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Die Sinfonien in den Klaviertranskriptionen von Franz Liszt
Er hat die Orchestermusik revolutioniert und die Pianisten inspiriert. Ludwig van Beethovens Sinfonien lagen Franz Liszt so am Herzen, dass er sie für Klavier bearbeitet hat – alle neune. Diese Bearbeitungen wurden bewundert, verspottet und vergessen. Bis Glenn Gould kam…
Wie geht man mit einem "heiligen Text" um? Mit Ehrfurcht gewiss, aber vielleicht auch mit Sendungsbewusstsein, wenn es um die Verbreitung eines solchen Textes geht. So hielt es Franz Liszt, der mit diesen Worten die Orchesterwerke bezeichnete, die er schon als junger Mann für Klavier bearbeitete.
Nachdem Liszt dieses Verfahren in den frühen 1830er Jahren an der "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz erprobt hatte, wandte er es auf sämtliche Sinfonien Ludwig van Beethovens an. Manche davon bearbeitete er sogar mehrfach, immer auf der Suche nach der bestmöglichen Wiedergabe von Beethovens orchestralen "Götterfunken" auf dem Klavier.
Licht und Schatten
Wohlgemerkt: Hierbei handelte es sich nicht um hypervirtuose Paraphrasen etwa von populären Opern, die der Komponisten-Pianist Liszt so trefflich in die Tasten meißeln konnte. Hier ging es um einen Dienst am (heiligen) Text, eine komponierte Interpretation, die in einer Zeit vor der Erfindung der Tonaufnahme auch einem ganz praktischen Zweck diente.
In seinen "Reisebriefen eines Baccalaureus der Tonkunst" begründete Liszt, warum er bestehende Orchesterwerke zu "Klavierpartituren" umarbeitete: "Im Umfang seiner sieben Oktaven umschließt es [das Klavier] den ganzen Umfang eines Orchesters und die zehn Finger eines Menschen genügen, um die Harmonien wiederzugeben, welche durch den Verein von hunderten von Musicirenden hervorgebracht werden. Durch seine Vermittelung wird es möglich Werke zu verbreiten, die sonst von den Meisten wegen der Schwierigkeit ein Orchester zu versammeln ungekannt bleiben würden. Es ist sonach der Orchesterkomposition das, was der Stahlstich der Malerei ist, welche er vervielfältigt und vermittelt: und entbehrt er doch auch der Farbe, so ist er doch im Stande Licht und Schatten wiederzugeben."
Liszts Lesarten
Heute ist die Lage eine andere – die Musik Beethovens ist omnipräsent, sie kann im Konzertsaal erlebt und in unterschiedlichsten Aufnahmen jederzeit und an jedem Ort wiedergegeben werden. Liszts Transkriptionen haben also ihren ursprünglichen Zweck verloren, hinzugekommen ist ihr Reiz als zusätzliche und höchst originelle Lesarten des Beethovenschen Werkes, die einen immer neue Seiten dieser Musik entdecken lässt.
Nicht viele Pianisten haben sich bis heute an die immens schwierigen "Klavierpartituren" von Franz Liszt herangetraut. Pionierarbeit hat hier Glenn Gould in den späten 1960er Jahren geleistet, der seine fulminanten Wiedergaben der Fünften und Sechsten Sinfonie mit einem skurrilen Essay kommentierte.
Material für mutige Pianisten
Rund zwanzig Jahre nach Gould gingen Idil Biret und Cyprien Katsaris mit Liszts Beethoven ins Studio. Noch einmal so viel Zeit verging, ehe mit Yuri Martinov eine Deutung auf den historischen Klavieren entstand, für die Liszt seine Arrangements schuf. Eine Neueinspielung des gesamten Zyklus mit dem Pianisten Hinrich Alpers wird zur Zeit von Deutschlandfunk Kultur und Sony produziert; die Veröffentlichung ist für das Frühjahr 2020 vorgesehen. Studiogast dieser Sendung ist der Publizist und Musikwissenschaftler Michael Stegemann, der sowohl über Franz Liszt als auch über Glenn Gould Biografien vorgelegt hat.
Mit dieser Ausgabe beginnt eine Serie der "Interpretationen", die sich anlässlich des Beethoven-Jahres künftig an jedem ersten Sonntag im Monat dem Werk des Bonner Meisters widmet. Die nächste Folge rückt am 5. Januar 2020 das Dritte Klavierkonzert in den Mittelpunkt.