Welterfahrung auf engstem Raum
Andreas Maier beschreibt die gesellschaftlichen Veränderungen im Mikrokosmos der hessischen Wetterau, das Schwinden alter Strukturen und gewachsener Beziehungen. Dabei findet der Autor im Kleinen Probleme, die uns weltweit zu schaffen machen.
Die Wetterau im Bundesland Hessen ist der Nabel der Welt. Jedenfalls für den 43-jährigen Schriftsteller Andreas Maier. Seit dem Erscheinen seines vielbeachteten Debüts "Wäldchestag" vor zehn Jahren kreist er um die Riten, Gesten, Marotten und Moritaten der dort lebenden ländlichen Bevölkerung. Die Wetterau im Norden Frankfurts ist Maiers unspektakuläre Heimat. Den Autor interessiert das Zusammenleben der ansässigen Familien, die Veränderungen durch Anforderungen des technischen Zeitalters, der Wandel von Lebensgewohnheiten, der Häuser, Strassen, Ortschaften und umliegenden Städte. Andreas Maiers Bücher sind Welterfahrung auf engstem Raum.
Mit zunehmenden Alter wird Maier, dieser rabiate Beobachter des gewöhnlichen Lebens, literarisch entspannter. Seine Konjunktivbesessenheit und Thomas Bernhard-Nähe verblassen, seine eigene erzählerische Dynamik wächst, getragen von einer gelassenen Komik. Für den Roman "Das Zimmer" setzt er das Datum 1969: das Jahr der Mondlandung. Dort der eroberte Mond, hier die eroberte Erde, dazwischen die Wetterau, in der ein zweijähriger Bub ein Wikingerschiff besitzt und das Staunen lernt.
Onkel J. gehört, wie die Mutter des Autors, zur Familie Boll, Besitzer der Steinwerke Karl Boll. Onkel J. ist, weil er einen eingeschränkten Geist hat, Paketträger bei der Frankfurter Hauptpost und besitzt einen khakifarbenen VW Variant. Mit diesem Mann, der sich eines Tages weigert, sich zu waschen und seiner Umgebung zur Qual wird, hat Andreas Maier die klassische Figur des reinen Toren zur Hand. Onkel J. liebt das Schweigen, seine Mutter, sein Auto, den Wald, Luis Trenker-Filme und das Bier im Forsthaus Winterstein. Onkel J. ist der Mann ohne Erinnerung, gutgläubig und besonders anhänglich an diejenigen, die ihn unterdrücken. Onkel J. ist der Mensch, der die Zeit stillstehen lässt, während Deutschland ringsum zum "Gastarbeiterland" wird und das dörfliche Leben in ein vorstädtisches abdriftet.
Andreas Maier beschreibt diese Veränderungen, das Schwinden alter Strukturen und gewachsener Beziehungen. Der Prozess der Auflösung wird in der eigenen Familie durch die Heirat der Mutter mit einem Sohn des Oberfinanzpräsidenten aus Frankfurt am Main präzisiert. Mit dem Blick des Ethnografen, der auf Beobachtungen und Erzählungen angewiesen ist, beschreibt Maier Einkaufstouren, Nachbargespräche, Fotos. Onkel J., ist das Maiersche Standbild, um das herum sich die Welt immer schneller und unpersönlicher dreht.
"Das Zimmer" ist kein rückwärtsgewandtes lamentierendes, sondern ein komisches und kluges Buch. Komisch, weil die Beobachtungen des Autors umwerfend genau sind, klug, weil im Kleinen die Auflösung von Gesellschaftsverhältnissen dargestellt wird, die uns weltweit zu schaffen machen.
Besprochen von Verena Auffermann
Andreas Maier: Das Zimmer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
203 Seiten, 17,90 Euro
Mit zunehmenden Alter wird Maier, dieser rabiate Beobachter des gewöhnlichen Lebens, literarisch entspannter. Seine Konjunktivbesessenheit und Thomas Bernhard-Nähe verblassen, seine eigene erzählerische Dynamik wächst, getragen von einer gelassenen Komik. Für den Roman "Das Zimmer" setzt er das Datum 1969: das Jahr der Mondlandung. Dort der eroberte Mond, hier die eroberte Erde, dazwischen die Wetterau, in der ein zweijähriger Bub ein Wikingerschiff besitzt und das Staunen lernt.
Onkel J. gehört, wie die Mutter des Autors, zur Familie Boll, Besitzer der Steinwerke Karl Boll. Onkel J. ist, weil er einen eingeschränkten Geist hat, Paketträger bei der Frankfurter Hauptpost und besitzt einen khakifarbenen VW Variant. Mit diesem Mann, der sich eines Tages weigert, sich zu waschen und seiner Umgebung zur Qual wird, hat Andreas Maier die klassische Figur des reinen Toren zur Hand. Onkel J. liebt das Schweigen, seine Mutter, sein Auto, den Wald, Luis Trenker-Filme und das Bier im Forsthaus Winterstein. Onkel J. ist der Mann ohne Erinnerung, gutgläubig und besonders anhänglich an diejenigen, die ihn unterdrücken. Onkel J. ist der Mensch, der die Zeit stillstehen lässt, während Deutschland ringsum zum "Gastarbeiterland" wird und das dörfliche Leben in ein vorstädtisches abdriftet.
Andreas Maier beschreibt diese Veränderungen, das Schwinden alter Strukturen und gewachsener Beziehungen. Der Prozess der Auflösung wird in der eigenen Familie durch die Heirat der Mutter mit einem Sohn des Oberfinanzpräsidenten aus Frankfurt am Main präzisiert. Mit dem Blick des Ethnografen, der auf Beobachtungen und Erzählungen angewiesen ist, beschreibt Maier Einkaufstouren, Nachbargespräche, Fotos. Onkel J., ist das Maiersche Standbild, um das herum sich die Welt immer schneller und unpersönlicher dreht.
"Das Zimmer" ist kein rückwärtsgewandtes lamentierendes, sondern ein komisches und kluges Buch. Komisch, weil die Beobachtungen des Autors umwerfend genau sind, klug, weil im Kleinen die Auflösung von Gesellschaftsverhältnissen dargestellt wird, die uns weltweit zu schaffen machen.
Besprochen von Verena Auffermann
Andreas Maier: Das Zimmer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
203 Seiten, 17,90 Euro