Weiner: CIA bekommt kaum neue Informanten

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der US-Journalist Tim Weiner sieht Geheimdienste wie die CIA als notwendig an, weil es heutzutage nicht mehr um klassische Kriege, sondern um einen "Konflikt der Ideen, der Informationen" gehe. Wer darin die Oberhand behalten wolle, brauche Aufklärungsdienste. Allerdings solle man sich nicht zu sehr auf technische Geräte verlassen. "Der einzige Weg, den Feind zu kennen, ist, mit ihm zu sprechen, und zwar in seiner Sprache", betonte Weiner.
Liane von Billerbeck: Wir mögen Geheimdienste nicht, dennoch, sie sind nötig, gerade in offenen Gesellschaften. Dass es viele Vorbehalte in Schwellenländern und auch in Westeuropa gegen Geheimdienste gibt, rührt besonders daher, dass der Geheimdienst der Weltmacht Nummer eins, USA, in diverse Operationen verwickelt war, die rechtswidrig bis verbrecherisch waren, Anstiftung zu Morden, Regierungsumstürze, Verbindungen zu Diktatoren und organisierte Kriminalität. All das lässt sich in der Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes CIA nachweisen.

Diese Geschichte, 60 Jahre davon, hat der amerikanische Journalist Tim Weiner recherchiert. Für seine investigativen Recherchen in der "New York Times" hat er zweimal den Pulitzer-Preis bekommen und für sein neues Buch den National Book Award, das heißt auf Deutsch "CIA - Die ganze Geschichte". Mit ihm sprechen wir jetzt. Willkommen im Deutschlandradio Kultur!

Tim Weiner: General Eisenhauer hat gesagt, Geheimdienste sind etwas Abscheuliches, gleichwohl Überlebenswichtiges. Jede Großmacht, die über ihre Grenzen hinaus gestalterisch tätig werden möchte, müsse auch eine Art Geheimdienst haben. Damit müssen wir uns abfinden, abscheulich, gleichwohl notwendig. Wir haben diesen Dienst ja erst seit 60 Jahren. Die Briten sind schon 500 Jahre im Geschäft, die Chinesen 2500 Jahre in diesem Geschäft, dass manche das zweitälteste Gewerbe der Welt nennen.

von Billerbeck: Sie beschreiben in Ihrem Buch ja 60 Jahre CIA, also 60 Jahre eigentlich Weltgeschichte und erwähnen auch viele peinliche Details, die ich jetzt nur mal kurz nennen will, einfach als Beispiele. Eine Geschichte während der ersten Invasion Iraks in Kuwait Anfang der 90er beschreiben Sie, dass der Sicherheitsberater ein Picknick macht mit seiner Familie, und eine Freundin der Familie kommt dazu und fragt ihn, was eigentlich mit der Invasion ist. Und er fragt: Welche Invasion?

Zweites Beispiel: Mauerfall in Berlin 1989, und der Chef der Sowjetischen Abteilung der CIA erfährt von "CNN" was passiert ist und wimmelt die hochbesorgten Anrufe aus dem Weißen Haus ab, die danach fragen, was sie eigentlich für Informationen haben. Wo liegen die Gründe dafür, dass die CIA so wenig wusste?

Weiner: Wir in Amerika erwarten ja vom Rest der Welt, dass er sich irgendwie so verhält wie wir, dass sie so sprechen wie wir, dass sie so sind wie wir. Wir sind recht ungeschickt darin, die andere Seite zu verstehen in der Sprache, in der Geschichte, in deren Kultur. Dies vorausgeschickt, muss ich sagen, die aufklärenden Dienste haben drei Aufgaben. Erstens: dem Präsidenten genug Material an die Hand zu geben, strategische Informationen, sodass er dann imstande ist oder sie imstande ist, strategische Entscheidungen zu treffen. Zweitens: Verhindern von Überraschungen oder Vorwegnehmen von Überraschungen, sodass man nicht auf dem falschen Fuß erwischt wird oder, ganz klar gesagt, zu verhindern, dass es ein zweites Pearl Harbor oder einen zweiten Angriff auf die Twin Towers gibt. Drittens, eine umfassende Lagebeurteilung für den Präsidenten, was läuft so weltweit, sodass der Präsident oder die Präsidentin imstande sind, die Dinge aus der Vogelschau zu betrachten und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Während des Kalten Krieges haben wir uns zu sehr auf technische Geräte verlassen. Wir haben mit Aufklärungssatelliten auf die Sowjetunion runtergeschaut und haben die Gefechtsköpfe gezählt, wir haben die Panzer gezählt. Was wir in Wahrheit hätten überlegen müssen, ist, warum schaffen es die Leute nicht, die Kartoffeln auf den Markt zu bringen. Warum verfaulen die auf den Äckern? Warum haben sie nicht genug Benzin? Das wäre die Art Information gewesen, die wir gebraucht hätten. Wir haben die falschen Fragen gestellt.

Wenn man sinnvoll Aufklärungsarbeit machen will, dann muss man den Feind kennen. Und der einzige Weg, den Feind zu kennen, ist, mit ihm zu sprechen, und zwar in seiner Sprache. Das ist das ganz Entscheidende.

von Billerbeck: "CIA - Die ganze Geschichte". Wir sprechen im Deutschlandradio Kultur mit Tim Weiner, dem New-York-Times-Reporter, dessen Buch gerade auf Deutsch erschienen ist. Das Verhältnis zu den US-Präsidenten, das habe ich aus Ihrem Buch gelernt, war immer ein sehr schwieriges, das der CIA hatte. Es gibt ein Zitat des CIA-Direktoren Woolsey, der sagte, er hatte zu Bill Clinton kein schlechtes Verhältnis, sondern gar keines. Sie erwähnen auch, dass in den 90er Jahren, allein in den 90er Jahren fünf Direktoren verschlissen worden sind beim CIA, und George Tenet hat Ende der 90er Jahre gesagt, der CIA stünde vorm Kollaps. Wie hat sich dieses Verhältnis der US-Präsidenten zum CIA und vom CIA zu den US-Präsidenten verändert, und ist das inzwischen an so einem Punkt, dass man sagen kann, es ist effizient?

Weiner: Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es nur einen amerikanischen Präsidenten gegeben, der die Fähigkeiten und Möglichkeiten der CIA richtig einschätzte, und das war George Bush senior. Denn er hatte ja schließlich elf Monate lang selbst diese Behörde geleitet. Er war der Einzige, der wusste, was die CIA kann und was sie nicht kann. Kein amerikanischer Präsident konnte in der Nachkriegsgeschichte aber zufrieden sein mit dem, was die Dienste ihm lieferten. Alle wurden sie dann sehr verdrießlich und ärgerlich, wenn der CIA ihnen sagen musste, dass er kein Patentrezept hatte, dass es keine schnelle Lösung für die Probleme der Präsidenten gab. Die Präsidenten erwarten immer eine sofortige Lösung. Sie erwarten eine Sofortmaßnahme. Der CIA kann das nicht liefern. Und alle Präsidenten haben mit dieser Situation ihre Probleme gehabt.

von Billerbeck: Liegt es auch daran, dass das Verhältnis zwischen Präsidenten und CIA so schlecht war und ist, dass es dazu führte, dass der CIA oder die CIA den Präsidenten nur die Informationen lieferte, die sie hören wollten?

Weiner: Um die Wahrheit zur Geltung zu bringen, braucht es zwei Instanzen. Erstens jemand, der die Wahrheit ausspricht, einer, der sie hören mag. Die Präsidenten sind immer sehr unwillig, wenn sie Dinge vorgesetzt bekommen, die nicht mit ihren Vorurteilen übereinstimmen. Und das bringt die Vereinigten Staaten und die CIA in große Schwierigkeiten.

von Billerbeck: Wenn man Ihr Buch liest über 60 Jahre CIA, dann gewinnt man den Eindruck, es sei eine Kette von Misserfolgen. Hatte die CIA gar keine Erfolge?

Weiner: Es gibt durchaus auch Erfolgsmeldungen, und sie sind auch in diesem Buch aufgeführt. Während des Kalten Krieges zählte die CIA ja die Zahl der Gefechtsköpfe, die Zahl der Panzer, und so konnte sie verlässlich berichten, dass die Sowjetunion kein überlebensgroßer Koloss ist, sondern sozusagen ein Staat auf Augenhöhe, mit dem man sich auseinandersetzen konnte. Die CIA half dabei, dass der Kalte Krieg ein Kalter Krieg blieb. Zu Ende des Sowjetreiches lieferte die CIA ebenfalls gute Berichte. Als die Berliner Mauer fiel, kam es zu keinem überschäumenden Triumphgebaren, keine Schüsse wurden abgefeuert, insgesamt eine gute Leistung in der Lagebeurteilung. Das muss man so aussprechen.

Die eigentlichen Probleme, die die CIA heute hat, sind sehr viel schwieriger und sind anders gelagert. Denn heute wird es immer schwieriger, die richtigen Leute zu rekrutieren. Während des Kalten Krieges standen die USA für Ideale wie Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie. Es war ein Leichtes, in den kommunistischen Ländern Zuträgerspione zu gewinnen. Heute ist das Ansehen der Vereinigten Staaten beschmutzt durch Guantanamo, durch Abu Ghraib, durch die Geheimgefängnisse, sodass es sehr viel schwieriger wird, Spione oder Informanten zu bekommen. Wir brauchen diese aber, denn ohne diese Zuarbeit sind wir blind.

von Billerbeck: Sie haben es vorhin schon mal erwähnt, als Sie den Unterschied zwischen dem sowjetischen Geheimdienst und dem amerikanischen Geheimdienst am Anfang seiner Geschichte beschrieben haben. Deshalb die Frage, die man sich so grundlegend nach Ihrem Buch stellt angesichts der Bedrohung jetzt durch den islamistischen Terror, ob es überhaupt möglich ist, in einer offenen demokratischen Gesellschaft einen effizienten Geheimdienst zu installieren.

Weiner: Die Vereinigten Staaten zerbrechen sich seit 60 Jahren den Kopf über eben diese Frage. Wie ist es möglich, einen geheimen Aufklärungsdienst in einer offenen Demokratie zu führen? Wir haben bisher keine gute Antwort darauf gefunden. Wenn es in einem Krieg zur Auseinandersetzung kommt, sofern dies hier ein Krieg ist, dann geht es ja zunächst mal darum, mehr Feinde zu töten, als die Feinde von uns töten. Das ist letztlich, worauf ein Krieg hinausläuft.

Dies aber, worin wir jetzt verwickelt sind, ist kein Krieg in diesem Sinne. Hier geht es nicht einfach um eine bewaffnete Auseinandersetzung. Nein, hier geht es um einen Konflikt der Ideen, der Informationen. Und wir werden diesen Krieg, der vielleicht solange dauern wird, wie der Kalte Krieg auch gedauert hat, gewinnen, je nachdem, ob wir auf diesen Feldern, auf den Feldern der Gedanken und der Informationen, die Oberhand behalten. Und aus diesem Grunde brauchen wir auch diese Aufklärungsdienste.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, wir sprachen mit Tim Weiner, dem Autoren des Buches "CIA - Die ganze Geschichte", das soeben im S. Fischer Verlag erschienen ist. Ich danke Ihnen!
Tim Weiner, Journalist der New York Times, erhielt zweimal den Pulitzerpreis und den National Book Award für "CIA - die ganze Geschichte".
Tim Weiner, Journalist der New York Times, erhielt zweimal den Pulitzerpreis und den National Book Award für "CIA - die ganze Geschichte".© AP Archiv
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte© S. Fischer Verlag
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