Wellness-Bilder zur Katastrophen-Musik

Von Frieder Reininghaus |
Bernd Alois Zimmermanns Oper einzige Oper "Soldaten" sollte ursprünglich zeitlos sein. Regisseur Alvis Hermannis hielt sich jetzt jedoch nicht an diese Vorgabe, sondern gab der Geschichte die Sphäre einer Fernseh-Familien-Saga - ein Gewinn für die Salzburger Festspiele.
1965 wurde in Köln Bernd Alois Zimmermanns einzige Oper "Die Soldaten" zur Uraufführung gebracht. Im Vorfeld waren intrigante Widerstände seitens der Gürzenich-Musiker und deren Kapellmeister Günter Wand zu überwinden. Aber dann gelang es dem Dirigenten Michael Gielen und dem Regisseur Hans Neugebauer doch, diese Oper mit der angeblich "unspielbaren" Musik zu realisieren - und Köln fing augenblicklich an, diesen "Meilenstein der Moderne" und sich als "Welthauptstadt der Neuen Musik" zu feiern.

Inzwischen wurden "Die Soldaten" auch in mehr als zwei Dutzend weiteren Städten gegeben - diese Oper gehört zu den ausgesprochen häufig realisierten Werken des 20. Jahrhunderts. Die Inszenierungsgeschichte und die entfaltete Hagiografie zum Werk und seinem Urheber folgte im Wesentlichen dessen Vorgabe, dass der aus dem 18. Jahrhundert adaptierte Schauspieltext von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) nicht historisch und schon gar nicht zeitlich genauer zu fixieren sei.

Zimmermanns Oper spiele, so die Prämisse, "zeitlos" im Gestern, Heute und Morgen. Dass sich der wie Lenz aus dem Baltikum stammende Regisseur Alvis Hermannis nun - aus guten Gründen - nicht an diese Vorgabe hielt, erwies sich als Glücksfall für das Werk und die Salzburger Festspiele.

Es ist auffallend, dass sich der musiktheatrale Fortschritt im 20. Jahrhundert häufig mit einem historischen Rückgriff auf der Ebene der Texte anbahnte. Das heißt: Die Komponisten versicherten sich klassischer bzw. vorklassischer, jedenfalls von alter Aura geprägter Stoffe. Dies gilt für Igor Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" wie für Alban Bergs "Wozzeck", erst recht für Arnold Schönbergs "Moses und Aron", Olivier Messiaens "St. François d'Assise" oder "Echnaton" von Philip Glass.

Auch B.A. Zimmermann wählte für seine Oper eine Textvorlage, die älteren Datums ist: die mehr oder minder gesellschaftskritische Komödie des Sturm- und Drang-Dichters Lenz - entstanden um 1776. Von vorn bis hinten ein Kammerspiel. Das aber wurde knapp 200 Jahre später, womöglich im Zuge eines erheblichen Missverständnisses, groß aufgetragene Oper - das süßsaure protestantische Reiz- und Rührstück bekam einen überdimensionierten musikalischen Über- und Unterbau mit eingesprengter schlichter Lenz-Lyrik und nachgereichtem katholischen Moralaroma.

Der Dirigent Ingo Metzmacher verstand es, die Imposanz und die Vielfalt der Zimmermann'schen Musik mit zwei Dutzend Solisten (vornan Laura Aikin und Tanja Ariane Baumgartner als die jungen Schwestern Wesener in Lille) und den Wiener Philharmonikern in den großen Luftraum zu stemmen und zu zirkeln. Dabei ist das Orchester nicht nur im Graben postiert, sondern auch auf hoch ansteigenden Podien links und rechts.

Die Musiker rahmen neun Fensterbögen eines Kasernengebäudes - eine "Felsenreitschule", die in die Felsenreitschule gebaut wurde. Hinter den Scheiben werden sieben edle Reitpferde herumgeführt, schrecken Soldaten aus dem Schlaf auf und befriedigen sich selbst. Vor den Bogenfenstern wurden die Szenen in Lille, Amentière und an anderen Schauplätzen im französischen Teil Flanderns mit Biedermeier- und Rokoko-Möbeln, aber auch Heuhaufen, Strohballen und einer großen Glasvitrine möbliert.

Die Kostüme von Eva Dessecker halten sich an die Frauen- und Soldatenmoder in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Sie bescheren den Uniformierten auf historisch informierte Weise individuellen Zuschnitt und vielerlei farbliche Nuancierungen. Die Kostüme tragen in hohem Maß bei dazu bei, dass das von Zimmermann aufs allzu Allgemeine und die Welt des potenziellen Atomschlags hin angelegte Werk auf neue Weise konkretisiert werden konnte.

Alvis Hermanis nahm die Geschichte von Marie und den Soldaten zurück in die Sphäre der Fernseh-Familien-Saga: Es ist, als wäre der Sohn von Marie und Franz Wozzeck übers gröbste hinaus und zum Militär gekommen, sei in der Region zwischen Cambrai und Lille zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Einsatz und dann nicht durch eine Granate oder Giftgas zu Tode gekommen, sondern durch die mit Rattenbutter angesetzte Weinsuppe des Tuchhändlers Stolzius.

So bescherte der aus Riga stammende Regisseur den Salzburger Sommerfestspielen 2012 im Verbund mit dem Dirigenten Metzmacher doch noch eine Produktion, die unter ästhetischen Prämissen ernsthaft diskutabel ist. Die Aufführung wurde den drei in Moskau verurteilten Musikerinnen von Pussy Riot gewidmet.