Weiterhin angespannt

Von Ruth Kirchner |
In der nordwestchinesischen Unruhe-Region Xinjiang lebt die Minderheit der Uiguren, ein Turkvolk, das eine eigene Sprache spricht, arabische Schriftzeichen benutzt und überwiegend dem sunnitischen Islam anhängt. Doch massive Restriktionen der Regierung sorgen seit Jahren für Unmut und ethnische Spannungen in dem Gebiet. Spannungen, die sich 2009 gewaltsam entluden.
Der Ruf des Immam hallt über den Platz vor der großen Id Kah Moschee in Kashgar. Noch vor Sonnenaufgang strömen die Männer zum Beten in das ockergelbe Gebäude. Die Religion ist ein wichtiger Bestandteil der uigurischen Identität. Überall in und um Kashgar sieht man unzählige Moscheen. Aber wirkliche religiöse Freiheiten genießen die Menschen nicht, sagt Nicholas Bequelin von Human Rights Watch in Hongkong.

"Alle Moscheen werden vom Staat kontrolliert. Alle Immame sind Teil der vom Staat kontrollierten Geistlichen. Alle Texte einschließlich des Korans dürfen nur von speziellen, lizenzierten Druckereien in China gedruckt werden."

Die Religion, sagen die Menschen in Xinjiang hinter vorgehaltener Hand, ist nur etwas für Bauern und alte Menschen. Offen zu klagen, traut sich niemand.

"Es ist streng verboten, Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren Religionsunterricht zu geben, sagt Bequelin. Regierungs-Kader, Lehrer, Studenten und Professoren an den Universitäten - allen ist es verboten ihre Religion offen auszuüben."

Für westliche Journalisten ist es fast unmöglich Interviews in Xinjiang zu führen - die Menschen haben Angst, offen zu sprechen.

Auf den Bazaren in und um Kashgar werden Schafe, Kühe und Hühner verkauft, Kesselflicker arbeiten im Freien wie auch Besenmacher und Friseure. Viele Uiguren halten an ihren traditionellen Lebensweisen fest. Den staatlich geförderten Zuzug von Han-Chinesen, die massiven Investitionen aus Peking, den Versuch die Region wirtschaftlich voranzubringen sehen viele als Bedrohung ihrer Identität, sagt Ilham Tohti, von der Minderheitenuniversität in Peking.

"Uiguren haben doch auch Bedürfnisse nach Kultur und Sprache. Die Wirtschaft allein kann die Probleme nicht lösen. Die Menschen haben auch andere Bedürfnisse, auch die Religion gehört dazu. Wie würden sich denn die Han-Chinesen fühlen, wenn man ihnen ihre traditionellen Feste verbieten würde?"

Hinter der sporadischen Gewalt, die immer wieder in Xinjiang ausbricht - zuletzt im Sommer dieses Jahres - vermutet die Regierung terroristische Aktivitäten islamistischer Kräfte. Wirklich nachprüfen lässt sich das nicht. Die Religion sei dabei eigentlich zweitrangig, sagt Nicholas Bequelin.

"Ich denke es geht bei der Unterdrückung nicht in erster Linie um Religion, sondern um ethnische Konflikte und die Angst vor ethnischem Nationalismus. Aber die Unterdrückung führt zu so weit reichenden Eingriffen in das Privatleben der Menschen, dass der Islam dadurch erst wirklich zum Thema wird, weil es soviel Ressentiments gegen die religiösen Restriktionen gibt."

In einem Musikgeschäft in der Altstadt von Kashgar spielt ein Händler auf einer Rewab, einer zweiseitigen uigurischen Gitarre. Auch er weicht Gesprächen über Religion und die Politik Pekings aus. Experten warnen seit Langem davor, dass Einschüchterung und Unterdrückung die Region langfristig nicht befrieden wird, sondern die Menschen nur radikalisiert. Wie im benachbarten Tibet hat Peking auch in Xinjiang sein Minderheitenproblem noch lange nicht gelöst.