Welterbe-Museum bei Schleswig

Die Welt der Wikinger in Haithabu erleben

09:59 Minuten
Luftaufnahme mit Blick auf das Gelände der Wikingerhäuser von Haithabu.
Das Wikingerdorf Haithabu in Schleswig Holstein zählt seit kurzem zum UNESCO-Weltkulturerbe. © Picture Alliance / dpa / Carsten Rehder
Von Peter Kaiser |
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Die Wikinger regierten Nordeuropa vom 8. bis zum 11. Jahrhundert. Eines ihrer wichtigsten Handelszentren war Haithabu. Heute ist das Gelände bei Schleswig UNESCO-Weltkulturerbe – und das Freilichtmuseum in Schleswig-Holstein mit den meisten Besuchern.
"Sie gehen über Bohlenwege wie die Siedler von Haithabu vor über 1000 Jahren", erzählt Ute Drews. Sie leitet das Wikingermuseum Haithabu. "Sie können sich die hölzernen Häuser angucken, können in die Häuser hineinschnuppern, und beeindrucken wird es alle, dass diese Häuser so dunkel sind. Die Häuser haben keine Fenster, höchstens mal ein kleines Guckloch."
Schleswig ist eine an Kulturschätzen reiche Stadt im Norden, rund 180 Kilometer Luftlinie von Bremen entfernt. Hier, am Haddebyer Noor – der Begriff bedeutet so viel wie Haff oder Strandsee – befand sich vor rund 1000 Jahren die Stadt Haithabu, eines der bedeutendsten Handelszentren der Wikinger. "In der Blütezeit hat es ungefähr 1500 bis 2000 Einwohner gegeben", sagt Drews.
Haithabu wurde im Jahr 1066 von Westslawen gänzlich zerstört. Im Verlauf der Jahrhunderte verschwanden alle Spuren des einst blühenden Fernhandelszentrums. Nur der Halbkreiswall war noch sichtbar, die Bewohner bezeichneten das Gebiet als "Oldenburg" und meinten damit den Standort einer alten Stadt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts aber geriet die Befestigungsanlage des Danewerks wieder in den Mittelpunkt des Interesses, man vermutete ein altes Militärlager hier. Erst als 1897 der dänische Archäologe Sophus Müller den Siedlungsplatz Haithabu wiederentdeckte, begann eine echte archäologische Forschung.

Von der Ruine zur Touristenattraktion

Heute sind Haithabu und die Wallanlagen Danewerk eines der meistbesuchten Museen Deutschlands. "So wie du jetzt greifst, das kannst du bei einem schwachen Bogen machen", sagt Anne Wallusch. Wer den Ort besucht, taucht unmittelbar in die Welt der Wikinger ein. Sogar sehr direkt per uralter Wildschweinjagd mit Pfeil und Bogen. "Aber wir schießen mit Langbögen. Die sind stark, da muss ich Kraft aufbringen."
Reetgedeckte Hütten in Haithabu schmiegen sich eng aneinander.
Das Wikingerleben in Dörfern wie Haithabu war von eher bescheidener Art.© Imago / McPHOTO
Sieben Häuser und eine Landungsbrücke haben die Museumsmacher vor etwa 15 Jahren hier wiederaufgebaut. Es hat natürlich noch mehr Häuser gegeben. Mit Hilfe von geophysikalischen Bodenerkundungen konnte ein Stadtplan des einstigen Haithabus erstellt werden.
Heute liegen wie vor 1000 Jahren Bohlenwege zwischen den Holz- und Lehmhäusern, etwas entfernt ist der Schießplatz. Dort erteilt gerade die im roten Wikingerkleid gewandete Anne Wallusch barfüßig Jagdunterricht mit Pfeil und Bogen. "Da sitzt sie, die Wildsau, da gucke ich hin. Jetzt am Ziel ausrichten, Ellbogen hoch, ein bisschen spannen, guck auf den Vorderlauf des Tieres, und ... gut!"

Der Hafen ist das Herz der Siedlung

"Wir müssen uns vorstellen, wo das Hauptgeschehen stattfand, gab es größere Häuser, Dreiraumhäuser, in denen es einen mittleren Wohnraum gab, und dann eine Werkstatt auf der anderen Seite, und einen Lagerraum", referiert Drews.
"Zum Westen hin siedeln sich die Handwerker an, die mit offenem Feuer arbeiten. Offenes Feuer gefährdet so eine Siedlung, die überwiegend aus Häusern mit Reetdach besteht. Dort sitzen also die Perlenmacher und die Schmiede in drei mal drei Metern sogenannten Grubenhäusern, die in den Erdboden eingetieft sind."
Und noch etwas hebt Drews hervor: "Alle Wege führen zum Hafen, weil, der Hafen ist das Herz dieser Siedlung. Hier findet der Handel statt. Man sucht vergebens einen Marktplatz, so wie wir das heute aus unseren Städten kennen, das gibt es hier nicht."

Wikingerzeit zum Nacherleben

"Und jetzt wickle ich das hier ein, und jetzt … hier könnt ihr sehen, wie das raucht, und … das geht mit trockenen Blättern, mit Heu, mit Stroh. Mit allem, was so brennt", erklärt Mathias.
"Cool!"
Das Versammlungshaus, das Tuchhändlerhaus, das Haus des Kammmachers. Hier zeigt Mathias in sorgsamen Abstand zu den Häusern, was in einer Wikingerschmiede entstand: Nägel für den Bootsbau, Haken, Messer, Schwerter. Aber vor allem zeigt der in grauem Filzhemd, Hosen und dunklen Stiefeln gekleidete Schmied, wie Feuer mit den Feuersteinen gemacht wurde.
"Das hatte früher jeder. Jeder hatte einen Feuerstein zu Hause oder für unterwegs."

Er ist einer der bedeutendsten Funde aus der Wikingerzeit: der Hiddenseer Goldschatz. Er stammt vom Hof des Wikingerkönigs Harald Blauzahn und beeindruckt vor allem durch seine herausragenden Schmiedetechnik. Unter anderem darüber hat Andre Hatting mit der Archäologin Claudia Hoffmann vom Stralsundmuseum gesprochen.

Haus der Händler, die Herberge, Haus des Fischers. Beim Haus des Holzhandwerkers arbeitet der Schiffsbauer Kai Zausch. Doch er hackt gerade keine Schiffswand oder einen Mast zurecht, sondern neue Bohlen für die Wege. Eine anstrengende Arbeit mit dem Beil. Trotzdem gibt er freundlich Auskunft, als er gefragt wird, ob man ein Wikingerboot auch allein steuern kann.
"Das Wikingerboot ist immer ein Mannschaftsboot. Man kann das nicht allein segeln, sondern man braucht immer eine Mannschaft."
"Habt ihr auch ein Kriegerboot?" fragt ein Kind.
"Ja, ein Kriegerboot haben wir auch, aber das liegt drüben im Museum auf dem Trockenen."
"Krass!"
"… und das ist ein 31 Meter großes Kriegsschiff."

Grenzüberschreitende Forschung

"Die Forschung in Haithabu ist immer grenzüberschreitend gewesen. Beispielsweise wurde hier 1979 im ehemaligen Hafen eines der bedeutendsten Kriegsschiffe geborgen, das man aus der Wikingerzeit kennt. Ein 30 Meter langes Kriegsschiff, das pfeilschnell war und, wie wir heute wissen, seinerzeit das schnellste Schiff auf der Ostsee gewesen sein muss", erläutert Drews. Dieses Schiff ist in Zusammenarbeit mit dänischen und deutschen Archäologen geborgen worden."
Zwei Wikinger-Darsteller im Wikingerdorf Haithabu kämpfen mit Speer, Axt und Schild gegeneinander.
Das Wikingerdorf Haithabu an dem Fluss Schlei wurde 1985 eröffnet.© Imago / Andre Lenthe
Und natürlich sitzt das Klischee tief und fest, dass die Wikinger "große, starke, kräftige Kerls waren, dass sie Rauhbeine waren, dass sie geraubt und geplündert haben und ganz brutale, unkultivierte Barbaren waren. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass bereits in der Wikingerzeit immer nur diese starken Männer aufgetreten sind. An Bord der Schiffe hat der Schiffsführer mit Sicherheit nicht die Kleinsten und Schwächsten mitgenommen, sondern die Größten und Stärksten."
Manchmal denkt der eine oder andere laut, dass die Wikingerzeit hier doch recht nett gewesen sein muss. So an der sanftweichen Schlei, inmitten der sicheren Wallanlagen, die Haithabu und die Südgrenze der Skandinavier abschirmten, und gleichzeitig den Handel zwischen Ost- und Nordsee kontrollierten.

Eine sehr bescheidene Welt

Drews sagt dazu: "Ich glaube, dass man diese romantischen Vorstellungen sehr schnell hinter sich lässt, wenn man einmal im Oktober hier in unsere rekonstruierten Häuser kommt und sich zehn Minuten still hinsetzt. Dann wird deutlich: Dieses ist eine sehr, sehr bescheidene Welt."
Geduckt durchschreiten die Besucher die Hauseingänge. Selbst innen stehen sie noch geduckt, so nah sind Reetdach, Lehmwände, die Hausseiten. Später kommen viele nachdenklich heraus.
"Wir sind in der einen Hütte gewesen, wo es im Grunde keinen Schornstein gab, keinen Ofen, nix, oder die Schlafstätten, wo wahrscheinlich 20 Leute in einem Bett gelegen haben", sagt ein Besucher.
"In unserer Zeit wäre das nicht denkbar, würde ich sagen", ergänzt ein anderer. "Da würden wir an Rauchvergiftung sterben."
"Früher hatte ich so die Vorstellung: Helm, Schwert, Schiff – auf nach Britannien! Rauben und Kriege und so. Aber ich denke, das ist wahrscheinlich nur die Ausnahme gewesen. Ansonsten mussten die ein stinknormales Leben führen."

Frauen in Haithabu

Eine Besucherin meldet sich zu Wort: "Was ich auch interessant fand in der Ausstellung, dass Frauen auch Positionen erreichen konnten, also nicht nur dienende Funktionen hatten."
Eine andere Frau vergleicht das Leben damals mit dem heute: "Wir gehen heute ins Kaufhaus und können uns alles kaufen. Das ist eben früher nicht so gewesen, man musste halt was machen, wenn man was wollte. Sei es nun Kleidung oder Essen."
Apropos Essen. Wer hungrig wird, braucht nicht nur das Museumsgelände nicht zu verlassen, sondern auch nicht die Wikingerzeit.
"Ich habe jetzt die Molle mit dem Teig und ein Brett, hier bereite ich die Fladen vor", erklärt eine Frau dem Besucher.
"Das ist genau so, wie das vor 1000 Jahren gemacht wurde?"
"Im Grunde ja. Also wenn die Wikinger Brot gebacken haben, man muss sich das so vorstellen, Getreide ist natürlich ergiebiger, wenn man Mus draus arbeitet. Man würde mehr Leute damit satt kriegen. Brot ist schon ein Luxusgut gewesen. Das es nicht jeden Tag gab. Fleisch und Fisch war eine Edelvariante."

Der UNESCO-Titel als Zuschauermagnet

Man könnte Tage hier an den Ufern der Schlei verbringen inmitten der miterlebbaren Wikingerwelt. Insgesamt kommen pro Jahr, besonders nach dem erteilten UNESCO-Weltkulturerbestatus, mehr als 160.000 Besucher. Früher kamen 120.000 Gäste jährlich. Das sei allein schon eine schöne Steigerung, sagt Ute Drews, doch für das laufende Jahr sind es nochmal zehn Prozent mehr, man peile die 180.000-Besucher-Marke an.
"Wir merken deutlich, dass die Besucher hierherkommen, um sich über das neue Welterbe zu informieren."
Und wenn dann der eine oder die andere die Museumsleiterin fragt, wie die Welt der Wikinger geklungen haben muss, dann blickt sie lächelnd auf einen Runenstein aus der Zeit und fängt an zu zitieren.
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