Wehe, wehe, wenn die Schlehe ...

Von Udo Pollmer |
Es ist wieder Zeit für die Schlehe. Zwar hängen die Früchte schon länger in den Sträuchern, aber bekanntlich werden sie erst nach dem ersten Nachtfrost geerntet.
Warum ist das so? Es gibt eine ganze Reihe von Pflanzen, die erst nach dem ersten Frost genießbar sind. Am bekanntesten sind Rosenkohl und Grünkohl, aber auch die Mispel gehört dazu. Durch das Gefrieren werden die Zellwände teilweise zerstört und auf diese Weise werden Enzyme frei und können allerlei Stoffe zersetzen. Vielfach wird dann Stärke zu Zucker abgebaut – das verbessert den Geschmack. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Beim Zwiebelschneiden wird durch das Zerstören der Zellstruktur der Tränenreizende Stoff freigesetzt. Diesmal geht es der Pflanze darum, das Produkt ungenießbar zu machen – sobald irgendein Tier reinbeißt.

Soll das etwa heißen, die Pflanze macht ihre Frucht erst durch den Frost genießbar? Eher weniger, denn die Schlehen werden von Vögeln gefressen, die sind für die Verbreitung des Saatgutes zuständig. Auch die Schlehe hat eine solche Abwehrstrategie: Ihre Kerne enthalten Amygdalin. Der typische Inhaltsstoff bitterer Mandeln, die nicht umsonst mit dem Schlehdorn verwandt sind. Werden die Kerne zerbissen, wird das Amygdalin durch die im Kern enthaltenen Enzyme gespalten und es bildet sich giftige Blausäure. Auf diese Weise sorgt die Pflanze dafür, dass sich die Tierwelt möglichst nur am Fruchtfleisch, nicht aber am Saatgut gütlich tun kann.

Das heißt, die Schlehen sind gar nicht für den Menschen gedacht? Richtig. Durch dichtes Dornengestrüpp hält sie sich derart unerwünschte Gäste vom Leib. Vögel finden darin wunderbar Unterschlupf, die mogeln sich zwischen den Dornen durch. Deshalb nährt diese Pflanze nicht zufällig Dutzende von Vogelarten wie z. B. den Neuntöter, der Insekten auf den Dornen aufspießt. Die Größe und Färbung der Früchte, klein und blauschwarz wendet sich gezielt an Vögel. Durch Säugetiere verbreitetes Obst sieht ganz anders aus – z.B. Bananen, Avocados oder Ananas.

Aber die Schlehe ist eine unserer ältesten Kulturpflanzen, sie wurde, wie Funde belegen, bereits in der Steinzeit konsumiert. Ja da gibt es viele Funde. Aber ob die Schlehe damals auch gegessen wurde, wissen wir nicht. Sie hatte viele Verwendungen: Aufgrund ihres stachligen, undurchdringlichen Gestrüpps diente der Schlehdorn lange als Wallhecke zur Sicherung von Festungsanlagen, Weiden und Gehöfte wurden damit "umzäunt", Obstgärten vor Wildverbiss geschützt. Die Früchte dienten zum Färben von Leinen und zur Herstellung von Tinte, die allerdings nicht lichtecht war. Eine wichtige Anwendung, für die der schlechte Geschmack wichtig war, war die Anregung des Speichelflusses von Spinnerinnen. Durch das Benetzen wurde der Faden geschmeidiger.

Aber wir Menschen essen die Schlehe doch auch? Aber nur in verarbeiteter Form, frisch ist sie viel zu sauer und adstringierend. Wenn, dann wird sie allenfalls mit hoch dosiertem Zuckerzusatz verspeist – z.B. als Saft. Aber der "Saft" wird nicht mal gepresst, sondern traditionell mit heißem Wasser ausgelaugt. Man trinkt das von Schlehen aromatisierte Zuckerwasser. Schlehenkompott ist vergleichsweise aufwendig, weil es mehrfach bei relativ niedriger Temperatur aufgekocht werden sollte. Das ganze zieht sich über einen Tag hin.

Da bleibt uns zum Trost nur noch ein Gläschen Schlehenlikör. Da ist sogar relativ viel Frucht drin. Für drei Liter nimmt man 500 Gramm Schlehen. Dazu kommen je ein Liter Rotwein und ein Liter Korn, reichlich Zucker, ordentlich Rum sowie Gewürznelken, Zimt, Anis und Vanille. Bei genauerer Betrachtung gibt es für diese Rohstoffe eine bessere Verwendung: Rotwein, Zucker und Gewürze ergeben einen vorzüglichen Glühwein. Der Korn schmeckt bei geeigneten Anlässen auch ohne Schlehen. Und die Schlehen sind ein vorzügliches Winterfutter für unsere heimischen Vögel. Es sei ihnen von Herzen gegönnt.

Literatur:
Madaus G: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Thieme, Leipzig 1938
Hübner S, Wissemann V: Morphometrische Analysen zur Variabilität von Prunus spinosa L. Forum geobotanicum 2004; 1: 19-51
Friedrich G, Schuricht W: Seltenes Kern-, Stein- und Beerenobst. Neumann-Neudamm, Melsungen 1985
Klockenbring F: Wildfrüchte und Wildgemüse. Lemmer, Berlin 1944