Weit weg von der Gleichstellung

Von Tim Krohn |
Estland gilt als tolerant, fortschrittlich und liberal. Trotzdem ist es vergleichsweise intolerant gegenüber Schwulen und Lesben: In dem Land ist weder eine gleichgeschlechtliche Ehe noch eine eingetragene Partnerschaft gesetzlich zugelassen.
Ein paar Mutige versuchen, Krach zu machen. Lesbische und schwule Demonstranten in Tallin fordern Respekt. Aus gutem Grund, denn einige hier haben es schon erlebt, dass Eier, Steine oder Fäuste fliegen. Aggressive Skinheads am Straßenrand sind bei den sommerlichen "Gay Prides" im Baltikum keine Seltenheit.

Fred Püss ist 30 Jahre alt, hat an der Universität in Tallinn Deutsch studiert und oft die Bundesrepublik besucht, das heißt: Er kennt auch das verhältnismäßig "leichte" Leben der Lesben und Schwulen in Deutschland.

Fred: "In Deutschland kann man in den Großstädten Händchen halten, und das wird für normal gehalten. In Tallinn ist das nur schwer vorzustellen."

Dabei ist Tallinn unter den Städten im Baltikum sicher noch die liberalste von allen. Sogar ein paar schwule Kneipen gibt es hier in der Altstadt. Tallinn gilt als modern und fortschrittlich. Helsinki liegt nur einen Katzensprung entfernt. Und trotzdem liegen für die Homosexuellen im Land manchmal noch ganze Welten dazwischen.

Fred: "Die Ostsee ist eigentlich klein. Aber die Gegensätze sind sehr groß."

In Schweden können lesbische oder schwule Paare sogar in der Kirche heiraten. Im Baltikum ist das immer noch undenkbar. Durch den Druck der EU gibt es zwar inzwischen Anti-Diskriminierungsgesetze. Aber mit der Umsetzung hapert es doch gewaltig.

In Lettland hatte das Parlament vor ein paar Jahren die Verfassung geändert, um gleichgeschlechtliche Ehen zu verhindern. In Litauen wurde sogar das "Propagieren der Homosexualität" (was immer das auch sein soll) unter Strafe gestellt. Erst der massive Druck der Europäischen Union konnte das Gesetz am Ende noch stoppen. Das alles hat seinen Grund, seine Geschichte, meint Fred:

"In der Sowjetzeit war Sex unter Männern strafbar, also kriminell. Das ist für viele Leute heute noch sehr sehr fremd."

Das sollte man sich mal in Deutschland vorstellen: Politiker, die homosexuelle Kontakte und Sex mit Tieren auf eine Stufe stellen. In Estland hat das gerade ein konservativer Abgeordneter getan.

Der frühere Zehnkampf-Olympiasieger Erki Nool, eines der großen Idole im Land, rief seine Landsleute sogar dazu auf, sich von Schwulen und Lesben fernzuhalten, so könne man die "Homosexualität beseitigen". Ein Coming Out fällt da schwer.

Fred: "Meinen Eltern habe ich das noch nicht gesagt, aber wahrscheinlich werden sie das schon ahnen, da ich schon dreißig bin und immer noch keine Frau oder Freundin habe. Aber. Was die Gesellschaft angeht, da herrschen schon sehr viele Vorurteile. Viele glauben nicht, dass man einfach so geboren wird, als schwul oder hetero."

Der 30-jährige Fred aus Tallinn ist trotzdem optimistisch. Denn so langsam tut sich was im Land. Immerhin: Erki Nool musste sich für seine Wortwahl entschuldigen. Und das Parlament in Estland diskutiert nicht zum ersten Mal über einen Gesetzentwurf für eingetragene Partnerschaften.

Es wäre das Erste im Baltikum und ein riesiger Schritt für die ganze Region. Wir brauchen halt noch etwas Geduld, sagt Fred. Einfach nur Geduld.

Fred: "Dieses Gesetz für die Lebenspartnerschaft würde sehr helfen, dass Homosexualität in der Gesellschaft mehr Akzeptanz findet. Aber es ist eher eine Frage der Zeit.

Jugendliche haben damit eigentlich keine Probleme. Kein Freund hat mir den Rücken gekehrt, nachdem ich mich geoutet habe. Und das ist schön."
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