Wehrbeauftrager zum Zustand der Bundeswehr

"Zu viele hohle Strukturen beim Personal und beim Material"

Soldaten des Logistikbataillons 171 sind zum Appell angetreten.
Soldaten des Logistikbataillons 171 sind zum Appell angetreten. © dpa / picture alliance / Jens Wolf
Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Fünf Jahre nach der Aussetzung der Wehrpflicht hält der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), trotz der Aggressionspolitik Russlands keine sehr viel größere Bundeswehr für notwendig. Wichtiger sei, dass die jetzige Bundeswehr funktioniere.
Es müsse dafür gearbeitet werden, dass die Bundeswehr besser funktioniere, so der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD). Sie habe zu viele hohle Strukturen beim Personal und beim Material.
"Richtig ist, dass die Situation sich geändert hat", sagte Bartels. Es gebe nicht mehr nur den einen wichtigen Auftrag der Auslandseinsätze im Rahmen von Nato, EU oder UN in Afrika oder Asien, sondern es gehe in Europa wieder um kollektive Verteidigung.

Solidarität zeigen mit östlichen Bündnispartnern

Diese Veränderung rühre nicht daher, dass Deutschland bedroht sei, sondern weil sich östliche Bündnispartner bedroht fühlten durch den großen Nachbarn Russland. "Da muss jetzt Deutschland Solidarität leisten", sagte Bartels. Aber es handele sich nicht wieder um den Kalten Krieg.
"Das ist nicht der Warschauer Pakt, der da auf der einen Seite steht, nicht die Sowjetunion – es ist ein erstaunlich aggressiv gewordenes Russland in den letzten zwei Jahren."
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, aufgenommen 2015 in Berlin
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels© dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Da müsse Deutschland durch starke Präsenz der Bundeswehr mithelfen, damit niemand auf die Idee komme, gegen andere Staaten Osteuropas aggressiv vorzugehen.
"Dafür braucht man aber nicht eine sehr viel größere Bundeswehr, dafür braucht man eine Bundeswehr, die so wie sie auf dem Papier steht, auch tatsächlich funktionieren kann."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Haben Sie gedient? – Das ist eine Frage, die ein gewisser Helmut Schmidt gerne gestellt hat bei Bewerbungsgesprächen, das war schon zu seiner Zeit nicht mehr unbedingt zeitgemäß und seit fünf Jahren stellt sich diese Frage überhaupt nicht mehr, zumindest für eine junge Generation. Die Wehrpflicht wurde heute vor fünf Jahren ausgesetzt, mit ihr auch der Zivildienst, und damals mit allerlei Sorgen: Kriegen wir genug junge Leute, um all das freiwillig aufzufüllen, was vorher Pflicht war? Beim Zivildienst klappt das erstaunlich gut, der Bufdi, der Bundesfreiwilligendienst hat Zulauf; das kann man für die Bundeswehr so nicht sagen, die hat Nachwuchssorgen. Am Telefon ist der Wehrbeauftragte des Bundestages, der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels. Guten Morgen!
Hans-Peter Bartels: Guten Morgen!
Frenzel: Wie geht es der Bundeswehr ohne die Wehrpflichtigen?
Bartels: Das war schon ein ziemlicher Einschnitt vor fünf Jahren, dass plötzlich die Rekrutierungsbasis, die so selbstverständlich schien, weggeschnitten wurde. Plötzlich musste die Bundeswehr sich auf dem freien Arbeitsmarkt darum bemühen, dass Leute freiwillig zu ihr kommen. Das gelingt auch noch, das gelang vor allem deshalb zunächst gut, weil die Bundeswehr immer noch dabei war, immer kleiner zu werden. Das heißt, es war eigentlich immer zu viel Personal an Bord. Das hat sich jetzt in den letzten zwei Jahren dann doch noch mal dramatisch geändert und inzwischen sind ja Entscheidungen getroffen, dass die Bundeswehr ein kleines bisschen größer werden soll, damit sie tatsächlich das kann, was sie in heutigen Zeiten können muss.

"Inzwischen gibt es überlegtere Werbekonzepte"

Frenzel: Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes André Wüstner hat die Aussetzung vor fünf Jahren jetzt als unüberlegt und planlos bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?
Bartels: Exakt. Also, es gab keinen Plan, es gab eine schnelle Entscheidung des damaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg. Und danach hat man angefangen sich zu überlegen, wie würde man es denn machen, wenn man nicht mehr auf ganze Jahrgänge zurückgreifen kann, sondern eigentlich in der ganzen Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt Werbung schreiben muss? Das hat man vielleicht auch an der Werbung gesehen, die ja zwischenzeitlich manchmal eher kurios wirkte. Inzwischen gibt es überlegtere Werbekonzepte, gibt es eine Personalstrategie der Bundeswehr und es gab im letzten Jahr auch 100.000 Bewerbungen auf 25.000 zu besetzende Stellen, also, es ist schon Interesse da. Nur, absehbar wird natürlich der Arbeitsmarkt immer enger, immer mehr Leute scheiden aus dem Erwerbsleben aus, die Jahrgänge, die nachrücken, sind relativ klein, also gerade halb so groß wie die, die ausscheiden. Insofern, die Konkurrenz wird schärfer.
Frenzel: Jetzt kann man sagen: Das ist politisches Handwerk, Management, das kann man alles hinkriegen, also die Rekrutierung auch, wenn die Bedingungen stimmen. Aber wie ist das grundsätzlich, wie steht es um die Bundeswehr als Armee, die sich ja immer als Armee der Staatsbürger in Uniform verstanden hat? Hat sie diesen Charakter langsam aber sicher, jetzt auch ohne die Wehrpflicht, verloren?
Bartels: Nein, das hat sie … Also, das ist ja auch eine Tradition, die eingewurzelt wird nach 60 Jahren in der ganzen Bundeswehr, egal ob Wehrpflichtige, Zeitsoldaten oder Berufssoldaten. Jetzt ist die Bundeswehr eben eine Armee, die nur noch aus Zeitsoldaten und Berufssoldaten besteht und einem ganz kleinen Anteil freiwillig Wehrdienstleistender. Die verstehen sich nach wie vor als Staatsbürger in Uniform. Aber man muss natürlich hingucken, dass sich da nicht so etwas wie eine Sondergesellschaft entwickelt. Im Moment sehe ich das überhaupt nicht.
Frenzel: Das sehen Sie auch nicht angesichts der Tatsache, dass die, die die Bundeswehr noch attraktiv finden, vielleicht gerade die sind, die Sie nicht unbedingt wollen, also die politisch auch manchmal irgendwo stehen, was eigentlich ein bisschen zu rechts ist?
Bartels: Ja, die gibt es, die gab es immer. Aber sobald das auffällt, werden die auch wieder aussortiert. Also, da ist man glaube ich recht konsequent. Und wenn es nicht so wäre, würde ich das gerne gemeldet bekommen.

"Es gibt wieder das Thema kollektive Verteidigung in Europa"

Frenzel: Die Wehrpflicht wurde ja ausgesetzt zu einem Zeitpunkt, als sich keiner so recht vorstellen konnte, dass es noch mal konventionell-militärisch wirklich knallt in Europa. Seither haben wir unter anderem den Konflikt in der Ukraine erlebt, die Verhärtung mit Russland. Der Historiker Michael Wolffsohn hat vor dem Hintergrund schon die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert. Müssen wir darüber zumindest mal nachdenken?
Bartels: Richtig ist, dass die Situation sich geändert hat. Es gibt nicht mehr nur den einen wichtigen Auftrag, Auslandseinsätze out of area mit NATO, EU oder UNO, in Afrika oder Asien, sondern es gibt wieder das Thema kollektive Verteidigung in Europa, nicht weil Deutschland bedroht wäre, sondern weil sich östliche Bündnispartner bedroht fühlen durch ihren großen Nachbarn Russland. Da muss jetzt Deutschland Solidarität leisten, das ist alles richtig.
Aber es ist natürlich nicht wieder der Kalte Krieg, es ist auch nicht der Warschauer Pakt, der da auf der anderen Seite steht, ist nicht die Sowjetunion. Es ist ein erstaunlich aggressiv gewordenes Russland in den letzten zwei Jahren und da muss Deutschland mithelfen durch starke Präsenz der Bundeswehr, dass niemand auf Ideen kommt, wieder aggressiv gegen andere Staaten Osteuropas vorzugehen. Dafür braucht man aber nicht eine sehr viel größere Bundeswehr, dafür braucht man eine Bundeswehr, die so, wie es auf dem Papier steht, auch tatsächlich funktionieren kann. Daran muss jetzt gearbeitet werden. Also, die Bundeswehr hat zu viel hohle Strukturen beim Personal und beim Material.
Frenzel: Hohle Strukturen, das klingt gut. Herr Bartels, vielen Dank für das Gespräch! Der Wehrbeauftragte des Bundestages, fünf Jahre nach der Aussetzung der Wehrpflicht, ich danke Ihnen!
Bartels: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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