Wegbereiter der Wende

Von Winfried Sträter |
Die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche, zu denen Pfarrer Christian Führer in den 80er Jahren regelmäßig eingeladen hatte, wurden 1989 Teil der Protestbewegung gegen das DDR-Regime. Für sein Engagement wurde Führer mit dem Preis Augsburger Friedensfest geehrt - gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow.
Christian Führer wurde 1980 Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig. 1980 begann auch die Friedensdekade – eine gemeinsame Protestaktion evangelischer Jugendpfarrämter in Ost und West. Es war die Zeit der Vor- und Nachrüstungen, die Rüstungsspirale drehte sich immer weiter. Die Mächtigen in Ost und West bereiteten sich ernsthaft auf einen neuen Krieg vor. Zu den Friedensveranstaltungen, die Christian Führer organisierte, gehörten auch Friedensgebete. Sie wurden ab September 1982 zu einer festen Institution in der Leipziger Nikolaikirche. Offensiv warb Führer auch um Nichtchristen – mit Schildern: "Nikolaikirche – offen für alle".

Dieses Friedensengagement entsprach nicht dem Friedenskampf, den der SED-Staat seinen Bürgern verordnete – aber es war eine angemessen religiöse Form, in der sich die Kirche für das zentrale Anliegen ihres Staates einsetzte: Frieden. Auch wenn die SED diese Aktivitäten misstrauisch beäugte: Was hätte sie dagegen tun können?

1989 entfalteten diese Friedensgebete eine ungeahnte Wirkung. Montag für Montag strömten immer mehr Menschen in die Kirche. Die Polizei kontrollierte und blockierte die Zufahrtswege. Doch die Menschen ließen sich nicht abhalten. Am 9. Oktober 1989, zwei Tage nach den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR, spitzte sich die Situation dramatisch zu. Die Leipziger Nikolaikirche war zum neuerlichen Montagsgebet überfüllt – und draußen in den Straßen stand die bewaffnete Macht des Staates einsatzbereit.

Das Friedensgebet endete mit dem Segen des Bischofs und einem Aufruf zur Gewaltlosigkeit. Als die Menschen aus der Kirche strömten, standen Zehntausende mit Kerzen in der Hand auf dem Platz. "Das Wunder geschah", schreibt Pfarrer Führer in einem Rückblick auf den 9. Oktober:

"Der Geist Jesu der Gewaltlosigkeit erfasste die Massen und wurde zur materiellen, zur friedlichen Gewalt. Armee, Kampfgruppen und Polizei zogen sich zurück."

Damit war der Weg frei für die friedliche Revolution. Die Machtlosigkeit der Mächtigen gegenüber der friedfertigen Unbeirrbarkeit der Kirche brachte Horst Sindermann, 1989 Mitglied des ZK der SED, auf den Punkt. Vor seinem Tod sagte er:

"Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete."

So hatten Pfarrer Führer, die Kirche und die Bürgerbewegung der DDR auf beeindruckende Weise gezeigt, wie aus der Kirche heraus eine politisch-gesellschaftliche Konfrontation überwunden werden kann. Auch nach 1989 blieb Christian Führer ein gesellschaftlich engagierter Pfarrer: Seine Kirche engagierte sich für die Interessen Arbeitsloser und lud in der Zeit der Hartz-IV-Proteste auch zu Montagsgebeten ein.

Hintergrund

Aus der Begründung der Jury des Preises Augsburger Friedensfest:

Führer und Gorbatschow seien "Hauptakteure und Repräsentanten" des gewaltfreien Verlaufs der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989, hieß es in der Begründung der Jury. Der Abend "dieses schicksalsträchtigen Tages" habe "die friedliche Wende, die Öffnung der Mauer und die Vereinigung Deutschlands" eingeläutet.

Zu den Leistungen Gorbatschows gehöre, "selbst erkannt zu haben und andere davon überzeugt zu haben, dass die Interessen der Sowjetunion nicht mit Panzern, sondern durch Verhandlungen und Abkommen gesichert werden müssen." Pfarrer Führer erhielt den Friedenspreis stellvertretend für "die mutigen Menschen, die damals im Oktober 1989 zu Zehntausenden auf die Straße gingen und zum ersten Mal in Deutschland eine gewaltlose, friedliche Revolution wagten."

Das Kulturinterview mit Pfarrer Christian Führer können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.
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