Ein Zimmer für sie allein
Gibt es ein weibliches Schreiben? Das fragen wir Autorinnen, die aus der Werkstatt ihrer Literaturproduktion berichten. Antworten von Lina Muzur, Julia Voss, Katrin Röggla, Judith Kuckart, Katja Oskamp, Isabelle Lehn, Ulrike Draesner und Ulla Lenze.
Lina Muzur: Der Literaturkanon ist männlich dominiert
Weibliches Schreiben, noch vor zwei Jahren hätte ich gesagt: Was soll das eigentlich sein? Literatur von Frauen über Frauen? Literatur mit einer weiblichen Ästhetik? Ich hätte auf jeden Fall gesagt, dass Literatur keine Schubladen braucht, dass sie schon gar nicht nach Geschlechtern einsortiert werden muss, dass es eigentlich nur darum geht, ob ein Roman gut oder schlecht ist, und nicht, von wem und unter welchen Bedingungen er geschrieben wurde.
Ich bin mir jetzt inzwischen überhaupt nicht mehr so sicher, ob das so stimmt. Ich habe nämlich vor Kurzem festgestellt, dass ich als Lektorin eine ganze Zeit lang fast nur Bücher von Frauen verlegt habe, und zuerst dachte ich, dass es Zufall ist, aber ich bin mir auch da nicht mehr so sicher, denn ich habe mich dann erinnert, wie ich als Jugendliche wahnsinnig viele Bücher verschlungen habe, Bücher von Tolstoi, von Steinbeck, Hesse, "Max Frisch", und ich habe festgestellt, dass das alles Bücher von Männern waren. Die haben zwar oft auch aus Frauenperspektiven geschrieben und natürlich immer auch über Frauen geschrieben, aber es waren alles Bücher von Männern.
Und wenn man mich damals nach meinem Lieblingsbuch gefragt hätte, hätte ich die Rabbit-Reihe von John Updike genannt. Und ich finde zwar immer noch, dass John Updike ein großer Schriftsteller ist, aber er ist auch dafür verantwortlich, dass ich mich wahnsinnig alt fühle. Es gibt da nämlich in einem seiner Bücher eine Szene, wo eine Frau beschrieben wird, besser gesagt, ihr Körper wird beschrieben, und da heißt es, sie hätte sich für ihre 35 Jahre wahnsinnig gut gehalten und hätte immer noch so tolle Beine und so. Und komischerweise hat sich diese Stelle bei mir so richtig festgesetzt und ich denke ständig daran. Ich bin nämlich inzwischen Ende 30 und aus Updikes Sicht wäre ich eigentlich als Frau komplett irrelevant inzwischen.
Deswegen kann ich zum Thema weibliches Schreiben vom jetzigen Standpunkt vor allem zwei Dinge sagen: Der Literaturkanon ist auf jeden Fall ein männlich dominierter Kanon. Deswegen war es damals auch so schwer für mich, gute Bücher von Autorinnen zu finden. Es gab natürlich Jane Austen, es gab Virginia Woolf, aber die Marlen Haushofers, die Margaret Edwards, Doris Lessings oder gar Katherine Mansfields, die waren wahnsinnig schwer für mich zu finden.
Ich musste richtig hart suchen, bis ich diese Autorinnen für mich entdeckt habe, weil ich unbedingt meine eigenen Erfahrungen in der Literatur gespiegelt sehen wollte – und nicht die der Männer. Und ich glaube, dass ich als Lektorin später unbewusst daran gearbeitet habe, dass diese Lücke geschlossen wird, die damals für mich so schmerzlich war. Und ich finde es eigentlich schade, dass ich das nur unbewusst gemacht habe, denn diese Lücke ist auf jeden Fall vorhanden und sie muss sehr dringend geschlossen werden.
Zweitens glaube ich: Ich sehe das, dass Frauen gerade wie wild schreiben. Sie schreiben über Mutterschaft, über sexuelle Übergriffe, über häusliche Gewalt, über weibliche Sexualität, weibliche Krankheiten. Ich sehe das, weil ich Manuskripte aus der ganzen Welt angeboten bekomme. Und nicht alle diese Bücher sind gut, aber das ist eigentlich egal, weil es wirklich höchste Zeit ist, dass Frauen sich freischreiben, dass sie all das niederschreiben, was sie Jahrhunderte lang nicht geschrieben haben, weil es entweder als zu weiblich oder als irrelevant abgetan wurde, weil sie gar nicht die Zeit hatten, zu schreiben, weil sie auf Kinder aufpassen mussten und den Haushalt schmeißen mussten.
Und ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass all das passiert, damit die heutigen Leserinnen nicht irgendwann irgendwelche Sätze von irgendwelchen John Updikes lesen und sich selbst und ihren Körper durch seine Augen betrachten.
Julia Voss: Große Schriftstellerinnen können in viele Perspektiven wechseln
Die perfekte Antwort auf diese Frage hat eigentlich schon Virginia Woolf gegeben oder fast gegeben. Die hat vor fast 100 Jahren einen Aufsatz oder eine Rede gehalten, zuerst war es eine Rede, die sie an der Cambridge University gehalten hat oder auf Einladung der Cambridge University.
Und da ging es auch um die Frage, was weibliches Schreiben sein könnte, und Virginia Woolf antwortet darauf im Jahr 1928, sagt sie, dass es sowas wie weibliches Schreiben eigentlich nicht gäbe, und zwar aus dem folgenden Grund: weil große Schriftsteller oder was große Schriftsteller ausmacht, ist, dass sie viele Personen sein können.
Ich glaube, das ist sehr richtig, das gilt für Schriftstellerinnen wie Schriftsteller, dass sie dann gut sind, wenn sie besonders viele Personen sein können, wenn sie Männer sein können, wenn sie Frauen sein können, wenn sie alt sein können, jung, verschiedene Nationalitäten, ein Baby oder vielleicht auch, wie Kafka, ein Käfer. Insofern, alle großen Schriftstellerinnen von George Eliot im 19. Jahrhundert, Isabell Allende im 20. oder Adichie im 21. Jahrhundert zeichnen sich dadurch aus, dass sie in verschiedene, viele Perspektiven wechseln können.
Trotzdem ist es natürlich so, dass es Dinge gibt, die für Frauen anders sind, und auch das hat Virginia Woolf benannt 1928, indem sie ihre Vortragsreihe "Ein Zimmer für sich alleine" nannte, und da behandelt sie die Frage, dass Frauen natürlich die Infrastruktur brauchen, um schreiben zu können. Sie brauchen einen Ort, um sich zurückzuziehen, sie brauchen die Zeit, sie brauchen die Möglichkeit, sich aus dem Alltag herauszuziehen. Das gilt natürlich für alles Weitere auch, sie brauchen einen Verlag, der sie unterstützt, vielleicht eine Agentin, die ihnen zur Seite steht, und auch Kritiker, die Lust haben, einer Frau viel Platz einzuräumen.
Was natürlich jede Schriftstellerin braucht, ist Leser, und da, muss man sagen, sind wir sehr gut aufgestellt, denn tatsächlich den Kulturbetrieb, nicht nur, was Bücher anbetrifft, sondern auch, was Museumsausstellungen anbetrifft und so weiter, halten Frauen zusammen, das heißt, weibliche Leserinnen gibt es sehr viele, die offensichtlich große Lust haben, verschiedene Personen zu sein.
Katrin Röggla: Frauen lesen traditionellerweise mehr Literatur
Weibliches Schreiben, weibliches Lesen, weibliches Geldverdienen, weibliche Kritik oder Kritik am weiblichen Schreiben, das gehört alles zusammen. Ich tue mich ein bisschen schwer mit der Kategorie, weil man natürlich das immer erst mal auf das Geschlecht fixiert denkt.
Gleichwohl gibt es Traditionen, die ich vielleicht ästhetisch mit einem dialogischen Prinzip verbinden würde. Also Schreiben, das weniger die eigene Monomanie im Zentrum hat, als dezentraler funktioniert, aber das ist eine gewisse Vorstellung, die ich habe, die eine sehr ästhetische ist. Wenn man sich ansieht, wie Literatur von Frauen rezipiert wird, wird sie gleich in so eine Ecke gedrängt.
Also das ist sehr beliebt immer noch, Texte von Frauen autobiografisch zu lesen, sie zuständig zu halten für gewisse Themen. Das finde ich alles sehr uninteressant. Wenn ich überhaupt mir Gedanken machen wollte, dann in Richtung der Ästhetik der Fragestellung, wie Schreiben anders verläuft, aufgrund einer gewissen sozialen Zuschreibung, gewissen Lernprozessen, die traditionell Frauen eher durchlaufen als Männer. Das wäre etwas Dialogischeres, etwas, das mehr auf das Gegenüber setzt vielleicht, das mehr in Netzwerkstrukturen denkt, das die Dinge in Ambivalenzen lässt und ästhetisch vielschichtiger eigentlich agieren kann.
Literatur wird traditionellerweise stärker von Frauen gelesen, das ist einfach, Frauen lesen Frauen, aber natürlich auch Männer, und das macht natürlich auch viel mit den Texten. Sie kommen auch anders dann an, als sie vielleicht ausgeschickt wurden.
Es hat sich auch nicht so viel geändert, was die Wertschätzung der Literatur von Frauen angeht. Also schon natürlich gibt es die Big Names, es gibt viele Bestsellerautorinnen, aber wenn ich in die Akademien schaue, sind es immer noch weniger Frauen. Wenn ich auf die Theaterbühnen schaue, weniger Dramatikerinnen, wenige Regisseurinnen, weniger Intendantinnen. Vor allem, je weiter rauf, umso weniger wird es da. Es ist schon interessant. Klassische Frauen sind Leserinnen, Rezipientinnen, aber seltener Autorinnen und Produzentinnen von Kunst und Kultur, wie das doch immer noch da ist und wir dran arbeiten müssen.
Ulla Lenze: Größere Relevanz von weiblichen Erfahrungen
"Mir fällt auf, dass es in der letzten Zeit eine Rehabilitation des Begriffs des weiblichen Schreibens zu geben scheint. Und das ist ja anders als Frauenliteratur. Weibliches Schreiben ist eher positiv besetzt, während Frauenliteratur eigentlich etwas Verpöntes war. Das ist eben etwas, was nur Frauen angeht, so Frauensorgen, Frauenprobleme.
Deshalb hat man – ich rede jetzt von mir selber und von Kolleginnen – versucht, eben nicht in so eine Schublade eingeordnet zu werden, sondern eher die menschliche Erfahrung zu beschreiben. Damit man eben nicht vereinnahmt werden kann: das ist nur für Frauen interessant.
Was ich jetzt feststelle, ist, dass es eben eine Rehabilitation gibt. Ich finde, auch sehr zu Recht. Es geht dabei nicht darum, die Reproduktion traditioneller Rollenbilder und Stereotype zu befestigen, sondern um spezifische Erfahrungen, denen man zu ihrem Recht verhilft. Dass die weiblichen Erfahrungen, die nur Frauen machen können, eben auch wichtig, relevant, normgebend sind. Die körperliche Erfahrung vom Tabuthema Menstruation, Schwangerschaft, Geburt bis hin zu Belästigung, sexuellem Missbrauch bis hin zu Vergewaltigung, das sind spezifisch weibliche Erfahrungen.
Und insofern finde ich es sehr wichtig, dass man über das weibliche Schreiben nachdenkt. Das ist jetzt erst mal inhaltlich bezogen. Dann ist da auch die andere Frage: Gibt es auch eine Schreibweise, die weiblich ist? Da habe ich noch keine richtige Antwort zu gefunden. Das Stereotyp würde ja sagen, männliches Schreiben ist eher weltbezogen, sachbezogen, weibliches Schreiben ist eher intuitiv-emotional. Es gab in den 90er-Jahren beispielswiese einen Artikel im Feuilleton, der das wirklich behauptet hat. Das wäre heute ein Skandal, so etwas zu schreiben, weil es nicht stimmt. Insofern finde ich es sehr schwierig auszumachen, was jetzt an der Schreibweise selber weiblich ist."
Ulrike Draesner: Das Runtermachen von Frauen in der Sprache
"Ich finde weibliches Schreiben ist eine dubiose Kategorie. Ich wüsste nicht genau, was ich dazu sagen sollte. Aber ich kann sehr wohl etwas dazu sagen, was es heißt, Schriftstellerin zu sein und auf Deutsch zu schreiben und diesen Literaturbetrieb seit Mitte der 90er-Jahre zu kennen.
Ich finde das Thema ganz besonders wichtig in diesen Zeiten, weil in den diversen Bekennerschreiben, die wir in letzter Zeit hatten von rechtsextremistischen Anschlägen, auch immer Frauen erwähnt werden. Und ein krasser Frauenhass zutage tritt. Da werden Frauen angesehen als Objekte, die Männern zur Verfügung stehen sollen.
Es gibt einen breiten Boden, auf dem das alles gewachsen ist. Da ist der Literaturbetrieb keine Ausnahme. Ich könnte eine lange Liste machen von Übergriffen auf mich. Das beinhaltet auch das "klassische" Grapschen. Es beinhaltet einen Verlagswechsel aufgrund eines sexuellen Übergriffs. Es beinhaltet diverse Sanktionen, die mich ereilten, weil ich manchen Männern nicht nachgegeben habe und dafür dann bestraft wurde mit Nichtauftritten, nicht aufgenommen zu werden in bestimmte Formate. Es ging bis ins Stalking hinein, Hass-E-Mails, weil man Nein sagte. Und ich sehe das immer noch weiter wirken auch in aktuellen Auseinandersetzungen.
Dieses Runtermachen von Frauen – das steckt überall auch in der Sprache. Ich zucke immer zusammen, wenn jemand zu mir sagt, ich sei ja so 'fleißig'. Wenn ich allein dieses Wort 'fleißig' höre. Untersuchungen zeigen, dass wird im Wesentlichen auf Frauen angewendet, bei Männern steht an dieser Stelle 'originell', 'schöpferisch', 'kreativ' und 'genial'. Diese vier Wörter hätte ich doch gerne auch auf mich angewendet, statt des 'fleißigen Lieschens'. Das ist mir ganz wichtig, dass sich im Zuge des Postfeminismus zum einen der Frauenfokus geweitet hat und dass man wirklich darauf schaut, wie Sprache mit Minderheiten umgeht, wer welche Zusprechrechte und Bezeichnungsrechte hat. Und da muss sich noch einiges bewegen."
Judith Kuckart: Eine Frau kann Männerfantasien in Sprache bringen
"Ich bin eigentlich davon überzeugt, dass es ein weibliches Schreiben gibt. Es ist nur so, dass nicht unbedingt hinter einem weiblichen Schreiben eine Frau stecken muss. Also könnte ich mir ganz gut vorstellen, dass es sogar Männer gibt, die weiblicher schreiben als Frauen. Vielleicht eine steile These, aber ich behaupte das mal.
Und es gibt Frauen, die in der Verkleidung eines Mannes, zum Beispiel eines Prinzen von Theben wie Else Lasker-Schüler, ihr weibliches Schreiben praktizieren und inhaltlich oder thematisch aber recht kriegerisch vorgehen. Aber von der Form her, jetzt mal am Beispiel Else Lasker-Schülers, glaube ich, dass das absolut weiblich ist. Immer wenn ich sie lese, habe ich das Gefühl, ich sehe eine Glaskaraffe, die zerschlagen wird, und für einen ganz kurzen Moment bleibt das Wasser in der Form der Karaffe übrig. Und diese Momente einzufangen, ich glaube, das hat was mit weiblichem Schreiben zu tun.
Ich selber habe das auch mal versucht, ob ich mit einer Art von weiblichem Schreiben gegen eine männliche Perspektive ankomme. Ich habe einen Roman geschrieben, der heißt "Der Bibliothekar", der, glaube ich, voll ist mit Fantasien, von denen die Männer, die sie gelesen haben, absolut überrascht waren, dass eine Frau Männerfantasien in diese Art von Sprache bringen kann. Also hinter einer männlichen Perspektive eine weibliche Autorin und ein überraschtes männliches Publikum."
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Katja Oskamp: Nur die Allerhärtesten schreiben trotzdem
"Weibliches Schreiben – wenn ich das höre, denke ich zuallererst an die Produktionsbedingungen und nicht so sehr an die literarischen Ergebnisse. Und wenn ich an weibliches Schreiben denke, fallen mir meine Schriftstellerkolleginnen und Freundinnen ein, die eigentlich nicht schreiben können, weil sie so viel andere Dinge zu tun haben. Weil die so soziale Wesen sind. Sie müssen die Kinder früh in den Kindergarten bringen oder zur Schule. Sie müssen den Haushalt machen. Sie müssen einkaufen. Sie müssen Einladungen aussprechen und ausführen. Sie müssen Arzttermine wahrnehmen, auch Frisörtermine. Sie müssen zum Sport gehen, sie müssen die Steuererklärung machen. Sie haben so viel zu tun, dass sie eigentlich nicht zum Schreiben kommen. Und nur die Allerhärtesten schreiben trotzdem. Nachts oder ganz früh. Und es gibt eigentlich immer viel mehr Gründe, nicht zu schreiben, als es trotz aller Widerstände zu tun.
Zu diesen Frauen zählte ich auch. Ich habe auch viele Jahre eine Familie gehabt und mich um sie gekümmert. Jetzt ist die Familie ausgeflogen und es gäbe eigentlich keine Widerstände mehr. Man könnte den ganzen Tag und die ganze Nacht schreiben. Seltsamerweise tue ich es trotzdem nicht. Es gibt so etwas, wenn man sich an den Schreibtisch setzt und das Dokument öffnet, einen riesig-starken Fluchtimpuls, dem ich immer noch nachgebe. Und so bin ich eigentlich keinen Schritt weiter mit meinem weiblichen Schreiben."
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Isabelle Lehn: Den Engel im Hause töten
"Was uns als weiblich konnotiertes Schreiben erscheint, ist Schreiben, was sehr emotional ist. Was wir vielleicht als naiv empfinden, impulsiv, sehr nah dran am Leben. Das wird in der Kritik häufiger auch als weniger relevant oder weniger ernsthaft oder weniger kunstvoll oder weniger ernst zunehmend gesehen und deshalb auch schnell in die Frauenbuchecke abgeschoben. Also Bücher von Frauen für Frauen, die für Männer vielleicht nicht so interessant sind.
Der zweite Bereich: Unter welchen Bedingungen schreiben Frauen und veröffentlichen sie? Sie sind weniger sichtbar in den Verlagsprogrammen für ernste Literatur. Sie werden weniger häufig in Feuilletons besprochen. Männer bekommen da doppelt so viel Raum. Das setzt sich fort bis zur Übersetzung der Literatur, der Sichtbarkeit im internationalen Bereich, Literaturpreise und schließlich natürlich auch die Kanonisierung. Was wieder bedeutet, dass wir in der Schule schon lernen, die Welt aus einer männlichen Perspektive zu lesen – auch wenn es um Frauenpersonen geht.
Der dritte Bereich wäre wahrscheinlich dann das, was Frauen dem entgegenzusetzen haben. Und ich glaube, da ist es gerade wirklich so, dass viele Autorinnen daran arbeiten, auch Themen als ernsthafte Literatur zu behaupten und die Relevanz zu beanspruchen von Themen wie zum Beispiel Mutterschaft oder dem weiblichen Körper.
Ich glaube auch, dass ein Satz von Virginia Woolf immer wieder eine Rolle spielt. Die zwei Proben der Schriftstellerin seien es, die Wahrheit über Erfahrung als Körper zu schreiben und den Engel im Hause zu töten. Also einerseits zu sagen, wie ist es, einen weiblichen Körper zu haben in all seinen Funktionen und Missfunktionen? Wie ist es, als dieser Körper in diese Welt hinauszugehen, belangt zu werden, Benachteiligungen ausgesetzt zu sein. Aber welche blinden Flecken gibt es auch im Erzählen über das weibliche Leben, weil Frauen eben sanft und selbstlos, fürsorglich sein sollen. Der Engel im Hause eben, aber nicht die laute, machthungrige, obszöne, vielleicht auch wütende Frau in der öffentlichen Welt."