Ebru Taşdemir, 1973 in Berlin geboren, ist Autorin, Moderatorin und Journalistin. Sie studierte Turkologie und Publizistik an der FU Berlin. Sie betreut unter anderem die Nachwuchsförderung bei den Neuen deutschen Medienmachern, ein Zusammenschluss von Journalisten mit internationalen Wurzeln.
Konsumkritisch konsumieren - geht das?
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Bloß kein Plastik und überhaupt: weniger Konsum! Ein Jahr Greta Thunberg ist an Ebru Taşdemirs Familie nicht spurlos vorübergegangen. Doch dann steht Weihnachten vor der Tür - und ein, zwei Geschenke dürfen es doch sein. Oder nicht?
Komm, lassen wir die Erwachsenen diesmal außen vor, schreibe ich meiner Schwester über WhatsApp. Lass uns dieses Jahr doch nur die Kinder beschenken. So als Kompromiss. Eigentlich würde ich lieber sagen: Lasst uns das Schenken über Weihnachten skippen, ist doch eh schon alles die Wiederholung der Wiederholung der letzten Jahre. Das dritte Parfum, der vierte Pashminaschal, das fünfte gute Buch, das dann wieder im Regal herumliegt.
Ich erhalte keine Antwort. Wahrscheinlich habe ich das heilige Gesetz des Schenkens gebrochen. In unseren Familien gibt es eigentlich nur Weihnachtsfans – und bisher war es so, dass wir uns mindestens doppelt oder gar dreifach beschenkten.
Dieses Jahr soll alles anders werden
Mir fällt mittlerweile partout nichts mehr ein, was ich an Schönem und Schnödem weitergeben kann. In der Zeit vor den Kindern war Weihnachten das Fest der anderen. Ich arbeitete fröhlich vor und während dieser Zeit und fand den Zwang zum Konsum und zum Feiern unendlich lustig, war ich ja nicht davon betroffen.
Aber mit den immer größer werdenden Kindern mutierten wir langsam und unbemerkt zu Plätzchen backenden, Weihnachtsbaum schmückenden und Raclette mampfenden Weihnachtshooligans. Und packten wundervolle Luxusgüter und tolles Spielzeug in Glitzerfolie ein und an Heiligabend mit viel Trara wieder aus.
Dieses Jahr, nur dieses eine Jahr, will ich es anders machen. Ein Jahr Greta Thunberg geht doch nicht spurlos an meiner Familie vorbei. Das größere Kind geht auf die Fridays-for-Future-Demos und redet über die Klimakrise. Das kleinere Kind schimpft, wenn ich in Plastik verpackten Käse kaufe. Ein Jahr lang haben wir unseren Konsum kritisch beäugt, wollten öfter in Unverpackt-Läden einkaufen und weniger Kleidung, das sowieso...
Deshalb wage ich mich vor: Vielleicht gar nichts schenken? Ich werfe die Frage nebenbei mal in dem Raum und werde sehr deutlich ignoriert. Oder zumindest ein wenig Revolution? Wenn schon Geschenke, dann nur nachhaltige, die die Welt verbessern: feministische Bücher, Ökopflege, Gutscheine für Self Care – und das alles höchstens in Zeitungspapier eingepackt. Ich frage besser gar nicht und mache einfach. Und bin leicht überfordert: Wie geht konsumkritisches Konsumieren? Es ist schwierig zu unterscheiden, was denn jetzt wirklich gut und sinnvoll ist und was sich nur der einschlägigen Labels bedient.
Wir sind Teil einer Konsummaschinerie
Während des Geschenkesuchens stoße ich auf den Instagrampost von Sookee, einer Rapperin und politischen Aktivistin, die sich nach 15 Jahren aus dem Business zurückzieht, einfach, weil "der Kapitalismus so perfide ist", wie sie sagt und auch die Kulturindustrie nach kapitalistischen Regeln funktioniere. Sie kapituliere aber nicht, sagt sie später in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur, sondern ihr ginge es um ihre Lebenszeit. Und die widmet sie jetzt der Kindermusik.
Diese Form der Abkehr, also zu schauen, wo man die Energie hineinsteckt und zu erkennen, wann man nur noch Teil einer Konsummaschinerie ist, ist so klug und direkt und ehrlich, dass einem dabei fast der Glühwein aus der Tasse hüpft. Stimmt, denke ich, höher, schneller, weiter, wir kennen das alle und machen auch immer schön mit. Oder eben auch nicht, so wie Sookee.
Aber dieses sehen zu können, also, wann der Kapitalismus ein Spielchen mit dir spielt und dich glauben macht, dass du dir Weltverbesserung kaufen kannst, ist wirklich zu schwierig, und klar, es kostet Zeit und Mühe, zu erkennen, dass Weltverbesserung enorm anspruchsvoll ist. Deshalb: Frohe Weihnachten, Sookee! Und allen anderen, die diese Spielchen nicht mehr mitspielen. Mal sehen, wie weit ich selbst dieses Jahr komme mit meinen antikapitalistischen Weihnachtsplänen.