Weberaufstand vor 175 Jahren

Verzweifelter Aufruhr gegen den Frühkapitalismus

Das Bild "Weberzug" von Käthe Kollwitz (1867–1945). Radierung von 1897 auf Japanpapier, 21,6 × 29,5 cm. Blatt 4 der Folge: Ein Weberaufstand. Stuttgart, Staatsgalerie, Graphische Sammlung.
Die Konkurrenz aus England führte im 19. Jahrhundert dazu, dass deutsche Weber extrem niedrige Löhne erhielten. 1844 kam es zum Aufstand. © dpa / akg-images
Von Bert-Oliver Manig |
Der schlesische Weberaufstand von 1844 ist als Akt des Widerstands gegen die frühkapitalistische Ausbeutung ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Es gab Weberromane, Weberdramen und Webergedichte zuhauf. Begonnen hatte alles eher harmlos.
Proteste der Heimarbeiter gegen ihre Ausbeutung durch Textilfabrikanten hatte es in Schlesien schon oft gegeben. Doch im Juni 1844 war vieles anders: Diesmal schlugen nicht die bitterarmen Leinenweber, sondern die Baumwollweber Krawall, deren Löhne aufgrund der überlegenen Konkurrenz sächsischer und englischer Großbetriebe beständig sanken. Neu war außerdem die überregionale Resonanz des Konflikts. In Berlin notierte der Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense:
"Traurige Nachrichten aus Schlesien, der Aufstand der Weber im Gebirge nimmt zu, die Truppen sind zurückgedrängt worden, ungeachtet sie scharf geschossen und viele der Gegner getötet oder verwundet hatten. Man hat eiligst Verstärkungen herangezogen. Dass man den Aufstand bewältigt, ist nicht zu bezweifeln, aber welch ein Elend muss geherrscht haben!"

"Ihr fresst der Armen Hab' und Gut"

Der Beginn des drei Tage dauernden Aufruhrs war eher harmlos: Am 3. Juni 1844 zog ein Haufen junger Männer im Fabrikdorf Peterswaldau vor die Villa der Fabrikantenfamilie Zwanziger und sang dort ein Schmählied, in dem Lohndrückerei und das neureiche Luxusleben des verhassten Arbeitgebers angeprangert wurden.
"Ihr Schurken all‘/Ihr Satansbrut/Ihr höllischen Dämone/Ihr fresst der Armen Hab‘ und Gut/und Fluch wird Euch zum Lohne"
Zwanzigers Bedienstete vertrieben die Protestierer, von denen einer verhaftet wurde. Empört marschierten daraufhin am Morgen des 4. Juni mehrere 100 Weber zur Zwanziger-Villa, um die Freilassung des Inhaftierten und Lohnerhöhungen zu erwirken. Doch der Fabrikant war geflohen. Die Protestierer erstürmten daraufhin die Geschäftsräume, verwüsteten das Warenlager und zerrissen die Handelsbücher. Der Ortspolizist wurde zur Freilassung des inhaftierten Webers gezwungen.
Anschließend zog die Menge zur Villa des Fabrikanten Wagenknecht, der beliebter und geschmeidiger war als Zwanziger: Er ließ Schnaps verteilen und bezahlte jedem Protestierer einen Silbergroschen aus, woraufhin die Menge zufrieden nach Hause ging. Doch die Ruhe trog.
Am selben Abend setzten Weber aus Nachbargemeinden die Zerstörung der Zwanziger-Villa fort. Der herbeigeeilte Landrat berichtete:
"Ich wurde von einem mir unbekannten Manne von Stube zu Stube geleitet, wo ich viele Menschen von jedem Alter beschäftigt fand, das luxurieuse Ameublement des Haus-Eigenthümers zu vernichten … Es war eine bemerkenswerthe Ruhe vorherrschend, denn außer dem Zerbrechen und Zerschlagen der Zwanzigerschen Effecten und Meubles war nichts hörbar und es erschien, als wenn das Werk der Zerstörung ganz methodisch ausgeführt würde."

Nachhaltige Wirkungen in der Publizistik

Am nächsten Tag, dem 5. Juni, kam es auch im benachbarten Langenbielau zu Protestaktionen der Weber. Als ein Militärkommandant scharf schießen ließ und elf Arbeiter starben, griffen die aufgebrachten Protestierer die Soldaten an und schlugen sie mit einem Steinhagel in die Flucht.
Doch schon tags darauf konnte das rasch verstärkte Militär Ruhe und Ordnung wieder herstellen. Aus Furcht vor neuerlichen Krawallen erhöhten die Fabrikanten nach dem Aufstand die Löhne. In einem Strafprozess wurden 80 Weber zu Zuchthausstrafen verurteilt. Bis auf drei Rädelsführer wurden sie nach einem Jahr Haft begnadigt.
Der Schriftsteller Gerhart Hauptmann auf einer undatierten Aufnahme.
Der Schriftsteller Gerhart Hauptmann widmete dem Weberaufstand ein Theaterstück.© picture alliance / dpa
Nachhaltiger waren die Wirkungen des Aufstands in der Publizistik: Weberromane, Weberdramen, Gedichte und Berichte über die schlesischen Ereignisse erschienen seit 1844 zuhauf.
Die deutschen Republikaner sahen im Weberaufstand einen Vorboten künftiger Umwälzungen. Der junge Kommunist Karl Marx interpretierte ihn sogar als den ersten Ausdruck eines revolutionären Klassenbewusstseins des Proletariats. Ganz auf dieser Linie lag Heinrich Heines "Weberlied", das den Webern einen dreifachen Fluch auf Gott, König und Vaterland in den Mund legte und mit der düsteren Prophezeiung endete:
"Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben."

Keine Folgen für die soziale Ordnung

Doch vom schlesischen Aufstand führte kein direkter Weg zur Revolution von 1848. Der Protest der Weber zielte auf Lohnerhöhungen und die Abstrafung maßloser und ungerechter Fabrikherren. Die soziale Ordnung stellten sie nicht in Frage.
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