Welthungerhilfe erwartet mehr humanitäre Katastrophen in Afrika

Manfred Bischofberger im Gespräch mit Christopher Ricke |
Wenige Monate nach der akuten Hungersnot in Ostafrika warnt der Koordinator der Welthungerhilfe in Äthiopien, Manfred Bischofberger, vor zusätzlichen humanitären Katastrophen in der Region. Außerdem befürchtet er, dass infolge der Finanzkrise die Hilfsbereitschaft der Geberländer nachlässt.
Christopher Ricke: Und wir gehen an einen Ort dieser Welt, wo es wirklich wehtut, wo das Elend noch immer sehr groß ist, das Leiden und die Verzweiflung. Es ist die Hungerkatastrophe in Ostafrika, nicht vergessen, aber inzwischen leider oft verdrängt von Krisen, die viel näher sind - vielleicht vor der Angst um den Euro. Der Papst hat jetzt in seiner Weihnachtsansprache versucht, das Thema Ostafrika noch einmal nach vorne zu bringen, hat ausdrücklich auf die Not hingewiesen. Der Vatikan tut das seit Monaten, aber die Spendenbereitschaft scheint ein wenig nachzulassen. Manfred Bischofberger ist Regionalkoordinator der Welthungerhilfe für Ostafrika. Er arbeitet in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba - Herr Bischofberger, im Sommer war ja die Aufmerksamkeit groß in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt, aber inzwischen ist das Thema offenbar nur noch eines für die Weihnachtsansprachen. Was hat sich denn in dieser Zeit in der Region selbst verändert?

Manfred Bischofberger: Ja, wir haben im Sommer natürlich eine ganz akute Notlage gehabt. Es gab einen großen Mangel an Nahrungsmitteln in der Region, vor allem in den Trockengebieten, wo überwiegend Hirtenvölker leben. Durch zwei hintereinander ausfallende Ernten und Regenzeiten sind die Weidegründe so stark degradiert, dass ein erheblicher Teil der Viehherden gestorben ist. Die meisten Menschen leben von der Viehwirtschaft, insofern ist da die ganze Lebensgrundlage weggebrochen, und gleichzeitig das bisschen Ackerbau, was in der Region betrieben wird, konnte ja auch nicht zum Erfolg führen, weil eben die Regenzeiten ausgefallen sind.

Wir haben da drauf reagiert mit Nahrungsmittelhilfe und Wasserversorgung. Es war eine große, konstatierte Aktion von vielen Nichtregierungsorganisationen und dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Die Situation hat sich bis zum heutigen Tag etwas entspannt, wir haben jetzt die letzten zwei Monate durchaus akzeptable und zumindest mehr als durchschnittliche Niederschläge gehabt, das heißt, die Wasserverfügbarkeit in der Region hat sich verbessert, aber gleichzeitig hat sich nichts Substanzielles an der Versorgungslage der Bevölkerung verändert, weil die, wie ich gesagt habe - die Tierherden sind mehr als 50 Prozent dezimiert worden, das heißt, die Menschen haben keine ausreichende Lebensgrundlage mehr, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern.

Ricke: Ostafrika braucht also weiter Hilfe. Eine andere Hilfsorganisation - UNICEF - hat jetzt in diesen Tagen gemeldet, man befürchte angesichts der Schulden- und Finanzkrise sinkende Hilfszusagen. Teilen Sie bei der Welthungerhilfe diese Sorge?

Bischofberger: Ja, diese Sorge teilen wir auf jeden Fall. Wir haben im letzten Jahr schon relativ früh auch die Geber, das heißt, die Europäische Union zum Beispiel, humanitäre Hilfe der Europäischen Union, angefragt und sie drauf hingewiesen, dass diese Notlage so akut ist, dass das interveniert werden muss. Und es hat dann bis August gedauert, bis überhaupt Reaktionen kamen. Für uns war das mit auch ein Hinweis, dass die Verfügbarkeit von Finanzmitteln doch etwas angespannt ist.

Ricke: Die Verfügbarkeit von Finanzmitteln scheint aber nahezu unbegrenzt zu sein, wenn es in Europa um die Schulden- und Finanzkrise geht. Wie sieht man das denn aus dem ostafrikanischen Blickwinkel, dass für die Selbsthilfe Milliarden und Abermilliarden zur Verfügung stehen, in Ostafrika aber die Menschen sterben?

Bischofberger: Ja, für uns ist das sehr bedauerlich, weil häufig Geld, was in die Vorsorge von solchen Katastrophen gesteckt wird, einfach diese Katastrophenart vermeiden kann und unter dem Strich auch deutlich billiger kommt. Also wenn man früh reagiert hätte, dafür gesorgt hätte, dass die Tierherden überleben können, dann wäre die wirtschaftliche Grundlage dieser Menschen nicht so stark weggebrochen, wie das nun der Fall ist. Nun, durch die Aufmerksamkeit, die das Problem im Sommer dann doch noch erhalten hat, vor allem durch die Flüchtlingsströme aus Somalia, sind die internationalen Geber dann doch noch aktiv geworden. Aber ich denke mir, man hätte da deutlich früher reagieren können und eben halt auch diese humanitäre Katastrophe zumindest abschwächen können.

Ricke: Die Weltgemeinschaft ist also sehenden Auges in diese Katastrophe hineingelaufen, weil alles vorhersehbar war. Haben Sie den Eindruck, dass sich so etwas wiederholen kann? Gibt es aus ihrer Sicht jetzt schon an einem anderen Ende der Welt eine Situation, wo man jetzt helfen müsste, bevor in ein, zwei Jahren das große Unglück kommt?

Bischofberger: Das Problem, wenn solche Dürren auftreten, ist immer, dass diese Katastrophen schleichend kommen. Wenn zum Beispiel irgendwo eine Flutkatastrophe ist, dann ist es ein großes Ereignis, eine große Katastrophe, die über Nacht hereinbricht und dementsprechend auch sehr viel Aufmerksamkeit bekommt. Eine Dürre, die zeichnet sich über Monate, manchmal geht es über Jahre, ab, und da ist a) die Aufmerksamkeit zu erhalten, b) dann auch die Aufmerksamkeit hochzuhalten, also dass die Aufmerksamkeit nicht nachlässt, das ist deutlich schwieriger. Deswegen sind Dürren immer so stille, schleichende Katastrophen, wo man sehr große Schwierigkeiten hat, die Menschen zu mobilisieren, dass sie sich dafür engagieren.

Ricke: Ostafrika braucht auch in diesen Tagen natürlich mehr als nur Lebensmittel und Trinkwasser - die Region braucht Frieden. Auch Einsicht der Mächtigen, dass man nicht nur zum eigenen Vorteil arbeitet, sondern vielleicht zum Wohl des Volkes einer ganzen Region. Erkennen Sie denn hier einen Prozess des Umdenkens und der Einsicht?

Bischofberger: Ja, Ostafrika hat wirklich einige Länder, die sehr instabil sind, vor allem die Somaliakrise. Hier kann man im Moment nicht erkennen, dass sich da irgendwas ändert. Das Land ist nun seit bald zwei Jahrzehnten in einem desolaten Zustand, und in der Zwischenzeit auch noch gleichzeitig unsicher, gleichzeitig hat man die humanitäre Katastrophe, und ich kann da im Moment nicht erkennen, wo hier sich ein aktives Engagement der Weltgemeinschaft zeigt. Dann haben wir in der Nachbarschaft Süd-Sudan, da zeichnet sich auch ein neuer Herd von Instabilität ab - also das heißt, in Ostafrika, da ist man schon auf dem Weg, weitere humanitäre Katastrophen zu produzieren.

Ricke: Manfred Bischofberger, er ist Regionalkoordinator der Welthungerhilfe für Ostafrika. Vielen Dank, Herr Bischofberger, und einen guten Tag!

Bischofberger: Ja, danke schön, Wiederhören!

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