Weihnachten in Japan

Chickenwings sind Tradition geworden

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Chicken Wings mit einem Schälchen Soße und garniert mit Paprikaschnitzen.
Weihnachten wird in Japan zwar kaum gefeiert. Doch wenn, dann gehören Chickenwings für die meisten dazu. © Unsplash / Syed F Hashemi
Von Felix Lill |
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In Japan gibt es zu Weihnachten keine Gans, sondern Chickenwings. Denn einem Unternehmer gelang es, der japanischen Bevölkerung eine Lüge über typisch amerikanisches Weihnachtsessen unterzujubeln. Inzwischen hat das Junkfood tatsächlich Tradition.
"Frohe Weihnachten!", ruft die Frau, als sie zur Tür reinkommt. Mit rot-weißem Mantel und weißem Rauschebart verkleidet hebt sie die Hand zum Gruß. Und das kleine Mädchen, dem die Überraschung gilt, hat die Person hinter der Verkleidung sofort erkannt und rennt zu diesem vermeintlichen Weihnachtsmann, der in Wahrheit ihre Mutter sein dürfte.
"Jetzt musst du erst einmal das Essen finden." – "Hab es gefunden! Hinter dem Bart!" – "Noch haben Sie Zeit: das Weihnachtspaket. Jetzt bestellen."
Am Ende dieses TV-Werbespots schmatzt die nun um ihren Bart erleichterte Weihnachtsfrau in die Kamera und fragt: "Wollen Sie zu Weihnachten nicht auch Kentucky?" In ihren Händen hält sie einen fett-frittierten Hähnchenflügel, der unmissverständlich verrät, worum es hier geht: KFC, Kentucky Fried Chicken, die US-amerikanische Fastfoodkette, gibt sich als Klassiker für das Weihnachtsessen aus.

Vermeintliche Tradition im Pappbecher

Die Schnellrestaurants in Japan bleiben diesmal wegen der Pandemie zwar geschlossen. Die seit Mitte Dezember im japanischen Fernsehen ausgestrahlte Werbung will die Menschen im ostasiatischen Land trotzdem zu dieser vermeintlichen Weihnachtstradition animieren. Im Jahr 2020 werden die großen Pappbecher mit Chickenwings eben nach Hause geliefert.
Junkfood zu Weihnachten: Was soll das für eine Tradition sein? Nun, in Japan ist es seit einigen Jahrzehnten tatsächlich eine. Menüs für Preise von 4100 bis 5900 Yen – also 32 bis 47 Euro – werden angeboten. Dabei dreht sich alles um in Pappkartons verpackte Produkte aus vor Fett triefendem Hühnchen. Den Weihnachtstagen am 24. und 25. Dezember verdanken die gut 1100 KFC-Filialen im Land ein Drittel ihres jährlichen Japangeschäfts. Und das seit Jahrzehnten.

Wie Coca-Colas Weihnachtsmann

Ohne offensive Legendenbildung mit Mut zur Lüge hätte das Ganze nie begonnen. Das erinnert den Getränkekonzern Coca-Cola, der 1931 die Figur des Weihnachtsmannes erfand, um einen Markenbotschafter für seine eigenen Getränke zu haben. Der im Englischen als "Santa Claus" bekannte alte Mann mit weißem Rauschebart sieht in seiner Farbkombi so aus wie das Logo auf Colaflaschen. Aber die Legende sagt, es habe ihn schon immer gegeben. Und irgendwie glauben das viele Menschen bis heute.
In Japan ist so eine kommerziell erfolgreiche Legendenbildung etwas Schwieriger. Das kaum religiöse Land hat nur eine kleine christliche Bevölkerung. Der Name "Jesus" klingt exotisch, Weihnachten ist ein fremdes Fest. Kaum jemandem würde einfallen, für so einen in der japanischen Kultur kaum relevanten Anlass aufwendig zu kochen. Das liegt schon daran, dass die Weihnachtstage keine Feiertage sind.

Weihnachtsfeier im Kindergarten

So musste Kentucky Fried Chicken mit fremden Traditionen kommen. Als 1970 die erste Japan-Filiale in Nagoya eröffnete, stand der Subunternehmer Takeshi Okawara zunächst kurz vor der Pleite. Die Leute vor Ort verstanden schon das weiß-rote Design des Geschäfts nicht – vermuteten ihren lokalen Traditionen entsprechend einen Friseur oder Schokoladenladen. Erst als Okawara eines Tages um Weihnachten herum von einem der wenigen katholischen Kindergärten eingeladen wurde, kam die Wende. Das erzählt Okawara in einem Podcast des US-amerikanischen "Business Insider":
"Sie wollte eine Weihnachtsfeier für die Kinder organisieren. Ich hatte keine andere Wahl. Also habe ich das Weihnachtsmannkostüm angezogen und ein Lied erfunden: Kentucky Weihnachten, Kentucky frohe Weihnachten, irgendwie so, und habe getanzt. Und die Kinder liebten es!"

Eine profitable Legende

In Nagoya machte Okawaras Auftritt die Runde, auch andere Kindergärten fragten ihn an. So kam der Unternehmer auf eine Idee: Warum nicht frittiertes Hühnchen zum typischen Weihnachtsgericht erklären? Auf den Verpackungen ersetzte Okawara das Gesicht des KFC-Gründers Harland Sanders durch das des Weihnachtsmannes. Und das Geschäft funktionierte bald so gut, dass einige Jahre später der öffentliche Rundfunksender NHK Okawara interviewte.
Der fragte ihn, ob man auch in den USA zu Weihnachten Fried Chicken esse. Gegenüber "Business Insider" gesteht Takeshi Okawara: "Ich wusste natürlich, dass die Leute dort nicht Hühnchen essen, sondern Truthahn. Aber ich habe einfach ja gesagt. Es war eine Lüge."
Ein bisschen bereue er das noch heute, hat Takeshi Okawara mehrmals zugegeben. Zugleich hat sich seine Legende über ein halbes Jahrhundert gehalten. Auch diesmal dürften sich viele Menschen in Japan, die im Coronajahr kaum zu westlichen Weihnachtsmärkten reisen konnten, an diese vermeintliche Tradition halten – und sich dann mal wieder ganz vermeintlich traditionell weihnachtlich fühlen.
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