Weltanschauliche Debatte
Besteht der Mensch aus Leib und Seele? Der Sammelband "Neurowissenschaft und Philosophie" tritt gegen den vereinfachenden Dualismus an.
"Es gibt eine kleine Drüse im Gehirn, in der die Seele ihre Funktion spezieller ausübt als in jedem anderen Teil des Körpers", schrieb vor 350 Jahren René Descartes, der Begründer des Rationalismus.
Eine strikte Zweiteilung - hier Körper, dort Seele - und die Zirbeldrüse als Ort der Wechselwirkung: Das scheint lange her. Ist es nicht, behaupteten der Neurowissenschaftler Maxwell Bennett und der Philosoph Peter Hacker 2003 in ihrem Mammutwerk "Philosophical Foundations of Neuroscience". Das Buch erregte Aufsehen in der Gemeinde der englischsprachigen Neuro-Philosophen und es entspann sich eine lebhafte Debatte, die nun mit den wichtigsten Debattenbeiträgen in dem Sammelband "Neurowissenschaft und Philosophie" auch auf Deutsch nachzulesen ist.
Den Auftakt bildet ein umfangreicher Auszug aus dem Buch von Maxwell Bennett und Peter Hacker. Darin setzen sie mit der kognitiven Neurowissenschaft kritisch auseinander, die das Wechselverhältnis zwischen neuronalen und mentalen Vorgängen im Gehirn untersucht. Ihre Vorwürfe sind massiv: Die kognitive Neurowissenschaft verhelfe dem Leib-Seele-Dualismus zu einer unheilvollen Wiedergeburt. "Das Gehirn denkt, meint, interpretiert, entwirft Modelle" - wer so spreche, habe sich in einem Labyrinth schiefer Metaphern verlaufen. Das, was man heute sicher vom Gehirn sagen könne, beschränke sich auf die Stoffwechselaktivitäten von Neuronen. Das Gehirn sei kein vom Körper unabhängiges Subjekt, sondern nur der ganze Mensch könne denken und interpretieren.
Zu den von Bennett und Hacker angegriffenen Philosophen gehört Daniel Dennett, amerikanischer Philosoph und beinharter Naturalist, dessen ironische Erwiderung sich im Anschluss lesen lässt. "So könnt ihr doch nicht sprechen!", schimpften altmodische Lehrer, wenn ihre Schüler sich einer lockeren Umgangssprache erfreuten. Die Schüler sprechen trotzdem so - und können es offenbar auch. Die Naturwissenschaft lebe nun einmal davon, die Verhältnisse zu vereinfachen, um Grundprinzipien ausfindig zu machen. In eine etwas andere Richtung argumentiert der vierte und letzte im Bund der Diskutanten, der Sprachphilosoph John Searle. In seinem Aufsatz wirft er Bennett und Maxwell vor, ein Argument schuldig zu bleiben, warum man das Gehirn nicht als Ort von Denkprozessen beschreiben könne, analog zum Magen als Ort von Verdauungsprozessen. Folgte man ihrer Fundamentalkritik, müsste sich die Neurowissenschaft aus der Erforschung des Bewusstseins ganz zurückziehen, warnt er.
Alle Debattenbeiträge (samt dem lesenswerten Vor- und Nachwort) sind geschliffen formuliert, klug gedacht und teils elegant in Szene gesetzt. Mitunter werden die feinsinnigen Unterscheidungen - etwa was die "Qualia", die Erlebnisinhalte von Erfahrungen angeht - aber auch so akademisch, dass die Genauigkeit, mit der die Autoren letzte Wahrheiten über Mensch und Welt wissen wollen, nur erstaunen kann. Bis auf John Searle bemühen sich die Debattierer zudem wenig um echten Dialog. So führt die Lektüre wunderbar in aktuelle Grundfragen der Neurobiologie ein - eine abschließende Antwort sollte jedoch niemand erwarten. Das massive Aneinandervorbei der Streiter macht deutlich: Es handelt sich hier um eine weltanschauliche Debatte, die mit Argumenten schwerlich beizulegen ist.
Über die Autoren:
Maxwell Bennett ist australischer Hirnforscher, Professor für Physiologie an der Universität von Sydney und gilt als Vertreter der "synaptischen Neurowissenschaft", die sich auf die Untersuchungen physiologischer Abläufe im Gehirn beschränkt.
Peter Hacker ist englischer Philosoph und Wittgenstein-Spezialist. Zusammen mit dem australischen Hirnforscher Maxwell Bennett möchte er eine Klärung der begrifflichen Grundlagen der Neurowissenschaft bewirken.
Daniel Dennett, US-amerikanischer Philosoph, befasst sich mit der "Philosophie des Geistes". Er hält das Bewusstsein für restlos erklärbar durch Neuro- und Kognitionswissenschaften.
John Searle ist Professor für Philosophie an der Universität von Kalifornien und tritt gegen die Auffassung an, das Bewusstsein sei allein aus physiologischen Vorgängen erklärbar. In der Absicht (Intentionalität) von Sprechhandlungen sieht er ein Bindeglied zwischen Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes.
Besprochen von Susanne Billig
Maxwell Bennett/ Daniel Dennett/ Peter Hacker/ John Searle,
Neurowissenschaft und Philosophie - Gehirn, Geist und Sprache,
aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte,
Suhrkamp Verlag, gebunden, 277 Seiten, 29,80 Euro
Eine strikte Zweiteilung - hier Körper, dort Seele - und die Zirbeldrüse als Ort der Wechselwirkung: Das scheint lange her. Ist es nicht, behaupteten der Neurowissenschaftler Maxwell Bennett und der Philosoph Peter Hacker 2003 in ihrem Mammutwerk "Philosophical Foundations of Neuroscience". Das Buch erregte Aufsehen in der Gemeinde der englischsprachigen Neuro-Philosophen und es entspann sich eine lebhafte Debatte, die nun mit den wichtigsten Debattenbeiträgen in dem Sammelband "Neurowissenschaft und Philosophie" auch auf Deutsch nachzulesen ist.
Den Auftakt bildet ein umfangreicher Auszug aus dem Buch von Maxwell Bennett und Peter Hacker. Darin setzen sie mit der kognitiven Neurowissenschaft kritisch auseinander, die das Wechselverhältnis zwischen neuronalen und mentalen Vorgängen im Gehirn untersucht. Ihre Vorwürfe sind massiv: Die kognitive Neurowissenschaft verhelfe dem Leib-Seele-Dualismus zu einer unheilvollen Wiedergeburt. "Das Gehirn denkt, meint, interpretiert, entwirft Modelle" - wer so spreche, habe sich in einem Labyrinth schiefer Metaphern verlaufen. Das, was man heute sicher vom Gehirn sagen könne, beschränke sich auf die Stoffwechselaktivitäten von Neuronen. Das Gehirn sei kein vom Körper unabhängiges Subjekt, sondern nur der ganze Mensch könne denken und interpretieren.
Zu den von Bennett und Hacker angegriffenen Philosophen gehört Daniel Dennett, amerikanischer Philosoph und beinharter Naturalist, dessen ironische Erwiderung sich im Anschluss lesen lässt. "So könnt ihr doch nicht sprechen!", schimpften altmodische Lehrer, wenn ihre Schüler sich einer lockeren Umgangssprache erfreuten. Die Schüler sprechen trotzdem so - und können es offenbar auch. Die Naturwissenschaft lebe nun einmal davon, die Verhältnisse zu vereinfachen, um Grundprinzipien ausfindig zu machen. In eine etwas andere Richtung argumentiert der vierte und letzte im Bund der Diskutanten, der Sprachphilosoph John Searle. In seinem Aufsatz wirft er Bennett und Maxwell vor, ein Argument schuldig zu bleiben, warum man das Gehirn nicht als Ort von Denkprozessen beschreiben könne, analog zum Magen als Ort von Verdauungsprozessen. Folgte man ihrer Fundamentalkritik, müsste sich die Neurowissenschaft aus der Erforschung des Bewusstseins ganz zurückziehen, warnt er.
Alle Debattenbeiträge (samt dem lesenswerten Vor- und Nachwort) sind geschliffen formuliert, klug gedacht und teils elegant in Szene gesetzt. Mitunter werden die feinsinnigen Unterscheidungen - etwa was die "Qualia", die Erlebnisinhalte von Erfahrungen angeht - aber auch so akademisch, dass die Genauigkeit, mit der die Autoren letzte Wahrheiten über Mensch und Welt wissen wollen, nur erstaunen kann. Bis auf John Searle bemühen sich die Debattierer zudem wenig um echten Dialog. So führt die Lektüre wunderbar in aktuelle Grundfragen der Neurobiologie ein - eine abschließende Antwort sollte jedoch niemand erwarten. Das massive Aneinandervorbei der Streiter macht deutlich: Es handelt sich hier um eine weltanschauliche Debatte, die mit Argumenten schwerlich beizulegen ist.
Über die Autoren:
Maxwell Bennett ist australischer Hirnforscher, Professor für Physiologie an der Universität von Sydney und gilt als Vertreter der "synaptischen Neurowissenschaft", die sich auf die Untersuchungen physiologischer Abläufe im Gehirn beschränkt.
Peter Hacker ist englischer Philosoph und Wittgenstein-Spezialist. Zusammen mit dem australischen Hirnforscher Maxwell Bennett möchte er eine Klärung der begrifflichen Grundlagen der Neurowissenschaft bewirken.
Daniel Dennett, US-amerikanischer Philosoph, befasst sich mit der "Philosophie des Geistes". Er hält das Bewusstsein für restlos erklärbar durch Neuro- und Kognitionswissenschaften.
John Searle ist Professor für Philosophie an der Universität von Kalifornien und tritt gegen die Auffassung an, das Bewusstsein sei allein aus physiologischen Vorgängen erklärbar. In der Absicht (Intentionalität) von Sprechhandlungen sieht er ein Bindeglied zwischen Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes.
Besprochen von Susanne Billig
Maxwell Bennett/ Daniel Dennett/ Peter Hacker/ John Searle,
Neurowissenschaft und Philosophie - Gehirn, Geist und Sprache,
aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte,
Suhrkamp Verlag, gebunden, 277 Seiten, 29,80 Euro