Wie viel Anbaufläche braucht ein Mensch?
Teilt man die Ackerfläche der Erde durch die Zahl ihrer Bewohner, ergibt das etwa 2000 Quadratmeter pro Person. In der Nähe von Berlin zeigt ein Acker-Projekt, was man auf dieser Fläche für einen Menschen alles anbauen kann - von Nahrungsmitteln bis zu Energiepflanzen.
"Es gibt 1,4 Milliarden Hektar Ackerland. Also nicht Grünland, nicht Wald, sondern reines Ackerland auf dieser Erde. Und wie wir alle wissen, sind wir mittlerweile etwas mehr als sieben Milliarden geworden. ... Das heißt, 2000 Quadratmeter stehen jedem Menschen, klein oder groß, zur Verfügung."
"Darauf muss alles wachsen, was wir Menschen verbrauchen. Also natürlich unsere Ernährung, unser Essen muss darauf wachsen. Aber auch die Baumwolle für meine Jeans. Oder wenn ich jetzt wirklich Biodiesel für meinen Tank haben möchte."
"Von diesen ackerbaulich genutzten Flächen, da gibt es Schätzungen, dass etwa ein Viertel, also 25 Prozent dieser Flächen stark degradiert sind. Und die Probleme, die auftreten: Das ist einmal die Bodenerosion. Das ist eigentlich das wichtigste Problem, insbesondere an Hanglagen durch falsche Bodenbearbeitung."
Natürlich habe auch ich nie an Ackerböden gedacht, wenn ich an der Supermarkt-Kasse stand. Persönlicher Geschmack und auch der Preis bestimmten meine Auswahl. Bis ich vor zwei Jahren auf eine Studie des Statistischen Bundesamtes stieß. Autor Helmut Mayer stellte darin fest, dass die deutschen Agrarimporte seit dem Jahr 2000 rasant gestiegen sind.
"Diese Mengen haben sich in diesem Zeitabschnitt von 2000 bis 2010 von knapp 10 Millionen Tonnen auf über 15 Millionen Tonnen erhöht. Also ein Zuwachs von über 50 Prozent. Und die Flächenbelegung ist auch in diesem Ausmaß angestiegen."
Für den Anbau hiesiger Agrarprodukte belegen Hersteller und Konsumenten also immer mehr Felder im Ausland. Die Studie verglich die Zahlen bis 2010, der Trend aber – ablesbar an der offiziellen Außenhandelsstatistik – hält bis heute an. Das ist auch an den Zahlen der Welternährungsorganisation FAO erkennbar. Danach ist Deutschland weltweit zweitgrößter Importeur landwirtschaftlicher Produkte, aber nur viertgrößter Exporteur. Umweltexperten der Vereinten Nationen haben errechnet, dass die Europäer mehr als doppelt so viel Ackerfläche global nutzen wie ihnen statistisch gesehen zusteht.
Und wie sieht es mit mir ganz persönlich aus? Wie kann ich meinen Bedarf an Lebensmitteln, Textilien und Energie aus meinen 2000 Quadratmetern decken? Und: Wie groß ist das eigentlich?
Antworten darauf versucht die ökologisch orientierte "Zukunftsstiftung Landwirtschaft" zu finden. In Gatow, mitten in der Einfamilienhausidylle des westlichen Berliner Stadtrandes, haben die Aktivisten ein 2000 Quadratmeter großes Feld abgesteckt. "Weltacker" nennen sie den schmalen Streifen Land – nur zwölf Meter breit ist er, aber 170 Meter lang.
Es ist der letzte Samstag im April, als ich gemeinsam mit etwa 30 freiwilligen Helfern auf dem Acker stehe. Am unteren Feldrand fließt träge die Havel. Die Frühlingssonne wärmt schon, zaghaft sprießt erstes Grün nach dem Winter.
Mann: "Jetzt kommt Roggen, ja?" - Frau: "Genau, der Roggen ist dort drüben." - Mann: "Wie viel?" - Frau: "150 Quadratmeter Roggen."
Einige Männer und Frauen schlagen Pflöcke ein und teilen den Acker in kleine Parzellen. Darin sollen in den kommenden Wochen mehr als 50 Kulturen ausgesät werden. Luise Körner koordiniert das Projekt.
"2000 Quadratmeter – das ist die Weltackerfläche geteilt durch die Zahl der Menschen auf der Erde. Und dann bekommt jeder Mensch ungefähr 2000 Quadratmeter Ackerfläche."
Anbau von Getreide, Gemüse und Ölpflanzen
Körner und ihre Mitstreiter wollen wissen, wie viele Nahrungsmittel auf dieser Fläche wachsen können. Erneuerbare Rohstoffe für die Energieerzeugung oder Pflanzen für die Fasergewinnung werden sie in ihrem Versuch nicht anbauen. Stattdessen mehrere Getreidearten, viele Gemüsesorten und Ölpflanzen.
"In diesem Jahr haben wir uns das Ziel gesetzt, mit dem, was wir auf diesem Acker anbauen, ... tatsächlich einen Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Wobei: Eigentlich ist das Ziel noch höher gesteckt. Denn auf 2000 Quadratmetern kann man jedenfalls hier in unserer Region sehr viel mehr Lebensmittel anbauen als ein Mensch in einem Jahr braucht. Und das wollen wir damit zeigen."
Alles, was in den kommenden Monaten hier geerntet wird, soll deshalb in einer Tabelle erfasst werden. Anhand der Mengen kann am Ende abgelesen werden, wie viele Esser der Acker ernähren würde. Außerdem sollen jeden Monat Gäste eingeladen werden.
"Die Gastesserinnen und Gastesser, die werden sich jeweils eine Woche lang vom Weltacker ernähren. Das heißt, die kommen an ihrem ersten Tag auf den Acker und bekommen eine Kiste mit den Lebensmitteln, die ihnen in dieser Woche zur Verfügung stehen. Und dann noch ein weiterer Tag, wo man wirklich auf dem Acker auch mithelfen soll. Also das Essen gibt es kostenlos. Aber wir erwarten eine Arbeitsleistung dafür."
Im September werde auch ich eine Woche Gast sein. Heute lege ich gemeinsam mit anderen Helfern die jungen Kartoffeln.
"Melina" ist eine der Sorten, die wir mit kleinen Schaufeln in der Erde versenken. Regina Metzger, eine junge Landwirtin mit raspelkurzen Haaren und kräftigen Händen, zeigt uns Berliner Freizeitbauern, wie man es richtig macht.
"Die Abstände zwischen den Pflanzen in der Reihe sind 33 Zentimeter. Und die sollen zehn Zentimeter tief gelegt werden."
Regina bittet darum, gleich auch möglichst viele der Queckenwurzeln aus dem Boden zu ziehen. Als studierte Bio-Bäuerin kennt sie die besonderen Herausforderungen der ökologischen Landwirtschaft.
"Einmal ganz klar der Unkrautdruck, der vorhanden ist. Ansonsten sind halt immer die Überlegungen: Ja, wie düngt man jetzt? Natürlich dürfen wir keinen Kunstdünger verwenden, da muss man irgendwie nach Alternativen suchen. Wir haben jetzt so einen pflanzlichen Dünger gefunden aus Braurückständen."
Herbizide sind in der ökologischen Landwirtschaft genau so tabu wie industrielle Insektengifte oder Kunstdünger. Allein durch deren übermäßigen Einsatz werden weltweit Jahr für Jahr fruchtbare Böden zerstört. Umweltschützer wie Reinhild Benning kritisieren diese Methoden des konventionellen Ackerbaus. Die ausgebildete Landwirtin ist Agrarexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz.
"Wenn man die drei Hauptprobleme der intensiven Landwirtschaft zusammenfassen wollte, dann ist dies der Verlust der Artenvielfalt durch zu viel Dünger. Und ein zweites Problem sind die ausgeräumten Landschaften ohne Baum, Hecke und Strauch. Hier kann der Wind angreifen und zu starken Erosionen führen. Und ein drittes Problem ist, das in vielen Regionen Wiesen und Weiden umgepflügt werden, um zu Äckern zu werden."
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Entsprechend muss auch die Lebensmittelproduktion wachsen, sagt Regina Birner, Professorin für Agrarökonomie an der Universität Hohenheim:
"Man braucht 60 bis 70 Prozent mehr landwirtschaftliche Produktion. Das ist eine Schätzung der Welternährungsorganisation. Die hängt natürlich davon ab, wie sich vor allem auch der Fleischkonsum entwickelt. Gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit zunehmendem Einkommen wächst der Fleischkonsum ja noch. Wenn der etwas weniger wächst, dann bräuchte man nicht ganz 60 oder 70 Prozent. Aber es liegt eben in der Größenordnung."
Beträge auf bestehenden Äckern steigern
Die Frage ist, wo und wie diese Lebensmittel angebaut werden können. Neue Ackerflächen lassen sich nur gewinnen, wenn wertvolle Wälder gerodet oder ökologisch wichtige Grünlandflächen umgepflügt werden. Die Folgen für lokale Ökosysteme, aber auch für den Klimawandel wären unkalkulierbar. Fachleute plädieren deshalb dafür, die Erträge auf bestehenden Äckern zu steigern. Vor allem in afrikanischen Regionen gibt es dafür Potenzial.
"Typische Erträge für Mais oder Hirse oder Sorgum, die liegen in der Größenordnung von einer Tonne, zehn Dezitonnen je Hektar. Und die könnte man durch Verfahren, die wir schon kennen – eben durch Einsatz von organischem und mineralischem Dünger, durch Einsatz von verbesserten Sorten, durch verbesserte Unkrautbekämpfung oder durch Ernte genau zu richtigen Zeit könnte man sehr stark diese Erträge erhöhen. Also zwei, drei bis zu fünf Tonnen an solchen Standorten hat man schon gezeigt, dass das eigentlich erreichbar ist. Und das ist natürlich wesentlich besser als die Fläche um das Fünffache auszudehnen."
Ackerflächen ausweiten wollen auch Umweltschützer nur in Ausnahmefällen. Sie warnen aber auch vor weiterer Intensivierung. Und sie lehnen es ab, die industrialisierte Landwirtschaft westlicher Prägung auf Regionen in Afrika oder Asien auszudehnen. BUND-Expertin Reinhild Benning:
"Eine konventionelle Landwirtschaft mit mehr Intensität sagt: Wir brauchen noch mehr synthetische Düngemittel aus der Fabrik. Und können damit höhere Erträge je Hektar erzielen. Diese Produktion ist gekoppelt an den Ölpreis, an den fossilen Ölpreis. Da wir wissen, dass die Reserven zur Neige gehen, wissen wir auch, dass die teurer werden. Und das würde ja bedeuten: Lebensmittel werden in dem Maß teurer wie der Ölpreis steigt."
"Man kann die Welt nur ernähren, indem man Kreislaufwirtschaft betreibt."
... sagt auch Professor Jürgen Heß. Der Agrarwissenschaftler leitet das Fachgebiet Ökologischer Land- und Pflanzenbau an der Universität Kassel.
"Es ist eigentlich auch unbestritten, dass die Erträge in sehr vielen Entwicklungsländern mit einer ökologischen Landwirtschaft im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu verdoppeln sind. Und das geschieht dann mit Ressourcen, die vor Ort vorhanden sind. Wir können nicht unser Modell von Landwirtschaft, so wie wir das hier in Europa haben – mit einem massiven Input an Nährstoffen aus fossilen Lagerstätten und Futtermitteln aus Südamerika – auf die Welt übertragen. Das funktioniert nicht."
Das Futter für die Massentierhaltung in deutschen Riesen-Ställen wächst zum großen Teil im Ausland. Dafür wird Getreide unter anderem aus Osteuropa importiert. In Brasilien, Argentinien oder dem mittleren Westen der USA nimmt der Soja-Anbau für deutsche Schweine und Rinder riesige Flächen in Anspruch.
An einem Dienstag im Mai wird auch auf dem Berliner 2000-Quadratmeter-Acker Soja ausgesät. Landwirtin Regina Metzger schiebt eine kleine, trichterförmige Maschine über das Feld, um die hellen Bohnen gleichmäßig im Boden zu verteilen.
Die Ernte soll im Herbst zu Tofu verarbeitet werden. Wer wenig oder kein Fleisch essen möchte, ist für seine Eiweißversorgung auf Soja angewiesen – und dabei bisher auch auf die Importe aus Übersee. Der Verein "Donau-Soja" arbeitet daran, die Hülsenfrucht auch in hiesigen Breiten zu etablieren. Deshalb hat er Saatgut für den Weltacker gespendet. Es geht nicht nur darum, Alternativen für die gentechnisch veränderten Sorten aus Amerika zu finden. Der Vorsitzende Matthias Krön zählt weitere Gründe auf.
"Die Sojabohne ist eine wunderbare Leguminose, die unsere Bodenfruchtbarkeit verbessert und eben uns hilft, auch die Fruchtfolge in Europa wieder in Balance zu bringen. Und wieder den Link zwischen tierischer Ernährung und Ackerboden herzustellen."
Viel Land für billiges Fleisch
Alle Gäste des Weltackers werden sich vegetarisch ernähren müssen. Futter wird hier nicht angebaut. Im globalen Maßstab aber geht ein großes Stück der persönlichen 2000 Quadratmeter dafür drauf – wenn man viel billiges Fleisch aus der Massentierhaltung isst. Luise Körner:
"Das hat eben massiv damit zu tun, dass Tiere in Ställen gehalten werden und nicht auf der Wiese stehen. Dass die Kuh eben Mais und Soja frisst. Und das geht alles von meiner Ackerfläche weg, wenn ich mich dazu entscheide, Fleisch zu essen. Zwei Schweine könnten sich von 2000 Quadratmetern ernähren. Und dann ist aber ratzekahl leer."
Allein auf einem Drittel der weltweiten Ackerflächen wird ausschließlich Tierfutter angebaut. Das zeigt unter anderem die Studie "Fleisch frisst Land" des "World Wide Fund for Nature" (WWF). Tanja Dräger hat daran mitgearbeitet.
"Für die Umwelt ist es problematisch, dass jedes Jahr sehr viele Lebensräume vernichtet werden. Sei es jetzt der tropische Regenwald. Wo wir sehen, dass sehr viel Regenwald abgeholzt wird für die Schaffung von Weideflächen. Im Cerado zum Beispiel, eine einzigartige Savanne in Brasilien. Verliert jedes Jahr Millionen Hektar für den Anbau von Soja. Und Soja wird zu großen Teilen nach China exportiert. In die Europäische Union exportiert, um hier an Tiere verfüttert zu werden."
Jeder Deutsche isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Trotz einer wachsenden, aber nach wie vor kleinen Vegetarier- und Veganerszene ist das doppelt so viel wie in den 1950er-Jahren. Hinzu kommt, dass viele der in Deutschland gemästeten Schweine und Hähnchen exportiert werden. Die WWF-Expertin verweist darauf, dass auch kleine Änderungen im Verbraucherverhalten wirksam wären.
"Wenn alle Deutschen nur einmal in der Woche auf Fleisch verzichten würden, würden wir eine enorme Flächenersparnis haben von 700.000 Hektar, also 700.000 Fußballflächen. Wenn wir uns tatsächlich gesund ernähren insgesamt, wären es 1,8 Millionen Hektar."
Die Europäer aber lieben Fleisch und Wurst – und belegen nach wie vor große Landflächen anderswo auf der Welt. Dabei ist der Kontinent eigentlich mit genügend Äckern ausgestattet. Auch das Klima ist in vielen Regionen für die Landwirtschaft günstig. Luise Körner:
"Wir haben sogar ein bisschen mehr als 2000 Quadratmeter pro Person hier in Europa. Und wir kommen trotz unserer fruchtbaren Böden, unserer tollen Bedingungen, unserer ganzen finanziellen Mittel nicht zurecht mit unserer Fläche Land. Und müssen uns die von woanders holen."
Kritiker bezeichnen auch das als eine Form von Landnahme. Kontrovers diskutiert wird allerdings vor allem das sogenannte "Landgrabbing" in Afrika. Internationale Investoren, darunter auch deutsche Firmen, pachten dort zu sehr niedrigen Preisen für Jahrzehnte riesige Felder. Die Agrarökonomin Regina Birner warnt vor den Folgen.
"Das führt dann oft auch dazu, dass Kleinbauern von solchen Flächen vertrieben werden. Und das da eben der Ackerbau ausgeweitet wird in Flächen, die vorher eben durch die Tierhaltung genutzt wurden. Und das finden eben jetzt schon statt."
An einem windigen Dienstag im Juni bin ich wieder auf dem 2000-Quadratmeter-Acker. Längst ist die Saat aufgegangen, überall grünt und blüht es. Das erste Gemüse kann bereits geerntet werden.
Florian Kliem holt Zwiebeln, Radieschen und die ersten Kartoffeln vom Feld. Der gelernte Koch will für die freiwilligen Helfer ein frisches Mittagessen zubereiten.
Anbauplan vom Sterne-Koch
Jahrelang hat der 30-Jährige in der Sterne-Gastronomie gearbeitet. Seit seinem Ausstieg engagiert er sich für gute Lebensmittel und faire Landwirtschaft. Mit einem großen Tisch aus Edelstahl und einem breiten Gaskocher hat er sich am Feldrand eine Sommerküche eingerichtet. Aber Kliem bekocht nicht nur die Ackerhelfer. Er hat auch den Anbauplan für das Weltacker-Experiment mit ausgearbeitet.
"Wir sind ausgegangen von 2300 Kilokalorien am Tag. Und haben das eben hochgerechnet. Und dann anhand der Ernährungspyramide letzten Endes aufgeteilt, was wir an Kohlenhydraten brauchen, was wir an sonstigen Nährstoffen, Vitaminen, Ballaststoffen etc. brauchen. Und das haben wir dann wieder aufgeteilt auf unsere unterschiedlichen Kulturen. Also Kohlenhydrate beziehen wir von Roggen, von Hafer, von Gerste – vom Bier natürlich, ja – aber auch von unseren Kartoffeln, genau. Ballaststoffe: Wir haben Linsen, wir haben die Lupinen, Erbsen, Bohnen."
Auf uns freiwillige Helfer aber wartet vor dem Essen noch Arbeit. Sonnenblumen als wichtige Ölfrucht fehlen noch auf dem Acker. Landwirtin Regina verteilt Saatgut und erklärt, wie es ausgebracht wird.
Frau: "Der eine macht Rillen und der andere sät rein, oder wie?" – Regina: "Nee, wir brauchen gar keine Rillen machen. Weil es werden eh nur zehn Körner pro Quadratmeter. Also die steckt man einfach in den Boden rein."
Die Sonnenblumen sollen auf 300 der 2000 Quadratmeter wachsen. Größer ist nur noch der Sektor für das Getreide. Dort, am anderen Ende des Ackers, stehen Roggen, Gerste und Mais schon hüfthoch. Zusammen mit Weizen und Reis decken diese Getreidesorten 90 Prozent des globalen Kalorienbedarfs für die Ernährung. Trotzdem landen mittlerweile große Teile der Weizen- und Maisernte in Anlagen für die Energieproduktion. Benedikt Haerlin, Berliner Büroleiter der "Zukunftsstiftung Landwirtschaft":
"Ein Drittel der US-Maisernte wird zu Ethanol – und das ist dann Sprit – verarbeitet. Hier in Deutschland ist es fast ausschließlich Futtermittel und Biogas. Also die Vermaisung Deutschlands, wie man das nennt, wird vor allen Dingen angetrieben von den Biogas-Anlagen und von den Extra-Subventionen, die Landwirte da aus unseren Steuergeldern bekommen."
Auf drei bis vier Prozent der weltweiten Ackerfläche wachsen mittlerweile Pflanzen für die Strom- und Wärmeerzeugung – und vor allem für den sogenannten Biosprit. Das schätzen Fachleute, gesicherte Zahlen gibt es nicht. Diese Entwicklung hat in den vergangenen Jahren für eine Teuerungswelle bei Lebensmitteln gesorgt, die vor allem arme Länder trifft. Hierzulande profitieren manche Landwirte von dem Preisanstieg, andere geraten dadurch unter finanziellen Druck.
"Da sind Pachtpreise gestiegen. Über die Pachtpreise sind zum Beispiel kleinere und mittlere Milchbauern durchaus auch in Bedrängnis gekommen, weil ihnen Weidefläche und die Anbaufläche für Futter fehlt."
Jan Seven arbeitet im Fachgebiet Erneuerbare Energien des Umweltbundesamtes und war dort an einer Studie zur nachhaltigen Nutzung globaler Landflächen beteiligt. Darin haben die Experten auch Umweltprobleme beschrieben, die ein großflächiger Anbau typischer Energiepflanzen verursacht. Mais zum Beispiel laugt den Boden aus. Vor allem, wenn er Jahr für Jahr auf der gleichen Fläche wächst.
"Es muss viel gedüngt werden ganz schlicht. Dabei kommt es natürlich zu Überdüngung und entsprechenden Auswaschungen und Nitratbelastungen. Die sind unter Mais durchaus höher als bei anderen Kulturpflanzen. Der Humusabbau, den Mais realisiert, ist sehr hoch. Und die Erosionsgefahr unterm Mais ist sehr hoch."
Die Experten im Umweltbundesamt gehen davon aus, dass Biomasse zumindest bei der Erzeugung von Strom und Wärme in Zukunft kaum noch eine Rolle spielen wird.
"Wir glauben, dass wir mit dem kurzfristigen Schritt, Biomasse in Energie zu wandeln, auf Dauer nicht weiter kommen werden. Weil wir die Fläche dafür nicht haben. Wir aber durchaus Strom aus Sonne und Wind in fast unbegrenztem Maße gewinnen können."
Energieeinsparungen sollen dafür sorgen, dass der Strom- und Wärmeverbrauch sinkt. Der geringere Bedarf soll dann von Windturbinen und Solaranlagen gedeckt werden, die effizienter als die heutigen sind. Schwieriger wird es, den Biosprit aus Raps, Getreide oder Zuckerrohr zu ersetzen. Die Rohstoffe wachsen auf Flächen heran, die eigentlich für Nahrungsmittel gebraucht werden.
Sorgen um die Fruchtbarkeit
Künftig sollen die Brennstoffe aus der Umwandlung von Strom aus Wind und Sonne entstehen.
"Aus Strom und CO2 lassen sich sowohl gasförmige als auch flüssige Kraftstoffe und Energieträger gewinnen sowie chemische Grundbaustoffe. Die die chemische Industrie braucht, die auch heute aus fossilen Energien gewonnen werden. Und die wir gerne auch aus regenerativen Quellen hätten."
"Viele Verfahren, die wir heute nutzen, wo wir praktisch direkt Nahrungsmittel dann in Treibstoffe umwandeln, die sind eben nicht besonders effizient."
... urteilt auch Agrarökonomin Regina Birner. Sie sieht dringenden Forschungsbedarf, um künftig die Früchte der Pflanzen für die Ernährung und die Reststoffe für die Energieerzeugung verwenden zu können. Sonst wird aus ihrer Sicht die Wende zu erneuerbaren Energieträgern nicht funktionieren.
"Die Ernährungssicherung sollte in jedem Fall Vorrang haben. Mit den bisherigen Verfahren werden wir das auf der bestehenden Fläche nicht meistern."
Der wachsende Bedarf und EU-Subventionen haben dafür gesorgt, dass der Anbau von Mais oder Raps für die europäischen Bauern besonders lukrativ geworden ist. Monokulturen breiten sich auf großen Flächen aus. Naturschützer wie der Biologe Michael Succow beklagen die Folgen für hiesige Böden.
"Diese ganzen dünnen Vor-Mittelgebirgsstandorte im Ackerbau, wo auf dem Muschelkalk jetzt Dauer-Mais angebaut wird: Das ist ein Verbrechen. Das ist etwas, was nur wenigen Geld bringt kurzzeitig und dann degradierte Böden hinterlässt. Da kann und muss hier in diesem Deutschland umgesteuert werden. Auf den Äckern gilt es die Fruchtbarkeit zu erhalten und zu mehren."
Sorgen um die Fruchtbarkeit kennen auch die Bewirtschafter des 2000-Quadratmeter-Feldes. Im Vergleich zur schweren Erde der Magdeburger Börde oder der Kölner Bucht enthält der leichte Sandboden hier am Berliner Stadtrand nur wenige Nährstoffe. An einem Tag im Juli schiebe ich deshalb den Rasenmäher über den Acker.
Nicht jeder Zipfel hier ist mit Nahrungsmittelpflanzen bestellt. Auf 300 Quadratmetern hat Landwirtin Regina eine Kleegrasmischung ausgesät. Die wächst schnell und muss deshalb immer wieder gemäht werden.
"Der Sinn von dem Kleegras: Den Boden hier zu verbessern. Und das dann auch noch zu nutzen für die Gemüsekulturen. Um die zu mulchen. Gerade weil es halt so sandiger Boden ist, damit so ein bisschen die Feuchtigkeit gehalten wird und auch das Unkraut unterdrückt wird."
Durch Erosion gehen weltweit pro Jahr 24 Milliarden Tonnen fruchtbare Humusschicht verloren. Sie wird von heftigen Regengüssen fortgespült oder vom Wind verweht. Verantwortlich ist aber nicht nur das Wetter, sondern oft eine falsche Bodenbearbeitung. Ist die Fruchtbarkeit einmal zerstört, dauert die Reparatur sehr lange. Regina Birner von der Universität Hohenheim.
"Wenn Boden durch Erosion verloren geht, dann ist der sehr schwer wieder zu ersetzen. Man kann dann durch Einsatz von organischem Dünger oder den Anbau von Pflanzen, die man dann auch dem Boden wieder zuführt, da kann man dem schon entgegenwirken. Indem man dann Humus wieder aufbaut. Aber das sind sehr langfristige Prozesse. Da geht es dann schon um mehrere Jahrzehnte."
An einem Montag im September bin ich wieder auf dem Acker. Meine Woche als Gastesser beginnt. Das bedeutet auch: zwei Tage Feldarbeit.
Landwirtin Regina schärft die Sense für mich und zeigt mir, wie man damit umgeht.
Nach anderthalb Stunden schweißtreibender Arbeit mit der Sense geht es an die Ernte meiner Wochenration.
Mit zwei Messern und der Kiste ziehen Regina und ich über den Acker. Während die Abschnitte, auf denen das Getreide gewachsen ist, längst abgeerntet sind, steht das Gemüse noch in ganzer Vielfalt da. Gelb und rot leuchtende Stängel zum Beispiel mit derben, dunkelgrünen Blättern.
Mit zwei Messern und der Kiste ziehen Regina und ich über den Acker. Während die Abschnitte, auf denen das Getreide gewachsen ist, längst abgeerntet sind, steht das Gemüse noch in ganzer Vielfalt da. Gelb und rot leuchtende Stängel zum Beispiel mit derben, dunkelgrünen Blättern.
Regina: "Ja, Mangold, ne." – Ich: "Gerne" – Regina: "700 Gramm. Genau, wenn Du irgend etwas gar nicht magst, was auf der Liste steht, dann können wir das ja auch austauschen irgendwann."
AutorAber ich mag den Mangold genau alles, was wir sonst noch ernten: Kohlrabi, Salat, Lauch, Rosenkohl und Kartoffeln. Die gut gefüllte Kiste zeigt mir: Ich werde keinesfalls hungern müssen in den kommenden Tagen.
Regina: "Das sind insgesamt 70.000 Kilojoule, die man pro Woche braucht so durchschnittlich. Das habe ich ausgerechnet."
Überwältigende Menge an Essen
Sieben Tage später ziehe ich Bilanz: Alles Gemüse ist verbraucht. Die Ration Hafer reicht für deutlich länger als eine Woche zum Frühstück. Das gilt auch für den riesigen Kohlrabi. Wenn ich es nicht mit meiner Familie geteilt hätte, hätte ich sogar Gemüse für den Winter konservieren können. Meine Erfahrung im Kleinen deckt sich mit der Erntebilanz für den gesamten Acker. Projektkoordinatorin Luise Körner.
"Wir waren überwältigt von dieser Menge an Essen. Und wollten ja nun auch nichts umkommen lassen. Und von daher: Auf jeden Fall hat ein Mensch sich davon ernährt. Dann hatten wir unsere Gastesserinnen und Gastesser, die sich jeweils auch eine Woche lang davon ernährt haben. Und darüber hinaus eben alles und jeder, die irgendwie vorbei gekommen sind und mitgeholfen haben, mit uns gegessen haben."
Dass sich tatsächlich ein Mensch ein Jahr lang ausschließlich vom Acker ernährt, dieser Plan ist dann doch nicht aufgegangen. Der Versuchsesser ist irgendwann im Frühsommer ausgestiegen. Die registrierten Erntemengen aber zeigen: Auf 2000 Quadratmetern kann viel mehr wachsen, als ein Mensch zum satt werden braucht. Und was folgt aus der Erkenntnis?
"Man muss sich eben überlegen, wie man unsere Ackerfläche aufteilt: Was importiere ich? Was brauche ich, was brauche ich vielleicht auch nicht, oder kann es auch anders organisieren? Also wir rufen ja auch nicht dazu auf, sich ausschließlich regional zu ernähren und keinen Kaffee mehr, und keinen Kakao. Aber sich klar zu machen, was es bedeutet, wenn ich das kaufe."
"Ich bin nicht der Ansicht, dass grundsätzlich kein Export oder Handel mit Nahrungsmitteln stattfinden sollte."
... sagt auch Agrarökonomin Regina Birner.
"Wenn man zum Beispiel die Kleinbauern in Costa Rica betrachtet: Da kann eben ein Kleinbauer, weil er einen sehr hochwertigen Kaffee produziert, der dann hier zu einem sehr hohen Preis verkauft wird, kann der von seiner Fläche wesentlich besser leben als wenn er da Grundnahrungsmittel anbauen würde. Also diese Art von Handel ist eigentlich sehr sinnvoll."
In vielen Ländern herrschen allerdings Agrarstrukturen, von denen nur Großgrundbesitzer profitieren. Kleine Bauern haben dort kaum eine Chance. Änderungen solch ungerechter Verhältnisse anderswo können auch die Konsumenten hierzulande mit anstoßen.
"Man kann praktisch durch Zertifizierungen im Handel oder durch Label wie Fairtrade dann eben doch Einfluss nehmen. Und wie gesagt: Zum Teil sind ja auch europäische Firmen beteiligt an dem 'Landgrabbing'. Und dann kann man sich auch überlegen, was man denn eigentlich im eigenen Land tut, um da Einfluss zu nehmen. Also es ist nicht so, dass wir dem tatenlos zusehen müssen. Wir können schon als Konsumenten und als Bürger eben auch handeln."
Der Absatz von Bio-Produkten und fair gehandelten Waren boomt seit einigen Jahren in Deutschland. Ernährung und Landwirtschaft sind Modethemen unter jungen Großstädtern aus Mittelstandsfamilien. Benedikt Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft freut das. Er verweist aber auch auf die große politische Relevanz.
"Auf der einen Seite hungern immerhin noch 800 Millionen Menschen auf dieser Erde. Und gleichzeitig leiden mittlerweile fast doppelt so viele an einem Maß an Überernährung, das ihre Lebenszeit verkürzen wird. Irgendjemand verdient an diesen Zuständen und daran, dass sie nicht geändert werden. Wir produzieren mehr als wir essen könnten. Und es ist trotzdem ein solcher Mangel. Und es ist trotzdem ein solches Elend mit dem Essen."