Im Horror des Alltags
Oldenburgs Staatstheater zeigt eine echte Entdeckung aus Weißrussland: "Drei Tage in der Hölle", ein finsteres Panorama von Pavel Prjaschko. Die Hoffnung auf Wohlstand wie im Westen hat darin alle infiziert, und doch kämpft jeder nur um seinen Lebensunterhalt.
Das ist ja nicht die Regel: dass ein Theatertext aus einem ziemlich unbekannten Ausland erst zu einem europäischen Festival nach Deutschland kommt und schon in der Saison danach von einer heimischen Bühne erstaufgeführt wird in deutscher Sprache. "Drei Tage in der Hölle", Pavel Prjaschkos finstres Alltagspanorama aus Weissrussland, kam vorigen Sommer zur "Biennale" nach Wiesbaden, das "Neue Stücke aus Europa" zeigte und von der neuen Intendanz vor Ort inzwischen abgeschafft wurde. Das Stück wurde beim Frankfurter "Biennale"-Partner "Mousonturm" gezeigt – jetzt stellt das Staatstheater in Oldenburg den staunenswerten Text in einer sehr klugen Inszenierung vor.
In Minsk, der Hauptstadt von Belarus (Weißrussland), lebt die Familie von Dima, und dieser junge Mann fährt drei Tage lang per Bus und Bahn kreuz und quer durch die Stadt. Er sieht eine verlorene Welt, deren Bewohner sich die Beine ausreißen müssen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein Dollar ist etwa 15.000 weißrussische Rubel wert, das Durchschnittskommen liegt bei 150 Euro – und alles ist unter diesen Bedingungen so teuer, dass in Dimas Kopf unentwegt nur Zahlen schwirren; etwa wenn er (am zweiten Tag) an einem Vorort-Markt vorbei fährt, wo alte Frauen Obst und Gemüse kaufen und verkaufen. Dimas Blick ist scharf und analytisch; bis in die Farbe der Klamotten oder der Haut rückt er den Objekten der Beobachtung auf den Leib.
Drumherum vegetieren Familie und Freunde – mit den gleichen Problemen konfrontiert, wuchert in ihnen trotzdem immer der Traum vom Konsum: Handys, Klamotten, Autos. Die Hoffnung auf Wohlstand wie im Westen hat alle infiziert, wie das Fastfood von McDonalds die Geschmacksnerven; aber ansonsten hinkt die Wirklichkeit – die Hölle – um Jahrzehnte hinterher. Auch politisch: Polizei-Kontrollen sind überall an der Tagesordnung, alle persönlichen Daten stecken in staatlichen Computern, die Staatssicherheit ist überall im Reich des Autokraten Alexander Lukaschenko. Prjaschkos Stück (uraufgeführt übrigens in Moskau) ist natürlich auch ein politisches Pamphlet – obwohl es im Kern immer nur vom Horror des Alltag spricht.
Ein Haufen verzweifelter Menschen
Dima ist auf dem Weg in die Trinkerheilanstalt; das sind ein paar eiskalte Zelte im Wald. In solchen Zelten sah das Publikum in Frankfurt bei der "Biennale" die Uraufführung; der russische Text (und die deutsche Übersetzung von Stefan Schmidtke) liefen parallel im Kopfhörer – während die Akteure fast gar nichts taten: Apathie pur. Elina Finkel hat den Strom der Erzählung in Oldenburg nun auf sieben Ensemblemitglieder verteilt, und zu Teilen haben sie sogar richtige Rollen – trotzdem aber bleibt der Abend klugerweise komplett kollektiv. An Seminartische in U-Form hat Finkel das Publikum (und zunächst auch das Ensemble!) gesetzt, als wäre gleich ein Uni-Vortrag über "Weißrussland heute" zu hören – wir wissen ja nichts von diesem Land!
Dazu laufen auf der zentralen Video-Leinwand die Bilder einer ewigen Bus- oder Bahnfahrt durch Minsk ab, stoisch aus dem Fenster gefilmt – so mag Dima seine Stadt gesehen haben. In diesem Bühnenraum entwickelt das Ensemble-Septett das ewige Hin und Her aus Worten und Bewegung; Text wird ausgespuckt, gerannt wird und geschwitzt, und zuweilen liegt ein Haufen verzweifelter, hoffnungsloser Menschen schwer atmend auf dem Boden.
So hat die Regisseurin den Strom der Worte und Bilder klug in den Griff bekommen. Zwischen den Tagen (und zum Verschnaufen) gibt's ein wenig Musik – und am Ende mag sich das Publikum mehr wünschen von diesem Pavel Prjaschko, diesem gnadenlos genauen Beobachter einer verlorenen Welt. Ein Glücksfall ist das, nichts weniger – in Oldenburg.
Informationen des Staatstheaters Oldenburg zu "Drei Tage in der Hölle"