Die Reportage "Weiße Haie vor der US-Ostküste: Die Rückkehr des Film-Monsters" wurde am 4. Juli 2021 erstmals veröffentlicht.
Weiße Haie vor der US-Ostküste
Bis zu 100 Kilometer täglich legt ein Hai zurück. (Symbolbild) © picture alliance / imagebroker / R. Dirscherl
Die Rückkehr des Film-Monsters
29:06 Minuten
Auf Cape Cod freut man sich auf Besucherrekorde. Doch an den Stränden, wo Steven Spielberg 1975 seinen Horrorklassiker "Der weiße Hai" drehte, ist an unbekümmertes Sommerbaden nicht zu denken. Die Wirklichkeit hat die Fantasie eingeholt.
Ein sportlicher Mann, etwa Mitte 40, in dunkelblauen Shorts rubbelt sich die letzten Sandkörner aus den nassen Haaren. Mit seiner Familie sitzt er auf der Strandtreppe von Chatham Harbor, eine pittoreske Beachtown am Ellenbogen der berühmten Halbinsel Cape Cod, die wie ein gekrümmter Fischhaken hundert Kilometer südlich von Boston in den Atlantik ragt. Ja, er sei gerade schwimmen gewesen, sagen sie. Sehr weit raus? Nein, meint er. Das würde er nun nicht wagen, weit rausschwimmen. In seichte Gewässer kämen sie eher selten, spekuliert die ältere Dame, die wohl seine Mutter ist: Wer entlang des Strandes schwimme, sei wahrscheinlich sicher.
2018 erwischt es einen Surfer
Auf der beliebten Ferienidylle, die jährlich vier Millionen Besucher anzieht, die meisten badehungrig ab Juli, ist ein Raubfisch zurück, der vor Cape Cod als so gut wie ausgestorben galt. Der Weiße Hai. 2018 erwischte es einen jungen Boogie-boarding-Surfer: der erste tödliche Zwischenfall seit über 80 Jahren. Eine Attacke, titelten die lokalen Blätter, die das Cape für immer verändert hat. Einige trauen sich jetzt kaum mehr, den großen Zeh ins Wasser zu halten. Hai-Sichtungen und Strandsperrungen, kalauerte Bill Whitaker 2019 in einer "60 Minutes"-Sendung für CBS-News, seien auf dem Cape nun so selbstverständlich wie Lobster Roll, Hummerbrötchen.
Überall an den Stränden warnen luftmatratzengroße Schilder mit der abgebildeten "Fressmaschine" Weißer Hai. Die Population der "Great Whites" verdoppelt sich gegenwärtig jährlich. Einige Leute sind schon verletzt worden, erzählt die ältere Dame in Chatham Harbor. Auch ein Freund von ihnen. Nördlich von Chatham in Nauset. Ins Bein wurde er gebissen.
Er habe genau das gemacht, sagt der Schwimmer, was man nicht machen sollte. Er verließ den markierten Bereich, schwamm weit raus ins tiefe Wasser. Sein Sohn war zum Glück dabei, er brachte den Vater zurück an Land, rief den Notruf 911. In der Nähe war gleich ein Arzt, der konnte helfen – sein Bein wurde gerettet.
Eine App warnt vor Hai-Aktivitäten
An den Stränden des Capes sind inzwischen selbst die Ausgucksitze der Lifeguards für besseres Hai-Spotting höhergelegt. Ein Stop-the-Bleed-Training ist für alle Rettungsschwimmer Pflicht. Vor dem Besucherzentrum des "National Seashore", Cape Cods Nationalpark, der über 50 Kilometer unberührte Küste schützt, eine der fantastischsten Dünenlandschaften der US-Ostküste, wird den Sommergästen die Broschüre "Schlau wie ein Hai" in die Hand gedrückt. Zudem gebe es kostenlos herunterladbar die App "Sharktivity". Sobald sich einer blicken lässt, versichert die Rangerin in der hellbraunen Försteruniform, werde man alarmiert.
In Kooperation mit der lokalen Non-Profit-Organisation "The Atlantic White Shark Conservancy" hat Massachusetts "Division of Marine Fisheries" über 250 Weiße Haie mit elektronischen "Tags" – Etiketten – markiert, sodass sich verfolgen lässt, wo und vor welchen Stränden sie sich gerade befinden. Alle haben jetzt auch Namen – Ben, Novia Scotia oder Miss Costa, nach den "Costa"-Sonnenbrillen benannt, von denen sich eines der internationalen Forscherteams sponsern lässt: Vielleicht gibt es bald noch einen Mr.-Coca-Cola-Hai.
1975 noch ein Fantasieprodukt
Nein, noch nie einen gesehen, sagt in Chatham Harbor der Schwimmer in dunkelblauen Shorts. Wie die meisten kennt auch er den Raubfisch, eines der weltweit am stärksten bedrohten Tiere, bisher nur aus dem Kino und dem Fernsehen. Im Oktober 2020 ging ein Mitschnitt viral, auf dem ein Weißer Hai kaum zwei Meter von der Wasserlinie entfernt eine Robbe verspeist.
Für das legendäre Sommerparadies ist es wie ein Flashback: Ja, "Der Weiße Hai", sagt Jay und lächelt. Jay ist Austernfarmer, die Woche über auf dem Wasser unterwegs, und an der Ostküste aufgewachsen. Hinter dem Hafen von Chatham sitzt er beim Leuchtturm am offenen Meer, einem der Hotspots für Great Whites, und schaut mit Freunden in die Abendsonne, während die Flut reinkommt.
Es sei etwas komplett Neues. Als Steven Spielberg auf der kleinen Nachbarinsel Martha’s Vineyard 1975 den Horrorkracher "Der weiße Hai" drehte, die Fressmaschine aus den Tiefen des Atlantiks erfand, war der Weiße Hai vor Cape Cod reine Fantasie. Seit fünf bis zehn Jahren wird diese nun von der Wirklichkeit eingeholt. Die Zahlen seien verrückt, meint Jay. Dieser Tage habe er mit Freunden des Forscherteams "Ocearch Shark Tracker" gesprochen. Die hätten bei einer einzigen Tour 20 Haie gesehen. Wie viele es genau sind, lässt sich nur spekulieren. Die Raubfische "wandern" und legen täglich bis zu 100 Kilometer zurück.
Cape Cod ist vollgepackt mit Robben
Im Coronasommer 2020 schwamm in Maine, 200 Kilometer nördlich von Cape Cod, eine Frau mit ihrer Tochter unbedacht weit aufs Meer hinaus und wurde getötet. Die freundliche Rangerin an der Info von "Cape Cod’s National Seashore" holt ihr Smartphone raus, öffnet die Sharktivity-App und erklärt: "Das sind alle Hai-Sichtungen der letzten zwei Tage."
Jede Sichtung markiert eine kleine weiße Flosse. Die gesamte Halbinsel scheint umlagert. Dem Cape liefert die App so etwas wie die zweite Realität: was da draußen auf dem Atlantik eigentlich so los ist. Sehr wenige im Wattbereich der Halbinsel, erläutert die Rangerin routiniert, als mache sie die App-Vorführung einige Dutzend Mal täglich, aber sehr viele Haie am äußeren Kap, dem "Outer Cape": Sie hielten Ausschau nach Robben, ihrer bevorzugten Beute, dort befänden sich die meisten Robben.
Auf Cape Cod, das von Sommer, Badespaß und frischem Fisch lebt, hat jeder inzwischen so seine Meinung: Wer eigentlich wen bedroht, geschützt oder vielleicht doch nicht mehr geschützt werden sollte. Je nachdem, mit wem man spricht, ein Problem: für oder gegen. Für den Tourismus sei es jedenfalls nicht ganz günstig, meint Karen Rinaldo zum Haifisch-Thrill. Sie ist Illustratorin, im lokalen Tourismusverein engagiert. Im Städtchen Eastham steht sie vor einem der zum Gemeindefest aufgestellten Klapptische und hat exzellente Laune.
Wie den Haien erging es auch den Robben, die jetzt in Nauset einen Großteil der Küste und die gesamte vorgelagerte Insel Monomoy besetzt halten. Auch die Robben waren so gut wie ausgerottet. Seit 1972, dem Erlass des "Marine Mammal Protection Act", stehen sie unter Naturschutz. Am "Outer Cape" lümmeln sie sich jetzt wieder zu Tausenden an den Stränden, das Cape ist im wahrsten Sinne des Wortes gepackt voll. Die Haie von ihnen wegzudrängen, sei kaum möglich, glaubt Karen. Für die Sicherheit der Badegäste müsse man sich was anderes überlegen.
Er herrscht Krieg: Robben gegen Haie
Eine neue Radartechnik sei entwickelt worden, um die Haie von der Küste fernzuhalten. Sie gänzlich aus der Gegend zu vertreiben, sei hoffnungslos, so Karen. Es sei denn, die Robben verschwänden. Insbesondere für die Fischer des Capes sind die Robben längst zum Problem geworden. Sie zerstören ihre Netze, fressen ihnen die Felsenbarsche weg. Wie in alten Zeiten würden die Fischer gern wieder die Flinte rausholen und das Artenschutzgesetz lockern. Noch bis in die 40er-Jahre gab es an der US-Ostküste für jede erledigte Robbe Kopfgeld. Für Karen keine Lösung. Die Robben hätten eben auch einen Daseinszweck. Sie hätten auf dem Cape nun mit den Haien ihren festlichen Futterplatz. Zwischen den beiden herrsche Krieg, stellt Karen trocken neuenglisch fest, als sei es nun mal so – wie bei den Menschen, zwei Gruppen im Kampfmodus.
Der Artenschutz allein scheint die erholte Natur auch nicht zu erklären. Es habe auch mit dem Klimawandel zu tun, meint der Austernfarmer Jay. Infolge der Atlantikerwärmung gebe es tonnenweise neues Meeresleben. Für Jay ist die Rückkehr des "Top Predator", des Hais, der in den USA seit den 90ern unter Schutz steht, eine ökologische Erfolgsgeschichte, denn noch immer werden Millionen Haifische aller Arten für asiatische Flossensuppe abgeschlachtet. Es sei eines der ältesten Tiere des Planeten, so Jay. Dass es Haie so lange gibt, erklärt er damit, dass sie so gute Fresser sind. Und Fressen hätten sie vor Cape Cod gefunden. "Ich bin für so wenig Einmischung wie möglich", sagt er: "Hände weg!" Das Naturmanagement auf Sommertouristen abzustimmen, ist nichts für ihn. So entspannt wie er nehmen es nicht alle.
Naturschützer polieren Hai-Image auf
Eine Hai-Hysterie, wie sie im Juli 1916 nach vier tödlichen Haiangriffen an der US-Ostküste in New Jersey ausbrach, scheint aber nicht mehr vorstellbar. Damals hätte US-Präsident Woodrow Wilson fast noch die Nationalgarde einbestellt, um Badenden und Tourismusindustrie beizustehen. Am Ende erledigte die als blutrünstig ausgemachten Killerhaie eine selbsternannte lokale Heldentruppe: Der US-Journalist Peter Benchley fand in New Jerseys "Shark Horror"-Sommer die Vorlage für seinen von Spielberg verfilmten Bestseller "Jaws": Nicht nur Amerika hat der nachhaltig geprägt.
Als "Der weiße Hai" in die Kinos kam, erinnert sich beim Gemeindefest in Eastham die Illustratorin Karen an die von "Jaws" in den Seventies ausgelöste Hai-Hysterie, hätten die Leute ja sogar Angst gehabt, in die Badewanne zu gehen, geschweige denn an den Strand. Ein Kollege von ihr, Rob, stellt sich an den Klapptisch, auch er ist ehrenamtlich im lokalen Tourismusverein dabei. Jetzt sei es anders, meint er, es habe sich allmählich gesteigert: "Erst haben wir sie gesichtet, dann wurde einer gebissen, dann verstümmelt und dann ist jemand gestorben. All das passiert." Deswegen organisierten Ehrenamtliche wie die "Cape Cod Ocean Community" auch Sicherheitsmaßnahmen: Die Badegäste müssen verstehen, womit wir es hier zu tun haben.
Die Leute gingen bereits erstaunlich aufmerksam mit der neuen Situation um, findet Rob. Wenn an den Stränden wegen Haisichtung die Warnpfeife trillert, kämen alle sofort aus dem Wasser. Bisher halte es die Leute aber nicht von den Stränden fern. Gefährlich, sagt Rob, der mit seinen grauen Haaren wie ein echter Seebär aussieht, seien ja auch nicht nur Weiße Haie. In reißenden Fluten und Unterströmungen kämen weit mehr Menschen um. Die Wahrheit sei: "Wir können hier weder alle Robben noch alle Haie abschießen. Das sind natürliche Phänomene." Ja, sagt Karen. "Die müssen auf sich selbst aufpassen." Rob zwinkert: "Am Ende fressen die Haie vielleicht die Robben und die Robben werden sagen: Okay, wir gehen woanders hin."
Karens Mann stellt sich zur Runde an den Klapptisch. Ob man den Jimmy-Buffet-Song kenne, fragt er und stimmt ihn auch schon an: Flosse nach links, Flosse nach rechts. Hahaha. Wie anderswo dem bösen Wolf, versuchen auf dem Cape nun Naturschützer und Meeresbiologen, dem Weißen Hai das Image aufzupolieren, weg von alten Horrorfantasien, die bloß Urängste bedienen hin zu Forschung und Aufklärung, um so Fans und Fürsprecher für seine Erhaltung zu gewinnen: Auch deswegen das sogenannte "Tagging", Markieren der Haifische. Mit Hilfe der elektronischen Sensoren will man mehr über sein Verhalten erfahren.
Shark-Spotting per Flugzeug
Die von den Forschern gern showmäßig inszenierten "Tagging"-Exkursionen lassen sich dann gleich noch an die populäre "Shark Week" des "Discovery Channel" verkaufen: Der Weiße Hai als bewährter Aufmerksamkeitserreger schwimmt im Grunde immer mit, auch im "Shark Center", das als "Spaß für die ganze Familie" vom "The Atlantic White Shark Conservancy" in North Chatham betrieben wird.
Wegen bombiger Nachfrage wird demnächst ein zweites in Provincetown an der Spitze von Cape Cod eröffnen: Es gibt eine kleine Haifisch-Ausstellung, Fundraising-Events und alles Hai-Mögliche zu kaufen, von T-Shirts bis Autonummernschild oder kleinen Silberkettchen. Die tragen selbst die Angestellten. Ein filigraner Haifischanhänger, dessen Schwanzflosse so aussieht wie das "Outer Cape": die neue Symbiose, das Logo einer ökologischen Erfolgsgeschichte, die sich bestenfalls auch touristisch rentieren soll.
Ein lebendiger Hai, versprechen die Anbieter eines sogenannten "Shark Ecotourism", ist mehr wert als ein toter. Bootstouren raus aufs Meer, ähnlich den beliebten Robben- und "Whale Watching"-Touren, lassen sich für Haie allerdings kaum umsetzen. "Glauben Sie es oder nicht", erklärt die Rangerin im Besucherzentrum vom "Cape Cod National Seashore": "Haie sind nicht leicht auszumachen!" Selbst die Forscherteams müssten Flugzeuge anheuern, Haie seien von oben weit besser zu erkennen – als Silhouette im Wasser. Von der Küste aus so gut wie gar nicht. Und selbst vom Boot aus nur sehr schwer. Da sie nicht atmen müssten, kämen sie nicht an die Oberfläche und seien nur selten zu sehen. Es sei denn vom Flugzeug aus. Sie lacht. Die kreisen über dem Cape permanent. Es hat schon was von Verfolgungsjagd.
Hinter dem Besucherzentrum, wo einem der fantastische Blick auf die Marschlandschaft gleich fürs Erinnerungsfoto empfohlen wird, erholt sich ein deutsch-amerikanisches Ehepaar von einem Fahrradausflug. Sie ist aus Hamburg, lange her, er Geschäftsmann aus Connecticut. Auf Cape Cod haben sie ihren Hauptwohnsitz. Und das legendäre Anwesen des Kennedy-Clans. Das Image vom Cape als präsidialem Sommertreff pflegen jetzt die Obamas auf Martha’s Vineyard, wo an der "American Legion Memorial"-Brücke bis heute "Jaws"-Partys und Filmvorführungen an den Dreh des Sommerblockbusters erinnern.
Die Ironie ist inzwischen allen klar. Die beiden mögen sich in die Debatte nicht einmischen. Dass hier alle nur froh seien über die erholten Bestände der Robben, können sie jedenfalls nicht bestätigen. Am Ende empfehlen sie noch eine erste Adresse für Hummerbrötchen. Einige Kilometer nördlich am Harding Beach, wo der Parkplatz rappelvoll ist.
Es ist der Mensch, der sich jetzt anpasst
Hier sitzt im bunten Beachstuhl, die Beine lässig hochgelegt, eine junge Parkplatzwächterin und macht ihren Summer-Job. Die Leute seien schon vorsichtiger, sagt sie. Auch weil die Robben bereits an die Wattseite der Halbinsel kämen, ihre Population wohl gerade stärker wachse als die der Haie. Die Sharktivity App ist auch bei ihr immer an. Am Harding Beach sei aber nie was los, anders als in Nauset und Orléans, den beiden großen Stränden am äußeren Kap, wo Strandurlaub jetzt schon das Feeling eines Wildtierparks hat und die guten alten Tage des Capes als erholsam stressfreie Sommerfrische vorbei zu sein scheinen. Und die Badegäste stattdessen so schnell in den Atlantik springen, wie sie dann wegen Haisichtung wieder rausgepfiffen werden. Sie hat jedenfalls noch nie einen gesehen. Würde sie gern mal. Natürlich nicht im Wasser. Hahaha.
Dort wird dem "Löwen der Meere" im Grunde schon ganz selbstverständlich und undramatisch der Vortritt gelassen: Die neue Zukunft scheint bereits angekommen. "Also, ich finde, wir sind es, die in ihr Revier eindringen. Also benehmen wir uns besser!", sagt der Familienvater, der im Süden des Capes, im kleinen Örtchen Captain Penniham mit Frau, Kindern und einer Menge Strandtaschen aus einem Kleintransporter steigt. Er ist auf der Nachbarinsel Nantucket aufgewachsen, mit dem anderen großen Mythos hier, Walfang und Moby Dick.
Wahrscheinlich werden wir schwimmen gehen, sagt er, falls es sicher ist. In der Regel schaue man erst, ob es Robben gibt, gibt es welche, wird nicht geschwommen. So einfach ist es. Es ist der Mensch, der sich jetzt anpasst und sich für seine ersehnten Sommeraktivitäten schon einiges hat einfallen lassen.
Gestreifte Tauchanzüge und Seeschlangenschlaufen
Im ältesten Surf-Laden der Halbinsel, am "Outer Cape" in Nauset, ist alles im Sortiment, fast jede Innovation. Die gestreiften statt bloß uni-schwarzen Tauchanzüge, mit denen sich Surfer vor tödlichen Beute-Verwechselungen mit Robben zu schützen versuchen, seien gerade ausverkauft, sagt Olivia. Sie ist selbst Surferin, Anfang 20, lange blonde Haare, strahlendes Lachen. In der Früh, noch vor der Arbeit, geht sie raus. Gleich in Eastham. Die Haie schwimmen um Eastham meist herum. Aber sie seien natürlich immer da, wenn auch weniger dicht an der Küste als in Truro oder in Wellfleet, wo der Newcomb Hollow Beach seit der tödlichen Attacke 2018 "Death beach", Todesstrand, heißt.
Angst hat Oliva nicht. Aber man müsse aufpassen. Es sei schon scary und wichtig, immer daran zu denken, dass du da draußen vielleicht nicht allein bist, sagt sie. Deswegen sollte man auch nie allein surfen. Immer einen dabeihaben. Und mit den anderen kommunizieren. Es gebe inzwischen verschiedenste Sicherheitstechnologien: etwa elektronische Abschreckgeräte, die hinten aufs Surfbrett kommen.
Sie selbst habe keins, zu teuer. Aber viele hätten eins. Auch ein guter Freund von ihr, mit ihm fühlt sie sich sicher. Anderes sei weniger wichtig – eben die gestreiften Tauchanzüge. Oder die langen Schlaufen, die mit bunten Farben eine Seeschlange imitierten. Viele hätten so eine. Wahrscheinlich können Haie keine Seeschlangen ausstehen, spekuliert sie. Das sei wohl der Trick.
Als Regel gelte: mindestens zu dritt raus. Insbesondere in der Früh und am Abend, wenn der ohnehin schon trübe Atlantik noch trüber ist, man wenig sieht. Auch Surfer, die nicht aus der Gegend sind, sollte man meiden. Die würden die Schwanzflossen großer Robben mit der von Haien verwechseln, und panisch anfangen zu schreien und ausflippen.
Und wenn doch mal etwas passiert. Schon durchgespielt? Lebensretter seien überall, ein Notruf sofort möglich, und ein toller Zusammenhalt in der Gruppe. Flugzeuge flögen die Gegend ja auch permanent ab: privat finanzierte, die von der Küstenwache und die der Polizei.
Olivia erzählt so begeistert, als seien Sharks tatsächlich schon der neue Zeitgeist. Es sei wirklich cool und interessant, sagt sie, was gerade alles passiert. Sie studiere nebenbei Informatik. Darum geht es: Daten und Tier, die neue Verbindung. Der Enthusiasmus scheint gewaltig. In ihrer Kindheit, sagt Olivia, gab es keine Haie, nun würde ihre Population explodieren. Sie strahlt. Alle würden für eine Koexistenz kämpfen. Das Meer als "shared space": Mensch und Tier gemeinsam "on the road" im Atlantik.
Die Weisheit des Austernfischers
Beim Leuchtturm von Chatham sitzt der Austernfarmer Jay noch immer mit seinen Freunden in der Abendsonne am Strand und blinzelt aufs blaue Wasser. Eine dunkle "Horror"-Flosse ist nirgends zu sehen, bloß Segelboote und am Horizont, wie hingeklebt, ein paar dicke Dampfer. Es ändere sich gerade generationsbedingt die Haltung, meint er, als könne es nur besser werden: Der Mensch begreife, dass ihm die Welt nicht allein gehört, er sie auch mit wilden Tieren teilen muss: "Versuchen wir, die Haie zu schützen und zu retten, und lassen wir die Haie ihr Ding machen."