Astrid Lindgrens Wintergeschichten
Astrid Lindgrens winterliche Erzählungen schaffen eine wohlige warme Atmosphäre, in der die Gemeinschaft zählt. In „Als Michel ‚Das große Aufräumen von Katthult‘ veranstaltete und die Maduskan in der Wolfsgrube fing“ bereiten alle zusammen vor, was für das Weihnachtsfest benötigt wird © Oetinger / Björn Berg
Weihnachten bei Pippi, Michel und Lotta
Weihnachten feiern auch viele der von Astrid Lindgren erfundenen Kinderbuchfiguren. Davon erfuhr ich aber erst als Erwachsene in einem Sammelband. Zum 60. Geburtstag bekam Michel aus Lönneberga nun einen eigenen Band mit „Wintergeschichten“.
Meine erste Begegnung mit der wohl bekanntesten Lindgren-Figur, Pippi Langstrumpf, führte zu einem kindlichen Unfug meinerseits. Der brachte mir wiederum Ärger ein. Es war noch zu einer Zeit, in der die Audio-Kassette ein gängiges Medium war.
Noch vor meinem Schulanfang hatte ich ein Hörspiel von Pippi bekommen. Eine Stelle gefiel mir so gut, dass ich sie wieder und wieder hören wollte. Ich lauschte, spulte zurück, lauschte – bis der alte klobige Rekorder meiner Mutter den Geist aufgab.
Inhalt
Zu meinem Glück kam ich mit Lindgrens Figuren nicht nur über Audios in Berührung. Auf einer Freilichtbühne sah ich erstmals Michel, den Kopf in einer Suppenschüssel, aus „Madita“ las mir meine Mutter vor und den Lotta-Band, in der das kleine Mädchen aus der Krachmacher Straße Radfahren lernt, sah ich mir wieder und wieder an. Die liebevollen Illustrationen der kecken Kleinen und von ihrem Teddy, der eigentlich ein Stoffschweinchen ist, hatten es mir angetan.
Dass es von all den genannten Figuren spezielle Weihnachtsgeschichten gibt, wusste ich da noch nicht. Mittlerweile gibt es vom Oetinger Verlag einen Sammelband mit Lindgrenschen Weihnachtsgeschichten (2013) und seit Kurzem einen gesonderten Band mit Michels „Wintergeschichten“.
Pippis Plünderfest: Eine Freude für Klein und Groß
Als ich aus einer „Zu verschenken“-Kiste in der Nachbarschaft „Pippi plündert den Weihnachtsbaum“ herauszog, war ich selbst bereits Mama. Es war ein älterer Band für Erstleser, illustriert, aber nicht koloriert. Meinem damals Dreijährigen schien das nichts auszumachen.
Das Buch eignete sich auch zum Vorlesen: Süßigkeiten und Sahnetorte und eine Rodelbahn vom Dach der Villa Kunterbunt – Pippis Zuhause –, damit konnte er etwas anfangen.
Diesen Advent haben wir die Geschichte wieder gelesen. Allabendlich darf er sich eine Episode aus dem Sammelband „Weihnachten mit Astrid Lindgren“ aussuchen. Darin sind neben „Pippi plündert den Weihnachtsbaum“ auch weitere weihnachtliche Geschichten rund um Michel, Madita, Lotta und den Kindern aus Bullerbü.
Der bunt illustrierte Band, der inzwischen zu unserer Büchersammlung gehört, enthält auch von Lindgrens Kinderbuchfiguren losgelöste Geschichten, zum Beispiel über den Wichtel „Tomte Tummetott“ und mit „Weihnachten im Stall“ auch Lindgrens Version von Jesu‘ Geburt.
Astrid Lindgren: „Weihnachten mit Astrid Lindgren. Die schönsten Geschichten von Pippi Langstrumpf, Michel, Madita, den Kindern aus Bullerbü u.a.“
Mit Bildern von Björn Berg, Katrin Engelking, Lars Klinting, Rolf Rettich, Jutta Timm, Harald Wiberg und Ilon Wikland
Herausgegeben von Anne-Kristin zur Brügge
Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2013, ab 6 Jahren
Die Plünderfest-Geschichte bringt meinen nun Fünfjährigen zum Strahlen – Lebkuchenmänner und Süßigkeiten am Weihnachtsbaum sind dafür schon Grund genug. Zum Lachen bringt ihn Pippi, als sie darin vom Weihnachtsmann erzählt, der „mit seinen Gabeln kommt“. Wie im Song „Hey, Pippi Langstrumpf“, wonach zwei mal drei vier sein soll, verwechselt sie noch so dieses und jenes.
Mein Sohn ist auch ein bisschen neidisch auf Pippi. In der Geschichte läuft ihr der Hund Perk zu. So einen hätte er auch gern. Überhaupt, sagt er, wäre es toll gewesen, hätte er mit den Kindern aus der Geschichte den Baum vom letzten Zuckerkringel befreien können.
Knut und Tomte: Schwedische Weihnachtsbräuche
Pippis Plünderfest verweist auf eine schwedische Tradition, genannt Knut. Anders als in Deutschland, wo die Weihnacht am 6. Januar mit „Heilige Drei Könige“ endet, wird in Schweden länger gefeiert – bis zum Knutfest am 13. Januar. Es ist Brauch, dann den Baum gemeinsam abzuschmücken. Die Süßigkeiten, die daran hingen, werden unter den Kindern verteilt.
Bekannt ist Knut inzwischen auch in Deutschland - durch die Werbung einer großen schwedischen Möbelhaus-Kette. Doch nur im Werbespot fallen die abgeschmückten Bäume einer nach dem anderen dann aus dem Fenster.
In den Lindgrenschen Weihnachtsgeschichten lernten mein Sohn und ich noch einen anderen skandinavischen Brauch kennen: jenen der regelmäßig zur Winterzeit in die Häuser der Menschen einziehenden Wichtel, genannt Tomte. Astrid Lindgrens „Tomte Tummetott“ lebt auf einem Bauernhof. Dort sucht er die Wärme der Tiere in den Ställen.
In der Nacht spricht der Wichtel den Tieren gut zu und versorgt sie. Am Tag lässt er sich nie blicken. Lediglich seine Fußstapfen im Schnee zeugen von seiner Anwesenheit. Dieser Brauch hat es sogar in unsere Kita geschafft. Dort lebt im Advent nun Knurps hinter einer Wichteltür. Er spielt den Kindern Streiche und sie schreiben ihm Briefe.
Viele Köstlichkeiten und ein besonderer Tanz
Ob bei Madita, Michel oder Lotta, gefeiert wird immer ähnlich – mit Besuch einer Christmette, Weihnachtsbaum, Bescherung und ganz vielen Leckereien. Die Vorbereitung ist aufwändig. Michels Mutter braut extra eigenes Bier und verarbeitet das geschlachtete Schwein zu Würsten, Blutklößen, Schinken, Sülze und mehr.
Wichtig ist, dass an jene gedacht wird, denen es nicht so gut geht. So verteilen Michel und Ida Weihnachtsleckereien bei den Armen aus Lönneberga und Pippi veranstaltet in „Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten“ einen unvergesslichen Heiligabend für Kinder, deren Mutter im Krankenhaus liegt. Den geschmückten Weihnachtsbaum bringt sie gleich mit, befestigt – wie soll es bei Pippi anders sein – in ihren Haaren.
Auch an die Tiere ist gedacht. Väter und Knechte füttern in sämtlichen Geschichten etwa die Spatzen, damit sie angesichts des vielen Schnees nicht verhungern.
Um den Weihnachtsbaum tanzen die Kinder aus Bullerbü genauso, wie Pippis Gäste beim Plünderfest – das scheint auch so ein schwedisches Ding zu sein. Ob auch Astrid Lindgren als Kind um den Baum tanzte, habe ich Kerstin Behnken, Kinderbuchlektorin im Oetinger Verlag, gefragt. Sie kann sich das gut vorstellen.
Astrid Lindgren: „Wie wir in Småland Weihnachten feierten“
Bilder von Cecilia Heikkilä. Deutsch von Anna-Liese Kornitzky
Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2021, ab 4 Jahren
2021 gab der Verlag ein Bilderbuch heraus, das auf einem autobiografischen Text Lindgrens über ihr Weihnachten im Jahr 1913 basiert. In „Wie wir in Småland Weihnachten feierten“ erfahre ich zwar nichts über einen Tanz, aber Astrid Lindgrens eigenes Fest schien gemütlich gewesen zu sein. Ihre Geschichten ähneln diesen Erinnerungen sehr.
Inspirationsquellen: Wie Astrid Lindgren zu ihren Stoffen kam
Wie die durch ihre Kindergeschichten weltberühmt gewordene Autorin (1907–2002) einmal erwähnte, sind gerade die Bullerbü-Geschichten von ihrer eigenen Kindheit inspiriert. Lindgren wuchs auf dem Hof Näs im südschwedischen Småland auf.
Pippi Langstrumpf und ihr Vater, der Südseekönig Efraim Langstrumpf, sollen wiederum auf eine Meldung zurückgehen, die zur Kolonialzeit die Runde machte. Sie handelte von einem aus Schweden stammenden und vor einer Inselgruppe Papua Neuguineas schiffbrüchig gewordenen Kapitän. Dieser wurde fortan in der Ferne heimisch und gründete eine Familie. Die Tochter hatte, wie Pippi, ein Äffchen.
Dass ich als Kind die Winter- und Weihnachtsgeschichten nicht kannte, mag daran liegen, dass sie ursprünglich auf vielfältige Weise veröffentlicht wurden. Es gibt einzelne Geschichten, die auch als einzelne Titel veröffentlicht wurden, und ganze Romane.
Die Lindgren-Lektorin Kerstin Behnken erklärt: „In ‚Weihnachten mit Astrid Lindgren‘ haben wir Geschichten, die aus den originären Textbüchern sind, so wie bei ‚Madita‘; aber ‚Pippi plündert den Weihnachtsbaum‘ kam tatsächlich hinterher.“
Michels Wintergeschichten: Dreimal „Unfug“?
Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Geschichte in den neu herausgegebenen „Wintergeschichten“ von Michel. Sie heißt „Nur nicht knausern, sagte Michel aus Lönneberga“ und dreht sich um eine Schneeballschlacht.
Wie Kerstin Behnken erklärt, sei diese später geschrieben worden: „Das kam dann sozusagen noch aus ihr heraus, aber ohne, dass das vorab geplant war. Das hat sich ergeben.“ In der Gesamtausgabe „Immer dieser Michel“ von 1972 war sie nicht enthalten.
Die dritte und letzte Geschichte der „Wintergeschichten“ dreht sich um eine Heldentat Michels. Sie war mir, ich gestehe, bisher nicht bekannt. Noch einen Tag, nach dem ich sie gelesen habe, schaudert es mich. Nicht weil darin etwas Übernatürliches geschehen würde, sondern – so nennt es auch Kerstin Behnken – die Geschichte sehr „dramatisch“ ist.
Astrid Lindgren: „Michel aus Lönneberga. Wintergeschichten. 3 Mal Unfug in einem Band“
Bilder von Björn Berg. Deutsch von Karl Kurt Peters und Anna-Liese Kornitzky
Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2023, ab 6 Jahren
Knecht Alfred droht an einer Blutvergiftung zu sterben, weswegen Michel kurzerhand allein handelt. Er bringt seinen erwachsenen Freund mit Pferd und Schlitten zum nächsten Arzt. Auf der Fahrt stirbt beinahe Michel im wilden Schneetreiben und vor Kälte frierend.
So viel lustiger Unfug auch sonst mit Michel verbunden ist: Diese Geschichte werde ich noch nicht mit meinem Fünfjährigen lesen. In diesem Advent, das hat sich bereits bewährt, bleiben wir bei den Geschichten in „Weihnachten mit Astrid Lindgren“, worin Michel ohnehin jenen Schneeball wirft, der seinen Vater – ups – so ungünstig trifft.