Wegschauen oder eingreifen - Alltagsgewalt und Zivilcourage
Szene 1: Eine Gruppe Jugendlicher pöbelt einen Mitreisenden in der U-Bahn an, die anderen Fahrgäste schauen weg, lesen, telefonieren, steigen ungerührt aus – keiner greift ein.
Szene 2: Ein junger Mann beobachtet in einem Freibad einen Streit zwischen Jugendlichen und einem älteren Besucher. Er versucht, zu schlichten und wird von einem der Jugendlichen mit einem Messer erstochen.
Die Aggressivität im Alltag nimmt spürbar zu – nicht nur in Großstädten. Zwar ist die allgemeine Kriminalitätsrate insgesamt bundesweit gesunken, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen hat aber – so die neueste Kriminalstatistik – erneut zugenommen.
Wie soll man also als Unbeteiligter reagieren, wenn gepöbelt und provoziert wird?
Wegschauen oder eingreifen? Welches Risiko geht man dabei ein?
"Ich beobachte immer mehr, dass die Leute eher nicht eingreifen wollen, dass sie wegschauen, dass sie sich denken 'das hat nichts mit mir zu tun', dass sie Angst haben, sich zu positionieren", sagt die Berliner Pädagogin und Streetworkerin Anja Kimmling. Sie kennt die Alltagsgewalt aus ihrer täglichen Arbeit für den Verein "Gangway e.V.", dem größten Träger für Straßensozialarbeit in Deutschland.
Gemeinsam mit ihren Kollegen betreut sie mehrere Gruppen von Jugendlichen im Bezirk Neukölln, ausschließlich Jungen, der Migrantenanteil liegt bei 90 Prozent, mehr als die Hälfte hat die Schule abgebrochen. Sie plädiert für einen differenzierten Umgang mit der Alltagsgewalt, gerade der, die von Jugendlichen ausgehe: "Der Bedrohungsgrad, der in den Medien vermittelt wird, ist übertrieben und das ist wenig hilfreich. Da wird ein Bild aufgestellt, was wir als Team nicht feststellen. Ich denke, die Tendenz ist eher gleich bleibend. Nur für die Jugendlichen birgt das eine Gefahr. Sie empfinden es eher als eine Art Aufwertung, die ihnen aber nicht gut tut." Viele Jugendliche, gerade die Jungs, würden nur bluffen, das sei nicht anders als früher. Auch die Bewaffnung habe ihrer Erfahrung nach nicht zugenommen, es werde nur mehr darüber berichtet. Anja Kimmling sieht ein, dass Unbeteiligte in gefährlichen Situationen nicht eingreifen, "aber oft könnte man eingreifen, ohne sich zu gefährden. Man kann zumindest die Polizei anrufen oder das Jugendamt einschalten."
Auch der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Alltags- und Jugendgewalt. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sieht einen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Klima und der Bereitschaft zur Zivilcourage: "Je stärker in einer Gesellschaft die Bereitschaft ausgeprägt ist, sich der Gewalt entgegen zu stellen und sich für Menschen in Not einzusetzen, umso weniger Chancen gibt es für gewalttätiges Handeln und umso effektiver kann den Opfern von Gewalt geholfen werden."
Nur, wie kann dieses gesellschaftliche Klima hergestellt werden? Wie können wir den Boden für mehr Zivilcourage bereiten? Welche Rolle spielen Elternhaus und Schule? Was kann jeder Einzelne gegen die Gewalt im Alltag tun?
"Wegschauen oder eingreifen - Alltagsgewalt und Zivilcourage" – Über dieses Thema diskutiert Dieter Kassel heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr gemeinsam mit der Streetworkerin Anja Kimmling und dem Kriminologen Christian Pfeiffer, in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch". Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.gangway.de
www.kfn.de
Die Aggressivität im Alltag nimmt spürbar zu – nicht nur in Großstädten. Zwar ist die allgemeine Kriminalitätsrate insgesamt bundesweit gesunken, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen hat aber – so die neueste Kriminalstatistik – erneut zugenommen.
Wie soll man also als Unbeteiligter reagieren, wenn gepöbelt und provoziert wird?
Wegschauen oder eingreifen? Welches Risiko geht man dabei ein?
"Ich beobachte immer mehr, dass die Leute eher nicht eingreifen wollen, dass sie wegschauen, dass sie sich denken 'das hat nichts mit mir zu tun', dass sie Angst haben, sich zu positionieren", sagt die Berliner Pädagogin und Streetworkerin Anja Kimmling. Sie kennt die Alltagsgewalt aus ihrer täglichen Arbeit für den Verein "Gangway e.V.", dem größten Träger für Straßensozialarbeit in Deutschland.
Gemeinsam mit ihren Kollegen betreut sie mehrere Gruppen von Jugendlichen im Bezirk Neukölln, ausschließlich Jungen, der Migrantenanteil liegt bei 90 Prozent, mehr als die Hälfte hat die Schule abgebrochen. Sie plädiert für einen differenzierten Umgang mit der Alltagsgewalt, gerade der, die von Jugendlichen ausgehe: "Der Bedrohungsgrad, der in den Medien vermittelt wird, ist übertrieben und das ist wenig hilfreich. Da wird ein Bild aufgestellt, was wir als Team nicht feststellen. Ich denke, die Tendenz ist eher gleich bleibend. Nur für die Jugendlichen birgt das eine Gefahr. Sie empfinden es eher als eine Art Aufwertung, die ihnen aber nicht gut tut." Viele Jugendliche, gerade die Jungs, würden nur bluffen, das sei nicht anders als früher. Auch die Bewaffnung habe ihrer Erfahrung nach nicht zugenommen, es werde nur mehr darüber berichtet. Anja Kimmling sieht ein, dass Unbeteiligte in gefährlichen Situationen nicht eingreifen, "aber oft könnte man eingreifen, ohne sich zu gefährden. Man kann zumindest die Polizei anrufen oder das Jugendamt einschalten."
Auch der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Alltags- und Jugendgewalt. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sieht einen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Klima und der Bereitschaft zur Zivilcourage: "Je stärker in einer Gesellschaft die Bereitschaft ausgeprägt ist, sich der Gewalt entgegen zu stellen und sich für Menschen in Not einzusetzen, umso weniger Chancen gibt es für gewalttätiges Handeln und umso effektiver kann den Opfern von Gewalt geholfen werden."
Nur, wie kann dieses gesellschaftliche Klima hergestellt werden? Wie können wir den Boden für mehr Zivilcourage bereiten? Welche Rolle spielen Elternhaus und Schule? Was kann jeder Einzelne gegen die Gewalt im Alltag tun?
"Wegschauen oder eingreifen - Alltagsgewalt und Zivilcourage" – Über dieses Thema diskutiert Dieter Kassel heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr gemeinsam mit der Streetworkerin Anja Kimmling und dem Kriminologen Christian Pfeiffer, in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch". Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.gangway.de
www.kfn.de