Weltatlas der sexuellen Ausbeutung
Weltweit geraten jährlich rund 1,4 Millionen Frauen und Kinder in die Hände von Zuhältern und Pädophilen. Die Journalistin Lydia Cacho hat sich in die Hölle der Sexsklaverei begeben und klärt auf. Ein großes, wichtiges und zutiefst beeindruckendes Buch - als ihren Lehrer nennt sie Günter Wallraff.
"Mein Name ist Lydia Cacho Ribeiro, ich bin Menschenrechtsaktivistin."
Seit Jahren schwebt diese Frau in Lebensgefahr. Ein Anrufer drohte kürzlich, man würde ihr die Hände abhacken, wenn sie weiter schreibe, doch sie lässt sich nicht beirren: Die Journalistin Lydia Cacho, geboren 1963 in Mexiko. 2005 publizierte sie ein Buch über ein Netzwerk der Kinderpornografie im Badeort Cancún.
Im Text nannte sie Namen, die Namen bekannter Männer. Unternehmer waren dabei, auch ein leibhaftiger Gouverneur, und diese Männer rächten sich: Sie ließen die Autorin von Polizisten entführen, sie ließen sie foltern und einsperren, dann brachten sie sie vor Gericht. Der Vorwurf: Verleumdung.
"Mexiko ist ein Macho-Land. Und wenn du das verstehst, verstehst du auch alles andere. Es geht um Kontrolle, Kontrolle über Frauen und Kinder."
2007 fiel das Urteil im Prozess gegen Lydia Cacho: Freispruch. Zu dieser Zeit arbeitete die Autorin bereits an ihrem nächsten Buch, über dasselbe Verbrechen - das "Milliardengeschäft Menschenhandel". "Sklaverei" heißt das Werk, doch der Titel beschreibt das Anliegen der Mexikanerin nur ungefähr. Im Text wird sie deutlicher:
"Dieses Buch beschäftigt sich ausschließlich mit der modernen Sexsklaverei. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Zwangsprostitution heute mit 79 Prozent die mit Abstand häufigste Form der menschlichen Sklaverei darstellt. Jedes Jahr werden weltweit rund 1,4 Millionen Menschen in die Sexsklaverei gezwungen. Sie werden gekauft und weiterverkauft wie Rohstoffe der Industrie, wie Trophäen oder gesellschaftlicher Müll."
Lydia Cacho ermittelte in 47 Ländern, immer in der Angst, von einem Taxifahrer oder einem Portier verraten zu werden. Sie untersuchte die Operationen der Gangstersyndikate, sie folgte den Wegen der Händler, sie sammelte Zeugnisse von Opfern und Tätern, Beamten und Politikern. Hunderte Geschichten hat die Mexikanerin gehört - über Vergewaltigung, Schuldknechtschaft, Folter und Mord, über massenhaften Missbrauch.
"Eine 21-jährige Kolumbianerin, die ich in Tokio traf und die dort von den Yakuza versklavt wurde, führte Buch über ihre Freier. In einem Notizbüchlein im Hello-Kitty-Design hatte sie in acht Monaten 1320 Kunden notiert."
Nach fünf Jahren Recherche zeichnete Lydia Cacho eine Art Weltatlas der sexuellen Ausbeutung, ein wahnwitziges Unterfangen. Dies sind einige Thesen der Autorin: Nie in der Geschichte war Sklaverei so verbreitet wie heute. Mit Menschenhandel wird mehr Geld verdient als im Drogenhandel. Und: Das schmutzige Geschäft funktioniert nur, weil die Gesellschaft und ihre gewählten Vertreter es dulden.
"In Kambodscha stieß ich auf eine Kolonie von 3.000 Holländern. Sie kaufen sich junge Mädchen und promoten dies, damit noch mehr Holländer kommen. Bei holländischen Behörden fragte ich: Wissen Sie davon? Ein Typ vom Sozialdienst sagte: Ja, wir wissen das. Denn wir müssen diesen Männern jedes Jahr Geld nach Kambodscha bringen, die Renten. Die wollen nicht zurück nach Holland - und wir wollen sie auch nicht wiederhaben."
Ratschläge für ihre Arbeit erhielt die Mexikanerin von einem deutschen Journalisten; sie nennt ihn ihren Lehrer.
"Günter Wallraff hat mir viel beigebracht. Ich habe mich zum Beispiel als Nonne verkleidet. So konnte ich in die Welt der Menschenhändler eindringen und sogar mit ihnen sprechen."
Cachos Werk "Sklaverei" - diese Mischung aus Reportage, Analyse und Anklageschrift - ist ein schockierendes Buch. Leider zeigt es deutliche Schwächen. In Aufbau und Stil wirkt die Studie sprunghaft, zu wenig prägnant. Harte Fakten werden bei Lydia Cacho zu verschwommenen Größen.
Die Autorin vereinfacht, sie appelliert und polemisiert, wo eine nüchterne Darlegung größere Wucht entfaltet hätte. Aber den Mut der Verfasserin muss man bewundern, ihre Kompromisslosigkeit. Sie lasse sich den Mund nicht verbieten, hat Lydia Cacho einmal gesagt. Es sei ihre Pflicht zu reden - als Frau in einem Macholand, als Mexikanerin.
"Hier Journalistin zu sein, bedeutet, für die Wahrheit in den Krieg ziehen. Das ist doch absurd! Nur um guten Journalismus zu machen, wollen wir doch nicht zu Helden werden!"
Lydia Cacho: Sklaverei. Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel
Aus dem Spanischen von Jürgen Neubauer
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2011
Seit Jahren schwebt diese Frau in Lebensgefahr. Ein Anrufer drohte kürzlich, man würde ihr die Hände abhacken, wenn sie weiter schreibe, doch sie lässt sich nicht beirren: Die Journalistin Lydia Cacho, geboren 1963 in Mexiko. 2005 publizierte sie ein Buch über ein Netzwerk der Kinderpornografie im Badeort Cancún.
Im Text nannte sie Namen, die Namen bekannter Männer. Unternehmer waren dabei, auch ein leibhaftiger Gouverneur, und diese Männer rächten sich: Sie ließen die Autorin von Polizisten entführen, sie ließen sie foltern und einsperren, dann brachten sie sie vor Gericht. Der Vorwurf: Verleumdung.
"Mexiko ist ein Macho-Land. Und wenn du das verstehst, verstehst du auch alles andere. Es geht um Kontrolle, Kontrolle über Frauen und Kinder."
2007 fiel das Urteil im Prozess gegen Lydia Cacho: Freispruch. Zu dieser Zeit arbeitete die Autorin bereits an ihrem nächsten Buch, über dasselbe Verbrechen - das "Milliardengeschäft Menschenhandel". "Sklaverei" heißt das Werk, doch der Titel beschreibt das Anliegen der Mexikanerin nur ungefähr. Im Text wird sie deutlicher:
"Dieses Buch beschäftigt sich ausschließlich mit der modernen Sexsklaverei. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Zwangsprostitution heute mit 79 Prozent die mit Abstand häufigste Form der menschlichen Sklaverei darstellt. Jedes Jahr werden weltweit rund 1,4 Millionen Menschen in die Sexsklaverei gezwungen. Sie werden gekauft und weiterverkauft wie Rohstoffe der Industrie, wie Trophäen oder gesellschaftlicher Müll."
Lydia Cacho ermittelte in 47 Ländern, immer in der Angst, von einem Taxifahrer oder einem Portier verraten zu werden. Sie untersuchte die Operationen der Gangstersyndikate, sie folgte den Wegen der Händler, sie sammelte Zeugnisse von Opfern und Tätern, Beamten und Politikern. Hunderte Geschichten hat die Mexikanerin gehört - über Vergewaltigung, Schuldknechtschaft, Folter und Mord, über massenhaften Missbrauch.
"Eine 21-jährige Kolumbianerin, die ich in Tokio traf und die dort von den Yakuza versklavt wurde, führte Buch über ihre Freier. In einem Notizbüchlein im Hello-Kitty-Design hatte sie in acht Monaten 1320 Kunden notiert."
Nach fünf Jahren Recherche zeichnete Lydia Cacho eine Art Weltatlas der sexuellen Ausbeutung, ein wahnwitziges Unterfangen. Dies sind einige Thesen der Autorin: Nie in der Geschichte war Sklaverei so verbreitet wie heute. Mit Menschenhandel wird mehr Geld verdient als im Drogenhandel. Und: Das schmutzige Geschäft funktioniert nur, weil die Gesellschaft und ihre gewählten Vertreter es dulden.
"In Kambodscha stieß ich auf eine Kolonie von 3.000 Holländern. Sie kaufen sich junge Mädchen und promoten dies, damit noch mehr Holländer kommen. Bei holländischen Behörden fragte ich: Wissen Sie davon? Ein Typ vom Sozialdienst sagte: Ja, wir wissen das. Denn wir müssen diesen Männern jedes Jahr Geld nach Kambodscha bringen, die Renten. Die wollen nicht zurück nach Holland - und wir wollen sie auch nicht wiederhaben."
Ratschläge für ihre Arbeit erhielt die Mexikanerin von einem deutschen Journalisten; sie nennt ihn ihren Lehrer.
"Günter Wallraff hat mir viel beigebracht. Ich habe mich zum Beispiel als Nonne verkleidet. So konnte ich in die Welt der Menschenhändler eindringen und sogar mit ihnen sprechen."
Cachos Werk "Sklaverei" - diese Mischung aus Reportage, Analyse und Anklageschrift - ist ein schockierendes Buch. Leider zeigt es deutliche Schwächen. In Aufbau und Stil wirkt die Studie sprunghaft, zu wenig prägnant. Harte Fakten werden bei Lydia Cacho zu verschwommenen Größen.
Die Autorin vereinfacht, sie appelliert und polemisiert, wo eine nüchterne Darlegung größere Wucht entfaltet hätte. Aber den Mut der Verfasserin muss man bewundern, ihre Kompromisslosigkeit. Sie lasse sich den Mund nicht verbieten, hat Lydia Cacho einmal gesagt. Es sei ihre Pflicht zu reden - als Frau in einem Macholand, als Mexikanerin.
"Hier Journalistin zu sein, bedeutet, für die Wahrheit in den Krieg ziehen. Das ist doch absurd! Nur um guten Journalismus zu machen, wollen wir doch nicht zu Helden werden!"
Lydia Cacho: Sklaverei. Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel
Aus dem Spanischen von Jürgen Neubauer
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2011