Bernward Gesang, Jahrgang 1968, ist Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Normative Ethik, insbesondere die Utilitarismusforschung, angewandte Ethik mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik und Klimaethik. Außerdem ist er Vizepräsident der Gesellschaft für Utilitarismusstudien und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Fachverband Ethik, Landesverband Baden-Württemberg, der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und der Zenaga Foundation. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher "Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte" (Hanser-Verlag, 2020) und "Darf ich das oder muss ich sogar? Die Philosophie des richtigen Handelns" (Piper-Verlag, 2017).
Geld zu zahlen fällt uns leichter, als unser Verhalten zu ändern
39:41 Minuten
Den Klimawandel stoppen und gleichzeitig den Kapitalismus abschaffen: Das wäre durchaus wünschenswert, meint der Wirtschaftsphilosoph Bernward Gesang. Nur: realistisch ist das derzeit nicht. Insofern empfiehlt er andere, pragmatischere Strategien.
Klimapolitisch ist es fünf vor zwölf – oder vielleicht auch schon fünf nach zwölf? Klar ist, der Klimawandel schreitet rasant voran, allerhöchste Zeit zum raschen, entschlossenen Handeln.
Nur wie? Die gegenwärtige Debatte schwankt zwischen eher defensiven Ansätzen, die etwa mit CO2-Bepreisungen und Emissionshandel das Schlimmste verhindern wollen – und denen, die die Klimakrise nutzen wollen, um eine bessere Welt zu erschaffen. Konkret, indem sie sich vom Kapitalismus und dem Prinzip unbegrenzten Wachstums verabschieden.
Das wäre zwar eigentlich "durchaus wünschenswert", weil eine Welt mit endlichen Ressourcen und ein auf endloses Wachstum fixiertes System auf Dauer nicht zusammenpassen, meint der Wirtschaftsphilosoph Bernward Gesang.
Aber es würde nicht funktionieren, jedenfalls derzeit nicht: "Weil wir einfach nicht die Menschen dazu haben. Die Menschen sind zum großen Teil – zumindest in den Industrienationen – mit dem System, so wie es funktioniert, alles in allem zufrieden. In der Mehrheit wählen sie eben systemstabilisierende Parteien. Der Unmut an den Rändern ist zwar unübersehbar, aber ich glaube, wir brauchten neue Menschen, nicht mehr den alten Adam, um den Kapitalismus wirklich jetzt abzuschaffen."
Gesang, der an der Universität Mannheim Wirtschaftsethik lehrt, warnt auch davor, den Verlockungen der sogenannten Postwachstumsökonomie zu erliegen und sich vom wirtschaftlichen Wachstum zu verabschieden. Denn zum einen müsse man sich fragen, ob die Menschen da wirklich mitmachen würden:
"Niko Paech, der Vorreiter der Postwachstumsökonomie, buchstabiert das in manchen Schriften durch. Da fahren dann wieder Kutschen auf der Straße, man braucht Angeln zur Selbstversorgung und Aufzüge und Rolltreppen und andere Energiefresser gibt es nicht mehr. Will man in eine solche Welt zurück?"
Zum anderen spricht Gesang zufolge das enorme Bevölkerungswachstum im globalen Süden, das in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten ist, gegen ein Ende des Wachstums: Denn auch diese Menschen müssten ernährt werden und hätten das "Recht auf ein würdiges Leben".
Ohne Wachstum sei das nicht machbar – auch dann nicht, wenn sich der globale Norden einschränkt, um dem Süden ein nachholendes Wachstum zu ermöglichen. Denn angesichts eines erwarteten Bevölkerungswachstums von einer Milliarde Menschen oder mehr müsste die Wirtschaft im Norden um eine so große Prozentzahl schrumpfen müsste, "dass das kaum vorstellbar ist".
Klima geht vor Armutbekämpfung
Vor diesem Hintergrund plädiert Gesang im Kampf gegen den Klimawandel für Pragmatismus und effizientes Handeln.
Erstens, indem man den Kapitalismus zwar nicht abschafft, aber ihn möglichst fesselt. Zum Beispiel dadurch, dass Unternehmen nicht länger Energie aus fossilen Quellen verwenden dürfen:
"Und dann können wir Stück für Stück fortfahren, ihm Umweltgrenzen und soziale Grenzen einzubläuen. Und ich hoffe, auch mit mehr Schwung als in der Vergangenheit."
Zweitens, indem der Bewältigung der Klimakrise Vorrang gegenüber anderen Krisen wie der Armuts- und der Ressourcenkrise eingeräumt wird:
"Wir werden uns verzetteln, wenn wir alles gleichrangig behandeln, und am Ende kriegen wir vielleicht gar nichts davon hin."
Bei den Veränderungen im globalen Süden ansetzen
Drittens, indem man bei Veränderungen zunächst im globalen Süden ansetzt und die dortigen "Einsparpotenziale" nutzt:
"Wenn Sie hier auf Ihr Auto verzichten und das stehen lassen, ist die CO2-Einsparung, die Sie damit erreichen, bis zu 50 Mal geringer, als wenn Sie dieselbe Summe, die Sie dafür aufwenden, dass Sie das Auto stehenlassen, in den Regenwald investieren zum Beispiel. Also, ich gaube, die Effizienzpotenziale sind da noch groß."
Das heißt nicht, dass die Menschen im Norden gar nichts tun müssen. Sie sollen Geld spenden. Gesang bringt hier eine Spendenpflicht in Höhe von bis zu 3 oder 4 Prozent des Einkommens eines Normalverdieners ins Gespräch, die dann an nachhaltige Projekte im globalen Süden gehen sollen. Das könne besser funktionieren, als an Verhaltensänderungen zu appellieren.
"Es ist ein anthropologisches Faktum, dass uns Geld zahlen offensichtlich leichter fällt, als unser Verhalten insgesamt umzustellen", betont Gesang mit Blick auf die Einführung der Ökosteuer, bei der sich gezeigt hat, dass die Menschen eher höhere Kosten in Kauf nehmen, als ihr Auto stehen zu lassen.
Letztlich könne aber nicht der Einzelne das Klimaproblem lösen, sondern nur die Politik. Dass sie diesbezüglich derzeit nichts auf die Reihe kriegen, so Gesang, liege an falschen Anreizsystemen unserer Demokratie, in der Politiker wiedergewählt werden wollten und die Wähler bestimmte Vorteile für sich im Hier und Jetzt wollten. "Und da sind sie sich beide wunderbar einig, dass es doch schick wäre, die Zukunft die Suppe auslöffeln zu lassen und sich jetzt in der Gegenwart zu treffen."
"Zukunftsanwälte" für den Klimaschutz
Um mehr Zukunftorientierung in die Politik zu bekommen, schlägt der Philosoph konkrete institutionelle Maßnahmen vor: zum Beispiel das Wahlrecht für Jugendliche, ein Vetorecht für das Umweltministerium in bestimmten Fragen und die Einrichtung von sogenannten "Zukunftsanwälten".
Das habe es etwa in Ungarn zwischen 2008 und 2012 bereits gegeben: ein parlametarischer Sekretär für die Rechte zukünftiger Generationen, der Gesetzesvorhaben entsprechend geprüft habe und der auch ein Vetorecht gegen Gesetze besessen habe.
"Und der hat da ganz interessante Dinge erreicht. Er hat zum Beispiel erreicht, dass die Mittel, die in Ungarn aus dem Kyoto-Protokoll eingespeist wurden - also Ungarn hat Geld aus dem Kyotoprotokoll bezogen, um Klimaemissionen zu vermeiden, hat die aber gar nicht dazu benutzt, sondern hat die als normale Haushaltsmittel verwendet. Das hat er aufgedeckt und damit einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Ungarn in diesen Jahren klimaneutraler wurde."
(uko)