Wege aus der Kinder- und Jugendkriminalität
Die Berliner SPD-Innenexpertin Bilkay Öney fordert im Kampf gegen Kinder- und Jugendkriminalität eine intensivere Zusammenarbeit einzelner Behörden wie Polizei, Jugendamt und Staatsanwaltschaft. Die bisherigen Projekte seien gut, müssten aber optimiert werden.
Nana Brink: Die Meldungen häufen sich in der letzten Zeit. Die Berliner Polizei nimmt elf- und zwölfjährige Drogendealer fest. Was dann passiert: Da sie nicht strafmündig sind, übergibt die Polizei sie dem Jugendamt, und das ist meist überfordert und liefert sie zu Hause ab. Und das Spiel geht dann von vorne wieder los. Viele der Kinder stammen aus arabisch-türkischen und kurdischen Großfamilien, ein Umstand, der das Problem nicht unbedingt einfacher macht.
Ist der Staat mit seinem Latein am Ende oder mit seiner Geduld? Genauso heißt auch ein Buch, das bald erscheint, "Das Ende der Geduld" der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich vor drei Wochen das Leben genommen hat. Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen und über die Kriminalität in Berlin mit der SPD-Innenexpertin im Berliner Abgeordnetenhaus Bilkay Öney. Einen schönen guten Morgen, Frau Öney!
Bilkay Öney: Guten Morgen!
Brink: "In manchen Vierteln in Berlin herrschen Zustände, die vergleichbar sind mit der Bronx" – so Ihr eigenes Resümee. Hat man im Bereich Kinder- und Jugendkriminalität zu lange weggesehen?
Öney: Man hat nicht weggesehen, aber es gibt Fälle, wo der Staat wenig Möglichkeiten hat, und das haben Sie gerade auch angesprochen. Es sind eben diese Minderjährigen, ja Jugendlichen beziehungsweise Kinder, die noch strafunmündig sind und auf die der Staat leider wenig Zugriff hat. Und normalerweise läuft das eben so, Sie haben das ja auch beschrieben: Wenn eben ein Elfjähriger beim Drogendealen erwischt wird, dann greift die Polizei ihn auf und gibt ihn beim Erziehungsberechtigten ab. In der Regel sind das dann die Eltern.
Manchmal wird das Jugendamt eingeschaltet, aber auch nur dann, wenn das Kind verwahrlost wirkt. Und das Jugendamt kann dann Angebote machen. Es kann sich aber nicht direkt in die Erziehung der Eltern einmischen. Und das ist genau das Problem. Also das Jugendamt kann nur mit den Eltern, aber nicht gegen die Eltern arbeiten.
Manchmal wird auch das Familiengericht eingeschaltet. Aber auch das Familiengericht kann eben, weil die Familie unter einem besonderen Schutz steht, Weisungen erteilen oder die Eltern vorladen. Im schlimmsten Fall wird das Sorgerecht entzogen, aber das ist wirklich auch nur im äußersten Fall so.
Brink: Aber ist dann der Eindruck richtig, dass der Staat hilflos ist? Die Polizei also gibt die Kinder bei den Jugendämtern ab, die sind dann auch überfordert, geben sie zurück an die Familien – dann hat der Staat ja keine Antwort?
Öney: Doch, der Staat hat Antwort, der Staat hat Einrichtungen, die sich um die Kinder kümmern. Das habe ich auch vorhin versucht zu erklären. Also zum einen sind das natürlich die Schulen, die Jugendämter, die Gerichte, die Polizei, aber an erster Stelle stehen natürlich die Eltern. Also die Eltern spielen eine ganz besondere Rolle bei der Erziehung ihrer Kinder. Und die Eltern haben auch dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht in kriminelle Bahnen geraten. Dafür müssen die Eltern Sorge tragen.
Brink: Dann schauen wir doch mal in diese Elternhäuser. Die meisten der jugendlichen Intensivtäter in Berlin-Neukölln zum Beispiel stammen aus arabisch-türkischen Großfamilien, ein geschlossenes System jenseits von Integration. Hat man sich zu lange gescheut, das auch deutlich auszusprechen?
Öney: Möglicherweise ja. In Berlin wurden jetzt in diesem Jahr insgesamt fünf minderjährige Drogendealer festgenommen, und das waren alles Kinder ohne Papiere, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Und wenn man sich die Situation der Flüchtlinge ansieht oder auch die Familien oder die arabischen Großfamilien, um die es ja oft geht, dann ist das so, dass die rechtliche Situation manchmal die Leute in die Kriminalität drängt. Nämlich diese Menschen durften lange Zeit nicht arbeiten, sie durften eben lange Zeit ihren Unterhalt nicht selber verdienen und haben das auch nicht gelernt. Und dadurch sind einige, nicht alle, man muss da schon unterscheiden, es sind nicht alle arabischen Familien und auch nicht alle arabischen Großfamilien ...
Brink: Das sagen wir ja nicht, aber die Elternhäuser, aus denen diese Täter kommen.
Öney: Das sind eben in der Regel solche Kinder, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen oder in kriminellen Strukturen aufwachsen, das stimmt.
Brink: Aber wie kommt man dann an diese Strukturen ran, wie kann man die aufbrechen? Die Jugendämter kommen ja an diese Kinder kaum ran, aber man muss ja doch sofort reagieren, sonst ist die Karriere als Intensivtäter doch eigentlich vorgezeichnet. Was also kann man tun?
Öney: Man kann verschiedene Dinge tun, und Berlin macht auch bereits ganz viele Dinge. Sie haben die Richterin Heisig angesprochen, die hat ja etwas angeregt schon vor zwei Jahren, das Neuköllner Modell. Das sieht eine möglichst schnelle Bestrafung vor, innerhalb von drei Wochen kommt es zu einem Verfahren. Anders sieht es natürlich aus bei Leuten, die strafunmündig sind. Wenn sie strafunmündig sind, kann man sie auch nicht bestrafen, das ist natürlich weiterhin ein Problem.
Dann gibt es die Möglichkeit der Diversion, das ist auch ein Verfahren, bei dem die Staatsanwaltschaft ziemlich schnell eingreift. Sie stellt in der Regel das Verfahren ein, aber gegen eine Auflage und auch gegen einen Täter-Opfer-Ausgleich. Das heißt, der Täter wird mit dem Opfer konfrontiert und muss ihm dann auch etwas zurückzahlen oder eben verschiedene Dinge.
Dann gibt es in Berlin das Schwellentäter- oder Intensivtäterkonzept – das ist auch ein Konzept, bei dem eben mit häufiger auffallenden Jugendlichen und der Staatsanwaltschaft eine enge Verbindung besteht, und ein Staatsanwalt beziehungsweise ein Polizist für je einen Intensivtäter verantwortlich ist. Das war früher ein bisschen anders, da ging es danach, wo die Strafe begangen wurde oder nach dem Wohnortprinzip und so weiter.
Jetzt werden diese Dinge aber gebündelt, und es findet inzwischen auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen all diesen Einrichtungen statt, also zwischen der Polizei, den Jugendämtern, dem Jugendgericht und den Schulen und dem Quartiersmanagement – und das spielt auch eine große Rolle.
In manchen Gegenden, in denen wir eben häufiger solche Fälle haben, da arbeitet das QM oder das Quartiersmanagement sehr eng mit der Polizei zusammen oder auch mit den Imamen, die ja auch eine gewisse Autorität darstellen bei muslimischen Familien.
Brink: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, man versucht, die Kinder quasi nicht wieder loszulassen, sondern in staatlicher Obhut ja mehr oder weniger zu betreuen?
Öney: Das versuchen wir, und das läuft auch sehr erfolgreich. Ich glaube, Berlin ist Vorreiter in diesem Bereich, und da müssen wir einfach versuchen, dass die Maßnahmen oder auch die vorhandenen Strukturen eben besser, effektiver eingesetzt werden und optimiert werden, damit wir noch schneller und noch zielgenauer handeln können. Aber wir brauchen nicht noch mehr Ideen und wir brauchen auch nicht noch mehr Projekte, weil das, was vorhanden ist, das ist gut, das muss aber noch ein bisschen optimiert werden, und dann geht das, glaube ich.
Brink: Was brauchen wir denn, was heißt ein bisschen optimiert werden ganz konkret?
Öney: Wenn die Zusammenarbeit noch intensiviert und verbessert werden könnte, manchmal hakt es. Wenn es jetzt innerhalb von drei Wochen nicht zum Verfahren kommt oder wenn es eben keinen guten Informationsfluss gibt, dann kann es sein, dass manche Dinge hängen bleiben oder, ja, manchmal liegt es auch an den Personen, die eine gewisse Scheu haben, mit bestimmten Familien zusammenzuarbeiten. Aber das ändert sich alles, weil auch die Berliner Polizei inzwischen sehr, wie soll ich sagen, interkulturell geschult wird – Sie kennen die Berichterstattungen. Letzte Woche schrieben die Zeitungen eben darüber, dass die Berliner Polizei inzwischen türkisch lernt, und das sind gute Entwicklungen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab.
Brink: Bilkay Öney, SPD-Innenexpertin im Berliner Abgeordnetenhaus. Und wir sprachen über die Kinder- und Jugendkriminalität in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!
Öney: Ich danke Ihnen!
Ist der Staat mit seinem Latein am Ende oder mit seiner Geduld? Genauso heißt auch ein Buch, das bald erscheint, "Das Ende der Geduld" der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich vor drei Wochen das Leben genommen hat. Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen und über die Kriminalität in Berlin mit der SPD-Innenexpertin im Berliner Abgeordnetenhaus Bilkay Öney. Einen schönen guten Morgen, Frau Öney!
Bilkay Öney: Guten Morgen!
Brink: "In manchen Vierteln in Berlin herrschen Zustände, die vergleichbar sind mit der Bronx" – so Ihr eigenes Resümee. Hat man im Bereich Kinder- und Jugendkriminalität zu lange weggesehen?
Öney: Man hat nicht weggesehen, aber es gibt Fälle, wo der Staat wenig Möglichkeiten hat, und das haben Sie gerade auch angesprochen. Es sind eben diese Minderjährigen, ja Jugendlichen beziehungsweise Kinder, die noch strafunmündig sind und auf die der Staat leider wenig Zugriff hat. Und normalerweise läuft das eben so, Sie haben das ja auch beschrieben: Wenn eben ein Elfjähriger beim Drogendealen erwischt wird, dann greift die Polizei ihn auf und gibt ihn beim Erziehungsberechtigten ab. In der Regel sind das dann die Eltern.
Manchmal wird das Jugendamt eingeschaltet, aber auch nur dann, wenn das Kind verwahrlost wirkt. Und das Jugendamt kann dann Angebote machen. Es kann sich aber nicht direkt in die Erziehung der Eltern einmischen. Und das ist genau das Problem. Also das Jugendamt kann nur mit den Eltern, aber nicht gegen die Eltern arbeiten.
Manchmal wird auch das Familiengericht eingeschaltet. Aber auch das Familiengericht kann eben, weil die Familie unter einem besonderen Schutz steht, Weisungen erteilen oder die Eltern vorladen. Im schlimmsten Fall wird das Sorgerecht entzogen, aber das ist wirklich auch nur im äußersten Fall so.
Brink: Aber ist dann der Eindruck richtig, dass der Staat hilflos ist? Die Polizei also gibt die Kinder bei den Jugendämtern ab, die sind dann auch überfordert, geben sie zurück an die Familien – dann hat der Staat ja keine Antwort?
Öney: Doch, der Staat hat Antwort, der Staat hat Einrichtungen, die sich um die Kinder kümmern. Das habe ich auch vorhin versucht zu erklären. Also zum einen sind das natürlich die Schulen, die Jugendämter, die Gerichte, die Polizei, aber an erster Stelle stehen natürlich die Eltern. Also die Eltern spielen eine ganz besondere Rolle bei der Erziehung ihrer Kinder. Und die Eltern haben auch dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht in kriminelle Bahnen geraten. Dafür müssen die Eltern Sorge tragen.
Brink: Dann schauen wir doch mal in diese Elternhäuser. Die meisten der jugendlichen Intensivtäter in Berlin-Neukölln zum Beispiel stammen aus arabisch-türkischen Großfamilien, ein geschlossenes System jenseits von Integration. Hat man sich zu lange gescheut, das auch deutlich auszusprechen?
Öney: Möglicherweise ja. In Berlin wurden jetzt in diesem Jahr insgesamt fünf minderjährige Drogendealer festgenommen, und das waren alles Kinder ohne Papiere, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Und wenn man sich die Situation der Flüchtlinge ansieht oder auch die Familien oder die arabischen Großfamilien, um die es ja oft geht, dann ist das so, dass die rechtliche Situation manchmal die Leute in die Kriminalität drängt. Nämlich diese Menschen durften lange Zeit nicht arbeiten, sie durften eben lange Zeit ihren Unterhalt nicht selber verdienen und haben das auch nicht gelernt. Und dadurch sind einige, nicht alle, man muss da schon unterscheiden, es sind nicht alle arabischen Familien und auch nicht alle arabischen Großfamilien ...
Brink: Das sagen wir ja nicht, aber die Elternhäuser, aus denen diese Täter kommen.
Öney: Das sind eben in der Regel solche Kinder, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen oder in kriminellen Strukturen aufwachsen, das stimmt.
Brink: Aber wie kommt man dann an diese Strukturen ran, wie kann man die aufbrechen? Die Jugendämter kommen ja an diese Kinder kaum ran, aber man muss ja doch sofort reagieren, sonst ist die Karriere als Intensivtäter doch eigentlich vorgezeichnet. Was also kann man tun?
Öney: Man kann verschiedene Dinge tun, und Berlin macht auch bereits ganz viele Dinge. Sie haben die Richterin Heisig angesprochen, die hat ja etwas angeregt schon vor zwei Jahren, das Neuköllner Modell. Das sieht eine möglichst schnelle Bestrafung vor, innerhalb von drei Wochen kommt es zu einem Verfahren. Anders sieht es natürlich aus bei Leuten, die strafunmündig sind. Wenn sie strafunmündig sind, kann man sie auch nicht bestrafen, das ist natürlich weiterhin ein Problem.
Dann gibt es die Möglichkeit der Diversion, das ist auch ein Verfahren, bei dem die Staatsanwaltschaft ziemlich schnell eingreift. Sie stellt in der Regel das Verfahren ein, aber gegen eine Auflage und auch gegen einen Täter-Opfer-Ausgleich. Das heißt, der Täter wird mit dem Opfer konfrontiert und muss ihm dann auch etwas zurückzahlen oder eben verschiedene Dinge.
Dann gibt es in Berlin das Schwellentäter- oder Intensivtäterkonzept – das ist auch ein Konzept, bei dem eben mit häufiger auffallenden Jugendlichen und der Staatsanwaltschaft eine enge Verbindung besteht, und ein Staatsanwalt beziehungsweise ein Polizist für je einen Intensivtäter verantwortlich ist. Das war früher ein bisschen anders, da ging es danach, wo die Strafe begangen wurde oder nach dem Wohnortprinzip und so weiter.
Jetzt werden diese Dinge aber gebündelt, und es findet inzwischen auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen all diesen Einrichtungen statt, also zwischen der Polizei, den Jugendämtern, dem Jugendgericht und den Schulen und dem Quartiersmanagement – und das spielt auch eine große Rolle.
In manchen Gegenden, in denen wir eben häufiger solche Fälle haben, da arbeitet das QM oder das Quartiersmanagement sehr eng mit der Polizei zusammen oder auch mit den Imamen, die ja auch eine gewisse Autorität darstellen bei muslimischen Familien.
Brink: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, man versucht, die Kinder quasi nicht wieder loszulassen, sondern in staatlicher Obhut ja mehr oder weniger zu betreuen?
Öney: Das versuchen wir, und das läuft auch sehr erfolgreich. Ich glaube, Berlin ist Vorreiter in diesem Bereich, und da müssen wir einfach versuchen, dass die Maßnahmen oder auch die vorhandenen Strukturen eben besser, effektiver eingesetzt werden und optimiert werden, damit wir noch schneller und noch zielgenauer handeln können. Aber wir brauchen nicht noch mehr Ideen und wir brauchen auch nicht noch mehr Projekte, weil das, was vorhanden ist, das ist gut, das muss aber noch ein bisschen optimiert werden, und dann geht das, glaube ich.
Brink: Was brauchen wir denn, was heißt ein bisschen optimiert werden ganz konkret?
Öney: Wenn die Zusammenarbeit noch intensiviert und verbessert werden könnte, manchmal hakt es. Wenn es jetzt innerhalb von drei Wochen nicht zum Verfahren kommt oder wenn es eben keinen guten Informationsfluss gibt, dann kann es sein, dass manche Dinge hängen bleiben oder, ja, manchmal liegt es auch an den Personen, die eine gewisse Scheu haben, mit bestimmten Familien zusammenzuarbeiten. Aber das ändert sich alles, weil auch die Berliner Polizei inzwischen sehr, wie soll ich sagen, interkulturell geschult wird – Sie kennen die Berichterstattungen. Letzte Woche schrieben die Zeitungen eben darüber, dass die Berliner Polizei inzwischen türkisch lernt, und das sind gute Entwicklungen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab.
Brink: Bilkay Öney, SPD-Innenexpertin im Berliner Abgeordnetenhaus. Und wir sprachen über die Kinder- und Jugendkriminalität in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!
Öney: Ich danke Ihnen!