Chinas Wassertank trocknet aus
Chinas Zisterne wird die seenreiche Region im tibetischen Hochland genannt. Es ist der Ursprung der drei wichtigsten Flüsse des Landes. Doch der Klimawandel hinterlässt auch dort seine Spuren: Gletscher schmelzen ab, Seen werden kleiner, so berichtet Axel Dorloff.
Die Schritte auf dem Gletscher des Animaqing sind beschwerlich: die Luft ist dünn, die Schuhe sinken in den tiefen Schnee, der Wind bläst eiskalt. Selbst in 5500 Meter Höhe haben die Tibeter ihre bunten, buddhistischen Gebetsfähnchen über die Schneefelder gespannt. Sie leuchten bunt über dem weiß glitzernden Schnee: in orange, gelb, grün, rot oder blau. Der Berg Animaqing im tibetischen Hochland in Chinas Provinz Qinghai ist ein besonderer Berg, erklärt Gao Wei vom Bergverein Qinghai.
"Für die Menschen, die hier leben, ist es ein heiliger Berg. Einer von vier heiligen Bergen der tibetischen Kultur. Die Tibeter nennen ihn den Berg des Glücks – und betrachten ihn voller Ehrfurcht."
Gao Wei ist 35 Jahre alt, er kommt aus der Inneren Mongolei. Regelmäßig führt er Wanderer oder Wissenschaftler auf die Berge im tibetischen Hochland. Sein Gesicht hat tiefe Furchen, ist vom rauen Wetter gezeichnet. Seit vielen Jahren kommt er in das Gletschergebiet – und beobachtet, wie sich die Gegend verändert. Mit seinen dicken Handschuhen zeigt er auf die stark vergletscherten Flanken des Animaqing.
"Jedes Jahr steigt die Schneefallgrenze, und die Eisflächen gehen zurück. Als ich hier zum ersten Mal hinkam, konnte man die Eiskappen, also die Plateau-Gletscher viel besser sehen. Sie sahen aus wie tropfendes Wasser. Jetzt sind manche ganz verschwunden. Wegen der steigenden Temperaturen können die Eiskappen nicht mehr so existieren wie früher."
Ursprung dreier gewaltiger Flüsse
Der Animaqing liegt im Naturschutzgebiet Sanjiangyuan, im Osten der tibetischen Hochebene. Eine imposante Hochgebirgswelt, größer als England und Wales zusammen. Rund 200.000 Menschen leben hier. Drei gewaltige Flüsse entspringen in dieser Region: der Jangtse, der Gelbe Fluss und der Lancanjiang – auch bekannt als Mekong.
Bergführer Gao Wei führt unter anderem Yang Guozhu in das Gletschergebiet. Yang ist Professor für Ökologie und Umwelttechnik an der Qinghai Universität in der Hauptstadt Xinin. Er forscht dazu, welche Auswirkungen die globale Erwärmung auf das Sanjiangyuan Naturschutzgebiet hat. Er hat Landkarten der Region dabei, die er mit dicken Plastikhüllen vor dem Schnee schützt.
"Das Ursprungsgebiet der drei Flüsse Jangtse, Gelber Fluss und Mekong gilt als "Wassertank Chinas". Genau von hier fließt das Wasser in den Jangtse und in den Gelben Fluss. Allein entlang des Gelben Flusses liegen acht chinesische Provinzen. Das Wasser des Flusses wird gebraucht, damit die Menschen leben können, damit sich die Regionen entwickeln können. Die chinesische Regierung hat hier im Ursprungsgebiet der drei Flüsse viel Geld in Umweltprojekte investiert, um die lebenswichtigen Flüsse vor der Austrocknung zu bewahren."
Nachschub für die Wasserquellen ist bedroht
Experten schätzen, dass etwa die Hälfte der chinesischen Bevölkerung das Wasser dieser drei mächtigen Flüsse nutzt. Seit 2005 versucht die chinesische Regierung deshalb, mit aufwendigen Umwelt-Projekten die Natur im Sanjiangyuan-Gebiet zu schützen: Projekte, um Waldflächen zurückzugewinnen, Grasflächen zu sanieren, Feuchtgebiete zu schützen. Aber der Klimawandel bedroht den Nachschub für die Wasserquellen, erklärt Wissenschaftler Yang Guozhu.
"Wegen des Temperaturanstiegs verdunstet mehr Wasser, und die Gletscherschmelze hat sich beschleunigt. Gleichzeitig vertrocknet das Grasland. Der Wasserspiegel in den Flüssen, in den Seen und Feuchtgebieten geht zurück. Ein Beispiel: wir hatten allein im Bezirk Maduo mehr als 4000 Seen, drei Viertel davon sind ausgetrocknet."
Maduo – der Name des Kreises bedeutet wörtlich Quelle des Gelben Flusses. Das Wasser aus den Seen in diesem Gebiet fließt in den Gelben Fluss. Die Tibeter nennen die vielen Seen im Kreis Maduo Sternenmeer, weil sie in der Sonne funkeln wie helle Sterne. Oder gefunkelt haben, weil es viele davon nicht mehr gibt.
Auch Zhao Xiang ist in der Gruppe, die von Bergführer Gao Wei auf den Animaqing geführt wird. Zhao Xiang ist 26 Jahre alt und arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Shanshui – das heißt übersetzt Berg und Wasser. Seine Organisation versucht, die bedrohte Tier- und Pflanzenwelt im tibetischen Hochland zu schützen.
"Wegen der globalen Erwärmung gibt es bereits mehr Panther in diesem Gebiet. Panther leben im Wald – in eher niedrigen Höhen. Aber weil die Baumgrenze steigt, klettern die Panther und auch andere Tiere quasi den Berg hoch. Aber mit diesem Aufstieg wird wiederum der Lebensraum für die Tierarten kleiner, die über der Schneefallgrenze leben. Die wachsende Zahl der Panther bedroht z.B. den Schneeleoparden. Der hat nicht mehr viel Platz, noch weiter aufzusteigen – die Tiere machen sich gegenseitig Konkurrenz."
Der Schneeleopard ist der "Geist der Berge"
Der Schneeleopard gehört zu den weltweit bedrohten Arten. Weil er selten gesehen wird, nennt man ihn auch den "Geist der Berge". Zwischen 4000 und 7000 Tiere soll es noch geben. Zhao Xiang ist gleich für mehrere Wochen im tibetischen Hochland, um zu untersuchen, wie die Schneeleoparden sich auf die veränderten Bedingungen einstellen. Er lebt für die Zeit bei einer Hirtenfamilie. Und beobachtet dort ganz praktisch die Auswirkungen des Temperaturanstiegs auf den Alltag der Menschen.
"Es gibt hier die Tradition, Vieh zu töten und für den Winter haltbar zu machen. Als ich hier im Jahr 2010 hinkam, wurde das noch im Oktober gemacht. Jetzt aber erst im Dezember, weil es vorher nicht kalt genug ist, das Fleisch draußen einzufrieren. Das hat zur Folge, dass die Hirten hier weniger von ihrem eigenen Fleisch über den Winter essen, weil sie erst später damit beginnen können. Im Oktober und November müssen sie das Fleisch noch kaufen. Sie können es nicht selbst schlachten, weil es schlecht werden würde, wenn es nicht gefroren wird."
Das erste Dorf nach dem Abstieg vom Animaqing ist Xiadawu. Rund 1600 Menschen leben hier. Muslime der Hui-Minderheit, Han-Chinesen und Tibeter. Xiadawu hat einen kleinen Marktplatz, der von einfachen Flachdachhäusern umgrenzt wird. In den kleinen muslimischen Restaurants essen die Menschen Rinder-Nudelsuppe und über dem Marktplatz klingen buddhistische Verse aus Lautsprechern.
Beobachtungen der Mönche
Hier in Xiadawu lebt auch Danzeng Wangjia, ein tibetisch-buddhistischer Mönch. Er ist 30 Jahre alt, trägt eine dunkelrote Mönchskutte und eine dicke Wollmütze. Danzeng lehrt Chinesisch an der Klosterschule. Das Kloster und die Schule befinden sich auf 3900 Meter Höhe, mit Sicht auf den Animaqing. Auch Danzeng Wangjia beobachtet, wie sich das Klima hier verändert.
"Der Schnee wird von Jahr zu Jahr weniger. Bis vor einigen Jahren war es schon im November immer klirrend kalt, und wir hatten sehr viel Schnee. Nach dem Oktober kam grundsätzlich der Winter. Das ist jetzt nicht mehr so. Dieses Jahr ist es deutlich wärmer, und die vergangenen Jahre war das ähnlich."
Mehr als 30 Mönche und etwa 170 Schüler leben in dem buddhistischen Kloster und der Schule. Die Gebäude in klassischer Tempelarchitektur, dunkelrot und bunt verziert. Will man zum Zimmer des dienst-ältesten Mönches, kommt man an einer Klasse vorbei, die gerade Tanzstunde hat. Der Vorsitzende der Mönche heißt Dan Da und lebt seit über 30 Jahren in dem Kloster hier im tibetischen Hochland.
"Vor 20 bis 30 Jahren gab hier es einige Berge, die immer schneebedeckt waren. Aber jetzt sind das ganz normale Berge. Ohne Schnee im Sommer. Ich habe vom Klimawandel schon mal gehört – aber nie wirklich darüber nachgedacht oder es studiert. Darum weiß ich auch nicht genau, worum es geht."
Das Thema Klimawandel ist den Tibetern fremd
Es sind die Symptome des Klimawandels, die die Menschen wahrnehmen und beschreiben. Aber das Wissen, was dahinter steckt. Das Phänomen der globalen Erwärmung, die großen Klima-Konferenzen, internationale Klimapolitik – das ist den Tibetern hier eher fremd, bestätigt der 30-jährige Mönch Danzeng Wangjia.
"Wir beschäftigen uns mit dem Klima in unserem Geographie-Unterricht. Dort geht es vor allem um die Schneeberge hier und auch um die anderen tibetischen Berge, die für unsere Kultur wichtig sind. Der Klimawandel wird als Thema vielleicht mal gestreift. Aber wir wissen nicht viel darüber und kümmern uns nicht wirklich darum."
Hinter dem Tempelgebäude ragt ein Hügel steil in die Höhe. Darauf sieht mein Meer an roten buddhistischen Gebetsfähnchen – und ein riesige Herde schwarzer Rinder, die an dem steilen Hang grasen. Aus der Kammer des buddhistischen Mönches Dan Da kann man die Rinder beobachten, wie sie sich langsam den Hügel entlang bewegen.
"Das Weideland hat sich eindeutig verändert. Früher ist das Gras gut gewachsen. Aber jetzt sind überall Maulwurfhügel, das Grass wird weniger und ist vertrocknet. Dabei ist es so wichtig für die tibetischen Hirten hier in den Bergen. Rinder, Schafe, Pferde – alle fressen Gras! Und die Hirten leben von ihren Viehherden! Wenn das Gras weniger wird, ist das ein riesiges Problem."
Ein Problem, das die Existenz der vielen einheimischen Hirten gefährdet. Fast alle, die auf 4000 Meter und höher wohnen, leben von der Viehzucht, erklärt Yang Guozhu, Professor für Ökologie und Umwelttechnik an der Qinghai Universität.
"Die meisten Gebiete, die über 3000 Meter liegen, eignen sich nicht für Ackerbau. Deshalb ist über die letzten Jahrhunderte auch die Weidewirtschaft die Haupteinnahme-Quelle der Tibeter. Sie leben in der Näher der Gras- und Weideflächen und lassen ihre Herden dort weiden. Davon leben die Menschen in der tibetischen Hochebene."
Gras- und Weideflächen verschwinden
Noch vor etwa 20 bis 30 Jahren war das hier eine Region mit saftigem Grasland und reichlich Wasser. Daran erinnert sich auch Yin Deng, ein 40-jähriger tibetischer Hirte. Er lebt am Dorfrand von Xiadawu und hat vor allem Schafe und ein paar Rinder.
"Die Gras- und Weideflächen werden immer weniger. Wir müssen besser herausfinden, wie man das Gras schützt. Es ist sehr teuer für uns, Gras dazu zu kaufen. Um das zu machen, müssen wir wiederum Kühe und Schafe verkaufen. Und die Preise dafür sind auch nicht wirklich gut. Im Moment verkaufen wir ein Schaf für nur 500 Yuan."
Angeblich war das Gras früher so hoch, dass Vieh und Schafe sich darin verstecken konnten. Aber wegen Überweidung und Klimawandel sind viele Grasflächen heute verkümmert. Es kam zu Bodenerosionen, Flüsse und Seen begannen auszutrocknen. Yang Guozhu, der als Professor an der Qinghai Universität versucht, Strategien gegen den Klimawandel zu entwickeln, hat die letzten Jahre an einer neuen Grassorte für die Hirten auf der tibetischen Hochebene geforscht.
"Wir haben versucht, eine neue Gras-Sorte zu entwickeln und zu züchten. Ein Gras, das auch über 3000 Meter gut wachsen kann. Und nach vielen, vielen Jahren Forschung und Experimenten haben wir es geschafft. Wir haben jetzt ein Gras, das den Winter in dieser Höhe überleben kann."
Ein Gras, das widerstandsfähiger ist und weniger Ansprüche an Boden und Bewässerung stellt. Eine von vielen Strategien gegen die Auswirkungen des Klimawandels für die tibetische Hochebene.
Erste Erfolge von Umweltprojekten
Und es gibt auch andere Umweltprojekte, die erste Erfolge zu verzeichnen haben. Seitdem die chinesische Regierung 2005 begonnen hat, das Sanjiangyuan Naturschutzgebiet – den Wassertank Chinas – mit Millionenprojekten zu überziehen, haben sich die Feuchtgebiete etwas erholt und wieder erweitert. Auch die Waldflächen haben sich wieder leicht ausgedehnt. Laut offizieller Statistik sind aber allein rund 50.000 Bewohner des Sanjiangyuan vom Weideland des tibetischen Hochlands in Kleinstädte umgesiedelt worden. Um das Grasland vor weiterer Zerstörung durch menschliche Aktivitäten zu schützen.
Auch die Klimaexpertin Li Yuan von Greenpeace China fordert, das Sanjiangyuan Naturschutzgebiet als eines der wichtigsten Ökosysteme in China noch viel besser zu schützen.
"Wir beobachten, dass die Gletscher im tibetischen Hochland viel schneller zurückgehen und schmelzen. Dabei ist die Region der Wassertank – nicht nur für China – sondern für ganz Asien bzw. Südostasien. Das wird heftige Auswirkungen auf die Wasservorräte und Wasserverfügbarkeit in China und der ganzen Region haben. Darum ist es in Chinas ureigenem Interesse, den Klimawandel zu bekämpfen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den die Politiker in China begreifen müssen."
Denn der Klimawandel hinterlässt weiter seine Spuren. Der Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur liegt in den letzten 50 Jahren im Sanjiangyuan Naturschutzgebiet höher als der nationale und globale Durchschnitt. Für die Gletscher, die Menschen der tibetischen Hochebene und die Wasserversorgung Chinas sind das keine guten Nachrichten.