Fotoblog von engagierten Menschen

"Es wird Zeit, Flagge zu zeigen"

07:36 Minuten
Der Fotograf Martin Neuhof portraitiert auf dem Marktplatz von Dippoldiswalde die Friseurin Ines Eckstein.
Martin Neuhof hält diejenigen im Bild fest, die sich engagieren: Menschen, die sich in Sachsen für eine offene Gesellschaft einsetzen – wie Ines Eckstein in Dippoldiswalde. © Deutschlandradio / Alexander Moritz
Von Alexander Moritz |
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Martin Neuhof macht Fotos von denen, die sich engagieren: Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen. Der Leipziger Fotograf sagt, dort, wo er seine Aktivisten finde, sei die "offene Gesellschaft" nicht mehr selbstverständlich.
Martin Neuhof steht auf dem Marktplatz von Dippoldiswalde: "Du kannst gucken, wie du magst: Du kannst kämpferisch gucken, du kannst lachen, du kannst das ausdrücken, wie du möchtest." Routiniert gibt der Leipziger Fotograf Anweisungen fürs Portraitshooting in der 14.000-Einwohner-Stadt südlich von Dresden..
Er fotografiert die Friseurin Ines Eckstein. Mit rotem Schal und Handschuhen posiert sie vor ihrem Salon. "Immer schön in die Kamera gucken, genau. Komm mal noch ein Stückchen vor. Ich glaube, ich brauche noch ein bisschen mehr von dem Laden drauf."
Die Fotografien veröffentlicht Neuhof auf seinem Blog und bei Instagram. "Herzkampf" heißt das Projekt.

Leute, die sich gegen den Rechtsruck wehren

"'Herzkampf' bedeutet: Ich fotografiere Aktivsten, in Leipzig, im Leipziger Umland, in Sachsen, in Mitteldeutschland. Leute, die sich ein bisschen für eine offene Gesellschaft engagieren", sagte Neuhof. Über einhundert Menschen hat er in den vergangenen vier Jahren fotografiert.

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"In jedem Dorf und in jeder Stadt gibt es jemanden, der sich gegen den Rechtsruck wehrt, auch in Gebieten, wo die AfD dreißig bis vierzig Prozent hat", sagt er. Diese Menschen hätten aber keine überregionale Sichtbarkeit. "Und das möchte ich ein bisschen mit diesem Projekt schaffen." Wen Neuhof fotografiert, sucht er ganz subjektiv aus.
Ines Eckstein wurde ihm empfohlen: Die Friseurin aus Dippoldiswalde engagiert sich seit mehreren Jahren in der Flüchtlingshilfe, sammelt Lebensmittelspenden für Obdachlose und schneidet ihnen kostenlos die Haare. "Es ist einfach eine Selbstverständlichkeit, dass man Schwächeren hilft", sagt sie: "Es ist einfach eine sehr sinnvolle Aufgabe. Wenn ich jemandem helfen kann, dann kann ich das doch tun."

Ein Laden als Anlaufpunkt

Als Russland die Ukraine angegriffen hat, wurde ihr Salon zum Anlaufpunkt für viele, die helfen wollten. "Mittlerweile habe ich sehr viele Menschen um mich herum, die mich unterstützen. Der Krieg war da und die kamen auf mich zu und haben gesagt: Ines, wir machen doch was? Wir müssen doch helfen."
Der ganze Laden habe voll mit Lebensmitteln gestanden. "Und dann kamen wildfremde Leute ins Geschäft rein, die ich nicht kannte, und sie haben mir Geld gegeben und gesagt: Kauf was dafür. Es war unglaublich", erinnert sie sich. "Und dann bin ich sonntagmorgens aufgestanden und habe zu meinem Mann gesagt: Lass uns doch selber fahren. Er hat gefragt, ob er erst noch seinen Espresso austrinken darf. Und dann hat er gesagt: 'Na, klar fahren wir.'"
Inzwischen bereitet Ines Eckstein den vierten Spendentransport in die Ukraine vor. Spendenpakete kommen aus ganz Deutschland bei ihr an: "Das ist einfach so entstanden, weil viele Menschen nur darauf warten, dass jemand sagt: 'Los, wir machen das jetzt.' Ich denke, dass auch ganz viele Menschen wirklich bereit sind und dass die einfach nur nicht wissen, wo sie hingehen sollen, um zu helfen.“

Fotoblog mit Haltung

Mit seinem Fotoblog will Martin Neuhof zeigen, dass sich viele Menschen für die Gesellschaft engagieren. Auf der Website zu sehen sind die Porträts von Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bereichen – aus der Umweltbewegung, die sich gegen Rassismus einsetzen oder für die Seenotrettung von Geflüchteten. Auch Journalisten, Schriftstellerinnen und Musiker sind dabei.
"Aktivismus hat halt viele Gesichter: Ich habe auf der Seite auch eine Person, die Spiele entwickelt, damit Kinder besser ihre Gefühle zeigen können. Sowas ist für mich auch Aktivismus", erklärt Neuhof. "Genau wie Lützerath Aktivismus ist, oder wie Ines sich hier in Dippoldiswalde gegen rechts und für eine offene Gesellschaft engagiert."

Das sind für mich wichtige Leute. Diese Leute sind für mich der Kitt der Gesellschaft. Die schaffen das, was eigentlich die Politik schaffen müsste.

Martin Neuhof, Fotograf

Die meisten Portraitierten kommen aus dem links-grünen Milieu, auch Berufspolitikerinnen sind darunter: Abgeordnete von SPD und Grünen und auch der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken.
Ob er auch jemanden von der CDU fotografieren würde? Martin Neuhof schüttelt den Kopf: "Nein, nicht in Sachsen. Muss ich auch gar nicht begründen. Jeder, der sich da ein bisschen politisch auskennt, weiß, was die CDU in Sachsen macht. Und das muss halt nicht sein."

Auf Distanz zur CDU

Aus ihm spricht eine jahrelange Entfremdung zwischen der politischen Linken und der CDU in Sachsen. Viele Linke werfen der CDU vor, in den über dreißig Jahren an der Regierung Rechtsextremismus lange Zeit nicht ernstgenommen, verharmlost oder in Teilen sogar gebilligt zu haben.
Martin Neuhof geht bewusst auf Distanz zur CDU. Als die Partei vor ein paar Jahren in einem Social Media-Post ohne zu fragen ein Foto von ihm verwendete, hat er die Union verklagt.
Den Blog betreibt er neben seiner Arbeit als selbstständiger Fotograf ehrenamtlich. Die meisten lassen sich für sein  Projekt gerne fotografieren – wenn auch nicht alle: "Natürlich machen einige auch aus Selbstschutz nicht mit, weil sie sagen, sie wollen nicht mit ihrem Namen und ihrem Foto auf der Website veröffentlicht sein. Deswegen bekommt man auch nicht auf jedem Dorf Menschen fotografiert, obwohl es da Strukturen gibt."

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Ines Eckstein hat dagegen rasch zugesagt: "Mich kennen eh schon alle. Ich weiß nicht – das beeindruckt mich wenig."

Im Licht und im Visier

"Vielleicht gehen wir da runter, dann haben wir da das beste Licht", sagt Martin Neuhof. Es geht vorbei am gotischen Rathaus und dem Renaissanceschloss von Dippoldiswalde. Nach Motiven muss Martin Neuhof in der mittelalterlichen Innenstadt nicht lange suchen.
Doch ihr Engagement macht Ines Eckstein auch zur Zielscheibe. Nicht allen gefiel es, als sie für einige Zeit einen geflüchteten Syrer in ihrem Laden angestellt hat, oder dass sie während der Coronapandemie in ihrem Friseursalon auf die Maskenpflicht bestand.
Von einigen in der Stadt wird sie angefeindet, erzählt sie. Jemand hat Aufkleber mit Drohungen auf die Eingangstür ihres Ladens geklebt.
Dass direkt vor dem Schaufenster regelmäßig Montagsdemonstrationen stattfinden, bedrückt sie: "Es gibt ein paar Leute – ich weiß nicht, ob die zu viel Zeit haben, keine Ahnung – aber die müssen laut sein, die müssen trommeln und mit Pfeifen durch die Stadt gehen und da Ansprachen halten. Es sind ja eigentlich nicht so viele, die da jeden Montag durch die Stadt ziehen."

"Lass mich mal hinten raus"

Und Ines Eckstein sagt: "Es gibt Kunden, die sagen: Lass mich mal hinten raus, ich will da nicht dazugehören. Also es gibt sehr, sehr viele anständige Menschen in Dipps. Ich muss es immer wieder betonen, weil Dippoldiswalde auch manchmal so negativ dargestellt wird. Aber so ist es nicht." Von den Demonstrationen will die lebensfrohe Frau sich nicht einschüchtern lassen.

Es ist so unglaublich viel passiert hier: Und das ist so schön, wenn man das sieht, was so eine kleine Stadt machen kann und wie die Leute zusammenhalten. Aber die sind eben damit beschäftigt und nicht damit beschäftigt, irgendwo laut gegen irgendetwas zu demonstrieren.

Ines Eckstein, Friseurin und Helferin

"Dreh dich noch mal frontal zu mir. Genau, ich zeig’s dir nochmal im Schnelldurchlauf. – Das finde ich auch schön. – Das ist halt dieser typische Herzkampf-Bildstil. Links und rechts ne Mauer oder ner Abgrenzung und dann mittendrin der Fokus. – Die mit dem Torbogen finde ich alle schön, ja.“
Der Fototermin ist vorbei. Seine Porträtfotos engagierter Bürgerinnen und Bürger will Martin Neuhof im Frühjahr in einer Ausstellung in Leipzig zeigen. "Es wird Zeit, Flagge zu zeigen", schreibt er auf seiner Homepage – gegen den Rechtsruck in Sachsen. Ines Eckstein hat er schon eingeladen.
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