Weihnachtslied in der Kritik
Ja, auch in Afrika weiß man, dass es Weihnachtszeit ist. Äthiopien hat eine der ältesten christlichen Traditionen weltweit. Weihnachten ist dort seit Jahrhunderten fest in der Kultur verankert. © picture alliance / AA / Minasse Wondimu Hailu
Warum der Band-Aid-Song problematisch ist
Vor 40 Jahren wurde der Band-Aid-Song „Do They Know It’s Christmas?“ zum Symbol globaler Hilfe für Äthiopien – jetzt gibt es eine Neuauflage. Vor allem afrikanische Künstler kritisieren das verzerrte Afrikabild des Songs. Was steckt dahinter?
"Do They Know It’s Christmas?" ist fester Bestandteil der Weihnachtsplaylists. Vor 40 Jahren von Bob Geldof und Midge Ure geschrieben, sollte der Song ursprünglich Geld für die Hungersnotopfer in Äthiopien sammeln. Mit Millionen verkauften Platten und dem legendären Live-Aid-Konzert, unterstützt von Stars wie Paul McCartney, Phil Collins und David Bowie, erreichte die Initiative weltweit über 1,5 Milliarden Menschen. Zum 40. Jahrestag erscheint nun ein neuer Mix, der die bisherigen Versionen vereint. Doch wie schon in den Vorjahren stößt auch dieses Projekt auf Kritik – unter anderem von Ed Sheeran. Besonders afrikanische Künstler zeigen sich verärgert.
Warum wird der Charity-Song kritisiert?
Ed Sheeran, der 2014 an einer Neuauflage von „Do They Know It’s Christmas?“ mitwirkte, kritisierte nun auf Instagram die unabgesprochene Nutzung seiner Stimme in der neuesten Version des Songs. Sheeran verwies dabei auf ein Instagram-Video von Fuse ODG. In diesem Video kritisiert der britisch-ghanaische Rapper, dass Bob Geldof mit dem Song den Stolz Afrikas verletze und schädliche Stereotype verstärken würde. Der Song zeige Afrika ausschließlich als hilfsbedürftigen, von Katastrophen gezeichneten Kontinent. Die vielfältige Realität Afrikas und die Fortschritte würden im Song ignoriert.
Fuse ODG wurde selbst 2014 von Bob Geldof gefragt, ob er bei seinem Projekt mitmachen wolle. Fuse ODG lehnte damals ab. Seine Begründung: Die Kampagne erzeuge zwar Mitgefühl und Spenden. Doch die durch den Song verfestigten Stereotype würden das Wirtschaftswachstum, den Tourismus und Investitionen in Afrika hemmen. „Am Ende kostet das den Kontinent Billionen und zerstört seine Würde, seinen Stolz und seine Identität“, sagt Fuse ODG.
Weißer Retter-Komplex
Der Rapper kritisiert auch den „Weißen Retter-Komplex“: Menschen und Initiativen aus dem Westen inszenieren sich immer wieder als Retter für den vermeintlich hilflosen Kontinent Afrika. Für Fuse ODG verkörpert Bob Geldof eben diesen Typus – ein selbst ernannter Helfer ohne echte Kenntnis der Lage und des Landes.
Eben diese Inszenierung kritisiert auch die nigerianische Autorin Moky Makura in der britischen Zeitung "The Guardian". „Die Art, wie Afrika auf dem Live-Aid-Event dargestellt wurde, brachte eine herablassende Industrie hervor, deren selbsternanntes Ziel es ist, ‚Afrika zu retten‘“, schreibt Makura. Heute blüht dieses Geschäft. Das Problem der „Rettet-Afrika“-Industrie liegt in ihrer oft überheblichen Haltung, erklärt die Autorin. Diese Industrie lebt von einem veralteten Afrikabild, das das Live-Aid-Phänomen verbreitete und festigte.
Westliche Perspektive auf Afrika
Die westliche Überheblichkeit zeigt sich in dem bekannten Weihnachtssong deutlich in Zeilen wie „Do they know it’s Christmas time at all? “ – übersetzt: „Wissen sie überhaupt, dass es Weihnachtszeit ist?“ Diese Frage ignoriert, dass das Christentum in Teilen Afrikas seit Jahrhunderten tief verwurzelt ist und Äthiopien eine der ältesten christlichen Traditionen weltweit hat. Weihnachten gehört dort seit Langem zur Kultur.
Der Song beklagt auch den fehlenden Schnee zur Weihnachtszeit: „And there won’t be snow in Africa this Christmas time.“ Damit erscheinen Afrikas Klimaverhältnisse als Mangel. „Wir wissen, dass es Weihnachten ist – auch wenn es nicht schneit“, sagt der äthiopische Musikproduzent Isaac Abadir. Auch er kritisiert den Song und die damit verbundenen Stereotype scharf.
Afrikanische Vielfalt ignoriert
Generell malt der Song das Bild eines trockenen, heißen Afrikas. Paul Young singt zum Beispiel: „Here′s to you, raise a glass for everyone, here's to them underneath that burning sun”, übersetzt: „Auf euch, erhebt euer Glas für alle, für diejenigen unter der brennenden Sonne”. Oder auch: „Where nothing ever grows, no rain or rivers flow”, übersetzt: „Wo nichts jemals wächst, wo kein Regen oder Fluss fließt.“ Dabei ignoriert der Text die Vielfalt des Kontinents: Es gibt Flüsse, Seen, Berge und auch Gletscher und Schnee – etwa auf dem Mount Kenya. In Äthiopien gibt es mehrere hundert Flüsse, darunter der Blaue Nil und der Awash. Es gibt Regenzeiten und Regenwälder.
Fehlender Austausch mit lokalen Künstlern
Viele afrikanische Künstler kritisieren, dass sie von Anfang an nicht in das Projekt einbezogen wurden. Dadurch wurde der Gedanke zementiert, Afrika könne ohne externe Hilfe nicht vorankommen.
Dabei gab es auch in Äthiopien um 1984 Hilfsaktionen. Einer der bekanntesten Musiker des Landes, Dawit Yifru, initiierte mit seiner Roha Band ein ähnliches Projekt. Sie produzierten ein Album, sammelten Geld und gaben Konzerte, um die vielen äthiopischen Helfer im Hungergebiet zu unterstützen. Yifru hätte sich eine Zusammenarbeit mit Bob Geldof gewünscht.
"Ich hörte erst von ihm, nachdem er das Lied gemacht hatte. Er hat uns nie kontaktiert", sagte Dawit Yifru. "Es wäre gut gewesen, wenn er uns angesprochen und wir vielleicht zusammengearbeitet hätten."
Was wurde mit den Einnahmen gemacht?
Live Aid wurde auf zwei Bühnen – eine in London und eine in Philadelphia – von mehr als 170.000 Menschen live verfolgt und weltweit von rund 1,5 Milliarden Zuschauerinnen und Zuschauern in 150 Ländern im Fernsehen gesehen. Die Einnahmen flossen in zahlreiche Hilfsprojekte.
In Äthiopien stellten sie Lkw und Nahrungsmittel für die Hungerregionen bereit. Der größte Teil des Geldes, das nach Afrika fließt, stammt laut Fuse ODG aber von Afrikanerinnen und Afrikanern in der Diaspora und nicht aus Spenden oder staatlicher Entwicklungshilfe.
Der äthiopische Künstler Eyob Kitaba kritisiert, dass Hilfslieferungen kurzfristig helfen, aber langfristige Abhängigkeiten schaffen. „Wir müssen die Art der Hilfe ändern und hinterfragen, was Wohltätigkeit ist. Davor sollte auch Bob Geldof seine Augen nicht verschließen. Er muss sich eingestehen, dass er nicht nur Hilfe gebracht, sondern auch Schaden verursacht hat“, sagt Kitaba.
Wie reagiert Bob Geldof auf die Kritik?
Rapper Fuse ODG sprach mit Bob Geldof und äußerte seine Bedenken. „Geldof weigerte sich, mir zuzuhören“, sagte Fuse ODG in einem Interview mit dem TV-Sender BBC. Geldof habe die Standpunkte des äthiopischen Musikers nicht verstehen wollen.
Geldof wies die Kritik am Song in der Vergangenheit immer wieder zurück – auch die an der Neuauflage. Er betonte dabei, dass das Geld dringend benötigt werde, begrüßte jedoch die Debatte. „Die Debatte ist für mich – und für uns alle – genauso wichtig wie das Geld“, sagte Geldof. Er kündigte an, sich mit Ed Sheeran zusammensetzen zu wollen. „In der Zwischenzeit werden wir ein hungriges Kind ernähren und versuchen, einem verletzten Menschen zu helfen.“
Einige Zeilen des Songs wurden in der Vergangenheit bereits geändert. In der Version zum 30-jährigen Jubiläum wurde etwa die von Bono (U2) gesungene Passage „Well tonight thank God it’s them instead of you“ neu getextet. Diese Zeile implizierte, man solle dankbar dafür sein, dass andere leiden und nicht man selbst. Auch die Zeile „Where the only water flowing is the bitter sting of tears“ wurde geändert. Diese Formulierung verstärkte das Bild Afrikas als einen Kontinent, auf dem kein Wasser fließe, außer den Tränen der Notleidenden.
Wo steht Äthiopien heute?
"Wir müssen nicht alle zehn Jahre an eine Hungerkatastrophe erinnern", sagt der äthiopische Musikproduzent Isaac Abadir. "Wenn man es so darstellt, als wären die Menschen in Äthiopien immer noch auf dem gleichen Stand wie damals, ist das nicht okay." Doch wie viel Fortschritt es inzwischen in Äthiopien gebe, wüssten viele außerhalb des Kontinents nicht.
Äthiopien hat in den vergangenen Jahrzehnten einen beeindruckenden Wandel durchgemacht: Addis Abeba, die Hauptstadt, ist heute eine aufstrebende, dynamische Metropole, und die Wirtschaft des Landes zählte zeitweise zu den am schnellsten wachsenden weltweit. Bis 2025 strebt Äthiopien an, den Status eines Schwellenlandes offiziell zu erreichen. Begriffe wie weltoffen, modern und gastfreundlich sind es, die jungen Äthiopier künftig mit seinem Heimatland verknüpfen möchten – nicht mehr die alten Stereotype von Armut, Unterentwicklung und Bedürftigkeit.
Wie könnte „Do They Know It’s Christmas?“ neu gedacht werden?
Der äthiopische Musikproduzent Isaac Abadir schlägt Bob Geldof vor, eine Band mit prominenten äthiopischen Künstlern für ein neues Projekt zusammenzustellen. Es könnte einen Austausch auf Augenhöhe fördern und die Realität des modernen Afrikas präsentieren, um überholte Klischees zu überwinden. Eine solche Initiative könnte nicht nur ein zeitgemäßes Bild Afrikas vermitteln, sondern auch die globale Wahrnehmung positiv beeinflussen. Dieser Ansatz wird von Abadir und vielen anderen im Land als wichtiger erachtet als erneute Spendensammlungen.
Antwort auf den Band-Aid-Song: "We Know It's Christmas"
Als Reaktion auf die Neuauflage von „Do They Know It's Christmas?“ hat Rapper Fuse ODG nun seinen eigenen Song „We Know It's Christmas" veröffentlicht. Er will damit zeigen: Ja, die Afrikanerinnen und Afrikaner sind sich des Weihnachtsfestes sehr wohl bewusst. Seiner Meinung sei es an der Zeit, dass sie nun ihre eigenen Geschichten erzählen und das Narrativ neu definieren. "Wir sind die Lösung", sagt Fuse ODG. Alle Einnahmen aus seinem Song fließen daher auch in den New Africa Growth and Relief Fund, der sich auf Entwicklungsinitiativen im gesamten Kontinent konzentriert.
ema