Unfairer Wettbewerb
Die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) blickt skeptisch auf die 10. Welthandelskonferenz: Vor allem die USA würden Freihandelsabkommen wie TTIP bevorzugen - statt Entwicklungsländern einen fairen Handelzu ermöglichen.
Die heute in Nairobi beginnende Welthandelskonferenz müsste aus Sicht der SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul frühere Zusagen an die ärmsten Länder umsetzen: vor allem den vollen zoll- und quotenfreien Zugang zu den Märkten der Industrieländer. So hatte es sich die sogenannte Doha-Runde vorgenommen: Sie war 2001 mit dem Ziel gestartet, den Welthandel zu liberalisieren und dabei die Entwicklungsstaaten stärker zu fördern.
Doch die USA, so Wieczorek-Zeul, würden aus dieser Runde aussteigen wollen - zugunsten regionaler Freihandelsabkommen wie TTIP: "Das ist wirklich eine Katastrophe." Denn in solchen Abkommen würden gerade die ärmsten Länder - etwa in Afrika - "gar nicht vorkommen".
Dabei habe die UN-Generalversammlung erst im September die so genannten nachhaltigen Entwicklungsziele beschlossen - und dazu gehöre auch eine Unterstützung bei Handelsfragen für die ärmsten Entwicklungsländer, sagte Wieczorek-Zeul: "Wenn die Welt das ernst nimmt, was sie da beschlossen hat, (...) dann muss sie wenigstens diese Aufgaben (...) in Nairobi umsetzen."
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Probleme wie diese könnte die Welthandelsorganisation lösen: Offiziell will sie das auch, sie bemüht sich seit Jahren um eine bessere Integration ihrer ärmeren Mitgliedsländer in den Welthandel, kommt aber ebenfalls seit Jahren damit nicht recht voran. Und ob sich das auf der heute in Nairobi beginnenden zehnten Ministerkonferenz der WTO ändern könnte, das wollen wir jetzt von Heidemarie Wieczorek-Zeul wissen. Die ehemalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist inzwischen Vorsitzende des Forums Eine Welt, das die SPD in Fragen der Globalisierung, Friedens- und Entwicklungspolitik berät. Schönen guten Morgen, Frau Wieczorek-Zeul!
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Guten Morgen!
Kassel: Kann und will die WTO beispielsweise Hühnerfarmern in Westafrika helfen?
Wieczorek-Zeul: Theoretisch ja. Und das ist ja das, was Sie eben auch gezeigt haben. Aber die Frage ist immer, wie wird das praktisch auch dann umgesetzt. Eigentlich ist ja auch die WTO, in ihrer Zusammensetzung sind der größte Teil Entwicklungsländer. Aber sie tut bisher viel zu wenig für die reale Entwicklung. Und einer der Punkte wäre, mit dazu beizutragen, dass die Agrarsubventionen in den Industrieländern, also EU und auch USA, reduziert werden und zurückgedrängt werden, damit dieser unfaire Wettbewerb ein Ende hat.
Die USA bevorzugen TTIP statt fairen Welthandel
Kassel: Aber wenn, wie Sie ja schon angedeutet haben, die reichen Industrienationen, die überwiegend auf ihren Agrarsubventionen beharren, gar nicht die Mehrheit stellen in der WTO, warum sind die offenbar trotzdem so mächtig?
Wieczorek-Zeul: Erstens sind das natürlich diejenigen, die alle Tricks und Finessen der Verhandlungsstrategie haben. Wir haben ja jetzt am Beispiel der Weltklimakonferenz erlebt, wie wichtig es ist, dass man in diesen Fragen sozusagen alle Techniken auch der Verhandlung kennt. Das ist eines der Probleme, das vor allen Dingen die ärmsten Entwicklungsländer haben.
Und dann ist natürlich noch ein grundsätzlicherer Konflikt, der sich ja jetzt auch abzeichnet: Die USA wollen eigentlich fast aus dieser Doha-Entwicklungsrunde aussteigen, weil sie diese regionalen Freihandelsabkommen, Stichwort TTIP und andere, eigentlich bevorzugen, und der Konflikt geht dann auch um die Frage, dass Länder wie Indien, also die Schwellenländer Indien oder auch China, dass die immer noch sich selbst als Entwicklungsländer bezeichnen und die Vorteile auch, die die ärmsten Entwicklungsländer haben sollten, nutzen wollen. Und das ist eine schwere Ausgangssituation.
Kassel: Man muss das kurz erklären. Sie haben den Doha-Prozess erwähnt. In Doha in Katar begann das, diese Verhandlungsrunde, mit der man eigentlich die Benachteiligung der ärmeren Länder beenden möchte.
Wieczorek-Zeul: Ja, ich habe damals teilgenommen als Ministerin. Das ist mir noch sehr präsent.
Zoll- und quotenfreier Zugang zu Industrieländern
Kassel: Aber wenn Sie nun dieses Problem der bilateralen Wirtschaftsabkommen erwähnen, welche Rolle spielt dabei Deutschland und, ehrlich gesagt, auch die SPD? Denn Sie haben die USA erwähnt, TTIP. Wenn die SPD überhaupt Änderungen daran fordert, sagt sie ja immer, es geht darum, die Europäer nicht zu benachteiligen, für mehr Klarheit zu sorgen. Davon, dass das andere benachteiligt, habe ich bisher auch bei uns wenig gehört.
Wieczorek-Zeul: Das ist wirklich eine Katastrophe. Denn das Problem ist in diesen regionalen Abkommen, auch in TTIP, würden ja die ärmsten Entwicklungsländer, auch die afrikanischen, gar nicht vorkommen. Und deshalb: Es wäre eigentlich an der Zeit, dass jetzt auch bei dieser WTO-Konferenz endlich das umgesetzt wird, und es wäre durchaus ja denkbar, was man eigentlich den ärmsten Entwicklungsländern schon zugesagt hat, den wirklich vollen, zoll- und quotenfreien Zugang der ärmsten Länder zu den Industrieländern, und vor allen Dingen auch so genannte einfache und transparente Ursprungsregeln, also die Regeln, die den ärmsten Entwicklungsländern auch ermöglichen, sozusagen exportieren zu können.
Diese Aufgaben müsste die WTO-Konferenz jetzt wirklich lösen und da Fortschritte erreichen, auch zum Beispiel bei der Frage des Endes der Subventionen, für Baumwollsubventionen in den USA, die dann unfairen Wettbewerb mit afrikanischen Ländern betreiben. Das alles ist möglich. Mein Eindruck ist, dass da eigentlich zulasten der ärmsten Entwicklungsländer sich die Schwellenländer, Stichwort Indien, und die USA und zum Teil auch die EU ihren Konflikt austragen.
Ernst nehmen, was die Welt beschlossen hat
Kassel: Das klingt jetzt so, als seien Sie der gleichen Meinung wie viele Experten, nämlich, dass diese Konferenz in Nairobi eigentlich schon jetzt an ihrem Anfang zum Scheitern verurteilt ist.
Wieczorek-Zeul: Mindestens der Artikel, den der Chefverhandler der USA gemacht hat, der klingt schon relativ interessant, also eigentlich auszusteigen aus diesem Prozess des Multilateralismus. Ich finde aber, in Zeiten – wir haben jetzt, die Welt ist ja vergesslich, und wir zum Teil ja auch – Ende September hat die UN-Generalversammlung die so genannten Entwicklungsziele, nachhaltigen Entwicklungsziele beschlossen.
Das Ziel 17 sieht ausdrücklich vor eben die Unterstützung auch bei Handelsfragen für die Entwicklungsländer und vor allen Dingen für die ärmsten Entwicklungsländer. Also, wenn die Welt das ernst nimmt, was sie da beschlossen hat, ihre Chefs und Regierungschefs, dann muss sie wenigstens diese Aufgaben und das, was da an Zusagen war, in Nairobi umsetzen.
Kassel: Der große Wurf in Nairobi wäre auch die große Überraschung, aber können Sie sich denn vorstellen, dass es vielleicht kleinere Entscheidungen, kleinere Vereinbarungen gibt, die wenigstens ein bisschen Licht bedeuten für die Entwicklungsländer?
Wieczorek-Zeul: Wie gesagt, das ist meines Erachtens die Frage der besseren und einfacheren Ursprungsregeln zum Beispiel, und vor allen Dingen auch den wirklich zoll- und quotenfreien Zugang der ärmsten Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer.
Kassel: Herzlichen Dank! Wie kann die Welthandelsorganisation ihr Ziel erreichen, den Welthandel fairer zu gestalten für arme Länder. Darüber haben wir gerade mit Heidemarie Wieczorek-Zeul geredet. Sie ist die Vorsitzende des Forums Eine Welt. Das WTO-Ministertreffen in Nairobi beginnt heute, und ob es denn wirklich so erfolglos endet, wie viele und auch Sie befürchten, das werden wir dann in einigen Tagen wissen und natürlich auch berichten. Frau Wieczorek-Zeul, vielen Dank für das Gespräch!
Wieczorek-Zeul: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.