Weltgesundheitsorganisation

"Eine Geisel potenter Geldgeber"

Ein afrikanischer Arzt in Schutzanzug verabreicht einem anderen Mann eine Spritze.
Ein Freiwilliger bekommt in Mali eine Impfung mit einem Ebola-Impfstoff. © picture alliance / dpa / Alex Duval Smith
Thomas Gebauer im Gespräch mit Nana Brink |
Ist die WHO ein zahnloser Tiger? Im Fall der Ebola-Epidemie hätte die Organisation nach Meinung vieler Experten schneller handeln müssen. Für Thomas Gebauer von "medico international" ist die WHO zum Spielball von Business-Interessen geworden – die bestimmten, wofür Geld ausgegeben werde.
Der Geschäftsführer von "medico international", Thomas Gebauer, sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "Geisel potenter Geldgeber" und Spielball für Business-Interessen.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Gebauer anlässlich der Tagung der Organisation in Genf, die WHO stehe am Scheideweg, "medico international" sei beunruhigt, dass Gesundheit eben nicht nur als Menschrecht gesehen werde, sondern auch als Grundlage für Business, für Verdienstmöglichkeiten von Firmen: "Und da wird das schon deutlich, dass das systematische Runterfahren der Finanzierung der WHO – und auch die Kritik an der WHO – etwas damit zu tun hat, zu sagen: Sie ist nicht leistungsfähig und wir müssen jetzt mehr den privaten Sektor reinholen."
Pharmaindustrie erklärt Krankheit zur Pandemie
Ein Beispiel sei die Schweinegrippe, die damals zur gefährlichen Pandemie erklärt worden sei: Der Ankauf der Impfdosen hätte die Steuerzahler Milliarden Euro gekostet – doch sei der Impfstoff letztlich gar nicht notwendig gewesen. Für Gebauer ist in diesem Zusammenhang bedenklich, dass an den WHO-Handlungsrichtlinien, "die damals zur Geltung gebracht worden sind, Autoren beteiligt gewesen sind, die von der Pharmaindustrie direkt bezahlt wurden".
Nur 20 Prozent der WHO-Finanzierung werde durch Pflichtbeiträge der Mitgliedsländer erbracht, der Rest seien freiwillige Gaben von Regierungen oder Stiftungen. So sei etwa die mächtige Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates zweigrößter Geldgeber. Die Stiftung gebe inhaltlich vor, was mit dem Geld zu fördern sei, etwa Impfkampagnen. Viel wichtiger jedoch sei es, die Infrastrukturen nachhaltig zu verbessern. Denn gerade die Entwicklungsländer hätten – nach Vorgaben der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds – ihre Sozialsysteme, und somit auch die Gesundheitsversorgung, stark heruntergefahren.
Um die Unabhängigkeit der WHO wieder herzustellen, sei es deshalb dringend erforderlich, die Pflichtbeiträge zu erhöhen und zugleich mögliche „Business-Interessen" der Förderer schärfer zu kontrollieren.


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Der Ausbruch der Ebola-Seuche vor einem Jahr hat wieder einmal deutlich gemacht: Krankheiten machen vor Grenzen nicht halt. Und sie hat auch deutlich gemacht: Wir brauchen eine Organisation, die weltweit operiert und solche Seuchen in den Griff bekommt. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen, kurz WHO genannt, die soll diese Arbeit leisten und von heute an versammeln sich die Mitglieder der WHO in Genf.
Ist also die Ebola-Seuche besiegt? Das will ich nun auch besprechen mit Thomas Gebauer, er ist Geschäftsführer von medico international und ich habe ihn gefragt, ob die Seuche in Westafrika wirklich im Griff ist!
Thomas Gebauer: Ich finde, sie ist noch nicht gebannt, solange es noch Neuinfektionen gibt. Das mag jetzt in Liberia nicht der Fall sein, aber in anderen Ländern kann so was immer wieder passieren. Und solange dies der Fall ist, gilt für mich die Seuche noch nicht als überwunden. Und entsprechend wird auch hier in Genf diskutiert eigentlich, was daraus zu lernen ist, was muss anders gemacht werden. Und da ist eine hektische Debatte im Gange.
Brink: Wie wird denn darüber diskutiert?
Gebauer: Na ja, natürlich muss darüber gesprochen werden, was ist falsch gelaufen, war es zu spät, warum ist so wenig koordiniert worden. Das ist alles richtig, aber es wird auch deutlich hier in den Gesprächen, dass es ein großer Fehler gewesen ist, nicht funktionierende Gesundheitssysteme aufzubauen. Also horizontale Versorgungseinheiten, die Menschen in solcher Situation dann auch Hilfe geben können. Da steht die WHO nicht unbedingt in der Kritik, denn in der Vergangenheit waren es eigentlich eher die Weltbank und der Internationale Währungsfonds im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme, die die Länder gezwungen haben, eben nicht in solche Sozialsysteme zu investieren. Das ist ein Fehler. Wir haben in den Ländern eben schlecht ausgerüstete Gesundheitsposten gehabt, die kein Personal haben. Das waren dann eher Orte der Ansteckung als der Hilfe und das hat das Vertrauen der Menschen erschüttert.
WHO am Scheideweg
Brink: Es hat ja viel zu lange gedauert – Sie haben es angesprochen –, bis die Weltgemeinschaft in Gestalt der WHO reagiert hat in der Ebola-Krise. Das bemängeln ja die Kritiker. Wie sehen Sie das?
Gebauer: Ja, man kann Managementprobleme sehen innerhalb der Weltgesundheitsorganisation, die Regionalbüros haben nicht rechtzeitig reagiert, die Informationen nicht weitergeleitet. Da ist sicher auch nachzudenken, wie man hier etwas innerhalb der Struktur der WHO verbessern muss. Aber wir müssen auch sehen, dass die Mittel der WHO gerade für diese Zwecke, für die Seuchenbekämpfung in den letzten Jahren heruntergefahren worden sind und innerhalb der Weltgesundheitsorganisation völlig unklar ist, in welche Richtung eigentlich die weitere Rolle der WHO zu sehen ist, welches Konzept sie verfolgen soll. Und da haben wir schon den Eindruck, dass es ein bisschen am Scheideweg steht und Gesundheit eben nicht mehr nur als Menschenrecht gesehen wird, sondern auch als Grundlage für Business, für Verdienstmöglichkeiten von Firmen. Und da wird es schon deutlich, dass dieses systematische Herunterfahren von der Finanzierung der WHO auch etwas zu tun hat, um eben die Kritik an der WHO dann ... um sozusagen zu sagen, sie ist nicht leistungsfähig und wir müssen jetzt mehr den privaten Sektor reinholen.
Brink: Wie kommt es dazu, dass sie nicht leistungsfähig ist, dass man so etwas einfach nicht erkennt?
Gebauer: Wenn kein Geld da ist, dann ist das das Problem. Und wenn die Interessen, die von außen jetzt in diesen Sektor hineinspielen, so groß sind, dann muss man sich nicht wundern, wenn die WHO entsprechend auch falsch handelt.
Brink: Was sind denn diese Interessen, die von außen hineinspielen?
Welche Krankheit wird zur Pandemie erklärt?
Gebauer: Nehmen Sie das Beispiel der Schweinegrippe von 2009, da ist ja eine relativ harmlose Krankheit zu einer Weltbedrohung ausgerufen worden. Und wenn man genau reinschaut, dann sind in den WHO-Richtlinien, die damals zur Geltung gebracht worden sind, Autoren beteiligt gewesen, die von der Pharmaindustrie direkt bezahlt gewesen sind. Das hat letztendlich den Steuerzahler auch in Deutschland eine Milliarde Euro gekostet, um 50 Millionen Impfdosen für eine Krankheit anzukaufen, die eigentlich harmlos gewesen ist, also keine große Pandemie dargestellt hat. Und entsprechend waren die Dosen auch hinterher nicht einsetzbar, nutzbar.
Brink: Dazu muss man wissen, dass die WHO ja von den Mitgliedern der Vereinten Nationen finanziert wird, aber ein Drittel der Gelder kommen mittlerweile von privaten Spendern. Habe ich Sie dann richtig verstanden, dass Sie sagen, diese privaten Spender nehmen dann Einfluss auf die Politik der WHO, und zwar im negativen Sinne?
Gebauer: Das sind die privaten Spender, also allen voran die Bill Gates Foundation, die inzwischen ja zum größten Einzelgeldgeber geworden ist nach den Vereinigten Staaten. Und in dem Moment, wie sie ... Die gibt ja die Mittel nicht zur freien Verfügung, sondern immer nur zweckgebunden, also, sie suchte sich bestimmte Programme innerhalb des Handlungsrepertoires der WHO aus und finanziert die. Da nimmt sie Einfluss auf die Politik. Bill Gates zum Beispiel konzentriert sich darauf, Impfprogramme zu fördern. Das ist unbedingt wichtig, aber er sieht eben die Rettung der Welt in einer Mischung aus Management, Business, Wissenschaft und Kapital letztendlich und er sieht nicht die sozialen Zusammenhänge, also das Mobilisieren von Gesundheitskräften an der Basis, von lokalem Personal, die eben wie in der Ebola-Krise dann dazu beigetragen haben, dass das Vertrauen wieder aufgebaut werden konnte.
Und da wird sozusagen dann das Konzept der Gesundheit auf eine Weise enggeführt, was letztendlich sehr problematisch ist. Das tun aber auch die Mitgliedsstaaten, das ist nicht nur die Bill Gates Foundation, sondern das sind auch die Mitgliedsstaaten selbst, und zwar die großen Geldgeber. Sie müssen sehen, dass die Weltgesundheitsorganisation zu 80 Prozent aus freiwilligen Zuwendungen finanziert wird, nur zu 20 Prozent aus Pflichtbeiträgen der Mitgliedsländer. Und die freiwilligen Zuwendungen sind Beträge von großen, potenten Staaten, die dann ihre Interessen durchsetzen, die WHO sozusagen über diese Finanzierung zu einer Geisel geworden ist von den potenten Geldgebern. Das sind einzelne mächtige Regierungen, allen voran die USA.
Pflichtbeiträge zur WHO erhöhen
Brink: Nun wird ja in Genf auch über eine Reform diskutiert der WHO. Was muss diese Reform beinhalten, wie muss die aussehen?
Gebauer: Die Reform muss genau an dem ansetzen, was ich gerade gesagt habe. Sie muss die Unabhängigkeit dieser Institution, die so dringend notwendig ist, wieder herstellen. Ich bin da sehr skeptisch, dass es gelingen wird. Margaret Chan hat vorgeschlagen, nur die Pflichtbeiträge um fünf Prozent zu erhöhen, was eine vergleichbar kleine Summe ist, und schon da wird also der Widerstand der Vereinigten Staaten deutlich, die so etwas prinzipiell ablehnen. Dann ganz wesentlich die Kontrolle der Interessenskonflikte! Alles das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, wie die Weltgesundheitsorganisation durchsetzt ist von Business-Interessen, das muss ständig und ganz systematisch kontrolliert werden. Der Gesundheitsbereich ist der wahrscheinlich wirtschaftsstärkste in der Welt. Es werden sechs bis sieben Billionen Dollar weltweit für Gesundheit aufgewandt pro Jahr. Da sind viele Interessen im Spiel. Wenn man die nicht kontrolliert, dann hat man auch keine gute Organisation, die schlagkräftig auf die Probleme, die in der Welt existieren, handeln kann.
Brink: Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international. Vielen Dank, Herr Gebauer!
Gebauer: Bitte.
Brink: Heute tagt die Weltgesundheitsorganisation in Genf. Großes Thema: der Ausbruch der Ebola-Seuche und deren Bekämpfung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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