"Wir sind noch weit entfernt vom Zwei-Grad-Klimaziel"
Das Ziel der Weltklimakonferenz in Paris ist es, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen - doch es geht dort nur um freiwillige Selbstverpflichtungen. Die 195 Länder der UN-Klimakonferenz werden wohl einen "Gipfel der Unverbindlichkeit" abhalten, prophezeit der Klimaexperte Mojib Latif.
Deutschlandradio Kultur: Tacheles heute mit dem Klimaforscher Prof. Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und von der Universität Kiel.
Herzlich willkommen, Herr Latif. Die Klimakonferenz in Paris Ende November wirft ihre Schatten voraus. In Bonn wurden letzte Woche gerade die Vorverhandlungen mit einem über 50-seitigen Entwurf für ein Abschlusskommunique und eine Resolution ausgehandelt – mit vielen eckigen Klammern, das heißt, offenen Fragen. Über die wollen wir heute mit Ihnen vor allem sprechen, aber zunächst herzlichen Glückwunsch. Denn gemeinsam mit dem schwedischen Nachhaltigkeitsexperten Johan Rockström erhalten Sie am 8. November den Deutschen Umweltpreis 2015, den mit knapp einer halben Million Euro höchstdotierten Umweltpreis in Europa.
Sie sind ja schon mehrfach in Ihrer langjährigen Karriere ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen dieser Preis, Herr Latif?
Mojib Latif: Das ist natürlich ein ganz besonderer Preis. Ohne Frage, der Preis freut mich ungemein und er gibt mir sicherlich nochmal ordentliche Rückenwind, um das Thema Klima, aber vor allen Dingen natürlich auch das Thema Umwelt weiter nach vorn zu bringen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Latif, lassen Sie uns mit dem Banalsten beginnen. Alle reden vom Wetter, wir auch. Können sich die Verbraucher auf einen milden Winter mit niedrigen Heizkosten freuen, wie es einige Meteorologen jetzt prophezeien?
Mojib Latif: Also, das sind noch ziemlich experimentelle Vorhersagen, wie wir das ausdrücken. Das heißt also, es gibt tatsächlich solche sogenannten saisonalen Vorhersagen, das heißt, von der Art: Der nächste Winter wird so und so werden. Aber bisher gibt es da eigentlich noch keinen richtigen Durchbruch. Es hat in den letzten Jahren immer wieder solche Prognosen gegeben. Und zum Teil sind sie richtig in die Hose gegangen. Deswegen bin ich im Moment noch sehr skeptisch und halte mich da sehr bedeckt.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn die ersten neun Monate dieses Jahres, also von 2015, so nach den Wetteraufzeichnungen als die wärmsten überhaupt in der Geschichte der Wetteraufzeichnung registriert wurden?
Mojib Latif: Ja, genau. Wir werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dieses Jahr wieder einen neuen Temperaturrekord bekommen. 2015 wird also auch wieder wärmer sein als 2014. Und 2014 war weltweit betrachtet eben auch schon ein Rekordjahr gewesen. Das sagt aber nichts über regionale Änderungen. Diese Temperaturrekorde beziehen sich auf die globale Mitteltemperatur, das heißt, auf die Erdoberflächentemperatur insgesamt. Das schließt aber nicht aus, dass in vergleichbar kleinen Regionen tatsächlich die Verhältnisse völlig anders sind. Deswegen muss man hier wirklich sehr, sehr vorsichtig sein, wenn man regionale Aussagen macht.
Aber eins ist auch klar. Wenn man Jahrzehnte betrachtet, dann werden unsere Winter immer milder werden, so wie es in den letzten Jahrzehnten eben auch schon der Fall gewesen ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Latif, von welcher Abweichung sprechen wir denn? Was zeichnet sich denn hier für 2015 ab? Ist ein ganzes Grad da zuviel gegriffen so im internationalen Durchschnitt?
Mojib Latif: Ja also, ein Grad, das sind Welten in Sachen Klima, zumindest was die globale Mitteltemperatur angeht. Wir haben insgesamt seit Beginn der Industrialisierung eine Erderwärmung von etwa einem Grad gehabt. Für uns Klimaforscher ist das wirklich sehr, sehr viel. Und das teilen Sie jetzt mal durch hundert. Dann sind Sie pro Jahr ungefähr so im Bereich von einem Hundertstel Grad. Das heißt, von Jahr zu Jahr sind die Schwankungen relativ klein. Nur wenn man es aufsummiert über viele, viele Jahre, dann sieht man tatsächlich den langfristigen Trend und die Erderwärmung.
Ich selber bin jetzt 61 gerade geworden und ich habe es ja schon selbst miterlebt, auch in Norddeutschland, wo ich ja groß geworden bin, früher war Winter der Normalfall. Heute ist er die Ausnahme.
Deutschlandradio Kultur: Herr Latif, da überrascht es aber doch, dass die National Centers for Environmental Information jetzt wirklich in den ersten neun Monaten so einen Anstieg um 0,9 °C über dem Durchschnitt des letzten Jahrhunderts festgestellt haben.
Mojib Latif: Ja genau. Aber ich sagte ja, das bezieht sich jetzt tatsächlich auf eine Änderung innerhalb eines Jahrhunderts oder seit 1900. Das heißt, seit 115 Jahren. Also, über so lange Zeiträume betrachtet, haben wir tatsächlich schon eine massive Erderwärmung.
Um das vielleicht noch mal in einen Vergleich zu packen: Der Temperaturunterschied von der letzten Eiszeit bis in die heutige Warmzeit, also bis in die vorindustrielle Zeit, hat ungefähr fünf Grad betragen. Und wir haben jetzt in nur gut einhundert Jahren schon eine Erwärmung von einem Grad gemacht. Also, das sind schon wirklich große Änderungen. Aber wichtig ist eben auch: Wenn wir es denn schaffen sollten, und damit kommen wir dann wieder zurück auf Paris, diese Erwärmung nicht immer weiter voranschreiten zu lassen, sondern wenn wir deutlich unter diesen berühmten zwei Grad bleiben, dann hoffen wir, dass unser Klima oder unser Wetter eben nicht außer Rand und Band gerät.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben Paris angesprochen, Herr Prof. Latif. Aber lassen Sie uns doch nochmal ein bisschen bei der Kausalität bleiben. Denn es gibt ja auch Wissenschaftskollegen und vor allen Dingen auch Vertreter der Energieindustrie, die bestreiten diesen direkten kausalen Zusammenhang, den es gibt etwa mit der Emission von Treibhausgasen und der Erderwärmung.
Kann man den wirklich so klipp und klar festlegen? Kann man sagen, dass die erhöhte Emission von CO2 und von anderen Treibhausgasen zu dieser globalen Erwärmung geführt hat?
Mojib Latif: Ja, ganz klar. Da würde ich sogar sagen: zu hundert Prozent ja. Denn es gibt keine wissenschaftliche Studie, und ich wiederhole "wissenschaftliche" Studie, die einen anderen Zusammenhang irgendwie darstellt. Man kann die Erwärmung während des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts nicht erklären, wenn man nicht den Anstieg der sogenannten Treibhausgase wie CO2 in der Atmosphäre mit berücksichtigt. Wenn man nur natürliche Effekte berücksichtigt, zum Beispiel veränderte Sonnenstrahlung oder auch Vulkanausbrüche, die kühlend wirken, kann man einfach den Großteil der Erwärmung nicht darstellen. Deswegen hat der Weltklimarat auch in seinem letzten Bericht gesagt kurz und bündig: "Der menschliche Einfluss auf das Klima ist klar."
Deutschlandradio Kultur: Der menschliche Einfluss ist klar. Aber kann man eine klare Korrelation herstellen, also dass man sagt wissenschaftlich, ich habe die Menge X an ausgestoßenem CO2 zum Beispiel, und das produziert soundso viel Grad Temperaturanstieg?
Mojib Latif: Nein, das geht natürlich nicht. Die Modelle streuen da auch durchaus, aber sie streuen nicht in einem Maße, dass zum Beispiel das eine Modell sagt, es muss wärmer werden, und das andere Modell sagt etwa, dass es kälter werden muss. – Nein, also, die Modelle sagen unisono, es muss deutlich wärmer werden. Das ist auch passiert.
Das ist übrigens auch gar keine neue Erkenntnis. Das haben meine Kollegen vor über hundert Jahren schon gewusst. Es gibt eine Arbeit aus dem Jahr 1896 von Svante Arrheniusm, einer der großen Physiker seiner Zeit, späterer Nobelpreisträger. Der hat schon eine Arbeit verfasst mit dem Titel "Über den Einfluss von Kohlensäure in der Luft auf die Bodentemperatur". Er hat CO2 gemeint: Wenn wir es in die heutige Wissenschaftssprache übersetzen, lautet die Arbeit "Über den Einfluss von CO2 in der Luft auf die Bodentemperatur". Und er hat auch schon Berechnungen gemacht. Die lagen etwas hoch, was er selbst vermutet hatte. Das schreibt er selbst in der Arbeit schon, aber im Prinzip hatte er damals schon eine Vorhersage gemacht vor über einhundert Jahren. Und genau das ist eingetreten. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre ist in die Höhe geschnellt und die Temperatur der Erde auch.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja in erster Linie Ozeanograph. Welche Veränderungen haben Sie im Meeresspiegel beobachtet über die letzten Jahre und um wie viel Grad haben sich denn die Ozeane in den letzten Jahren aufgewärmt? Und dienen die auch als eine Art Speicher für eben die Erwärmung, die dann vielleicht mit Verspätung schubweise erst dann auch in die Luft und in die Atmosphäre gelangt?
Mojib Latif: Ja genau, das tun sie. Sie sind gewissermaßen die träge Masse im System. Das heißt also, wir sehen heute noch gar nicht das volle Ausmaß unseres Handelns auf das Klima, weil die Meere eben sehr viel Wärme aufnehmen und sie erst mit Zeitverzögerung wieder an die Luft abgeben.
Wenn man sich die letzten 40 Jahre betrachtet, dann ist ungefähr 90 Prozent der Energie, also der Wärme, die entstanden ist durch das zusätzliche CO2 und die zusätzlichen anderen Treibhausgase, in den Weltmeeren verschwunden. Und das ist ein Riesenwasserkörper, der sich hier erwärmt hat. Und das hat zum einen natürlich Auswirkungen auf das Leben im Meer, beispielsweise auf die Korallen. Korallen können keine großen Temperaturänderungen vertragen. Die sterben einfach. Es kommt zur gefürchteten Korallenbleiche, wenn sich die tropischen Ozeane zu stark aufwärmen.
Andererseits führt die Erwärmung der Wassersäule auch dazu, dass sich das Wasser ausdehnt. Alleine das, selbst ohne Eisschmelze, führt zu einem Meeresspiegelanstieg. Jeder Körper, der sich erwärmt, dehnt sich auch aus, auch das Wasser. Deswegen sind von den 20 cm Meeresspiegelanstieg seit 1900, 20 cm im weltweiten Durchschnitt, ungefähr die Hälfte auf diese Wärmeausdehnung zurückzuführen, die andere Hälfte auf die Eisschmelze. Und in den letzten Jahren hat sich Verhältnis aber schon etwas umgekehrt. Das heißt also, die Eisschmelze trägt in den letzten zehn, fünfzehn Jahren schon mehr zum Meeresspiegelanstieg bei als die Wärmeausdehnung.
Wir sehen das beispielsweise in Grönland und Antarktis. Diese riesigen Eismassen beginnen zu schmelzen.
Deutschlandradio Kultur: Wie viel ist denn schon von dem Eis in der Arktis und Antarktis in den letzten drei, vier Jahrzehnten nochmal zusätzlich abgeschmolzen?
Mojib Latif: Das ist insgesamt natürlich immer noch wenig, liegt immer noch im Zentimeterbereich. Aber darum geht es nicht. Das Problem ist eben hier, dass gerade die großen Eispanzer Grönland und Antarktis eben auch sehr, sehr träge reagieren. Und wenn sie erst mal reagieren, dann können Sie sie auch nicht mehr so schnell stoppen. Das heißt also: Der Meeresspiegel wird dann über Jahrhunderte weiter steigen. Deswegen reicht es nicht, nur einige Jahrzehnt nach vorne zu blicken, sondern wir haben vermutlich schon die Klimaentwicklung über Jahrhunderte vorbestimmt durch unser Handeln. – Deswegen ist es eben so unglaublich wichtig, vorausschauend zu handeln, weil, das dicke Ende kommt immer erst später. Das sehen wir nicht sofort.
Und das Gleiche gilt, wenn wir den Ausstoß von CO2 reduzieren. Auch die Auswirkungen sehen wir nicht sofort. Denn es dauert wieder Jahrzehnte, bis man auch die Wirkung sehen kann. Das ist eben letzten Endes Gift für politisches Handeln, dass es diese Zeitverzögerung gibt. Wir Menschen sind eben so. Wir reagieren erst, wenn die Änderungen offensichtlich sind, wenn das Kind gewissermaßen in den Brunnen gefallen ist oder fast in den Brunnen gefallen ist. Aber dann ist nicht mehr viel zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Was Sie sagen wollen, ist, dass die Politiker für ihr unverantwortliches Handeln nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können, weil die Effekte ihres Handelns weit in der Zukunft liegen.
Blicken wir mal in die Zukunft von Ländern wie den Malediven, Bangladesh oder auch der Niederlande oder Japan. Dieser Anstieg der Meeresspiegel, wann wird Japan oder wann würden die Malediven unterm Meeresspiegel versinken?
Mojib Latif: Das ist ganz schwer zu sagen, aber es sind natürlich gerade diese tief liegenden Gebiete, die Inselstaaten, die enormen Druck auf den Klimakonferenzen machen. Da steht ja dieses berühmte Zwei-Grad-Limit im Raum. Das heißt, die Erderwärmung soll nicht über zwei Grad steigen. Die Inselstaaten beispielweise sagen völlig zu Recht, das hilft uns nichts. Dann werden wir untergehen, ob früher oder später, sondern wir müssen die Erderwärmung deutlich unterhalb von zwei Grad belassen, besser unter 1,5 Grad sogar, damit wir überhaupt irgendeine Chance noch haben, unsere Heimat bewahren zu können.
Sinnbild dafür ist beispielsweise, dass die Regierung der Malediven vor ein paar Jahren ihre Kabinettssitzung unter Wasser abgehalten hat, um nochmal auf diese Dramatik hinzuweisen. Und es kommt noch eines hinzu: Gerade im westlichen tropischen Pazifik war der Meeresspiegelanstieg in den letzten Jahrzehnten sehr viel schneller als im weltweiten Durchschnitt. Im Moment steigt der Meeresspiegel im weltweiten Durchschnitt mit einer Rate von etwa drei Millimeter pro Jahr an. Im westlichen tropischen Pazifik, also in der berühmten Südsee, war es dreimal schneller. Da war es ungefähr eine Rate von einem Zentimeter pro Jahr.
Wir wissen nicht genau, warum das so ist, ob das natürliche Schwankungen sind oder ob das schon ein Teil des Klimawandels ist. Denn der Klimawandel wird nicht überall gleich ausfallen, sondern er wird starke regionale Änderungen haben, sowohl was die Temperaturentwicklung angeht, als auch was den Meeresspiegel angeht. Deswegen leiden gerade die Inselstaaten und die tief liegenden Gebiete im Moment ganz besonders, weil in vielen dieser Regionen eben der Meeresspiegel sehr, sehr viel schneller steigt.
Bei uns, beispielsweise an der Nordsee, liegt der Meeresspiegelanstieg in etwa im Bereich des globalen Mittelwertes. Aber es kommt noch eins hinzu, auch langfristig. Wissen Sie, wenn die großen Eismassen schmelzen, also Grönland und Antarktis, dann geht ja enorm viel Masse verloren. Jede Masse hat eine Anziehungskraft. Und das Wasser weicht zurück, wenn diese Eispanzer verschwinden. Und wenn es zurückweicht, dann ist der Meeresspiegelanstieg dort geringer, aber das Wasser sammelt sich dann in den Tropen. Und das ist nochmal ein weiterer Sargnagel gewissermaßen für diese Gebiete. Denn dann ist dort der Meeresspiegelanstieg noch viel stärker als er ohnehin schon ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Prof. Latif, Sie haben eben auch über den Pazifik gesprochen. Dort gibt es ja das Wetterphänomen El Niño, über das Sie auch wissenschaftlich ganz intensiv auch zu Beginn Ihrer Karriere gearbeitet haben.
Ist denn dieses Wetterphänomen vor der südamerikanischen Pazifikküste, das mit einer ungewöhnlich starken Erwärmung des Wassers einhergeht, jetzt durch die Klimakatastrophe, die sich abzeichnet, durch die CO2-Emissionen noch verstärkt worden? Oder haben wir es hier wirklich nur mit einem rein natürlichen Phänomen zu tun, dass eben sich die Meeresströmungen von Zeit zu Zeit erwärmen?
Mojib Latif: Ja, im Prinzip ist es ein natürliches Phänomen. Das kennen wir schon seit Jahrtausenden von Jahren. Die eigentlich spannende Frage ist natürlich, wie Sie es auch angedeutet haben, ob sich dieses Phänomen infolge der globalen Erwärmung noch verstärken kann oder nicht. Hier muss ich ganz ehrlich sagen, wir wissen es nicht. Also, die Modelle geben hier ganz, ganz unterschiedliche Antworten.
Tatsache ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten drei extrem starke El Niño-Ereignisse hatten. Das hatten wir vorher nicht. Wenn wir uns die instrumentellen Messungen ansehen seit 1900, dann gab's natürlich immer wieder diese El Niño-Ereignisse, so im Mittel alle vier Jahre. Aber dann kam das erste ganz starke Ereignis 1982/83, das nächste 1997/98. Und jetzt, wo wir gerade miteinander sprechen, haben wir das dritte ganz, ganz starke Ereignis 2015. Und es wird natürlich in 2016 auch hineinreichen. Das heißt also, drei sehr starke Ereignisse.
Ich selber habe vor ein paar Monaten zusammen mit meinen Kollegen eine Studie veröffentlicht, wo wir zeigen, dass zumindest in unserem Klimamodell diese Phänomene sich weiter intensivieren werden. Ja, im Moment können wir es nicht sagen, denn drei ganz starke El Niños machen noch keinen Einfluss der globalen Erwärmung El Niños. Das heißt, das ist ja auch die Krux, man muss immer lange warten bis man dann wirklich die Auswirkungen sieht. Und diese Zeit haben wir eigentlich nicht. Wir führen in gewisser Weise ein Experiment mit unserem Planeten aus. Und die Frage ist doch: Wollen wir abwarten, wie das Experiment ausgeht, oder wollen wir nicht lieber Vorsicht walten lassen, das Vorsorgeprinzip walten lassen und lieber auf die Bremse treten, um sicherzustellen, dass es vielleicht eben doch nicht zu solchen extremen Auswirkungen kommt?
Deutschlandradio Kultur: Herr Prof. Latif, und genau das ist ja die Aufgabe für die Länder, die ab Ende November in Paris über ein Klimaabkommen verhandeln.
Sie haben eben gesagt, eigentlich müsste man zur Rettung von Ländern wie den Malediven oder auch von Bangladesh eine Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzen. Sehen Sie überhaupt eine Chance für eine Einigung in Paris?
Mojib Latif: Also, im Moment sieht es nicht so aus. Es ist ja schon ziemlich abzusehen, was in Paris letzten Endes rauskommen wird. Das heißt, in gewisser Weise wird das der Gipfel der Unverbindlichkeit werden, der Freiwilligkeit. Jedes Land darf letzten Endes selbst entscheiden, was es bereit ist zu tun. Wenn man das jetzt mal hochrechnet, was bis jetzt auf dem Tisch liegt, werden wir die Zwei-Grad-Marke also weit verfehlen.
In Paris geht es eigentlich nicht darum, das Klima zu retten, sondern es geht da auch sehr viel um Verfahrensfragen. Es geht darum, wie kann man jetzt die Angebote, die auf dem Tisch liegen, auch kontrollieren. Wie kann man das messen? Wird es vielleicht auch Sanktionen geben oder nicht? – Aber der Weisheit letzter Schluss wird das nicht sein. Der Stein der Weisen wird es nicht sein. Deswegen muss mehr kommen als das, was in Paris verhandelt wird.
Deutschlandradio Kultur: Aber ein erster Schritt könnte es doch wohl sein, weil alle anderen Versuche nach Kyoto, wo sich ja damals nur die Industrieländer zu rechtsverbindlichen Emissionsreduktionen verpflichtet hatten, ja seither gescheitert sind. Ich denke an Kopenhagen und all die anderen UNO-Klimakonferenzen. Und jetzt haben wir immerhin von den 194 Staaten, die teilnehmen wollen und werden in Paris, 150 Länder schon ihre Intended Nationally Determined Contributions, also sozusagen ihre nationalen Selbstverpflichtungen bekannt gegeben.
Und Sie sagen, das sind aber weit mehr als zwei Grad Erwärmung, die dann immer noch entstehen werden. – Wie viel denn eigentlich? Und reicht das nicht? Wäre das nicht ein Einstieg?
Mojib Latif: Ja also, ein Einstieg ist es. Ich finde es auch positiv, dass da nicht mehr jetzt irgendwie der Einfluss des Menschen auf das Klima ignoriert wird. Das heißt also, selbst Länder wie Amerika, also die USA, selbst Länder wie China behaupten nicht mehr, dass es diesen Einfluss nicht gibt und dass man deswegen gar nichts tun muss. Also, insofern ist das schon eine neue Qualität.
Aber man muss eben doch sagen: Trotz all dieser positiven Aspekte wird es nicht das Abkommen geben, das es eigentlich geben müsste. Das heißt aber gar nicht, dass ich irgendwie Pessimist bin, was die Lösung des Klimaproblems angeht. Ich glaube persönlich, dass es ganz anders funktionieren wird. Ich glaube nicht, dass es über diese Verhandlungen gehen wird. Die werden sicherlich irgendwie Druck ausüben auf die Industrie. Ich glaube einfach, und man sieht schon die ersten Aspekte davon, dass sich einfach die erneuerbaren Energien, denn die sind das Mittel der Wahl, das heißt, wir müssen weg von den fossilen Energien, also weg von Kohle, Öl usw., hin zu erneuerbaren Energien Sonne, Wind, Erdwärme und dergleichen.
Und diese erneuerbaren Energien boomen im Moment. Also, im Moment gehen mehr Investitionen in die erneuerbaren Energien als in die konventionellen Energien. Und das ist eigentlich das, was mir Mut macht. Und ich setze letzten Endes darauf, dass sich auch die wirtschaftliche Vernunft durchsetzt. Denn jeder Wirtschaftsfachmann weiß doch, dass das Geschäftsmodell mit den konventionellen Energien nicht mehr zukunftsfähig ist und dass das Geschäftsmodell der Zukunft eben mit Sonne, Wind und natürlich auch mit den Speichertechnologien zu tun hat.
Deutschlandradio Kultur: Sie setzen also auf die innovative Kraft auch der Wirtschaft, also, wenn die Politik entsprechende Rahmendaten setzt. Aber darum wird es ja auch in Paris gehen, eben den Einstieg oder den Umstieg in erneuerbare Energien zu forcieren.
Sie haben eben nochmal auch angesprochen, dass die Hauptakteure, die sich bisher immer auch einer – sagen wir mal – klimaschonenden Politik ein wenig versagt hatten, nämlich China und die USA, eingelenkt haben.
Halten Sie denn das, was Präsident Obama angekündigt hat mit einem langsamen Ausstieg aus der Kohleenergieerzeugung usw. für ein Signal, was man ernst nehmen kann, was nicht wieder von einer anderen Administration dann über den Haufen geworfen wird?
Mojib Latif: Ich denke, dass dieses Angebot, das Obama auf den Tisch gelegt hat, schon ernst gemeint ist. Und ich bin mir auch sicher, dass es letzten Endes auch von anderen Administrationen dann weiter verfolgt werden wird. Da ist ein kleiner Wermutstropfen dabei, weil, das Angebot von Obama sieht besser aus, als es tatsächlich ist. Denn er hat einfach das Bezugsjahr geändert. Er möchte 30 Prozent ungefähr reduzieren bis 2030, aber relativ zum Jahr 2005. Alle anderen, inklusive Deutschland, beziehen sich auf das Jahr 1990. Also, wir möchten zum Beispiel 40 Prozent reduzieren gegenüber 1990 bis 2020. Und da die Amerikaner von 1990 bis 2005 ihren Ausstoß massiv erhöht haben, ist es natürlich weniger als das, was zum Beispiel die Europäer oder auch insbesondere Deutschland auf den Tisch legen.
Deswegen ist es eben so wichtig, dass es eben andere Länder gibt. Und ich möchte hier ausdrücklich Deutschland ansprechen, die eine gewisse Vorreiterrolle übernehmen. Denn Deutschland könnte sicherlich mehr machen, aber Deutschland hat ein Verdienst und das muss man auch immer wieder sagen. Deutschland hat die erneuerbaren Energien bezahlbar gemacht. Deswegen boomen die erneuerbaren Energien eben auch in anderen Ländern, insbesondere auch in China.
Wer hätte denn vor ein paar Jahren noch gedacht, dass so ein Land wie Frankreich so etwas wie eine Energiewende ausruft? Das heißt also: Wenn Deutschland das nicht getan hätte, dann wären andere Länder nicht gefolgt. Deswegen ist es so wichtig, dass Länder wie Deutschland vorangehen und auch in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Denn das hat so eine Signalwirkung in die Welt hinein, wenn so ein Industrieland wie Deutschland seinen Wohlstand behaupten kann, sogar noch mehren kann, obwohl es seinen CO2-Ausstoß deutlich senkt und die erneuerbaren Energien immer weiter nach vorne treibt.
Deutschlandradio Kultur: Aber auf Kosten der Verbraucher, denn wir alle zahlen ja kräftig über den Strompreis mit.
Mojib Latif: Ja, natürlich auf Kosten der Verbraucher. Aber wissen Sie, ich mache mir da auch oft nicht unbedingt Freunde, wenn ich das sage, aber wenn ich manchmal durch die Straßen gehe, dann habe ich einfach das Gefühl, Energie ist nicht teuer genug. Energie wird verschwendet ohne Ende. Das fängt im Verkehr an bei einem Geländewagen. Den in Großstädten fahren, das geht über Stand-by und sehr, sehr viele andere Dinge. Also, das, was das an Geld kostet, das kann man spielend wieder reinholen, indem man ein bisschen auf Energie achtet, indem man Energie einspart. Also, das sehe ich jetzt nicht so unbedingt als Problem.
Ich glaube vielmehr, es muss auch so etwas wie eine CO2-Steuer geben, und zwar weltweit. Aber man könnte damit ja in Deutschland anfangen, dass jeder, und zwar ohne Ausnahme, auch die Industrie, sofort bestraft wird, wenn man eben auf die alten Technologien setzt.
Deutschlandradio Kultur: Wie teuer oder wie hoch sollte so eine CO2-Abgabe sein oder müsste sie sein, damit sie wirklich eine Wirkung entfaltet?
Mojib Latif: Ja also, sie muss schon spürbar sein. Es ist ganz wichtig, dass es keine Ausnahmen gibt. Das ist der Hauptpunkt. Im Moment sind ja viele Unternehmen auch von der Abgabe befreit für erneuerbare Energien. Das nimmt natürlich den Druck auf diese Industrien, auch mal innovativ zu sein und neue Technologien zu entwickeln.
Deutschlandradio Kultur: 20 Euro pro Tonne, wäre das ein Preis?
Mojib Latif: 20 Euro pro Tonne ist sicherlich gut. Im Moment ist er ja nur bei ein paar Euro. Deswegen kann man ja auch Kohle verbrennen jetzt, ohne dabei große Verluste zu erleiden. Ich denke, er müsste sogar über 20 Euro liegen. Ich denke, bei 30 müsste er mindestens liegen, damit dieser Emissionshandeln, den es ja schon gibt, wirklich eine Lenkungswirkung entfaltet.
Deutschlandradio Kultur: Herr Prof. Latif, Atomkraft ist CO2-frei, aber eine dankbare Alternative?
Mojib Latif: Nein, natürlich nicht. Also, Atomkraft ist nun das Gegenteil von Nachhaltigkeit, das Gegenteil von Zukunftsfähigkeit. Ich meine, Fukushima ist zwar aus den Schlagzeilen, aber schauen Sie sich da mal um. Da sind die Strände voll gepflastert mit schwarzen Säcken voller Atommüll. Hunderttausende dieser Säcke liegen da am Strand. Keiner weiß, wohin damit. Die Folgen sind unabsehbar. Insofern kann ich nur davor warnen, die Atomkraft hier zur Lösung des Klimaproblems herzunehmen. Die Atomkraft ist a) nicht beherrschbar, das haben wir jetzt in Japan gesehen, und b) bürdet sie den nachfolgenden Generationen solche Lasten auf in Form des Atommülls. Wir sehen ja auch bei uns in Deutschland, dass man gar nicht so einen Müll sicher lagern kann. Wenn man sich anguckt, was in den Lagerstätten passiert, dass die Fässer schon rosten, dass die Salzstöcke auf einmal Wassereinbrüche haben usw.
Es ist ein Irrglaube zu denken, dass man wirklich Atommüll sicher lagern kann über Jahrhunderte oder vielleicht sogar Jahrtausende. Deswegen ganz klares Bekenntnis: Nein zur Atomkraft!
Deutschlandradio Kultur: Herr Latif, die faire Lastenverteilung zwischen Entwicklungs-, Schwellenländer einerseits und den Industrieländern wird in Paris eine große Rolle spielen. Es steht ja da auch immer noch dieser 100-Milliarden-Dollar-pro-Jahr-Fonds ab 2020 im Raum, mit dem die Industrieländer auch diesen Umstieg auf erneuerbare Energien aus der CO2-lastigen Energieproduktion den Entwicklungsländern finanzieren sollen.
Sind Sie da zuversichtlich, dass man sich einigt? Denn von den 100 Milliarden sind ja jetzt erst, je nach dem, wie man es betrachtet, 62 Milliarden zugesagt.
Mojib Latif: Ja, auf jeden Fall ist es die richtige Richtung. Ich hoffe, dass die 100 Milliarden auch noch zusammenkommen. Und ich will es auch nochmal erklären, warum es so wichtig ist.
Wissen Sie, das Klima interessiert sich ja gar nicht dafür, wer wie viel CO2 in die Atmosphäre bläst. China ist im Moment mit großem Vorsprung der größte Verursacher von CO2. Auf Platz zwei kommt dann die USA. Und nun zeigen alle mit dem Finger auf China. Das ist aber ein bisschen wohlfeil. Denn CO2, das ausgestoßen wird von uns Menschen, hat eine Lebensdauer in der Luft von ungefähr einhundert Jahren. Das heißt also, wenn wir fragen, er hat das CO2 in die Luft gebracht, das wir heute dort messen und das heute eben schon klimawirksam ist, dann muss man die kumulativen Emissionen betrachten, das heißt, die aufsummierten Emissionen über viele, viele Jahrzehnte.
Wenn wir diese Rechnung aufmachen, dann haben alleine die Amerikaner ein Viertel des CO2 in die Luft geblasen, das wir heute dort messen, die Europäer nochmal ein Viertel. Das sind schon 50 Prozent. Wenn Sie dann gucken, wie viel hat China denn da reingebracht, dann sind die bei 11 bis 12 Prozent, die Inder noch bei sehr viel weniger.
Das heißt also, die historische Verantwortung liegt nicht bei den Schwellenländern und bei den Entwicklungsländern, nein, sie liegt bei den Industrieländern, bei den alten Industrieländern. Und die müssen vorangehen a) in Sachen Klimaschutz ihre Hausaufgaben machen und b) müssen sie natürlich dann auch zahlen für die, die sich natürlich auch gerne entwickeln wollen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die Entwicklungsländer beanspruchen zu Recht doch einen höheren Verschmutzungsgrad?
Mojib Latif: Na ja, das wäre natürlich katastrophal, wenn sie die gleichen Fehler machten, die wir gemacht haben. Dieser Fond ist ja nicht dafür da, dass die Entwicklungsländer die Luft verschmutzen, sondern der Fond ist dafür da, dass die Entwicklungsländer die Luft nicht verschmutzen, dass sie also sozusagen diesen Schritt der Luftverschmutzung, den wir alle gegangen sind, überspringen und gleich, sozusagen von Null, auf die erneuerbaren Energien umsteigen. Und dafür soll das Geld sein.
Und natürlich, Geld brauchen die Entwicklungsländer auch dafür, um sich anzupassen für den Klimawandel, der ohnehin nicht mehr vermeidbar ist.
Deutschlandradio Kultur: Fünf Jahrespläne wecken sicher bei einigen ungute Erinnerungen, aber wären regelmäßige Kontrollen im Fünfjahresrhythmus, wie sie jetzt im Rahmen einer Pariser Konferenz, eines Abkommens angedacht werden, ein Muss, um eben ein solches Abkommen zu konsolidieren, Herr Prof. Latif?
Mojib Latif: Ja also, ich denke schon, dass es richtig ist, mal hinzucken. Was machen die Länder eigentlich? Aber es muss eben auch Sanktionsmechanismen geben. Denn es darf nicht so sein wie beim Kyoto Protokoll. Länder wie Kanada beispielsweise haben es unterzeichnet, auch ratifiziert. Die US-Amerikaner haben es ja nicht ratifiziert. Das heißt also, sie haben sich letzten Endes nie dazu bekannt. Und dann ist so ein Land wie Kanada einfach auch ausgeschieden. Sie haben gesagt, sorry, wir schaffen es nicht, wir steigen aus, sondern es ist uns völlig egal, ob war das nun schaffen, was wir versprochen haben nicht. Das darf nicht wieder passieren.
Also, wenn jemand jetzt etwas sagt, was er machen möchte, dann muss es auch eingehalten werden. Wir müssen es kontrollieren und, wenn es nicht eingehalten wird, dann muss es irgendwelche Konsequenzen haben. Denn sonst kann man so einen Vertrag letzten Endes auch lassen.