Weltalphabetisierungstag

Lesen lernen beim Kochen und Backen

Die Tastatur einer alten Schreibmaschine.
Die Tastatur einer alten Schreibmaschine. © imago / McPHOTO
von Christiane Habermalz |
Bund und Länder wollen die Lese- und Schreibfähigkeiten Erwachsener verbessern. Der Anlass dieser Ankündigung ist klar: der Welt-Alphabetisierungstag. Der Hintergrund allerdings ist jeden Tag aufs Neue aktuell: Wer nicht lesen kann, fühlt sich ausgeschlossen.
Wedding, Reinickendorfer Straße. Der Tisch in dem kleinen Raum im Hinterhof, in der Yunus-Emre- Moschee, biegt sich fast unter seiner Last. Dutzende lecker aussehenden Speisen sind darauf aufgebaut, alles selbstgekocht und –gebacken. Drumherum sitzen um die fünfzehn Frauen, die meisten von ihnen zwischen 50 und 60, alle tragen Kopftuch. Eifrig beugen sie sich über kleine Zettel, auf denen sie den Namen ihres Gerichtes und die Zutaten aufgeschrieben haben. Auf Deutsch.
Es ist schon der zweite Alphabetisierungskurs, den die Frauen hier in der Moschee absolvieren. Heute zeigen sie, was sie gelernt haben. Auch einige Ehemänner sind gekommen.

- "O wie Omelett."
- "Joghurt – ich esse gerne Joghurt. Zutaten sind Joghurt, Pfefferminz, Salz, Knoblauch."
- "Ich heiße Esba Arife Özdemir , ich bin seit 1967 in Deutschland."
Arife Özdemir ist nun fast 50 Jahre in Deutschland. Sie hat geheiratet, drei Kinder hier geboren und großgezogen, 35 Jahre bei Siemens gearbeitet. Das erzählt sie mit Stolz. Nur Deutsch gelernt hat sie nie.
"Ja ich habe früher keine Zeit, Kinder. Arbeit, und keine Deutsch gelernt. Aber Gott sei Dank drei Jahre früher in diese Moschee ich bin Deutsch gelernt."
In der Schule in der Türkei hat es gerade mal zum Lesen und Schreiben lernen gereicht. Vieles davon hat sie vergessen.

"In der Türkei ist es wie Hauptschule, fünf Jahre, sonst nicht."
An einem anderen Tisch sitzt Hacer Kalkan, sie lebt seit 28 Jahren in Deutschland. In runder Kinderschrift schreibt sie ihren Namen auf einen Zettel. Es dauert etwas, aber sie schreibt. Ihre vier Kinder haben gute Jobs, eine Tochter arbeitet beim Berliner Senat. Bisher musste der Sohn, oder eine der Töchter für sie übersetzen, wenn sie zum Arzt musste oder zum Jobcenter. Jetzt kann sie vieles alleine.
"Für die Frauen ist das hier ein vertrauter Ort. Hier fühlen sie sich angenommen ... und das ist in der Volkshochschule nicht so ohne weiteres möglich", sagt Britta Marschke, vom Verein "Gesellschaft für Interkulturelles Zusammenleben". ABCami heißt das Projekt, das vom Bundesbildungsministerium gefördert wird.
Bund und Länder erhöhen ihre Anstrengungen
Es geht darum, die türkischen Frauen in den Moscheen, in denen sie sich ohnehin bewegen, für die Kurse zu gewinnen. Dort treffen sich die Frauen ohnehin zum Kochen und Backen, zum Koranunterricht und zum Beten. Die Hemmschwelle ist hier viel geringer. Viele Frauen hätten bereits Deutschkurs an Volkshochschulen absolviert, aber oft ohne Erfolg. Viel zu schwer und kompliziert sei der Unterricht im Integrationskurs gewesen. ABCami ist so erfolgreich, dass das Projekt jetzt bundesweit ausgeweitet werden soll.
7,5 Millionen funktionale Analphabeten gibt es im Bildungsland Deutschland – also Menschen, denen es nicht gelingt, Wörter zu Sätzen oder Texten zusammenzusetzen. Das sind 14 Prozent der erwerbstätigen Erwachsenen. Bund und Länder wollen ihre Anstrengungen nun noch einmal verstärken. In den letzten vier Jahren sind allein vom Bund über 50 Millionen Euro geflossen in eine Öffentlichkeitskampagne mit TV- und Radiospots und in knapp 60 Projekte bundesweit. Doch das sei noch nicht genug, räumte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ein. Das Thema gewinne in vielerlei Hinsicht an Brisanz. Die Komplexität der Arbeitswelt nehme immer mehr zu, aber auch der aktuelle Flüchtlingsstrom werde das Problem noch verschärfen.
"Von den Menschen die zu uns kommen, die bei uns bleiben werden, haben wir auch nicht nur die Menschen, die gut ausgebildet sind. Sondern auch einen nicht unerheblichen Anteil von Analphabeten in ihrem eigenen Land."
Bund und Länder wollen daher ihre Anstrengungen in den nächsten zehn Jahren noch einmal vervielfachen. 180 Millionen Euro sollen in Kurskonzepte, Internetplattformen, aber auch in Deutschprojekte für Flüchtlingskinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen fließen. Zwar seien 40 Prozent der Analphabeten in Deutschland Migranten. Doch das Problem treffe auch viele Deutsche. Es gibt noch viel zu tun.
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