Kommentar zur Rabattschlacht

Es geht um die Ankunft Christi, nicht des Paketboten

In einem Schaufenster liegen golden verpackte Geschenke für Weihnachten.
Es heißt ja auch "gnadenbringende Weihnachtszeit" und nicht "gabenbringende". © IMAGO / imagebroker / IMAGO / imageBROKER / G. Lacz
Ein Kommentar von Anne Müller |
Black Friday, Cyber Monday und Co.: Das Konsumverhalten zu Weihnachten passt überhaupt nicht zur Weihnachtsbotschaft, findet Anne Müller. Angesichts der Klimakrise sei es aber auch nicht mehr zeitgemäß.
Alle Jahre wieder gehört die Konsumkritik zu Weihnachten dazu wie Spekulatius und Tannenbaum. Erste Lebkuchen in den Regalen schon im September, und spätestens ab November sind die obligatorischen weihnachtlichen Damendessous mit viel Strumpfband und Spitze in den Schaufenstern zu sehen.
Und dann überbieten sich – ebenfalls alle Jahre wieder – in einer Art kapitalistischer Vorstufe zu Advent die Geschäfte und Online-Shops ab „Black Friday“ gegenseitig mit Preisnachlässen für Schnäppchenjäger – jene natürlichen Feinde des Klimaschutzes und Menschen, die mehr an den Konsum und seine Glücksversprechen glauben. Ein großes Weihnachtsmissverständnis? Im Lied „O du Fröhliche“ heißt der Text übrigens „gnadenbringende Weihnachtszeit“, nicht gabenbringende.

Waren liefern lassen ist nicht nachhaltig

„Advent“ bedeutet ja wörtlich übersetzt „die Ankunft“ und umfasst im christlichen Kirchenjahr die Wochen, in denen wir eigentlich freudig die Ankunft Christi erwarten sollten, nicht die des Paketboten. Doch nicht wenigen ist zu dieser Zeit die rechtzeitige Zustellung ihrer bestellten Waren wichtiger. Übrigens auch ein Klimakiller, der Transport, all die Verpackungen und erst die Massen an Retouren! Im Prinzip wissen wir das auch alle, dass das Liefern lassen von Waren nicht sehr nachhaltig ist und es besser wäre, regional zu kaufen und kleine Läden in der Nähe zu unterstützen. Dass es fürs Klima überhaupt besser wäre, eine Sache gar nicht erst anzuschaffen, kaputte Dinge auch mal reparieren zu lassen oder etwas gebraucht zu kaufen und weiterzugeben, wie Greenpeace auf seiner Homepage zum Thema „klimaneutrales Schenken“ rät.

Wir sind das Klima

Wir wissen auch, dass die sogenannte Fast Fashion und Billigmode das ganze Jahr über nicht fair produziert wird, die Arbeitskräfte und Umwelt in fernen Ländern ausbeutet und unser aller Klima schädigt. Tja, aber dieses eine schicke Oberteil mit dem Glitzer ist einfach zu schön. Meine eine kleine Klimasünde als Schnäppchenjägerin wird der Welt doch nicht groß schaden? Wo sonst beginnt Veränderung als bei einem selbst? Wir sind das Klima. Bei der Ernährung, bei der Mobilität und beim Konsum. Und dies vor allem zu Weihnachten.
Warum feiern wir das Fest eigentlich? Kurz mal ein Back-up: Geburt von Jesus im nächtlichen Stall von Bethlehem, Sohn Gottes, von der Jungfrau Maria geboren, Josef als erster moderner Mann, der nicht auf genetischer Vaterschaft besteht. Sie ist von wunderbarer Schlichtheit, die Gründungsgeschichte der christlichen Religion. Mehr Downsizing geht nicht. Ein menschgewordener Gott als ein Säugling, der, weil seine Eltern sonst keine Herberge finden, in einem Stall geboren wird und auf Stroh in einer Krippe liegt. Und zu dem einfache und arme Hirten zuerst kommen dürfen.

Eine Krippe als Deko für Edelschmuck

Umso erstaunter war ich, als ich in der Münchner Innenstadt im weihnachtlich dekorierten Schaufenster eines Edeljuweliers eine mit Stroh ausgelegte Holzkrippe sah, in der eine - vermutlich sehr teure - Halskette lag, nebst passenden Ohrgehängen. Empört stand ich vor dem Laden, weil doch gerade die Geburt Jesu nichts, aber auch gar nichts mit Schmuck von Tausenden Euro zu tun hat. Ich war fassungslos, dass ausgerechnet die so symbolische wie schlichte Krippe zur Dekoration von Edelschmuck missbraucht wurde.
Okay, es kommen in den Stall von Bethlehem zwar auch die drei Weisen mit ihren Gaben, aber ist es nicht schon erschütternd, was aus Myrrhe, Weihrauch und Gold geworden ist? Ein ewiger Black Friday? Mit verlängerten Umtauschfristen? Dem Elektroschrott von morgen? Wollen wir das wirklich? Lassen wir es nicht so weit kommen, dass Kinder in Deutschland eines Tages womöglich denken, Christus sei am Black Friday geboren!

Anne Müller (Jg. 1963) arbeitete nach einem Studium der Theater- und Literaturwissenschaften zunächst als Radiojournalistin, dann als Drehbuchautorin. Seit ein paar Jahren schreibt sie Romane, der neueste, „Wer braucht schon Wunder“ (C. Bertelsmann), erschien 2023. Anne Müller lebt in Berlin.

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