Weiter Weg zu sich selbst
Für viele Reisende ist der Weg das Ziel, für andere ist es das Ziel selbst. Für dritte zählt nur das Buch zur Reise: Sie reisen, um zu schreiben. Nur wenige schaffen das so amüsant und zugleich nachdenklich wie Dennis Gastmann, der im Frühling 2012 von Hamburg nach Norditalien wanderte.
Genauer gesagt: Nach Canossa. Auf den Spuren von Heinrich IV., der – von Papst Gregor VII. exkommuniziert – im Jahr 1076 zur Burg Canossa zog, um dort im Büßergewand um die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche zu bitten. Eine Übung in Demut war es für den König; für Gastmann, der als Reporter und Moderator für den NDR und den WDR weltweit unterwegs ist, war es der Versuch, einige Zeit auszusteigen und wieder zu sich selbst zu finden.
"Außerdem soll es dort fabelhafte Tortellini geben." So beginnt Gastmann, und dieser Satz charakterisiert den anfänglichen Tonfall des Buches. Gastmann setzt stark auf Geplauder und Ironie, beschreibt Begegnungen mit skurrilen Gestalten, wenn er vom esoterischen Survivaltraining mit Baum-Umarmungen im Delmenhorster Wald, von Geisterheilern, die per Handauflegen Hunde, aber leider nicht seinen Tinnitus, kurieren oder von den Zeugen Jehovas in der pfälzischen Provinz berichtet.
Er erzählt von seinen körperlichen Gebrechen – den ewigen wunden Füßen, die im Laufe des Buches alle denkbaren Rot- und Blautöne annehmen, klagt über den schweren Rucksack und das immer falsche Wetter und übt sich auch in Selbstironie: Man kann sich in Speyer vom Dom aus auf der Suche nach dem Rhein nicht verlaufen – er aber schafft es. Und zwar gründlich.
Meistens haben Gastmanns ironische Bemerkungen das richtige Timing. Es liest sich großartig, wenn er in einer elsässischen Dorfkneipe einen Regisseur und eine Medienagentin trifft, die ihn als Moderator für eine völlig idiotische Fernsehsendung verpflichten wollen. Aber mitunter wird man das Gefühl nicht los, dass der Autor für einen Gag auch seine Großmutter verkaufen würde: Es ist hübsch, dass es von seiner Wohnung bis zur Burg von Canossa genau 999,9 Kilometer Luftlinie sind, auch das die Strecke laut Google Maps in zehn Tagen und acht Stunden zu Fuß zu schaffen sei. Unwahr und leicht nachprüfbar aber ist, dass der Routenplaner für Fußgänger den kürzesten Weg über Helgoland verortet.
Glücklicherweise wird Gastmann mit jedem Schritt seiner Wanderung und somit mit jeder Buchseite ruhiger. Die spöttischen Bemerkungen werden weniger, er wirkt nachdenklicher und ehrlicher, kann frei die Natur bewundern, und er tut das durchaus: Nicht schwelgerisch, eher lakonisch schwärmt er von elsässischen Dörfern, den Weinen, der Küche, dem Kopfsteinpflaster, dem Fachwerk und dem Blumenschmuck in Straßburg und kann auch ganz unironisch seine Ergriffenheit, die sich in Tränen löst, beim Anblick der Alpen, den Wänden aus Stein, Eis und Schnee, zugeben. Und auch dass er sich mitunter als Alleinreisender doch ziemlich einsam fühlt. Nach drei Monaten Wanderung ist Gastmann in Canossa angekommen. Und nicht nur dort, auch bei sich selbst.
Besprochen von Günther Wessel
Dennis Gastmann: Gang nach Canossa. Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer
Rowohlt Verlag, Berlin 2012
320 Seiten, 18,95 Euro
"Außerdem soll es dort fabelhafte Tortellini geben." So beginnt Gastmann, und dieser Satz charakterisiert den anfänglichen Tonfall des Buches. Gastmann setzt stark auf Geplauder und Ironie, beschreibt Begegnungen mit skurrilen Gestalten, wenn er vom esoterischen Survivaltraining mit Baum-Umarmungen im Delmenhorster Wald, von Geisterheilern, die per Handauflegen Hunde, aber leider nicht seinen Tinnitus, kurieren oder von den Zeugen Jehovas in der pfälzischen Provinz berichtet.
Er erzählt von seinen körperlichen Gebrechen – den ewigen wunden Füßen, die im Laufe des Buches alle denkbaren Rot- und Blautöne annehmen, klagt über den schweren Rucksack und das immer falsche Wetter und übt sich auch in Selbstironie: Man kann sich in Speyer vom Dom aus auf der Suche nach dem Rhein nicht verlaufen – er aber schafft es. Und zwar gründlich.
Meistens haben Gastmanns ironische Bemerkungen das richtige Timing. Es liest sich großartig, wenn er in einer elsässischen Dorfkneipe einen Regisseur und eine Medienagentin trifft, die ihn als Moderator für eine völlig idiotische Fernsehsendung verpflichten wollen. Aber mitunter wird man das Gefühl nicht los, dass der Autor für einen Gag auch seine Großmutter verkaufen würde: Es ist hübsch, dass es von seiner Wohnung bis zur Burg von Canossa genau 999,9 Kilometer Luftlinie sind, auch das die Strecke laut Google Maps in zehn Tagen und acht Stunden zu Fuß zu schaffen sei. Unwahr und leicht nachprüfbar aber ist, dass der Routenplaner für Fußgänger den kürzesten Weg über Helgoland verortet.
Glücklicherweise wird Gastmann mit jedem Schritt seiner Wanderung und somit mit jeder Buchseite ruhiger. Die spöttischen Bemerkungen werden weniger, er wirkt nachdenklicher und ehrlicher, kann frei die Natur bewundern, und er tut das durchaus: Nicht schwelgerisch, eher lakonisch schwärmt er von elsässischen Dörfern, den Weinen, der Küche, dem Kopfsteinpflaster, dem Fachwerk und dem Blumenschmuck in Straßburg und kann auch ganz unironisch seine Ergriffenheit, die sich in Tränen löst, beim Anblick der Alpen, den Wänden aus Stein, Eis und Schnee, zugeben. Und auch dass er sich mitunter als Alleinreisender doch ziemlich einsam fühlt. Nach drei Monaten Wanderung ist Gastmann in Canossa angekommen. Und nicht nur dort, auch bei sich selbst.
Besprochen von Günther Wessel
Dennis Gastmann: Gang nach Canossa. Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer
Rowohlt Verlag, Berlin 2012
320 Seiten, 18,95 Euro