Wehrpflicht in Norwegen

Warum Frauen dem Vaterland dienen müssen

Norwegische Flagge
In Norwegen müssen nun auch Frauen zum Militär. © dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen
Von Bernd Musch-Borowska |
Zum 1. Januar hat Norwegen die geschlechtsneutrale Wehrpflicht eingeführt, also auch Frauen müssen zum Militär. Hierbei stellen sich mehrere Fragen: Welche Gründe gibt es dafür? Und welche Rolle spielt der Ukraine-Konflikt?
Nahkampf-Training bei der königlichen Garde. Die King's Guard ist eine Spezialeinheit der norwegischen Streitkräfte. Nur die Besten werden hier genommen, darunter auch Wehrpflichtige, die ihren zwölfmonatigen Dienst leisten.
In einer Sporthalle üben rund 20 junge Männer und eine Frau, einen Gegner zu überwältigen beziehungsweise sich aus der Umklammerung eines Angreifers zu lösen.
Das sei klassischer Nahkampf, sagt Sigbjörn Tveiten, einer der jungen Soldaten der königlichen Garde. Ausschalten eines Gegners.
Gegen die meist muskulösen und breitschultrigen Kerle wirkt Rike Tuxen eher zierlich. Die 19-Jährige ist die einzige Frau in dieser Einheit, kämpft aber mit gleichem Einsatz wie ihre männlichen Kameraden.
Rike: "Die betrachten mich als eine der ihren. Ich werde genauso behandelt wie alle anderen. Wir sind alle miteinander befreundet. Da gibt es keine Unterschiede."
Auch Marthe Brendefur gehört einer Spezialeinheit an. Klein und wendig zu sein, habe im Nahkampf manchmal Vorteile sagt sie.
Marthe: "Man muss kein Bodybuilder sein und Langstreckenläufer, um in der Armee zu dienen. In meinem Team, einer schnellen Eingreiftruppe, bin ich auf jeden Fall die Kleinste. Und das ist von Vorteil. Denn wenn sie mich packen wollen, kann ich mich immer herauswinden. Ich bin viel flexibler als die Männer."
Frauen gibt es schon lange bei den norwegischen Streitkräften, bei allen Waffengattungen, in fast allen Funktionen - als Freiwillige. Doch seit Anfang des Jahres gilt in Norwegen auch für Frauen eine Wehrpflicht. Das Parlament in Oslo hatte bereits vor zwei Jahren beschlossen, dass ab 2015 auch Frauen Wehrdienst leisten müssen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass nun alle Frauen zum Dienst an der Waffe herangezogen werden.
Vielmehr wird von nun an die Rekrutierungsbasis vergrößert. Wurden bisher die Wehrpflichtigen nur aus der männlichen Bevölkerung rekrutiert, könne nun unter allen jungen Leuten eines Jahrgangs ausgewählt werden, unter Männern und Frauen, sagt Norwegens Verteidigungsministerin Ine Eriksen Soereide:
"Wir beabsichtigen nicht, die Zahl der Wehrpflichtigen zu erhöhen. Die Gesamtzahl bleibt gleich. Aber wir können künftig auch unter den Frauen die Besten rekrutieren. Bislang ziehen wir die am stärksten motivierten jungen Männer ein. Doch auch bei den Frauen sehen wir ein stärkeres Interesse am Wehrdienst."
Die Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten für die Streitkräfte sei aber nur ein Grund gewesen, die Wehrpflicht für Frauen einzuführen, sagt der für die Rekrutierung zuständige Stabsoffizier Per-Thomas Boe. Es gehe dabei auch um Gleichberechtigung generell, denn das Militär sei in Norwegen einer der letzten Bereiche gewesen, in dem für Männer und Frauen nicht die gleichen Rechte und Pflichten galten.
"Wir hier in Skandinavien waren schon seit langem Vorreiter bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft. Nur in diesem Bereich gab es bislang noch Unterschiede. Es war also höchste Zeit, dass wir das auch bei den Streitkräften beendet haben."
Seit 2009 werden in Norwegen auch Frauen gemustert, das heißt auf eine mögliche Armee-Tauglichkeit hin geprüft. Bislang konnten Frauen jedoch nur als Freiwillige bei den Streitkräften dienen. Und auch von den Männern eines Jahrgangs wird längst nicht jeder zum Wehrdienst herangezogen. Allein im Jahr 2012 wurden mehr als 60.000 junge Männer und Frauen gemustert.
Langes Rekrutierungs- und Auswahlverfahren
Doch nur rund 9.000 Soldaten wurden eingezogen. Deutlich weniger, als zur Verfügung standen. Norwegen habe in diesem Bereich eine Art Luxus-Problem, sagt Stabsoffizier Boe. Von einer Wehrpflicht zu sprechen, wenn gar nicht jeder oder jede genommen werde, sei aber kein Widerspruch:
"Diejenigen die wir auswählen, absolvieren ihren militärischen Wehrdienst. Aber alle anderen sind trotzdem Wehrpflichtige, und wir können sie zum Beispiel im Fall einer Naturkatastrophe einberufen. Sie sind in gewissem Sinne eine ruhende Reserve."
Seit Anfang dieses Jahres gilt die Wehrpflicht für Frauen. Doch bis die ersten weiblichen Wehrpflichtigen eingezogen werden vergeht noch einige Zeit. Voraussichtlich im Sommer nächsten Jahres wird es soweit sein. Bis dahin ist das lange Rekrutierungs- und Auswahlverfahren abgeschlossen.
Die ersten weiblichen Wehrpflichtigen Norwegens bereiten sich heute noch auf ihr Abitur vor. Und doch freuten sich die meisten der befragten jungen Oberstufenschülerinnen eines Gymnasiums in Oslo auf ihren Wehrdienst. So wie die 17-jährige Selma:
Norwegische Soldaten mit Kalaschnikows
Norwegische Soldaten mit Kalaschnikows: Welche Rolle spielt der Ukraine-Konflikt bei der Wehrpflicht?© imago / Russian Look
"Ich finde das toll. Ich bin zwar keine Kämpferin, sozusagen, aber die Wehrpflicht für Frauen finde ich richtig. Das ist einfach Teil der Gleichberechtigung in Norwegen."
Auch die ebenfalls 17-jährige Ezra will gerne ihren Wehrdienst leisten, wenn sie genommen wird.
Ezra: "Ich will auf jeden Fall zur Armee. Ich glaube, das ist ziemlich cool. Ich weiß zwar nicht genau, was da auf mich zukommt, aber ich hoffe, ich werde genommen."
In den Kasernen in Norwegen werden Männer und Frauen, die in einer Einheit dienen, in den meisten Fällen gemeinsam im selben Zimmer untergebracht. Auf freiwilliger Basis, doch seit einigen Jahren hat sich diese Praxis bewährt und durchgesetzt. Die bisherigen Erfahrungen sind, so die Verteidigungsministerin, sehr gut:
"Anfangs war ich sehr skeptisch, doch ich habe mit vielen Soldaten und Soldatinnen gesprochen und auch unsere Untersuchungen zeigen, dass es sehr gut funktioniert. Ein Effekt ist, dass sich die Frauen und Männer gegenseitig als Soldaten betrachten und nicht als ein Vertreter des anderen Geschlechts. Und das ist vorteilhaft für die Streitkräfte."
Norwegen ist jetzt nicht nur der einzige NATO-Staat mit einer Wehrpflicht für Frauen. Überhaupt erfolgt die Ausweitung der Wehrpflicht in dem skandinavischen Land völlig gegen den Trend. Denn anderswo in Europa wurden die Streitkräfte in den vergangenen Jahren umgestellt, weg von der Wehrpflicht, hin zu einer professionellen Freiwilligen-Armee. Trotzdem werde das norwegische Konzept auch von den anderen NATO-Staaten mit Aufmerksamkeit verfolgt, sagt Verteidigungsministerin Eriksen Soereide:
"Wir haben die Wehrpflicht für Frauen vor allem deshalb eingeführt, weil wir bei den Streitkräften nicht weiter auf die Kompetenz der Frauen verzichten wollten, die ja die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Wir sind das erste NATO-Land, das so etwas macht und viele meiner Amtskollegen innerhalb und außerhalb der NATO zeigen In-teresse. Ich glaube, das ist die Zukunft, die Kompetenz, die Fähigkeit und die Motivation eines ganzen Jahrgangs zu nutzen und nicht nur des männlichen Teils."
Das Ziel ist, bis zum Jahr 2020 den Frauenanteil bei den norwegischen Streitkräften auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen. Heute liegt er noch bei knapp 10 Prozent.
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