Weder gut noch böse
Er war Jude, Kommunist, NS-Opfer, Chefredakteur und schließlich in Ungnade gefallener Archivar. Irina Liebmann hat sich in ihrem Buch "Wäre es schön? Es wäre schön!" auf die Spuren ihres Vaters Rudolf Herrnstadt begeben und eine schillernde Persönlichkeit entdeckt. Sie wurde dafür mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet.
Wenn eine Tochter ein Buch über ihren Vater schreibt, geht das selten gut. Die Gefahr ist groß, dass all die unbewältigten innerfamiliären Konflikte, die sich im Lauf der Jahre aufgestaut haben, das Bild prägen. Irina Liebmann entgeht in ihrem Buch über ihren Vater Rudolf Herrnstadt dieser Gefahr. Sie findet eine souveräne, freie Erzählerposition, macht aus ihrer Distanz gegen viele Haltungen und Sichtweisen des Vaters kein Geheimnis, nähert sich ihm aber mehr und mehr an, fasziniert von einer nicht erwarteten Geradlinigkeit und Entschlossenheit.
Hier spricht keine Nachgeborene mit der Arroganz posthumen Besserwissens, sondern eine Autorin, die ihre Neugier als Tochter nutzt, um eine großartige Biografie des deutschen 20. Jahrhunderts zu erzählen. Das innerfamiliäre, bloß private, bleibt angenehm im Hintergrund. Von ihr selbst als Tochter ist kaum einmal die Rede und nur dann, wenn es den Blick auf den Vater erhellt.
Rudolf Herrnstadt, Jude und Kommunist, Journalist im Dienst des sowjetischen Geheimdienstes, erster Chefredakteur der "Berliner Zeitung" und des "Neuen Deutschland" in der DDR, 1953 in Ungnade gefallen und in ein Archiv verbannt, ist eine widersprüchliche, schillernde Figur. Keiner, der einfach auf die Seite der Guten oder der Bösen zu stellen wäre. Keiner, der unbedingt immer das Richtige getan hat, aber einer, der für seine Überzeugungen eintrat in aller Konsequenz.
Der historische Bogen dieses Lebens reicht von Gleiwitz, wo er 1903 geboren wurde, über Berlin und Moskau, "Drittes Reich" und Exil, bis in die heroische, aber schon bald verlogene Aufbauzeit der DDR. Ohne dass Liebmann explizit darauf hinweisen müsste, wird klar, dass die DDR sich nur mit dieser Vorgeschichte begreifen lässt.
Irina Liebmann hat sich als Autorin und Journalistin in ihren Büchern auf Berlin und die Geschichte der geteilten Stadt spezialisiert. Gerne lässt sie sich auch handwerklich begeistern von dem, was ihr Vater geleistet hat. Sie bestaunt die Lebendigkeit des "Berliner Tagblatts" unter der Leitung von Theodor Wolff - dem ersten Förderer Herrnstadts. Schon damals war er Mitglied der KPD und arbeitete für den sowjetischen Geheimdienst. Sein journalistisches Ethos blieb davon unbeschädigt. Die Liberalität Wolffs ertrug auch einen Kommunisten in der Redaktion.
Erstaunlich war aber, dass er auch nach 1933 weiterarbeitete, als Korrespondent in Warschau. Erst 1936 wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung entlassen. Irina Liebmann hätte sich natürlich einen Aufschrei im Jahr 1933 gewünscht, einen klaren Bruch. Doch so war er für die Sowjetunion nützlicher und nahm es in Kauf, dass seine Familie in Gleiwitz, die schließlich im KZ ermordet wurde, ihn für einen Opportunisten halten musste.
Weil Irina Liebmann Herrnstadts Positionen rekonstruiert, gelingen ihr erstaunliche Einsichten. Mit ihm blickt sie aus polnischer Perspektive auf das Europa der 30er Jahre, ohne den polnischen Antisemitismus zu übersehen. Im Moskauer Exil baute der Vater unter dem Titel "Freies Deutschland" und unter kommunistischer Regie eine Zeitung für deutsche Kriegsgefangene auf, in der auch Generäle und überzeugte Nazis schrieben.
Es war eine Probe auf den demokratischen Wandel, eine Bündnisplattform, die nach neuen Mehrheiten für die Zeit nach der Niederlage suchte. Denn im Gefühl der Niederlage waren deutsche Kommunisten und Nazis über alles Trennende hinweg vereint. "Sie standen nun alle auf einem Gebirge von Toten", schreibt Liebmann: "Genau das war damals die Höhe der Zeit."
Von hier aus ist der Enthusiasmus der sozialistischen Aufbauphase begreiflich. Herrnstadt hoffte auf einen wirklich demokratischen Sozialismus und wurde zwangsläufig zu einem Gegenspiel Ulbrichts. Auch in dieser Phase staunt die Tochter, wie belebt selbst die Parteizeitung "Neues Deutschland" unter seiner Regie wirkte. Er richtete Leserbriefforen ein, in denen tatsächlich Klartext gesprochen wurde.
Mit dem 17. Juni 1953 war es damit vorbei. Der Aufstand wurde auch Herrnstadt angelastet. Und wie unter Kommunisten üblich, stimmte er anschließend für die eigene Degradierung - zum vermeintlichen Wohle der Partei. Am Ende dieser eindrucksvollen Geschichte fällt Irina Liebmann auf, dass sie "nicht ein einziges Mal von Solidarität unter Genossen gelesen" hat. Die DDR wird zu einer Kleinbürgerdiktatur. Der hoffnungsvolle Buchtitel "Wäre es schön? Es wäre schön!" steht nicht umsonst im Konjunktiv.
Rezensiert von Jörg Magenau
Irina Liebmann: Wäre es schön? Es wäre schön!
Mein Vater Rudolf Herrnstadt
Berlin Verlag, Berlin 2008
416 Seiten, 19,90 Euro
Hier spricht keine Nachgeborene mit der Arroganz posthumen Besserwissens, sondern eine Autorin, die ihre Neugier als Tochter nutzt, um eine großartige Biografie des deutschen 20. Jahrhunderts zu erzählen. Das innerfamiliäre, bloß private, bleibt angenehm im Hintergrund. Von ihr selbst als Tochter ist kaum einmal die Rede und nur dann, wenn es den Blick auf den Vater erhellt.
Rudolf Herrnstadt, Jude und Kommunist, Journalist im Dienst des sowjetischen Geheimdienstes, erster Chefredakteur der "Berliner Zeitung" und des "Neuen Deutschland" in der DDR, 1953 in Ungnade gefallen und in ein Archiv verbannt, ist eine widersprüchliche, schillernde Figur. Keiner, der einfach auf die Seite der Guten oder der Bösen zu stellen wäre. Keiner, der unbedingt immer das Richtige getan hat, aber einer, der für seine Überzeugungen eintrat in aller Konsequenz.
Der historische Bogen dieses Lebens reicht von Gleiwitz, wo er 1903 geboren wurde, über Berlin und Moskau, "Drittes Reich" und Exil, bis in die heroische, aber schon bald verlogene Aufbauzeit der DDR. Ohne dass Liebmann explizit darauf hinweisen müsste, wird klar, dass die DDR sich nur mit dieser Vorgeschichte begreifen lässt.
Irina Liebmann hat sich als Autorin und Journalistin in ihren Büchern auf Berlin und die Geschichte der geteilten Stadt spezialisiert. Gerne lässt sie sich auch handwerklich begeistern von dem, was ihr Vater geleistet hat. Sie bestaunt die Lebendigkeit des "Berliner Tagblatts" unter der Leitung von Theodor Wolff - dem ersten Förderer Herrnstadts. Schon damals war er Mitglied der KPD und arbeitete für den sowjetischen Geheimdienst. Sein journalistisches Ethos blieb davon unbeschädigt. Die Liberalität Wolffs ertrug auch einen Kommunisten in der Redaktion.
Erstaunlich war aber, dass er auch nach 1933 weiterarbeitete, als Korrespondent in Warschau. Erst 1936 wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung entlassen. Irina Liebmann hätte sich natürlich einen Aufschrei im Jahr 1933 gewünscht, einen klaren Bruch. Doch so war er für die Sowjetunion nützlicher und nahm es in Kauf, dass seine Familie in Gleiwitz, die schließlich im KZ ermordet wurde, ihn für einen Opportunisten halten musste.
Weil Irina Liebmann Herrnstadts Positionen rekonstruiert, gelingen ihr erstaunliche Einsichten. Mit ihm blickt sie aus polnischer Perspektive auf das Europa der 30er Jahre, ohne den polnischen Antisemitismus zu übersehen. Im Moskauer Exil baute der Vater unter dem Titel "Freies Deutschland" und unter kommunistischer Regie eine Zeitung für deutsche Kriegsgefangene auf, in der auch Generäle und überzeugte Nazis schrieben.
Es war eine Probe auf den demokratischen Wandel, eine Bündnisplattform, die nach neuen Mehrheiten für die Zeit nach der Niederlage suchte. Denn im Gefühl der Niederlage waren deutsche Kommunisten und Nazis über alles Trennende hinweg vereint. "Sie standen nun alle auf einem Gebirge von Toten", schreibt Liebmann: "Genau das war damals die Höhe der Zeit."
Von hier aus ist der Enthusiasmus der sozialistischen Aufbauphase begreiflich. Herrnstadt hoffte auf einen wirklich demokratischen Sozialismus und wurde zwangsläufig zu einem Gegenspiel Ulbrichts. Auch in dieser Phase staunt die Tochter, wie belebt selbst die Parteizeitung "Neues Deutschland" unter seiner Regie wirkte. Er richtete Leserbriefforen ein, in denen tatsächlich Klartext gesprochen wurde.
Mit dem 17. Juni 1953 war es damit vorbei. Der Aufstand wurde auch Herrnstadt angelastet. Und wie unter Kommunisten üblich, stimmte er anschließend für die eigene Degradierung - zum vermeintlichen Wohle der Partei. Am Ende dieser eindrucksvollen Geschichte fällt Irina Liebmann auf, dass sie "nicht ein einziges Mal von Solidarität unter Genossen gelesen" hat. Die DDR wird zu einer Kleinbürgerdiktatur. Der hoffnungsvolle Buchtitel "Wäre es schön? Es wäre schön!" steht nicht umsonst im Konjunktiv.
Rezensiert von Jörg Magenau
Irina Liebmann: Wäre es schön? Es wäre schön!
Mein Vater Rudolf Herrnstadt
Berlin Verlag, Berlin 2008
416 Seiten, 19,90 Euro