100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Verleumdungskampagnen gegen Reichspräsident Ebert

07:02 Minuten
Reichspräsident Friedrich Ebert posiert für ein Foto.
Der SPD-Politiker Friedrich Ebert (1871-1925): Insbesondere seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen und seine Handwerksausbildung wurden lächerlich gemacht. © imago images / United Archives International
Von Elke Kimmel |
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Das erste Staatsoberhaupt der Weimarer Republik wurde regelmäßig verunglimpft: Sowohl Kommunisten als auch Nationalisten beschimpften den Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Vergeblich versuchte er, gerichtlich dagegen vorzugehen.

„Straflose Beschimpfung des Reichspräsidenten. Vor der Oldenburger Strafkammer hatte sich der Kaufmann Radick aus Delmenhorst zu verantworten. Radick (…) brachte am 27. Januar in einem Hotel Hochs auf den früheren Kaiser aus und sprach dann nach Aussage der Zeugen von dem ‚versoffenen Sattlergesellen‘ Ebert. Da es sich um eine Beschimpfung handelte, war Strafantrag gestellt worden. In der Verhandlung bestritt der Angeklagte, den Ausdruck ‚versoffen‘ gebraucht zu haben. Auch die Zeugen konnten sich der Worte nicht mehr genau erinnern. Daraufhin sprach das Gericht den wilhelminisch gerichteten Zeitgenossen frei, obwohl der Anklagevertreter eine Freiheitsstrafe beantragt hatte.“

Der sozialdemokratische „Lübecker Volksbote“ berichtet am 15. Mai 1922 über diesen Freispruch. Friedrich Ebert ist seit 1919 Reichspräsident. Sowohl Kommunisten als auch Nationalisten beschimpfen ihn. Insbesondere Eberts Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen, seine Handwerksausbildung und seine zwischenzeitliche Arbeit als Gastwirt werden lächerlich gemacht.

Mit einem Foto beginnen die Attacken

Am Anfang dieser Attacken steht ein Foto, das die „Berliner Illustrierte Zeitung“ des Ullstein-Verlags zur Vereidigung Eberts als Reichspräsident am 21. August 1919 auf ihrem Titelbild abdruckt.
Es zeigt den höchsten Repräsentanten Deutschlands in Badehose an der Ostsee. Dieses Foto wird für Monarchisten und Nationalisten zum Inbegriff dafür, wie lächerlich sich die Republik im Vergleich zum Kaiserreich ausnimmt.
Ebert ist nicht standesgemäß. Die rechte Ulk-Zeitschrift „Kladderadatsch“ reimt 1919:

„Heil dir am Badestrand
Herrscher im Vaterland
Heil, Ebert, dir!
Du hast die Badebüx,
sonst hast du weiter nix
als deines Leibes Zier.“

Die Versuche des Reichspräsidenten, gegen diese Verunglimpfungen gerichtlich vorzugehen, scheitern. Rechte Witzblätter beschimpfen ihn als Trunkenbold, als Vielfraß und gewohnheitsmäßigen Bordellbesucher.
Der Reichspräsident reicht insgesamt 172 Strafanträge ein: Vielfach ziehen seine Kontrahenten daraufhin die diffamierenden Texte zwar zurück – trotzdem entfalten sie ihre Wirkung.
Der evangelische Pfarrer Ernst Christoleit wettert in Ostpreußen von seiner Kanzel herab:

„Ebert, dieser Sattlergeselle, muss vom Präsidentenstuhl heruntergefegt werden, er ist nicht würdig, den Posten zu bekleiden, er weiß nicht, was er im Suff tut, diese ganze Regierung ist von der Straße.“

Das zuständige Insterburger Gericht verurteilt den Geistlichen zu zwei Monaten Gefängnis. Aber einen wirksamen Schutz vor weiteren Beschimpfungen bietet auch das nicht. Schon im Wahlkampf 1920 wurden ihm und anderen Sozialdemokraten unterstellt, sich auf Kosten der vielen hungernden Menschen in Deutschland bereichert zu haben.
In einer Broschüre der Deutschnationalen Volkspartei war zu lesen:

„Im Gegensatz zum Fürsten ist der Präsident ein Mann aus dem Volke. Er ist mit einem Menschen zu vergleichen, der plötzlich reich geworden ist. Er verliert den Maßstab für Geld und Geldwert. Die Sitten aus dem Volke sind bald abgestreift. Und da ein Präsident jeden Tag wieder von seiner Stelle verschwinden kann, sucht er in der Amtszeit möglichst viel für sich und die Seinen zurückzulegen.“

Vorwürfe und Anschuldigungen ohne Grundlage

Wie die Vorwürfe der Bestechlichkeit und Unterschlagung entbehren auch diese Anschuldigungen jeglicher Grundlage – wirksam sind sie aber schon deswegen, weil sie ständig wiederholt und aufgewärmt werden.
Hinzu kommen die Angriffe, die Ebert als angeblichen Anführer des Januarstreiks 1918 zum Hauptverantwortlichen für den sogenannten „Dolchstoß“ machten, der erst zur Niederlage im Krieg geführt habe. Der Reichspräsident versucht zunächst, die wiederholten Angriffe in der rechten Presse zu ignorieren.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe von Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Von Elke Kimmel

Am 12. Juni 1922 kommt es aber bei einem Besuch in München zum Eklat, als Emil Gansser, ein ehemaliger Siemens-Mitarbeiter und Mitglied der NSDAP, Ebert auf offener Straße als „Landesverräter“ beschimpft. Die republikfeindliche Presse greift den Vorfall auf und sorgt dafür, dass die Beschimpfung erneut in aller Munde ist.
Nun erst klagt Ebert gegen Gansser. Bei den Vernehmungen in Berlin im Juli 1923 erweist sich die Haltlosigkeit der Vorwürfe. Aber Gansser besteht erfolgreich auf einem weiteren Termin in München.
Ebert wagt nicht, dorthin zu reisen – zu groß sind die Sorgen vor einem Attentat, zu dem der nationalsozialistische „Völkische Beobachter“ aufruft:

„Am 9. November 1923 beginnt die Sühne, das gerechte Gericht an den Volksbetrügern. (…) Die führenden Schufte des Verrats vom 9. November 1918 (…) sind ab heute als vogelfrei erklärt. Jeder Deutsche, welcher Ebert, Scheidemann (…) und ihre Helfer und Helfershelfer ausfindig machen kann, hat die Pflicht, sie tot oder lebendig in die Hand der Völkischen Nationalregierung zu liefern.“

Ebert kämpft bis zum Schluss

Der Reichspräsident muss die Klage fallenlassen, das Verfahren wird am 5. Februar 1924 eingestellt. Die deutschvölkische Presse behauptet, Ebert habe aufgegeben, weil er seine Unschuld nicht beweisen könne, und beginnt über die „Mitteldeutsche Zeitung“ eine neue Kampagne. Ebert wehrt sich erneut und tatsächlich verurteilt das zuständige Magdeburger Schöffengericht den Redakteur der Zeitung zu drei Monaten Haft, gibt ihm in der Sache allerdings recht.
Nun kann, wer will, den Reichspräsidenten als Landesverräter beschimpfen, ohne belangt zu werden. Ebert kämpft, obschon gesundheitlich angeschlagen, für eine Revision dieses Urteils und verschiebt eine notwendige Operation, bis es zu spät ist. So stirbt er am 28. Februar 1925 an einer Bauchfellentzündung.
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