Weidmann kritisiert "laxe Haushaltspolitik" in Europa

Jens Weidmann im Gespräch mit Burkhard Birke |
Ausgaben- und Entlastungsprogramme seien der falsche Weg, sagt Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Neues Vertrauen in die staatliche Finanzpolitik müsse durch eine Konsolidierung der Haushalte entstehen.
Deutschlandradio Kultur: Seit Ende April, Herr Weidmann, stehen Sie an der Spitze der Bundesbank. Auch damals stand ja die Griechenlandkrise ganz hoch auf der Agenda. Aber hätten Sie, etwas salopp ausgedrückt, gedacht, dass es so dick kommt?

Jens Weidmann: Ich glaub, Prognosen in den derzeitig unsicheren Zeiten zu machen, ist ein sehr schwieriges Geschäft. Und insofern würde ich nicht sagen, dass ich alles vorausgesehen habe, so wie es dann auch gekommen ist.

Deutschlandradio Kultur: Was war die größte Überraschung in Ihrer bisherigen Amtszeit?

Jens Weidmann: Überraschungen gab es zunächst einmal insofern nicht allzu viele, als ich an eine Institution zurückgekommen bin, in der ich auch vor meiner Zeit im Kanzleramt schon Jahre gearbeitet habe. Ich bin also in ein bekanntes Umfeld zurückgekommen. Und die Aufgabe, die ich hier habe, war mir auch von der Zuarbeit damals gut bekannt.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind Sie derjenige, der die Zuarbeiter anweist und Sie müssen reagieren. Sie müssen reagieren auf eine Krise, die Sie wie einstufen würden? Ist das wirklich eine Krise, wie sie der Euro bis jetzt noch nicht erlebt hat? Und ist es wirklich im Moment ganz kritisch?

Jens Weidmann: Es ist sicherlich die schwerste Bewährungsprobe, der der Euro ausgesetzt ist, die sich aber nicht als Krise der Währung darstellt, sondern das ist eine Krise, die sich aus einer Staatsschuldenkrise in einzelnen Ländern entwickelt hat und jetzt droht, andere Länder anzustecken.

Deutschlandradio Kultur: Herr Weidmann, weshalb entlädt sich dann das aber alles am Euro?

Jens Weidmann: Der Euro ist die gemeinsame Währung des Raumes, in dem diese Krise stattfindet. Und es kommt natürlich durch die gemeinsame Geldpolitik auch dadurch zu Spannungen, dass diese gemeinsame Geldpolitik 17 nationalen eigenständigen Finanzpolitiken gegenübersteht. Das ist ja auch eines der Themen, die mich umtreiben, nämlich die Frage: Wie sieht ein konsistenter, langfristig stabiler Rahmen für diese Währungsunion aus? Das ist ein Thema, das ich in vielen Vorträgen zurzeit anschneide.

Deutschlandradio Kultur: Über diesen langfristigen Rahmen wollen wir gleich noch ein bisschen vertieft sprechen. Zunächst würde mich aber interessieren: Wir hatten jetzt eine aufregende Woche, aufregende 10 Tage hinter uns. Wir haben in Griechenland eine neue Regierung. Habemus Papademos, der neue griechische Ministerpräsident, kündigt an: 5,4 % Neuverschuldung nur im nächsten Jahr. – Halten Sie das für realistisch? Kann diese Technokratenregierung die Dinge richten?

Jens Weidmann: Wichtig ist jetzt, um wieder Vertrauen herzustellen, und im Grundsatz handelt es sich ja bei der Krise, mit der wir hier zu tun haben, um eine Vertrauenskrise. Dafür ist es wichtig, dass den Ankündigungen auch Taten folgen, dass die angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden.

Deutschlandradio Kultur: Und sich so ein Ziel zu setzen, die Neuverschuldung zu senken und Sparmaßnahmen zu verhängen, die das Volk wieder auf die Straße treiben, ist dann durchaus richtig?

Jens Weidmann: Na ja, die Probleme müssen an der Wurzel angegangen werden. Und die Wurzel dieser Staatsschuldenkrise ist eine zu laxe Haushaltspolitik und das sind Probleme in der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder. Insofern ist es richtig, auch dort viel mehr anzusetzen.

Deutschlandradio Kultur: Hinterher ist man immer klüger. Sie waren ja auch lange beim Internationalen Währungsfond und beim Sachverständigenrat. Hat man da einfach lange Zeit alle Augen zugemacht, was die griechischen Statistiken und Zahlen angeht? Oder hatten Sie immer schon einen Verdacht, dass da was nicht stimmt?

Jens Weidmann: Zunächst einmal sprechen Sie ja zwei Institutionen an, die dafür stehen, dass sie strukturelle Reformen einfordern. Insofern rennen Sie dort bei diesen Institutionen und bei mir persönlich auch offene Türen ein. Zum anderen ist eine der Ursachen auch gewesen, dass Statistiken nicht richtig waren und insofern auch der Eindruck von der Wirtschaftskraft und von der Staatsverschuldung in Griechenland nicht richtig gewonnen werden konnte.

Deutschlandradio Kultur: Nicht richtig gewonnen werden konnte, aber der Weg, der jetzt aufgezeigt wird, ist der gangbar? Oder würgt man nicht doch die Konjunktur ab in dem Land? Denn dieses Jahr wird die griechische Wirtschaft um 5,5 % schrumpfen nach den letzten Prognosen.

Jens Weidmann: Der Weg ist insofern gangbar, als er an den Ursachen der Krise ansetzt. Es ist eine Vertrauenskrise. Und der kann nur dadurch begegnet werden, indem wieder Vertrauen entsteht. Vertrauen entsteht dadurch, dass die griechische Regierung zeigt, dass sie ihren Haushalt in Ordnung bringt und auch die Wirtschaft strukturell reformiert, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig ist und ihre Waren im Ausland absetzen kann.

Deutschlandradio Kultur: Hat man bei Griechenland eigentlich viel zu spät reagiert, Herr Weidmann? Das heißt: Hätte man nicht gleich drei, vier Monate Zeit geben sollen, als bekannt wurde, wie das Ausmaß der Schulden ist, und hätte man dann gleich sagen sollen, Schuldenschnitt, die können ihre über 300 Milliarden, momentan sind es, glaub ich, sogar 360 Milliarden, ohnehin nie zahlen?

Jens Weidmann: Wichtig war vor allem das Anpassungsprogramm, nämlich eine klare Sichtweise darauf, wie die Probleme in Griechenland angegangen werden können. Und deswegen war es auch richtig, dass der Währungsfonds, die Kommission und die Europäische Zentralbank sich die Zeit genommen haben, die Lage zu analysieren und am Ende mit einem umfassenden Anpassungsprogramm reagiert haben.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben das Vertrauen, dass das Anpassungsprogramm jetzt so umgesetzt wird, dass wieder an den Märkten Vertrauen zurückkehrt?

Jens Weidmann: Die Frage ist doch, ob die Finanzmärkte das Vertrauen haben, dass dieses Programm umgesetzt wird, und am Ende wieder bereit sind, auch in Griechenland zu investieren, auch griechische Staatsanleihen wieder zu kaufen.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind ja nicht nur die griechischen Staatsanleihen in der Schusslinie der Spekulanten, sondern es sind ja auch die italienischen. Jetzt haben wir, ich sag's auch mal wieder etwas locker, Super Mario, mit Mario Monti, dem ehemaligen EU-Kommissar, in Italien eine Regierung nur mit Technokraten. Können die Technokraten das richten, was die Politik da vermasselt hat?

Jens Weidmann: Ich glaub, der Vergleich von Italien mit Griechenland führt zunächst einmal in die Irre. Italien ist vollkommen anders gelagert als Griechenland. Und kein Pflegefall kann seine Probleme selbst in den Griff bekommen. Ich glaub, was gemacht werden muss, ist jetzt bekannt und auch allgemein anerkannt. Die Frage ist auch in Italien, ob diese Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, umgesetzt werden. Und das wird sich jetzt in den nächsten Wochen zeigen. Und dann wird auch wieder Vertrauen entstehen.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie sind der Meinung, Italien kann es durchaus aus eigener Kraft schaffen. Bei Griechenland brauchen wir aber in jedem Fall den Schuldenschnitt, so wie er hier ausgehandelt und anvisiert ist.

Jens Weidmann: Italien hat eine ganz andere industrielle Struktur als Griechenland, hat eine Industrie, die auch in den Weltmärkten gut verankert ist, hat eine geringe private Verschuldung. Und insofern ist die Lage ganz anders als in Griechenland. In Griechenland ist jetzt vereinbart worden auf dem letzten Gipfel der Staats- und Regierungschefs ein Schuldenschnitt, kombiniert mit einem zweiten Anpassungsprogramm. Und in dieser Kombination gibt das auch Griechenland die Chance, wieder Zugang zu bekommen zu den Kapitalmärkten, um für sich selbst verantwortlich zu sein.

Deutschlandradio Kultur: Reicht dieser Schuldenschnitt von nominal 50 %, der ja, wenn man es mal real runterrechnet, eigentlich nur 30 % sind der Gesamtschuld?

Jens Weidmann: Das Programm ist so aufgebaut, dass er reicht. Ich glaub, der entscheidende Punkt ist, dass sichergestellt wird, dass ein Schuldenschnitt nicht als einfacher Ausweg aus selbst verursachten Problemen erscheint, auch um die Ansteckungseffekte auf andere Länder möglichst gering zu halten. Also, Griechenland darf kein Beispiel für andere Länder werden, was den Schuldenschnitt angeht, und wird es auch nicht werden, weil der Fall, den ich gerade dargelegt habe, ein ganz anderer ist.

Deutschlandradio Kultur: Herr Weidmann, wo sehen Sie denn die Ansteckungsgefahr am akutesten, im Falle Spaniens, wo jetzt wieder die Staatsanleihen mit bis zu fast 7 % verzinst werden müssen?

Jens Weidmann: Ich möchte nicht über einzelne Länder spekulieren. Wichtig ist, glaube ich, dass alle Länder in Europa zeigen, dass sie verstanden haben, dass solide Staatsfinanzen eine Grundlage sind für Vertrauen an den Märkten, und entsprechend beherzt dann auch an diese Aufgabe gehen.

Deutschlandradio Kultur: Ich will Sie jetzt mit einer kleinen Frage übertölpeln. Wie definieren Sie Bazooka?

Jens Weidmann: Bazooka ist für mich eine Bezeichnung aus dem Zweiten Weltkrieg, die meines Erachtens in der ökonomischen Debatte nicht viel verloren hat. Es wird ja auch inzwischen nicht mehr von Bazooka gesprochen, sondern schon von Nuklear-Optionen. Und das zeigt ja, dass alles in dieser Diskussion steigerungsfähig ist.

Meines Erachtens führen Bazookas, Nuklear-Optionen oder andere Antworten auf die Krise, die letztlich darauf beruhen, dass man ständig mit mehr finanziellen Mitteln auf die Probleme antwortet, nur dazu, dass man die Grenzen des Systems viel früher erfährt, die Grenzen in Bezug auf die politische Akzeptanz, aber auch finanzielle Grenzen. Und insofern finde ich die Analogie nicht sehr passend.

Deutschlandradio Kultur: Aber genau die wird ja immer wieder gemacht, Herr Weidmann. Bazooka, der französische Finanzminister Francois Baroin hat ja gerade eingefordert, Sie als Bundesbanker und Repräsentant der Bundesrepublik im EZB-Rat, Sie sollten die Bazooka auspacken, also, eine raketengesteuerte Abwehrwaffe, gegen die Spekulation gegen den Euro. Sprich, die EZB, die Europäische Zentralbank, soll ja praktisch jetzt unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen können oder einen Blankoscheck abgeben.

Jens Weidmann: Das Eurosystem wird seiner Verantwortung in der Krise gerecht, indem es seine Aufgabe erfüllt. Und die Aufgabe des Eurosystems heißt, Geldwertstabilität zu sichern. Und solange diese Aufgabe gewahrt bleibt, können wir die Verantwortlichen bei der Sicherung von Finanzstabilität unterstützen. Und das tun wir auch. Und auch das Eurosystem hat ja in der Krise umfassende Maßnahmen ergriffen, die weit über das Standardrepertoire des geldpolitischen Instrumentariums hinausgehen – Vollzuteilungsgeschäfte, sehr langfristige Refinanzierungsgeschäfte.

Was jetzt von uns gefordert wird, ist, dass wir unser Mandat über das hinausdehnen, was in den EU-Verträgen fixiert ist. Und ich glaube nicht, dass im Euroraum Vertrauen dadurch geschaffen werden kann, dass die Notenbank ihr Mandat überdehnt oder gar gegen die EU-Verträge verstößt. Letztlich geht es ja darum, dass die Notenbank aufgefordert wird, Staaten monetär zu finanzieren. Das klingt jetzt nach einem sehr technischen, vielleicht auch etwas harmlosen Terminus. Aber es geht darum, dass man die Geldpolitik vor den Karren der Fiskalpolitik spannt und ihr damit nicht mehr möglich macht, langfristig ihr eigentliches Mandat zu erfüllen, nämlich Geldwertstabilität herzustellen.

Insofern bin fest davon überzeugt, dass man mit einem solchen Ansatz in Europa kein Vertrauen schafft, sondern Vertrauen zerstört, dass man höchstens kurzfristige Beruhigung schafft, aber langfristig diese Vorschläge dazu führen, dass der Euro als stabile Währung in Gefahr gerät.

Deutschlandradio Kultur: Sie würden also die Bazooka rausnehmen, um die Rolle der EZB als Garant der Preisstabilität zu verteidigen?

Jens Weidmann: Ich bin kein militanter Mensch. Ich argumentiere für eine klare Rolle der Notenbank und für Geldwertstabilität im Euroraum. Letztlich geht es mir in dem, was ich im Moment auch öffentlich sage, wofür ich werbe, um eine ganz einfache Sache. Ich möchte den Euro als stabile Währung in Europa erhalten und ihn nicht gefährden durch Maßnahmen, die meines Erachtens am Ende keine Lösung darstellen, sondern eine Scheinlösung, zumal die große Nebenwirkung einer solchen monetären Staatsfinanzierung ja darin besteht, dass man einen so einfachen Weg den Staaten anbietet aus fiskalischen Problemen, aus Haushaltsproblemen, dass die Anreize, die Probleme an der Wurzel anzugehen, deutlich reduziert werden. Und genau aus diesem Grund hat man ja die monetäre Staatsfinanzierung in den EU-Verträgen verboten.

Jetzt kommt in Europa noch folgender Aspekt dazu, nämlich dass wir ja ein Währungsraum sind mit einer einheitlichen Geldpolitik und 17 nationalen eigenständigen Haushaltspolitiken. Das heißt, wenn die Notenbank agiert in dem Sinne, der dort gefordert wird, dann verteilen wir Risiken zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Länder um. Und für diese Umverteilung von Risiken hat die Notenbank kein Mandat.

Deutschlandradio Kultur: Tun wir das nicht schon längst, indem wir, die Notenbank, wenn ich mich nicht täusche, die EZB bislang schon 190 Milliarden Staatsanleihen aufgekauft hat – aus Griechenland, aus Italien, aus Portugal, aus Irland?

Jens Weidmann: Die Notenbank erfüllt ihre Aufgabe. Und im Rahmen dieser Aufgabe entstehen natürlich auch Risiken in der Bilanz. Das Prinzip ist allerdings, dass wir risikofreie Geschäfte, möglichst risikofreie Geschäfts durchführen mit solventen Geschäftspartnern, Geschäftsbanken – gegen ausreichende Sicherheiten. Das ist das Prinzip. Und von diesem Prinzip sollten wir nicht zu stark abweichen auf der einen Seite. Und wir sollten auch daran festhalten, dass unsere Aufgabe in der Liquiditätsversorgung der Wirtschaft besteht durch eine Refinanzierung der Banken, aber nicht darin, Staaten zu finanzieren.

Deutschlandradio Kultur: Die EZB tut das ja nicht unbegrenzt. Es gibt auch Limits für diese Aufkäufe von Staatsanleihen.

Jens Weidmann: Wir kaufen im Moment Staatsanleihen auf, um den geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu sichern. Das ist die Erklärung, die der EZB-Rat für dieses Handeln gegeben hat.

Deutschlandradio Kultur: Wenn man sagt, Staatsanleihen, aber nicht unbegrenzt, denn das wäre ja genau Ihre Bazooka, wenn Sie sagen würden, wir kaufen Staatsanleihen in unbegrenzter Menge auf, welche anderen Möglichkeiten bleiben zur Liquiditätsversorgung?

Jens Weidmann: Na, indem wir unsere ganz normalen Refinanzierungsgeschäfte durchführen. Wenn wir unbegrenzte Staatsanleihenkäufe tätigen würden, wäre das natürlich etwas ganz anderes. Damit würden wir einen Zinssatz für Staatsanleihen festlegen und auch den Marktmechanismus ausschalten, der durchaus disziplinierende Wirkung hat, wie wir ja in Italien gesehen haben. Als die Zinsen angestiegen sind, hat die italienische Regierung gleich ein Reformprogramm vorgelegt. Als die Zinsen dann gedämpft worden sind durch Intervention am Markt, hat sie's teilweise wieder zurückgenommen.

Und insofern darf man diesen disziplinierenden Mechanismus auch nicht vollkommen ausschalten, zumal dann ein Tor geöffnet werden würde für Staatsfinanzierung, das ökonomische Nachteile hat, die die Stabilität der Währungsunion langfristig gefährden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Weidmann, wir haben jetzt lange darüber sinniert, wie die EZB, die Europäische Zentralbank, in der Krise helfen kann. Sie haben gestern auf dem europäischen Bankenkongress Erich Kästner, den deutschen Schriftsteller zitiert: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Was Gutes könnte denn die EZB tun, um die Krise zu entschärfen im Moment – außer dem, was wir schon diskutiert haben?

Jens Weidmann: Ihre Aufgabe erfüllen und durch die Gewährung von Geldwertstabilität Finanzstabilität sicherstellen. Ich glaube, Ihre Frage legt Verantwortlichkeiten nahe, die es so gar nicht gibt. Die Verantwortlichkeit für die Staatsschuldenkrise und letztlich das Heft des Handelns muss bei den Regierungen der einzelnen Länder liegen, die alleine an den Ursachen der Probleme ansetzen können und auch alleine die demokratische Legitimation haben darüber zu entscheiden, inwieweit sie Haftung, Risiken im Euroraum für Gemeinschaften wollen als Antwort auf die Krise. Dieses Mandat hat die Notenbank nicht.

Deutschlandradio Kultur: Höre ich da Kritik auch dran? Wir haben ja momentan die Situation, dass wir mitten in der Krise stecken, die Finanzmärkte verrückt spielen, aber die Politik nicht schnell genug reagiert. Hab ich bei Ihnen auch in der Rede vor den europäischen Bankern da eine Kritik auch an der Geschwindigkeit der Reaktion der Politik gehört?

Jens Weidmann: Ich glaub, man muss sehen, dass natürlich demokratische Prozesse auch Zeit brauchen und nicht in der Geschwindigkeit des Marktes ablaufen.

Deutschlandradio Kultur: Aber manchmal geht das ganz schnell. Dann gibt’s ein Referendum in Griechenland und drei Tage später auf Druck von Herrn Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel dann wieder nicht.

Jens Weidmann: Aber wichtig ist doch, dass das, was hier entschieden wird, und das sind ja sehr grundlegende Entscheidungen, auch breit mitgetragen wird und auf Basis einer demokratischen Legitimation erfolgt. Und insofern darf man sich, glaub ich, nicht nach der Geschwindigkeit der Märkte richten. Das heißt aber nicht, dass letztlich das Notwendige zu tun verschleppt werden sollte, sondern es ist natürlich erforderlich Entscheidungen zu treffen und die dann am Ende auch demokratisch legitimieren zu lassen.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über die Geschwindigkeit der Märkte auch viel gesprochen. Kann man mit einer Finanztransaktionssteuer, wie sie ja Finanzminister Schäuble und auch den Franzosen vorschwebt, die Märkte entschleunigen? Ist das ein geeigneter Weg?

Jens Weidmann: Die Finanztransaktionssteuer hat ja ganz viele Ziele. Und diese Ziele erreicht sie mehr oder weniger gut. Die Frage, ob sich mit der Finanztransaktionssteuer die Finanzmärkte entschleunigen lassen, wird ja in der Wissenschaft sehr kontrovers diskutiert.

Deutschlandradio Kultur: Wie sehen denn Sie's?

Jens Weidmann: Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Ziel mit der Finanztransaktionssteuer erreicht werden kann. Was sicherlich erreicht werden kann, ist bei einer entsprechenden Ausgestaltung, das heißt, einer breiten Einführung, das haushaltspolitische Ziel, das manche mit dieser Steuer verbinden. Man muss sich allerdings dabei im Klaren sein, dass das, was wir Ökonomen als Traglast bezeichnen, letztlich beim Endverbraucher, beim Kunden liegt. Also, diejenigen, die für die Finanztransaktionssteuer am Ende aufkommen, sind nicht, wie sich das manche vorstellen, die Finanzinstitutionen, sondern am Ende diejenigen, die am Ende der Kette dieser Transaktionen stehen. Und das muss man sich eben auch bewusst machen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wir alle, der Steuerzahler, der ja ohnehin massiv jetzt auch für diese ganzen Risiken in der Finanzkrise bürgt. Und dieser Steuerzahler soll ja nach den Plänen der Regierungskoalition demnächst um tolle 6 Mrd. Euro entlastet werden. Ist das der richtige Schritt?

Jens Weidmann: Ich hatte ja in der Vergangenheit mehrfach betont, wie wichtig es ist, dass Deutschland seine Rolle als Stabilitätsanker in der Währungsunion erhält. Und angesichts der derzeitigen Ereignisse fühle ich mich in dieser Meinung mehr als bestätigt. Und insofern hab ich auch darauf hingewiesen, dass es jetzt darauf ankommt, dass die Bundesregierung ihre strukturellen Konsolidierungsziele auch einhält. Und das heißt, dass Steuerentlastungen auch gegenfinanziert werden und dass man am Ende die Konsolidierung der Haushalte nicht nur als Zukunftsaufgabe sieht, sondern effektiv implementiert.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die Kritik der SPD-Opposition an den Maßnahmen, den geplanten der Regierungskoalition, ist berechtigt Ihrer Meinung nach?

Jens Weidmann: Ich würde mir jetzt nicht die Kritik einer bestimmten parteipolitischen Formierung zu Eigen machen, sondern wir haben hier als Institution eine klare Position, die sich nicht nach den Farben im Parlament richtet.

Deutschlandradio Kultur: Nun können wir ja auch argumentieren, diese sechs Milliarden könnten ja auch helfen, den Konsum anzukurbeln. Im nächsten Jahr sind nur noch 0,8 % Wachstum prognostiziert. Was könnte man noch tun? Ist der Zinssatz noch angemessen? Müssten wir nicht auch bei den Zinsen noch mal nach unten gehen, um ein bisschen zu beleben?

Jens Weidmann: Aber Ihre Frage zeigt doch schon, dass wir noch wichtige Lehren aus der Krise zu ziehen haben. Wir sind in einer Krise, die verursacht worden ist durch eine zu laxe Fiskalpolitik in einigen Ländern und eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Und wenn die Antwort auf eine vorübergehende Abschwächung der Wirtschaft gleich wieder ist der Ruf nach Zinssenkungen oder der Ruf nach fiskalischen Stimulus, also, nach Ausgabenprogrammen, nach Entlastungen, um die Wirtschaft kurzfristig anzuregen, dann, glaube ich, ist das die falsche Antwort.

Wir brauchen Vertrauen in die staatlichen Finanzen. Und das schaffe ich dadurch, dass ich die Tragfähigkeit der Finanzen in den Vordergrund stelle.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Weidmann, wollen Sie vor allen Dingen jetzt diese Krise dadurch in den Griff bekommen, dass alle ihre Hausaufgaben machen, die Schulden in den Griff bekommen, Strukturreformen und Konsolidierung.

Jetzt reden wir mal über die Struktur der EZB, weil, es gibt ja auch Vorschläge aus der Regierungspartei CDU, die auch die EU-Verträge ändern wollen in Richtung auf eine Wirtschaftsregierung und womöglich auch eine neue Rolle der Europäischen Zentralbank. Wie realistisch sind solche Pläne?

Jens Weidmann: Letztlich tangiert das ein Thema, was mich auch umtreibt, nämlich die Frage: Wie kann ein konsistenter Rahmen für die Währungsunion aussehen? Den Weg, den wir im Moment gehen, dieser Weg ist sicherlich kein konsistenter Rahmen, weil er letztlich darin besteht, dass wir zunehmend Risiken vergemeinschaften, Haftung vergemeinschaften. Diese Risiken entstehen aber durch nationale Entscheidungen in den einzelnen Ländern.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie wären für eine europäische Fiskalregierung?

Jens Weidmann: Das hab ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass wir einen konsistenten Rahmen brauchen. Und wenn Sie mir ein bisschen Zeit geben, kann ich das auch ausführen.

Deutschlandradio Kultur: Gerne.

Jens Weidmann: Meines Erachtens gibt es letztlich zwei Wege hin zu einem konsistenten Rahmen, nämlich zum einen den Weg zurück zu den Fundamenten der Währungsunion, also einem gestärkten Stabilitäts- und Wachstumspakt, Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Staaten, aber auch Haftungsausschluss, oder auf der anderen Seite der Sprung in eine politische Integration, die Herr Schäuble ja in der Rede auf dem Kongress, den Sie gerade angesprochen haben mit der Fiskalunion bezeichnet hat, die aber nicht notwendigerweise die Zentralisierung aller fiskalpolitischen Entscheidungen bedeuten muss.

Letztlich geht es darum, dass man bei Regelverstößen gegen Regeln, die die Solidität der Haushalte und der Finanzpolitik sicherstellen sollen, Durchgriffsrechte auf europäischer Ebene hat, um die Regelbefolgung sicherzustellen.

Deutschlandradio Kultur: Also automatische Sanktionen?

Jens Weidmann: Etwas mehr als das, nämlich Durchgriffsrechte, keine Sanktionen im Sinne einer finanziellen Zahlung, sondern die Möglichkeit, direkt in die Haushalte der einzelnen Länder, in die Fiskalpolitik der einzelnen Lände einzugreifen, wenn gegen Regeln verstoßen wird. Das ist aber was ganz anderes als eine zentralisierte Fiskalpolitik, wo dann auf einer europäischen Ebene über alle Einzelheiten entschieden wird. Hier geht es nur darum, Durchgriffsrechte zu haben bei einem Regelverstoß.

Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir dazu eine EU-Vertragsänderung? Und sollte man nicht auch das Gewicht der Stimmen im Europäischen Zentralbankrat ändern? Denn Sie haben die gleiche Stimme wie Malta.

Jens Weidmann: Also, für diesen Weg, den wir hier diskutieren, braucht man sicherlich Vertragsänderungen auf europäischer Ebene und vielleicht sogar Verfassungsänderungen auf nationaler Ebene, weil die nationale Souveränität eingeschränkt wird in bestimmten Fällen, weil sie auf die supranationale Ebene, auf die europäische Ebene delegiert wird. Insofern ist das ein langer Prozess, dessen politische Akzeptanz in den einzelnen Ländern auch noch nicht sichergestellt ist. Aber ich freue mich, dass die Bundesregierung sich jetzt dieser Frage stellt und ja ganz aktiv auch auf europäischer Ebene für einen solchen konsistenten Weg wirbt.
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