:
"Das wird praktisch nicht erschließbar sein. Und wenn Sie nur 10 Prozent davon nutzen würden, ist das auch schon eine riesige Menge."

Nachhaltige Wasserstoffproduktion im "Flexislag-Verfahren"

Das wären immerhin noch 100.000 Tonnen Wasserstoff. Mein Testwagen käme damit im Stadtverkehr 10 Milliarden Kilometer weit. Oder anders ausgedrückt: Bei der Strecke, die ein Pkw in Deutschland im Durchschnitt zurücklegt, würde der Wasserstoff für mehr als 735.000 Autos reichen. Was allerdings nur magere 1,6 Prozent des Gesamtbestandes sind.
Das Verfahren zur nachhaltigen Wasserstoffproduktion, das Bernd Meyer erforscht, nennt sich Schlackebadvergasung oder auch "Flexislag-Verfahren".
Eine Pilotanlage hat die TU Freiberg vor ihrem Institutsgebäude bereits errichtet, etwa so hoch wie ein fünf- oder sechsstöckiges Wohnhaus. Stefan Guhl leitet die zuständige Forschungsgruppe.
"Das hier ist das sogenannte Brennstoffsilo. Hier kommt der Einsatzstoff rein. Er muss stückig sein und er muss im Prinzip brennen, muss einen Heizwert haben. Ob das eine Kohle ist, ein Holzbrikett oder ein Pressling aus Abfall oder Müll, ist eigentlich egal. Hauptsache stückig und förderbar", so Guhl. "Ursprünglich wurde das Ganze für Kohle entwickelt, verschiedene Typen von Kohle. Und unsere Aufgabe ist es jetzt, im Prinzip von der Kohle wegzukommen hin zu alternativen Einsatzstoffen, im Sinne des Recyclings."
Ein Fabrikgelände in der Dämmerung.
In Freiberg hängt das eine mit dem anderen zusammen: vorn rechts die Schlackebadvergasungsanlage zur Wasserstofferzeugung, hinten links die Anlage zur Erzeugung synthetischen Benzins der Firma CAC.© Deutschlandradio / Frank Drescher
Die Einsatzstoffe werden in den Reaktor geschüttet. Dort werden sie bei 40 bar Druck auf 1300 bis 1400 Grad Celsius erhitzt. Für eine Verbrennung erhält der Prozess nicht genug Sauerstoff. Die organischen Bestandteile werden zu Gasen. Sie werden weiter chemisch umgewandelt und voneinander getrennt. Die anorganischen Bestandteile schmelzen und bilden die Schlacke. Heraus kommt am Ende ein Granulat.
"Das Granulat ist im Prinzip ein Glas", erklärt Stephan Guhl. "Gerade wenn man in Richtung Müllvergasung oder Müllbehandlung denkt, sind da ja auch diverse Schadstoffe drin, Schwermetalle und so weiter. Und die werden dort quasi fixiert, ohne dass sie durch Regen oder durch Wasser oder was auch immer herausgelöst werden. Also, es ist kein Sondermüll, was hier herauskommt. Es ist im Prinzip ein Glas, was man dann als Schüttung, im Straßenbau oder sonst wo einsetzen kann."
Das Verfahren soll nur ein Zehntel des Strombedarfes der Wasserelektrolyse haben. Nur: Wenn doch wieder auch CO2 entsteht – ist die Ökobilanz letztlich überhaupt besser, als wenn der Müll einfach verbrannt und in einem Kraftwerk direkt in Strom umgewandelt wird?
"Wenn ich die beiden Energieprodukte vergleiche, einmal Strom aus der Altholzverbrennung oder Wasserstoff aus der chemischen Altholznutzung, dann schneidet die chemische Altholznutzung, die Wasserstofferzeugung mit einem dreifach so hohen Wirkungsgrad ab wie die Verbrennung", sagt Bernd Meyer. "Das heißt, mit diesem erzeugten Wasserstoff kann ich dreimal so viel CO2 einsparen wie bei der Verbrennung."

Nur Abfallstoffe sollen verbrannt werden

Ein Aspekt ist Meyer dabei besonders wichtig:
"Ich möchte unbedingt sagen, dass wir keine neu angebaute Biomasse verwenden – also Pflanzen für das Verfahren der Wasserstofferzeugung –, um keinesfalls in den Nahrungsmittelkreislauf, in die Teller-und-Tank-Diskussion zu kommen. Sondern wir verwenden nur Abfallstoffe, die bisher verbrannt werden oder die einfach deponiert werden oder liegenbleiben."
Ihr Verfahren haben die Freiberger Wissenschaftler der Fachwelt 2017 vorgestellt, in Shanghai. Hierzulande fehlt es dem Prozess an Bekanntheit. So fand es in einer Fraunhofer-Studie zum Potenzial von Wasserstoff Ende 2019 keine Erwähnung.
"Ich kann jetzt nicht den Innovationsgehalt bewerten", sagt Christopher Hebling, Mitherausgeber der Studie. "Der ist sicherlich hoch und hat sicherlich auch ein gutes Potenzial. Es gibt einige Verfahren, aus Abfällen oder aus Biomasseanlagen Wasserstoff zu extrahieren. Also, ich könnte jetzt sozusagen nicht das Alleinstellungsmerkmal im Sinne, dass das der Durchbruch wäre, bewerten."
Also nur ein Mosaiksteinchen von vielen?
"Genau. Das bestimmt. Und wir brauchen viele Mosaiksteinchen. Manche sind größer, manche sind kleiner. Aber dass wir viele dieser Ansätze benötigen, ist unstrittig."

Viel Skepsis gegenüber der Wasserstofftechnologie

Dass ich Ihnen den Rückwärtsfahr-Warnton meines Testwagens vorspiele, hat mehrere Gründe. Das Angebot an Brennstoffzellen-Pkw ist rückläufig: Mercedes hat sein Modell vom Markt genommen, und von Toyota soll es erst im Frühling wieder eines geben. Damit ist dieser Hyundai Nexo zurzeit der einzige Pkw mit Brennstoffzelle, der in Deutschland verfügbar ist. Mercedes sieht Chancen für die Wasserstofftechnologie eher bei Lkw und stellte vergangenen September einen Prototyp vor. In Niedersachsen fahren die ersten Regionalzüge mit Brennstoffzelle. Und der Hyundai-Konzern, zu dem auch Schwerindustrie gehört, glaubt, dass Schiffsantriebe mit Wasserstoff dem Seegüterverkehr zur Klimaverträglichkeit verhelfen können. Beim Pkw aber hat momentan das akkubetriebene Auto die Nase vorn.
Und abseits der Straße? Wird Wasserstoff die Industrie wirklich klimaneutral machen können? Bernd Meyer von der TU Freiberg ist skeptisch, was die deutschen Ziele betrifft. Eine Industrie ohne Treibhausgase bis 2050 hält er für zu ehrgeizig.
"Die Realität wird eine andere Geschichte schreiben. Und wir werden noch erhebliche Mengen an Raffinerieprodukten erzeugen müssen, weil es sonst eine weltweite Umstellung geben müsste und Deutschland die Wettbewerbsfähigkeit durch eventuell zehnfach so hohe Preise komplett verlieren würde."
Darum glaubt er, dass die Klimaneutralität eher bis zum Jahr 2100 auf sich warten lässt. Bis dahin sehen die Freiberger Forscher Chancen für Wasserstoff in synthetischen Kraftstoffen.

Synthetisches Benzin aus CO2 und Wasserstoff?

Von ihrer Pilotanlage führt darum eine Rohrleitungsbrücke zu einer Anlage, die synthetisches Benzin herstellen kann. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt mit der Firma Chemie-Anlagenbau Chemnitz. Aus Wasserstoff und CO2 entsteht zunächst Methanol und daraus Benzin.
"Es gibt ja Industrien wie zum Beispiel Zementwerke, die nicht ihren Prozess so umstellen können, dass gar kein CO2 emittiert mehr wird", erklärt Produktmanager Stephan Schmidt. "Das ist halt einfach aus der Chemie heraus. Und für diese Technologien kann man natürlich, indem man so einen Kreislauf etabliert, effektiv die Emissionen reduzieren."
Der Kohlenstoff im CO2 aus dem Zementwerk würde quasi recycelt, so die Vision. Weil er in synthetisches Benzin umgewandelt wird. Nur: Wie teuer wäre dieses Benzin? Das hängt auch vom Wasserstoff ab:
"Wir haben im Fokus, den Wasserstoff über die Elektrolyse herzustellen. Und dabei ist natürlich sehr entscheidend der Preis für den erneuerbaren Strom. Und wenn man da in Gebiete geht, wo viel erneuerbarer Strom vorhanden ist, kann man dieses Benzin mit Produktgestehungskosten von einem Euro pro Liter herstellen."
Was heißt all das nun für meine Frage zum Beginn dieser Sendung: Wie verändert die Umstellung der Wirtschaft auf Wasserstoff unseren Alltag? Vieles bleibt nach meiner Reise durch Deutschland offen: Bauen wir in den nächsten Jahren genug neue Windkraft- und Solaranalgen, um grünen Wasserstoff zu erzeugen? Finden sich effizientere Alternativen zur Elektrolyse? Schaffen die Pilotprojekte der Forscher den Sprung in die industrielle Praxis? Es muss vieles zusammenkommen, damit Wasserstoff zum Energieträger der Zukunft werden kann – und mein Testwagen mit Brennstoffzelle kein Exot bleibt.

Mitwirkende
Autor: Frank Drescher
Sprecher: Joachim Schönfeld
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Christiane Neumann
Redaktion: Martin Mair

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