"We're going to Ibiza" von den Vengaboys

Ein Partysong wird zur Protesthymne

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Die "Vengaboys" spielen am Donnerstag, 30. Mai 2019, in Wien im Rahmen der Demonstration "Alles muss anders" am Ballhausplatz in Wien.
Neue Protestkultur in Österreich: Die Vengaboys spielen auf der "Alles muss anders"-Demonstration in Wien "We're Going to Ibiza!" © Picture Alliance / picturedesk.com / Lukas Huter
Von Philip Artelt · 31.05.2019
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Der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und die Regierung Österreichs sind über ein Video gestürzt - es wurde auf Ibiza gedreht. Damit ist auch ein Song von 1999 plötzlich wieder ein Hit: "We're going to Ibiza" von den Vengaboys.
Schon in der Straßenbahn zum Ballhausplatz in der Wiener Innenstadt fallen sie auf: gut gelaunt, Getränkedose in der Hand, drei junge Menschen, die zur Donnerstagsdemo gehen.
"Wir sind untypische Demonstrationsgänger", sagt einer der drei. "Wir gehen zum ersten Mal dahin."
"Okay, und warum?", frage ich nach.
"Wegen der Ibiza-Sache."

Die Ibiza-Sache

Die "Ibiza-Sache". Waren die Donnerstagsdemos erst ein Ausdruck des Protests gegen die rechtskonservative Regierung, so sind sie jetzt – nach deren Sturz – wohl noch viel mehr Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem System. Ein System, für das nach dem entlarvenden Video mit Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache ein Wort synonym steht: Ibiza.
"Ich hab sogar so ein T-Shirt an, wo Ibiza draufsteht", sagt der Demo-Debütant.
"Oh, kann man das heute noch sehen oder ist es dir zu kalt?"
"Na, mir ist zu kalt vermutlich."
Er zieht die dicke Jacke hoch, hervor kommt ein weißes Shirt mit handschriftlicher Notiz:
"Zack, zack, zack, Ibiza." Ob es selbstgemacht ist, will ich wissen.
"Nein, das macht mein Cousin. Der verkauft die."

Ein Partysong wird zur Protesthymne

Und dann betreten die "Vengaboys" ihre mobile Bühne, den Vengabus.
Jubel brandet auf, der Song "We're going to Ibiza" erklingt, Demonstranten singen mit.
Das Lied aus dem Jahr 1999 ist zum Inbegriff des Protests geworden. Ausgerechnet dieses Lied.
"Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass man das in einem anderen Kontext sonst hören würde", sagt ein Demonstrant. Es sei auf den sozialen Medien explodiert, ergänzt eine Demonstrantin.
Österreich, das Land mit der großen Tradition des politischen Liedes – Georg Kreisler etwa: "Staatsbeamter bin auch ich als Resultat, denn wozu brauch ich sonst einen Staat?" – dieses Österreich hat ausgerechnet einen inhaltsleeren Partysong über eine Reise nach Ibiza zur politischen Hymne geadelt.

Wortspiele mit Ibiza

"Ist da Ibiza sehr dankbar, was die Wortwitze angeht?", frage ich.
"Auf jeden Fall. Vor allem Lipizzaner gegen Rechts. L-Ibiza-Ner!"
Lipizzaner, die berühmten Pferde der Hofreitschule in Wien - selbst die werden auf einmal politisiert.
Thomas Gratzer ist Leiter des Rabenhof-Theaters in Wien und wohl einer der besten Kenner des politischen Kabaretts in Österreich. Er sagt: "Super, ja super, dass die auf einmal auf Platz eins der Hitparade sind. Das ist natürlich ein großer Vorteil der sozialen Medien, dass sich das so rasant verbreitet."

Politik und Spaß

Der Protest greift auf, wofür Ibiza häufig steht: nicht die große Politik, nein, den Spaß, die Zitate aus dem Video, die so dämlich sind, dass Kabarettisten neidisch werden.
Die Polizei spricht von 6000 Menschen, die zum Höhepunkt auf dem Ballhausplatz gewesen seien, die Veranstalter sprechen von 20.000 Menschen, die am Donnerstag gekommen seien.
Auch, wenn es wohl schon mal mehr waren: Die Vengaboys haben mit Sicherheit dafür gesorgt, dass der Protest weitergeht – mit einem guten Schuss mehr Spaß und Lebensfreude.

Manuskript-Text für online leicht bearbeitet (mfu)
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