Die unsichtbaren Frauen des Rock'n'Roll
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Mit Rock'n'Roll verbindet man meist die Namen von Männern wie die von Elvis Presley und Chuck Berry. Aber es gab auch viele Frauen, die zum Aufstieg des neuen Genres beigetragen haben. Leah Branstetter erforscht und erzählt deren meist vergessenen Geschichten.
Dass der Rock’n’Roll nicht nur einen King hat und nicht nur einen weißen, sondern dass Elvis sich bei schwarzen Musikern bedient hat, ist mittlerweile bekannt. Dass es aber auch weibliche Rock’n’Roll-Stars gab und dass diese sogar als weibliche Elvisse vermarktet worden sind, weiß kaum jemand. Auch Leah Branstetter wusste das nicht, hatte Rock’n’Roll-Künstlerinnen noch nicht wahrgenommen.
Als sie ein CD-Set von Janis Martin fand, die noch dazu als weiblicher Elvis angepriesen wurde, dachte sie: Dazu promoviert sie an der Case Western Reserve University. Das war 2010. Auf ihrer Website "Women in Rock-Project" kann man nun die Biografien dutzender Frauen aus den Anfangszeiten des Rock’n’Roll nachvollziehen.
Vivian Perkovic: Welche Rollen haben Frauen bei der Erfindung des frühen Rock’n’Roll gespielt?
Leah Branstetter: Die Rolle der Frauen war weitaus wichtiger als wir gemeinhin annehmen. Manche von ihnen waren im In- und Ausland bekannt, hatten Hits – diese Frauen sind uns auch heute noch bekannt. Ruth Brown wäre da ein gutes Beispiel.
Manche sagen, dass das Label Atlantic Records, mit dem sie einen Plattenvertrag abgeschlossen hatte, nur ihretwegen existieren konnte. Eben weil sie so viele Hits landen konnte. In den 1950er-Jahren hat man oft fünf bis sechs Rock’n’Roll-Musiker gemeinsam auf Tour geschickt. Jeder Performer hat dann am Abend ein paar Songs gespielt. Auf vielen dieser Tourneen gab es auch weibliche Musiker. Sie standen dann da auf der Bühne, wo an anderen Abenden Elvis Presley, Jerry Lee Lewis oder Little Richard ihre Konzerte gaben.
Davon abgesehen gab es aber auch Musikerinnen, die eher lokale Größen waren. Eine dieser Musikerinnen, mit der ich noch sprechen konnte, trat unter dem Pseudonym Laura Lee Perkins auf. Sie hat nur wenige Platten aufgenommen und trat oft in ihrer nächsten Umgebung auf. Aber ich denke, auch Frauen, die auf einem Tanzabend in der lokalen Schule aufgetreten sind, können einflussreich gewesen sein in der Popularisierung des Rock’n’Roll.
Frauen hatten kürzere Karrieren
Perkovic: Wenn man sich diese Frauen ansieht: Hatten die einen eigenen Sound, unterschieden die sich irgendwie, oder waren da Männer und Frauen gleichberechtigt auf diesen Rock’n’Roll-Touren?
Branstetter: Ich glaube, die meisten Rock’n’Roll-Songs können genauso gut von Frauen wie von Männern gesungen werden. Ein paar Songs mögen aber den Frauen vorbehalten gewesen sein. In den 1960ern gab es ja die Motown-Girlgroups. Und tatsächlich hat sich das schon in den 50ern angebahnt. Schon damals hat es Gruppen von jungen Frauen gegeben, die sich mit ihren Songs direkt an weibliche Teenager gewandt haben. Da ging es dann um Probleme mit Jungs, solche Sachen.
Perkovic: Ich habe in der Anmoderation von Janis Martin gesprochen, vom weiblichen Elvis. Gab es diese zentrale Figur?
Branstetter: Da müssen wir vorsichtig sein. Wir versuchen immer, eine Rangliste aufzustellen. Dabei bleiben viele Frauen aber auf der Strecke. Die Art und Weise, wie Frauen zum Rock beigetragen haben, ist weniger offensichtlich, verglichen mit der Art und Weise der Männer. Zum Beispiel hatten Frauen oft wesentlich kürzere Karrieren, weil sie ihre Arbeit für ihre Kinder aufgeben mussten. Hätte Elvis mit 18 Jahren mit dem Musikmachen aufgehört – 18 Jahre war damals das Alter, in dem Frauen in der Regel geheiratet haben in den 50ern – , wenn er also schon so früh aufgehört hätte, hätten wir ihn auch nie richtig kennengelernt.
Janis Martin, die Sie angesprochen, hat sicher nicht alle Vorteile genießen können, die Elvis am Anfang seiner Karriere zuteil wurden. Sie hat erzählt, dass ihr Label sie nicht mehr haben wollte, nachdem herausgekommen war, dass sie noch in Teenager-Jahren geheiratet hatte und schwanger war. So etwas hätte Elvis nie passieren können.
Touren war für schwarze Frauen im Süden gefährlich
Perkovic: Wenn die Mädchen mit 18 geheiratet haben, dann waren das ja Kinder, die da auf der Bühne standen.
Branstetter: Oft, ja. Ich will nicht alle Frauen über einen Kamm scheren. Aber ja, gerade der Rock’n’Roll hat sich an ein junges Publikum gerichtet hat. Dieses Publikum wollte man mit jungen Interpreten ködern.
Perkovic: Wenn die Frauen geheiratet oder Kinder bekommen haben, dann wollten die Labels sie nicht mehr vermarkten. Oder sie dachten: Das passt dann nicht mehr zusammen. Wenn man sich hingegen die Frauengruppen von Motown anguckt, dann liefen deren Karrieren bedeutend länger. Und auch die großen weiblichen Soul-Stars konnten eine wesentlich längere Karriere machen. Was war das Spezielle im Rock’n’Roll, das verhindert hat, dass Frauen wirklich große Stars werden können?
Branstetter: Ich rede ja heute noch mit vielen Frauen, die als Musikerinnen unterwegs sind. Viele von ihnen erzählen, wie anstrengend das Leben auf Tour ist. Besonders, wenn man ein Kind hat. Womöglich gilt das auch für die Väter. Aber früher war der Nachwuchs oft Sache der Frau. Und für schwarze Frauen war es oft gefährlich, unterwegs zu sein. Vor allem, wenn sie im Süden der USA auf Tour waren. Da gibt es also viele Herausforderungen, mit den Musikerinnen zu kämpfen hatten, vor allem, wenn sie Kinder hatten, um die sie sich kümmern mussten.
Noch viele Geschichten zu erzählen
Perkovic: Aber das war ja auch ein Problem, das die Frauen im Soul hatten.
Branstetter: Ja, deshalb müssen wir auch hier vorsichtig sein. Es gab in den 60ern sicher auch Frauen, denen eine große Karriere versagt blieb. Und es gab ja die Frauen der 50er-Jahre, die lange auf Tour waren. Wanda Jackson zum Beispiel. Die hat erst kürzlich damit aufgehört, Konzerte zu geben, mit über 80. Da gab es alles. Auch die Frauen der Sixties, die es nicht geschafft haben.
Perkovic: Wir wissen, das schwarze Musiker lange unterschätzt oder deren Rolle sogar negiert wurde bei der Entwicklung und Erfindung des Rock’n’Roll. Wenn wir auf die Frauen gucken: Was glauben Sie, wie sind die Chancen, dass die Geschichte dieses Genres die weibliche Perspektive – dass die da wirklich eingeschrieben wird?
Branstetter: Ich glaube, das geht gerade los. Und es gibt noch so viele Geschichten, die erzählt werden müssen. Ich habe noch eine lange Liste mit schwarzen Performerinnen, die ich meiner Website hinzufügen möchte. Aber gerade bei diesen Frauen ist die Recherche schwer. Denn manche von ihnen sind vor langer Zeit schon in Vergessenheit geraten. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass zur ersten Generation des Rock’n’Roll auch schwarze Frauen gehörten, etwa Ruth Brown oder Faye Adams oder LaVern Baker.
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