Der Notizblock hat gefehlt
Fünf Monate saß der Journalist Armin Wertz in einem syrischen Gefängnis, lange Zeit davon in Einzelhaft. Er dachte sich Menüs aus, sang Lieder und tröstete sich in der Zelle mit dem Gedanken, dass es ihm im Vergleich zu den Gefangenen der Nazis noch richtig gut ergangen sei.
Gabi Wuttke: Vier Millionen Syrer könnten in zwölf Monaten schon aus ihrem Land geflohen sein, wenn die Gewalt weiter so brutal regiert. Das befürchten die Vereinten Nationen. Damit wir mit handfesten Informationen diesen Bürgerkrieg richtig einsortieren können, deshalb reiste der Journalist Armin Wertz im Frühling mit einem Touristenvisum nach Aleppo – und saß fünf Monate im Gefängnis, ohne Licht, ohne Bett. Anfang Oktober wurde er wieder in die Freiheit entlassen. Schönen guten Morgen, Armin Wertz!
Armin Wertz: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Hatten Sie in der Zelle Angst, man würde Sie vergessen?
Wertz: Nicht richtig. Ich ging eigentlich davon aus, dass das SMS ... Ich hatte einem Kollegen ein SMS noch schicken können, bevor mir das Telefon weggenommen wurde, und da ging ich eigentlich schon davon aus, dass er irgendwie einiges unternimmt. Zwischenrein hat man manchmal Zweifel, wenn es so lange geht, und da kamen sogar Mitarbeiter des Gefängnisses, der Arzt fragte mich, warum meldet sich eure Botschaft nicht, und ich sagte, na ja, gut, die europäischen Botschaften sind alle geschlossen, und die syrischen Botschaften in Europa sind wohl auch geschlossen, soweit ich informiert bin. Und das Problem war, dass ich nichts gehört habe, nichts gehört, nichts gesehen, ich habe überhaupt keine Informationen gehabt von außen, und dann fängt man natürlich bei einer langen Zeit an, zu zweifeln, zumal einem die Zeit viel länger vorkommt. Ich dachte ja, ich sei viel länger im Gefängnis. Als ich rauskam, war ich sehr überrascht, dass es gerade Anfang Oktober erst war.
Wuttke: Immerhin, fünf Monate sind normalerweise eine lange Zeit. Waren Sie denn die ganze Zeit in Einzelhaft?
Wertz: Nicht die ganze Zeit. Ich war zu Beginn, also ich war zunächst im Hotel unter Hausarrest gestellt, das hat sich aber ... Nach ein paar Tagen wurde ich in eine Polizeizelle überstellt, und dort war es noch relativ angenehm in der Beziehung, dass ich eine Matratze hatte, und dann war noch ein weiterer Häftling in der relativ geräumigen Zelle, die war ziemlich groß, wahrscheinlich für 20, 30 Leute angelegt, so nehme ich an, aber wir waren nur zu zweit, und da war es noch ganz gut, da konnten wir uns Essen kaufen und sogar Zigaretten und Getränke kaufen, wenn man Geld hatte und so weiter. Und dann wurde ich auf einmal in dieses andere Gefängnis überführt, wo jeder Luxus weg war. Da gab es nichts mehr.
"Jetzt müsste ich einen Block haben"
Wuttke: Was heißt das?
Wertz: Na, das war, dass ich zunächst noch in einer anderen Zelle mit zunächst vier, dann acht Mann war. Dann wurde ich aber in diese Einzelzelle gebracht, die dunkel war und immer verschlossen, ich durfte nicht raus, ich durfte nicht kommunizieren mit anderen mehr, und selbst die Wärter haben gelegentlich nicht mehr mit mir gesprochen auf Hinweise, die hatten Anweisungen wohl, mich zu isolieren. Und dann hat man also dann ... Dann war keine ... nichts mehr bei den Informationen. Gelegentlich – die Häftlinge, die auf dem Flur saubermachen mussten oder Essen bringen mussten, weil es werden ja immer einige Häftlinge für solche Arbeiten eingeteilt, die haben gelegentlich vor der Tür gestanden und haben mir irgendwas zugeflüstert oder haben noch ein bisschen ... Mit denen konnte ich ein bisschen kommunizieren, die taten dann so, als würden sie Boden wischen, und gleichzeitig unterhielten sie sich mit mir.
Wuttke: Und in dieser Zeit, die für Sie keinen Rahmen mehr hatte, da hat es Ihnen geholfen, Lieder zu singen?
Wertz: Ja, das war eins. Ich habe mir zunächst Menüs immer ausgedacht, irgendwelche Menüs, was ich als erstes essen werde, wenn ich aus dem Gefängnis komme, was ich am zweiten Tag dann essen werde, am dritten, und dann gesungen, dann habe ich mir ... Gedichte, ich mir überlegt, ob ich die noch auswendig kann, ob ich sie noch zusammenbekomme, die ich mal in der Schule gelernt habe, und solche Sachen habe ich da eben gemacht.
Wuttke: In diesen dunklen Monaten, in denen Sie ja, wenn Sie Lieder gesungen haben, irgendwie im dunklen Wald gepfiffen haben, so kann man das ja auch verstehen, hat Ihnen da Ihre Erfahrung als Journalist in vielen Krisengebieten der Welt geholfen? Sie sind ja da seit Jahrzehnten unterwegs gewesen. Oder waren Sie dann in dieser Einzelzelle auch kein Journalist mehr, sondern nur noch Mensch?
Wertz: Ich war noch teilweise Journalist. Ich habe immer mich geärgert, dass ich nichts hatte, um mir Notizen machen zu können, weil ich habe gelegentlich ja immer mal was mitbekommen. Ich wollte zum Beispiel, wenn ich mitbekommen habe, wie die geprügelt wurden, die anderen Häftlinge, dann wollte ich mir Notizen machen, auch dann habe ich mir erklären lassen, warum die geprügelt werden und dass es eigentlich einfach Teil des Verhörs war. Und da gab es immer wieder Gelegenheiten oder Möglichkeiten, also wo ich dachte, jetzt müsste ich einen Block haben, das vergesse ich wieder und so weiter. Das war schon noch da. Das ist ja auch ein Zeitvertreib in dem Fall, wenn man also dann irgendwie eine Beschäftigung hat und was notieren würde, was man mitbekommt und so weiter. Das ist sowohl der Journalismus als auch eben Zeitvertreib dann.
Gedanken an Gefangene in Konzentrationslagern
Wuttke: Sie sind, zumindest körperlich, in Ruhe gelassen worden. Sie haben auch über diese fünf Monate in einem syrischen Gefängnis sehr sachlich geschrieben. Sie erzählen jetzt auch sehr sachlich davon. Hilft Ihnen das?
Wertz: Na ja, ich hatte nicht, ich hab' ... Manche Leute haben mich gefragt, ob ich jetzt … ich müsste traumatisiert sei und ich weiß nicht was, und ich habe also ... Das musst' ich weit von mir weisen. Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Ich habe mich immer da dran festgehalten irgendwo, das hat ... das kam mir ständig in den Sinn, dass ich mich eigentlich gar nicht beklagen könnte, mir geht es ja gar nicht so schlecht. Ich habe einfach verglichen, wie es Leuten in Gestapokellern gegangen ist, wie es Leuten in Konzentrationslagern ergangen ist, oder das Bild zum Beispiel ist mir immer wieder vor Augen gekommen, wo diese Angeklagten vom Juli '44 vor Freisler stehen, ohne Hosenträger, ohne Gürtel, und viel mehr Würde ausstrahlen als die ganzen berobten und uniformierten Kerle, die da rumstanden und schrien.
Wuttke: Darüber haben Sie viel nachgedacht in der Einzelhaft?
Wertz: Ja, das ist mir oft gekommen, dieser Gedanke, denn wenn ich so ... Gerade, wenn man ein bisschen down war und so und ein bisschen schlecht drauf war, weil man eben, weil es sich so lange hinzog, und dann kam ja dieses wieder, das hat mir dann irgendwie dann schon wieder geholfen und also, dass es eben nicht so schlimm ist bei mir.
Wuttke: Sie sind jetzt fast drei Monate wieder zu Hause. Ich hoffe, Sie haben inzwischen ein paar Kilo zugelegt.
Wertz: Ja, ich habe so sechs, sieben Kilo habe ich zugelegt wieder. Ich wohnte ja am Anfang bei Freunden in Hamburg, die haben mich ja geradezu gemästet, und dann, in Berlin, war ich dann auch noch eine Zeit lang bei Freunden, ich habe dort auch noch mit dem Auswärtigen Amt, mit ein paar Leuten dort sprechen müssen und so weiter, und außerdem habe ich wieder ein bisschen Bier bekommen, und da setzt man ja auch ein bisschen an wieder. Aber ich bin jetzt wieder so auf einem ganz guten Gewicht, so mit 65 Kilo. Ich hatte früher 72 immer, das ist für meine Größe genau richtig. Aber da sagte mir auch jemand, das geht nachher ein bisschen länger, das, also das Zunehmen, also dass ich wieder auf das alte Gewicht käme, das dauerte noch ein bisschen, meinte jemand.
Wuttke: Der Journalist Armin Wertz über seine Zeit in einem syrischen Gefängnis. Herr Wertz, ich danke Ihnen sehr, und machen Sie es sehr, sehr gut.
Wertz: Danke auch und schönen Tag noch!
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