Wenn die Rebstöcke verbrennen
15:38 Minuten
Der Rheingau ist eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete in Deutschland. Doch der Klimawandel mit immer heißeren Sommertagen führt zunehmend zu Hitzeschäden bei Rebstöcken und Trauben. Die Winzer suchen nach neuen Wegen bei der Wasserversorgung.
Bevor Max Schönleber wirklich die Muße zum Gespräch über den Klimawandel und die Auswirkungen auf den Weinbau hat, muss er noch schnell den Kinderwagen aus dem Kofferraum holen. Seine Frau wartet auf dem Hof des Weingutes in Oestrich-Winkel mit einem nur wenige Wochen alten Säugling auf dem Arm. Gemeinsam mit zwei weiteren Frauen will sie an diesem Morgen nach Wiesbaden fahren, dort ist Weinfest. Das Weingut hat dort einen Stand. Der junge Winzer will später dazustoßen. Das Wiesbadener Weinfest sei wichtig für den gesamten Rheingau:
"Wir sind tatsächlich einer der größeren Betriebe hier im Rheingau. Wir sind ein Familienweingut. Das steht bei uns auch auf jeder Flasche: Familie Allendorf. Auch wenn ich Schönleber heiße."
Oestrich-Winkel, 12.000 Einwohner, direkt am Rheinufer gelegen. Hier in dieser sonnenverwöhnten und deshalb immer schon besonders warmen Gegend zwischen Wiesbaden und Rüdesheim gibt es Weinbau seit dem Mittelalter auf fruchtbaren Lehm-Löss-Böden. Nicht weit vom Weingut Allendorf entfernt liegt das gerade mit Landesmitteln frisch renovierte Brentano-Haus. Die alten Weinstöcke bilden ein schattenspendendes Blätterdach über den Gartenwegen, eine großzügige Restaurant-Terrasse bietet südliches Flair. Das Weingut Allendorf betreibe im Brentano-Haus eine Gastronomie, in der die eigenen Weine angeboten werden, die rundherum wachsen, sagt Schönleber:
"Mitten im Rheingau, im schönen Oestrich-Winkel, bewirtschaften wir 75 Hektar von Assmannshausen bis Hallgarten."
Sommer-Treffpunkt der romantischen Literaten
Der Rheingau gehört in der Tat zu den schönsten deutschen Kulturlandschaften. Gleich nördlich von Oestrich-Winkel beginnt das UNESCO-Weltkulturerbe Mittelrhein. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Sommerhaus der Familien Brentano aus Frankfurt am Main ein beliebter Sommer-Treffpunkt in Oestrich-Winkel. Regelmäßig verbrachten hier die romantischen Literaten um Bettine und Clemens von Brentano, Achim von Arnim oder auch Karoline von Günderode den Sommer. Die Brüder Grimm oder auch Goethe waren hier Gäste.
Karoline von Günderode suchte ganz in der Nähe des Brentano-Hauses am 26. Juli 1806 den Freitod und ist in Oestrich-Winkel begraben. Beim Rheingau-Musikfestival tritt heute regelmäßig das hr-Sinfonieorchester auf, das mit dem Tenor Christoph Prégardien Liebesgedichte von Günderode in der Vertonung von Wolfgang Rihm präsentiert.
Leid und Weh wird dem jungen Winzer Max Schönleber angesichts der Auswirkungen des Klimawandels auf den Weinbau im sonnigen Rheingau noch nicht. Doch Sorgen macht er sich schon. In den letzten Jahren gab es extrem trockene Sommer, die nun auch den an sich robusten Weinstöcken zu schaffen machen, erklärt Schönleber:
"Die 40 Grad tun nicht nur den Besuchern oder den Touristen oder unseren Kunden weh, das ist das Tragische, die tun eigentlich der Rebe viel mehr weh als uns. Wir können in den Schatten gehen, wir können uns Sonnencreme auflegen, oder als Winzer verschwindet man in den Keller und man macht da ein bisschen Arbeit. Das können die Reben nicht, da mache ich mir mehr Sorgen um die. Und gerade in einem Jahr wie 2018, wo wir mehrere Tage und Wochen über 40 Grad hatten, da hat es doch die eine oder andere Traube nicht geschafft und sie hat es nicht überlebt."
Mit einem Wasserdefizit in die Saison gestartet
Bereits Anfang 2019 war zu wenig oberflächennahes Grundwasser im Boden, erinnert sich Max Schönleber:
"Wir sind natürlich mit Angst gestartet nach dem extrem trockenen Jahr 2018. Genauso trocken wie 2017. Wobei die Bedingungen ein bisschen anders sind. 2018 hatten wir die Reserven voll im Boden. Das heißt, der Wasserhaushalt war ausgeglichen, voll zu Beginn der Vegetation. Das haben wir jetzt 2019 nicht gehabt. Das heißt, wir sind mit einem Wasserdefizit gestartet in die Saison. Das hat uns natürlich ein bisschen Sorge gemacht. Gerade mit dem anderen Jahrgang voraus."
Um an heißen Sommertagen mit bis zu 40 Grad zu verhindern, dass die jungen Trauben verbrennen, müssen die Flächen bewässert werden. Das sagt Professor Manfred Stoll. Er leitet das Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule im Rheingau-Nachbarort Geisenheim und forscht auch international zu neuen Anbausystemen für einen nachhaltigen Weinbau. Dazu gehören auch neue, sparsame Bewässerungssysteme für die Weinberge in Zeiten des Klimawandels, so Stoll. Etwa Tröpfchenbewässerung:
"Der Winzer braucht ja das Wasser nicht, um viele Blätter oder lange Triebe zu erzeugen, sondern um die Qualität zu erhalten. Und Qualität heißt in dem Fall auch Traubengesundheit, um vielleicht auch einem Sonnenbrandschaden vorzubauen. Dass eben die Verdunstung in der Pflanze aufrechterhalten werden kann und dadurch entsprechend auch die Trauben ausreichend mit Wasser versorgt werden, beziehungsweise der Bestand sich selbst auch kühlen kann."
Wasserwirtschaft der Region muss sich umstellen
Dass die Weinberge am Oberrheingraben aufgrund des Klimawandels an extrem heißen Sommertagen bewässert werden müssen, ist historisch neu. Bisher wurden lediglich junge Rebstöcke in den ersten Jahren gegossen, bis sie ausreichend Wurzeln geschlagen hatten. Wegen der immer wärmeren Sommer müssen wohl künftig flächendeckend die Trauben zumindest zeitweise bewässert werden, um ihre Zerstörung durch Sonnenbrand zu verhindern.
Das hat weitreichende Folgen für die gesamte Wasserwirtschaft der Region. Denn bereits der Gemüseanbau konkurriert mit der Trinkwasserversorgung, etwa im Rhein-Main-Ballungsraum, sowie dem Erhalt der Wälder in der Region.
Das hat weitreichende Folgen für die gesamte Wasserwirtschaft der Region. Denn bereits der Gemüseanbau konkurriert mit der Trinkwasserversorgung, etwa im Rhein-Main-Ballungsraum, sowie dem Erhalt der Wälder in der Region.
Und auch das Frischwasser aus den Quellen der umliegenden Mittelgebirge und aus dem hessischen Ried am Rheinufer zwischen Mannheim und der Mainmündung muss künftig sparsamer verteilt werden. Priska Hinz, die grüne hessische Umweltministerin, hat deshalb bereits vor längerer Zeit einen "runden Tisch" für ein nachhaltiges Wassermanagement in der Region einberufen:
"Das Wassermanagement muss gemeinsam abgestimmt und geleistet werden", sagt Hinz. "Es waren dabei die Kommunen aus den Metropolregionen, aus dem hessischen Ried und dem Vogelsberg, aber auch Wasserverbände, Umweltverbände und auch Bauernverbände zum Beispiel. Das heißt, die Landnutzer."
Das Ergebnis: Alle sollen vor allem für Bewässerung oder auch Toilettenspülungen in den Städten mehr Brauchwasser aus Tiefbrunnen nutzen, die nicht als Trinkwasserbrunnen genehmigt sind. "Wir sind übereingekommen, dass wir mehr Brauchwassernutzung fördern müssen. Auch Regenwassernutzung. Die Infiltration über den Rhein gelingt ja auch recht gut", sagt Priska Hinz.
Auch im Rheingau. Mit Hilfe sogenannter "Uferfiltrats-Brunnen" nutzen die Winzer das Rheinwasser, das durch Kies und Sand im Uferbereich gefiltert wird und dann für die Bewässerung genügend Wasserqualität bietet. Allerdings, so Weinbauer Max Schönleber:
"Die Uferfiltrats-Brunnen, die es gibt, hier in Oestrich-Winkel – der Brunnen stößt auch manchmal an seine Kapazitätsgrenze. Das hatten wir gerade letztes Jahr, dass dann der Brunnen auch einfach mal leer war. Weil der Rhein zu wenig Wasser hat und weil vielleicht auch zu viel entnommen worden ist. Wenn da nonstop Wasser geholt wird, ist das auch in manchen Jahren kritisch zu beurteilen."
"Wichtig ist, dass man mit gesundem Menschenverstand rangeht und nicht einfach die Ressource Wasser permanent nach draußen in die Weinberge bringt", sagt Schönleber, "denn nachhaltig ist das auch nicht für den Rebstock. Wenn die Wurzeln immer verwöhnt sind und wenn die nicht lernen, das sie in den Boden müssen, dann machen die es nicht."
"Die Uferfiltrats-Brunnen, die es gibt, hier in Oestrich-Winkel – der Brunnen stößt auch manchmal an seine Kapazitätsgrenze. Das hatten wir gerade letztes Jahr, dass dann der Brunnen auch einfach mal leer war. Weil der Rhein zu wenig Wasser hat und weil vielleicht auch zu viel entnommen worden ist. Wenn da nonstop Wasser geholt wird, ist das auch in manchen Jahren kritisch zu beurteilen."
"Wichtig ist, dass man mit gesundem Menschenverstand rangeht und nicht einfach die Ressource Wasser permanent nach draußen in die Weinberge bringt", sagt Schönleber, "denn nachhaltig ist das auch nicht für den Rebstock. Wenn die Wurzeln immer verwöhnt sind und wenn die nicht lernen, das sie in den Boden müssen, dann machen die es nicht."
Erfahrungsaustausch mit australischen Riesling-Produzenten
Max Schönleber hat an der Hochschule im benachbarten Geisenheim Weinbau studiert. Dort gibt es schon seit Jahren über eine Internet-Plattform einen intensiven Austausch mit einer Hochschule in einem australischen Weinbaugebiet, um Erfahrungen mit sparsamer Bewässerung oder auch einer klimaresistenteren Weiterverarbeitung etwa von Riesling-Kulturen auszutauschen. Der Geisenheimer Weinbau-Professor Manfred Stoll:
"Wir wissen alle, dass der zweitgrößte Riesling-Anbauer außerhalb Deutschlands flächenmäßig in der neuen Welt liegt: große Flächen sind in Australien und auch teilweise in Kalifornien mit Riesling bestockt. Und dort haben wir auch schon heißere Bedingungen und natürlich auch andere Weinprofile. Das heißt, da geht der Anbau mit der Weiterverarbeitung, mit der Önologie – der Kellerwirtschaft – eigentlich Hand in Hand. Wie kann ich unser vielleicht hochgeschätztes und weltweit beliebtes Profil der Riesling-Weine auch in Zukunft beibehalten oder weiterentwickeln?"
Einige Kilometer nördlich von Oestrich-Winkel und rund 200 Meter höher stoßen die Weinberge des Rheingaus an einen dichten Waldrand. Hier oben beginnen die ausgedehnten Wälder des Rheingau-Gebirges und des nahegelegenen Taunus, der auf fast 900 Meter Höhe hinaufreicht.
Der beliebte Fernwanderweg "Rheinsteig" führt hier entlang. Die ausgedehnten Wälder über dem alten Weinbaugebiet sind artenreich, deshalb waren sie in den letzten Jahren auch immer wieder als Biosphären-Reservat im Gespräch. Doch ein Weg für die Winzer und ihre Rebstöcke, der wachsenden Hitze unten am Rheinufer zu entgehen, führt immer weiter in die Höhe bis an den Waldrand.
"Die Lösung, die wir gefunden haben in den letzten Jahren, ist wirklich weiter hoch zu wandern", sagt Winzer Max Schönleber. "Also wirklich in die höheren Lagen, die vor 15, 20 Jahre wertlos waren. Die keiner haben wollte, die man mehr oder weniger nachgeworfen gekriegt hat, die keinen Bodenwert hatten. Das sind heute die vermeintlich teureren Lagen. Weil dort die Trauben auch reif werden und wir da die die Erntezeit im Herbst auch ein bisschen auseinanderzerren können. Dass wir nicht alles auf einmal lesen müssen und vor allem, dass wir in säureschwierigen Jahren, sehr warmen Jahren natürlich auch, die typische Riesling-Säure, die wir auch haben wollen, da oben eher gesichert sehen als unten in den warmen Rheinlagen".
Anforderungen des Klimaschutzes setzen Grenzen
Doch auch die Expansion des Weinbaus nach oben hat Grenzen – etwa wegen des Klimaschutzes. Denn um die Erderwärmung zu verlangsamen, sind die hessischen Wälder wichtig. Hessen und das benachbarte Rheinland-Pfalz sind die waldreichsten deutschen Bundesländer.
Priska Hinz, die hessische Umweltministerin, sagt: "Denn wir wollen uns ja nicht nur an den Klimawandel anpassen, sondern wir wollen das Klima auch weiter schützen. Unser Ziel ist es, die Treibhausgas-Emissionen auch wirklich drastisch zu reduzieren, um spätestens 2050 klimaneutral zu sein in Hessen."
Und dazu braucht Hessen intakte Wälder. In anderen Teilen Europas führt die Verlagerung des Weinbaus in immer höhere Lagen sogar zu Konflikten mit Sommerviehhaltung auf Almen. Das beschreibt der Weinbau-Professor Manfred Stoll: "Welche Flächen werden dann für die Dauerkultur genutzt? Mein Beispiel kommt aus Südtirol, wo es einen Verdrängungswettbewerb geben wird zwischen der Alm-und Viehwirtschaft und der Etablierung einer Dauerkultur wie der eines Weinberges."
Dennoch ist Südtirol für den Kellermeister Max Schönleber vorbildlich – beim gemeinsamen Wassermanagement nämlich: "Dass gemeinschaftlich über die Wasserversorgung nachgedacht wird, gemeinsam Leitungen hinlegt und sich ein Konzept überlegt: Wo kommt das Wasser her? Wo sind die Rückhaltebecken? Wo sind die Pufferbecken? Das geht nicht, wenn da jeder alleine anfängt."
Doch auch ein "runder Tisch" aller Rheingau-Winzer zur Bewässerungsfrage wird es nicht leicht haben, neue große Wasserbecken im Wald oberhalb der Weinberge durchzusetzen. Weinbau-Professor Manfred Stoll: "Natürlich wäre es sinnvoll zu sagen: Wir sammeln Winterniederschläge oder ablaufendes Wasser ein und stellen das dann für eine Bewässerung zur Verfügung. Aber wo sollen diese teilweise sehr großen erforderlichen Becken platziert werden? Auch das ist ein Diskussionspunkt, der in der Öffentlichkeit und mit den zuständigen Behörden zunächst mal abgeklärt werden muss."
Produktionskosten werden weiter steigen
Doch selbst, wenn Naturschützer und Behörden überzeugt werden können: Aufwändige Bewässerungsanlagen bringen auch deutlich höhere Kosten für den Weinbau mit sich, rechnet Winzer Max Schönleber vor: "Wir rechnen pro Hektar mit knapp 5.000 Euro Installationskosten, die da nur die Bewässerung kostet. Was wir natürlich im Idealfall nicht investieren wollen, wenn es denn nicht unbedingt sein muss."
Könnte es ein Weg sein, zum Beispiel den Riesling künftig viel weiter nördlich anzubauen? Die Weinbau-Hochschule Geisenheim experimentiert aktuell etwa mit Weinstöcken in alten Kohle-Tagebaugruben in Nordrhein-Westfalen. Aber, so Professor Manfred Stoll: "Man darf auch nicht vergessen, wir reden im Moment über die Höchsttemperaturen. Aber wir haben natürlich auch die Temperaturen in den anderen Jahreszeiten zu beachten. Das heißt, hier haben wir in den nördlicheren Gebieten eventuell durch Spätfröste noch ein höheres Risiko."
Das kann sich in einigen Jahrzehnten ändern - insbesondere wenn die Klimaerwärmung so rasant voranschreitet wie heute. Klar ist jedoch: Die traditionsreiche Weinbau-Familie Allendorf mit dem jungen Firmenchef Max Schönleber wird den Rheingau wohl niemals verlassen. Zumindest solange man dort noch neue Wege findet, den Anbau von Riesling oder Spätburgunder dem Klimawandel anzupassen: durch Ausweichen in die Höhe oder durch andere Verarbeitungstechniken im Weinkeller.