"Das Festival in die Stadt tragen"
Der neue Intendant des Kunstfestes Weimar, Christian Holtzhauer, setzt auf eine Verbindung des klassischen Erbes mit zeitgenössischen Werken. Der Schwerpunkt liegt beim Sprechtheater, das soll aber nicht immer so bleiben.
Dieter Kassel: Wohl keine deutsche Stadt hat so sehr das Image einer klassischen Kulturstadt wie Weimar. Und wenn man sich dort aufhält, egal, zu welcher Jahreszeit, dann merkt man das. Man hat immer das Gefühl, Goethe und seine Freunde winken einem ständig von irgendwo zu. Da ist es gar nicht so leicht, einmal im Jahr dann noch etwas zu veranstalten, was idealerweise das Kulturereignis des Jahres in Weimar sein sollte, wird aber seit rund einem Vierteljahrhundert gemacht: Zum 25. Mal schon findet ab heute das Kunstfest Weimar statt. Es soll sich aber ein bisschen was ändern da, nicht nur wegen des Jubiläums, sondern auch, weil es einen neuen Leiter, einen neuen Intendanten gibt, und der heißt Christian Holtzhauer. Morgen, Herr Holtzhauer!
Christian Holtzhauer: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ein Kunstfest in Weimar zu machen, ist das nicht auch ein bisschen so wie Eulen nach Athen tragen?
Holtzhauer: Die Frage habe ich mir tatsächlich auch gestellt, als ich vor anderthalb Jahren in dieses Amt gewählt worden bin und mich gefragt, was kann ich denn diesem überaus reichen Kulturangebot der Stadt eigentlich noch hinzufügen. Und ich glaube, die Aufgabe unseres Kunstfestes ist, angesichts all der Kultur vergangener Epochen, die in Weimar quasi das ganz Jahr über gefeiert wird, zu gucken, wie die Künstler, die zeitgenössische künstlerische Positionen vertreten, an diese kulturellen Höhenflüge der Vergangenheit anknüpfen können.
Kassel: Also es soll nicht einfach nur moderne Kunst sein – das soll es sein, aber es soll moderne Kunst sein, die unmittelbar etwas zu tun hat mit der klassischen Kunst, die man mit Weimar verbindet?
Blick auch auf die dunklen Kapitel von Weimar
Holtzhauer: Genau. Ich wünsche mir bei jeder einzelnen Produktion, dass man verstehen kann, warum die in Weimar zu sehen ist, und die vielleicht auch in Weimar noch mal eine besondere Symbolkraft entwickeln kann. Wir haben beispielsweise, um gleich auch mal mit dem dunklen Kapitel Weimars anzufangen, das australische Back to Back Theatre eingeladen, die haben eine ganz besondere Aufführung gemacht vor einigen Jahren, die sich mit der Frage beschäftigt, ob und wie man das Thema Nationalsozialismus auf die Bühne bringen kann, und die kommen da zu ganz entwaffnend humorvollen, intelligenten Antworten. Und da haben wir gedacht, das muss man in diese Stadt, in der natürlich auch dieses Kapitel der deutschen Geschichte sehr präsent ist, das muss man hier zeigen.
Kassel: Weimar und Buchenwald, Weimar und der Nationalsozialismus sind nicht zu trennen. Damit haben Sie noch mal gesagt, das wollen Sie auch nicht. Aber Weimar und Goethe ja auch nicht. Der kommt ja bei Ihnen natürlich vor im neuen Programm.
Holtzhauer: Der kommt auch vor, und nicht zu knapp. Aber auch da war es uns wichtig, sozusagen frische Perspektiven auf sein Leben und sein Werk zu werfen. Einige durchaus auch mit einem Augenzwinkern. Der Schweizer Geschichtenerzähler Hans-Peter Litscher beispielsweise hat herausgefunden, dass Goethe 1784 in Braunschweig ein Zebra gesehen hat. Das ist belegt, da gibt es nämlich einen Brief von Goethe. Und Hans-Peter Litscher kann nun aber beweisen, dass Goethe eine regelrechte Obsession, um nicht zu sagen, einen Fimmel für Zebras entwickelt hat und damit auch nicht alleine blieb, sondern ganz viele andere Leute noch angesteckt hat, bis hin zu Che Guevara. Und Hans-Peter Litscher hat ganz viele Objekte gesammelt, die das belegen, und führt selber durch diese Ausstellung dieser Objekte. Eine sehr amüsante Geschichte – wo Fakt in Fiktion übergeht, muss jeder für sich selber entscheiden. Und für ein anderes Projekt, das sich auch mit Goethe befasst, haben wir uns, wie andere vor uns auch, schon noch mal diesen Briefwechsel zwischen Goethe und Charlotte von Stein vorgenommen, der ja kein Briefwechsel ist, weil es zwar 1800 Briefe von ihm gibt, aber ihre Antworten nicht erhalten sind. Und da haben wir 14 zum Teil sehr bekannte Autorinnen gebeten, neue Antworten zu verfassen, und die werden wir sowohl ganz altmodisch als Buch herausbringen, aber auch als ein Theaterprojekt.
Kassel: Nun hat es unter Ihrer Vorgängerin Nike Wagner so einen gewissen Schwerpunkt auf der Musik gegeben, was natürlich auch an ihr selbst und an ihrer Biografie liegt. Wenn ich in Ihre Biografie gucke, Sie sind Theaterwissenschaftler, waren jetzt zuletzt Dramaturg in Stuttgart, vorher auch bei den Sophiensälen in Berlin. Darf ich da unterstellen, bei Ihnen gibt es einen gewissen Schwerpunkt auf dem Sprechtheater.
Schwerpunkt auf Sprechtheater
Holtzhauer: Es gibt zumindest eine Schwerpunktverschiebung, wobei dieser Schwerpunkt auf dem Sprechtheater, der dieses Jahr zu verzeichnen ist, nicht so bleiben muss und eigentlich auch nicht so bleiben soll. Ich habe mir vorgenommen, hier in Weimar ein Festival zu gestalten, das offen für verschiedene Kunstformen ist, in dem Tanz genauso vorkommt wie bildende Kunst, wie Musik und natürlich auch Schauspiel. Dieses Mischungsverhältnis kann sich auch jedes Jahr ändern. Wir eröffnen mit einem großen Tanzgastspiel aus Frankreich heute Abend. Christian Rizzo heißt der Choreograf, nach einer wahren Geschichte das Stück. Wir haben mehrere Ausstellungen im Programm, und wir haben natürlich nach wie vor auch Musik im Programm, etwas da junge Berliner Ensemble La Cara Cosa, die auf Barockmusik spezialisiert sind, oder dieses fantastische belgische Vokalensemble graindelavoix, die ein neues Programm in Weimar zur Uraufführung bringen werden.
Kassel: Sie haben angekündigt, vorher schon, dass Sie dieses Fest auch zu einem Fest machen wollen für die Menschen in Weimar. Es gab ja immer wieder den Vorwurf ein bisschen, eigentlich die ganzen 25 Jahre schon, das sei im Wesentlichen was für Kulturtouristen. Da fahren halt die Leute aus Berlin, München, Dresden, sonst wo hin, und die Menschen in Weimar, na ja, hätten vielleicht lieber ihre Ruhe. Wie wollen Sie das Ganze wirklich zu einem, na ja, ich sag's mal so, auch Weimarer Stadtfest machen?
"Es gibt mindestens zwei Weimar"
Holtzhauer: Das Problem an Weimar ist ja, dass es das eine Weimar ohnehin nicht gibt, sondern es gibt mindestens zwei – das Weimar sozusagen in der Wahrnehmung der Leute, die von außen kommen, also einmal der Touristen, und das, ich sag mal, das gelebte Weimar. Die unterscheiden sich zum Teil schon sehr, und natürlich muss die Aufgabe des Kunstfestes in Weimar sein, auch über Weimar und über Thüringen hinaus wahrgenommen zu werden. Man kann so ein Festival, glaube ich, aber nicht machen, wenn man die Menschen, die vor Ort leben, nicht irgendwie einbindet und mitnimmt. Und wir wollen das zum Teil durch künstlerische Projekte machen, in denen Weimarerinnen und Weimarer mit auf der Bühne stehen oder an denen sie mitwirken. Wir wollen das aber auch machen, indem wir das Fest in die Stadt tragen. Wir haben ein Festivalzentrum errichtet, da geschieht jetzt gerade im Moment noch der letzte Anstrich. Wir haben ein umfangreiches Rahmenprogramm aufgelegt, über 15 Konzerte in unserem Festivalzentrum im Künstlergarten, unter freiem Himmel bei freiem Eintritt. Wir beginnen heute Nachmittag auch mit Musikveranstaltungen auf dem Theaterplatz, einfach, um das Festival öffentlich sichtbarer zu machen und zu versuchen, näher an diese verschiedenen Zuschauergruppen, die es auch in Weimar gibt, heranzukommen. Und wir versuchen natürlich auch, über eine etwas größere Bandbreite in den künstlerischen Produktionen, in dem, was wir anbieten, zu gucken, welche Zuschauerschichten gibt es denn überhaupt, die wir erreichen müssen. Wir müssen die Stadt natürlich auch erst mal neu kennenlernen, da muss man sich nichts vormachen.
Kassel: Das ist ideal. Ich wollte schon hier schon vorher rein, bevor Sie diesen Satz gesagt haben, und Sie fragen: Sie sind ja auch ein Zugereister. Als Sie so, bevor Sie den Vertrag unterschrieben haben, die ersten Male in Weimar waren, hat Sie auch irgendwas überrascht? Ist irgendwas in der Stadt ganz anders, als man sich das vorstellt?
Holtzhauer: Ja, doch, da hat mich einiges überrascht. Weil, als ich das erste Mal in Weimar war, da war das überhaupt noch nicht spruchreif mit dem Kunstfest, da kam mir die Stadt schon ein bisschen wie eine Kulissenstadt vor. Das war im Winter, es war kein einziger Tourist unterwegs, es war überhaupt kein Mensch auf der Straße. Man läuft durch diese wunderschöne Weimarer Altstadt und denkt, hm, ist eigentlich ein bisschen wie ein Filmset, nur dass die Schauspieler und die Statisten gerade Drehpause haben und in der Kantine sind. Und hinter diese Fassade zu gucken, zu gucken, wer ist hier denn eigentlich, was ist hier auch für ein kreatives Potenzial? Und das ist groß, das kreative Potenzial. Wer lebt hier und wer kann hier welche Sachen machen? Das hat mich überrascht, dass die Stadt trotz ihrer – man möge mir verzeihen – Kleinheit sehr, sehr heterogen ist und eine bunt gewürfelte Einwohnerschaft hat, die man so einer Kleinstadt gar nicht zutrauen würde.
Kassel: Das Kunstfest Weimar beginnt heute und dauert dann bis zum 7. September und soll die Stadt verwandeln. Wir werden am 8. gucken, ob das geschehen ist. Heute haben wir geredet mit dem neuen Intendanten des Kunstfestes, Christian Holtzhauer. Herr Holtzhauer, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen ein riesiges, wunderbares Fest.
Holtzhauer: Ich danke Ihnen!
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