Weisheiten eines religiösen Oberhauptes
Bücher und Filme über den Dalai Lama gibt es zuhauf. Bücher von ihm nur wenige. Zwei davon hat der Schweizer Diogenes Verlag bisher veröffentlicht -"Ratschläge des Herzens" und "Mitgefühl und Weisheit".
Wenn das dritte nun "Meine spirituelle Autobiographie" heißt, dann darf man die innere Entwicklungsgeschichte des buddhistischen Friedensnobelpreisträgers aus eigener Feder erwarten - eine Retrospektive des 74-Jährigen auf seinen geistigen, charakterlichen, sozialen und spirituellen Werdegang.
Gleich vorneweg: Das ist dieses Buch nicht. Es gibt Auszüge aus Redemanuskripten der letzten 20 Jahre, Interview-Abschriften aus dem Film "Dalai Lama - ein Herz für Menschen", und es gibt Notizen der Herausgeberin Sofia Stril-Rever aus ihren Gesprächen mit dem Dalai Lama. Die hat er autorisiert, insofern sind ihre Texte durchaus seine. Aber biografisch neu ist daran für Dalai-Lama-Fans nichts, von einigen Szenen seiner Kindheit einmal abgesehen.
Religionskundlich neu ist für Nicht-Buddhisten aber auch wenig, denn als Quellentext-Band eignet sich das Buch nur bedingt. Die mündlichen "Unterweisungen" des Religionsführers in seinem Kloster sind thematisch zufällig, wurden aus dem Tibetischen ins Französische, von dort ins Deutsche übersetzt und obendrein mit gläubig-hingebungsvollen Kommentaren der Herausgeberin versehen. Eine amtliche "Buddhismus-Bibel" will und kann das Buch nicht sein.
Warum ich es trotzdem mit großem Interesse gelesen habe: Der tibetische Mensch Tenzin Gyatso erzählt mir, wie er als Bauernkind "entdeckt" wird, ins Kloster nach Lhasa kommt, durch Heinrich Harrer von der westlichen Welt erfährt, am Vorabend des chinesischen Massakers vom März 1959 über den Himalaya nach Indien flieht, wie er mit der Heimatlosigkeit, dem sexuellem Begehren und mit dem Älterwerden umgeht.
Der buddhistische Mönch aus Dharamsala erzählt mir, wie er seine Identität als Reinkarnation versteht, wie er betet und meditiert, warum er am Ideal der Feindesliebe, des Mitgefühls und des Glücks festhält, warum er nicht missionieren will und was er an Jesus Christus schätzt. Der 14. Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger, Symbolfigur des Buddhismus und geistliches Oberhaupt von sechs Millionen Tibetern erzählt mir, warum er gegen die Theokratie und für eine laizistische Demokratie ist, wie er Mao Tse Tung traf, was er von Ghandi und Nehru gelernt hat, warum er trotz der rund eine Million grausam getöteter Tibeter an Gewaltfreiheit glaubt und wie er sich eine künftige Autonomie Tibets innerhalb des chinesischen Staates vorstellt.
Entsprechend dieser drei "Identitäten" des Dalai Lama ist das Buch klar dreigeteilt, wobei der erste Teil mehr unterhaltsam, der zweite religiös-philosophisch und der dritte als politische Chronologie daherkommt. Fast alles, was der Dalai Lama im heiter-freundlichen Plauderton sagt, könnte für Menschen aller Religionen (und alle Religionslosen) zustimmungsfähig sein. Wäre da nicht der leise nagende Verdacht, dass es mit der Liebe, dem Hass, dem Frieden und der sozialen Gerechtigkeit halt sooo einfach nicht ist.
Westliche Kritiker spotten bisweilen, die Weisheiten des Dalai Lama seien so harmlos wie ein Poesiealbum. Nein, das sind sie nicht. (Frau Stril-Revers Erklärungen sind es manchmal).
Wenn er die Menschheitsfamilie zu einer "ethischen Revolution" aufruft, weil Ethik die Basis einer "laizistischen Spiritualität" sei und nichts mit Religiosität im herkömmlichen Sinn zu tun habe – dann mag man streiten, ob der Dalai Lama hier nicht Ursache und Wirkung, Same und Frucht verwechselt. Ernst zu nehmen, bedenkenswert und diskussionswürdig aber sind die hier vorliegenden Texte dieses brillanten Intellektuellen und leidgeprüften Menschenrechtsaktivisten allemal.
Besprochen von Andreas Malessa
Dalai Lama: Meine spirituelle Autobiographie
Herausgegeben von Sofia Stril-Rever
Aus dem Französischen von Inge Stadler
Diogenes Verlag, Zürich 2009
320 Seiten, 22,90 Euro
Gleich vorneweg: Das ist dieses Buch nicht. Es gibt Auszüge aus Redemanuskripten der letzten 20 Jahre, Interview-Abschriften aus dem Film "Dalai Lama - ein Herz für Menschen", und es gibt Notizen der Herausgeberin Sofia Stril-Rever aus ihren Gesprächen mit dem Dalai Lama. Die hat er autorisiert, insofern sind ihre Texte durchaus seine. Aber biografisch neu ist daran für Dalai-Lama-Fans nichts, von einigen Szenen seiner Kindheit einmal abgesehen.
Religionskundlich neu ist für Nicht-Buddhisten aber auch wenig, denn als Quellentext-Band eignet sich das Buch nur bedingt. Die mündlichen "Unterweisungen" des Religionsführers in seinem Kloster sind thematisch zufällig, wurden aus dem Tibetischen ins Französische, von dort ins Deutsche übersetzt und obendrein mit gläubig-hingebungsvollen Kommentaren der Herausgeberin versehen. Eine amtliche "Buddhismus-Bibel" will und kann das Buch nicht sein.
Warum ich es trotzdem mit großem Interesse gelesen habe: Der tibetische Mensch Tenzin Gyatso erzählt mir, wie er als Bauernkind "entdeckt" wird, ins Kloster nach Lhasa kommt, durch Heinrich Harrer von der westlichen Welt erfährt, am Vorabend des chinesischen Massakers vom März 1959 über den Himalaya nach Indien flieht, wie er mit der Heimatlosigkeit, dem sexuellem Begehren und mit dem Älterwerden umgeht.
Der buddhistische Mönch aus Dharamsala erzählt mir, wie er seine Identität als Reinkarnation versteht, wie er betet und meditiert, warum er am Ideal der Feindesliebe, des Mitgefühls und des Glücks festhält, warum er nicht missionieren will und was er an Jesus Christus schätzt. Der 14. Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger, Symbolfigur des Buddhismus und geistliches Oberhaupt von sechs Millionen Tibetern erzählt mir, warum er gegen die Theokratie und für eine laizistische Demokratie ist, wie er Mao Tse Tung traf, was er von Ghandi und Nehru gelernt hat, warum er trotz der rund eine Million grausam getöteter Tibeter an Gewaltfreiheit glaubt und wie er sich eine künftige Autonomie Tibets innerhalb des chinesischen Staates vorstellt.
Entsprechend dieser drei "Identitäten" des Dalai Lama ist das Buch klar dreigeteilt, wobei der erste Teil mehr unterhaltsam, der zweite religiös-philosophisch und der dritte als politische Chronologie daherkommt. Fast alles, was der Dalai Lama im heiter-freundlichen Plauderton sagt, könnte für Menschen aller Religionen (und alle Religionslosen) zustimmungsfähig sein. Wäre da nicht der leise nagende Verdacht, dass es mit der Liebe, dem Hass, dem Frieden und der sozialen Gerechtigkeit halt sooo einfach nicht ist.
Westliche Kritiker spotten bisweilen, die Weisheiten des Dalai Lama seien so harmlos wie ein Poesiealbum. Nein, das sind sie nicht. (Frau Stril-Revers Erklärungen sind es manchmal).
Wenn er die Menschheitsfamilie zu einer "ethischen Revolution" aufruft, weil Ethik die Basis einer "laizistischen Spiritualität" sei und nichts mit Religiosität im herkömmlichen Sinn zu tun habe – dann mag man streiten, ob der Dalai Lama hier nicht Ursache und Wirkung, Same und Frucht verwechselt. Ernst zu nehmen, bedenkenswert und diskussionswürdig aber sind die hier vorliegenden Texte dieses brillanten Intellektuellen und leidgeprüften Menschenrechtsaktivisten allemal.
Besprochen von Andreas Malessa
Dalai Lama: Meine spirituelle Autobiographie
Herausgegeben von Sofia Stril-Rever
Aus dem Französischen von Inge Stadler
Diogenes Verlag, Zürich 2009
320 Seiten, 22,90 Euro