Weiber und Wein

Er war ein begabter Musiker und Journalist. Bernd Jürgen Warneken skizziert in seiner Biografie über Christian Friedrich Daniel Schubart das ereignisreiche Leben eines unangepassten Hedonisten, der die Kunst nicht über das Leben stellte.
"»Er war gleich geschickt für die Orgel, den Sang, den Schulkatheder und die Kanzel . Er sang mit Empfindung und Geschmack eine Baßstimme, dergleichen ich in meinem Leben in dieser Tiefe, Höhe und mit dieser Anmut nie gehört habe; spielte ein gutes Klavier, war zum Schulmann geboren, enthusiastisch für die lateinische Sprache eingenommen und hatte die trefflichste Anlage zum Redner. Er blieb bis ans Ende seines Lebens Verehrer und Förderer der Tonkunst, und sein Haus war - sonderlich in seinen jüngeren Jahren - ein beständiger Konzertsaal, darin Choräle, Motetten, Klaviersonaten und Volkslieder wiedertönten.« (S. 17)"
So hat sich der Publizist, Journalist und Musikus Christian Friedrich Daniel Schubart selbst gesehen, und es seinem Sohn in die Feder diktiert. Von diesem redlichen Mann, vor 270 Jahren (1739) im fränkischen Obersontheim geboren, ging eine besondere Ausstrahlung aus, wie sein jüngster Biograph Bernd Jürgen Warneken betont. Als »Hellauf« habe sich Schubart bezeichnet, dem jeder Zwang zuwider war. Dieser frühe Sponti hasste

"»alle Amtsgravität, alle sinnige Bedächtlichkeit, alles Zurückhalten, jede kalte Miene, jeden Hochblick«"

In Erlangen studiert der Neunzehnjährige Theologie, mit mäßigem Erfolg. Denn mehr noch widmet er sich dem Studentenleben.

"»Ich war hier in meinem Elemente [...] studierte, rumorte, ritt, tanzte, liebte und schlug mich herum.«"

Das passt seinen Eltern nicht. Sie holen ihn in das heimatliche Aalen zurück, damit er nicht verloddert. 1763 nimmt Schubart eine Stelle als Schulmeister an. Er wird versuchsweise solide und heiratet eine Frau, die mit ihm hadert, weil er das unbürgerliche Bohemeleben nicht aufgeben will.

"»Wein und Weiber waren die Skylla und Charybdis, die mich wechselweise in ihren Strudeln wirbelten«."

bekennt Schubart später. In Ludwigsburg erhält er (1769) eine Anstellung als Organist und Musikdirektor. Sein Ruf als Klaviervirtuose dringt bis nach Italien, wo Goethe gerade weilt und von ihm hört. Dem imponiert an dem Künstlerkollegen auch, dass er die Kunst nicht über das Leben stellt.

Aber Kirche und Obrigkeit sehen das anders. Vor allem seine journalistischen Beiträge erregen ihren Zorn. Im Mai 1773 wird er des Landes verwiesen. Er geht nach Augsburg, wo er, der Mitteilsame, eine Zeitschrift gründet. Er nennt sie erst "Deutsche Chronik", dann "teutsche Chronik", dann "Vaterlandschronik". Das Blatt umfasst 8 Seiten und erscheint 2 mal wöchentlich. Es wird in der Regel von ihm selbst geschrieben, im Wirtshaus gewöhnlich. Er berichtet flott und schon mal mit derben Worten aus deutschen Ländern und von europäischen Ereignissen munter drauf los. Frei Schnauze. Das wird ihm verübelt. Man lockt ihn in eine Falle. Der Herzog Karl Eugen triumphiert.

Im Januar 1777 wird er ohne Begründung auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg eingekerkert. Es gibt keine Anklageschrift und kein Gerichtsurteil. Es gibt auch keine Öffentlichkeit, die sich für Schubart einsetzt und ihn verteidigt. In den ersten vier Haftjahren darf er nicht schreiben. Doch diktiert er einem Mithäftling nebenan durch eine Wandritze zwei bedeutende Texte, einmal seine Autobiographie, die unter dem Titel "Schubarts Leben und Gesinnungen. Von ihm selbst im Kerker aufgesetzt" in seinem Todesjahr 1791 erscheint. Und dann noch seine "Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst".Es Dur, heißt es da, als habe er keine anderen Probleme

"»ist der Ton der Liebe, der Andacht, des traulichen Gesprächs mit Gott, durch seine drei B die heilige Trias ausdrückend.«"

Aber auch so kunstfeindliche Fragen, wie man sich am besten vermarktet, werden hier bereits erörtert. Ein anderes Kapitel ist den Komponisten seiner Zeit gewidmet, die man einfach kennen muss. Solche Führer werden ja immer verlangt, auch wenn sie schnell hinfällig werden. Bach bewundert er, Mozart und Haydn spielen in seinem Kompendium keine Rolle. Interessant auch, welche Kriterien für Schubart maßgeblich sind. Seinem damals beliebten Zeitgenossen Cannabich bescheinigt er viel Talent, aber kein Genie - mit der originellen Begründung.

"»Cannabich ist ein Denker, ein fleißiger geschmackvoller Mann - aber kein Genie. Fleiß kompiliert, und seine Kompilationen zerstäuben. Genie erfindet - und seine Erfindungen wetteifern mit der Ewigkeit. Vielleicht mag das auch das Feuer Cannabichs schwächen, daß er in seinem Leben keinen Wein trank.«"

Nach vier Jahren schlimmster Isolation erlaubt man ihm das Schreiben, Komponieren und Unterrichten. Man wundert sich, und Warneken kann das Rätsel auch nicht erklären, dass Schubart nicht aufschreit und seine Haftstrafe wie eine Naturkatastrophe hinnimmt. Nach zehn Jahren Gefängnisstrafe wird er 1787 entlassen. Herzog Karl Eugen ernennt ihn zum Theaterdirektor in Stuttgart. Auch publizistisch wird er jetzt wieder aktiv. Er lebt noch vier Jahre.

Bernd Jürgen Warneken hat seine Biographie gegen falsche Vereinnahmungen geschrieben. Die 68ziger reklamierten ja den Schwaben für sich als antiautoritären, aufsässigen frechen Rebellen, die DDR-Kulturadministration wiederum als wackeren Volkstribun, Aufklärer und Musikus, als unerbittlichen Gegner und Opfer absolutistischer Fürstenwillkür.

Warneken macht deutlich: das war er auch, allerdings in Ansätzen nur, und bei allem merkwürdig inkonsequent. Vor allem war er ein guter Selbstdarsteller, war eine durchaus moderne mediale Erscheinung. Nur kam er zu früh. Er konnte beeindruckend improvisieren, er besaß ein loses Mundwerk und ein großes Showtalent. Heute hätte er es leichter, wäre er Songwriter, Liedermacher oder Kabarettist geworden, so eine komische Mischung aus Konstantin Wecker und Harald Schmidt. Dieses Phänomen hätte Warneken vielleicht noch etwas markanter in seiner Biographie herausarbeiten können.

Besprochen von Richard Schroetter

Bernd Jürgen Warneken: Schubart. Der unbürgerliche Bürger
Die andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt 2009
419 Seiten, 32 Euro